OGH 8ObA64/12p

OGH8ObA64/12p24.10.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Josef Schleinzer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und AR Angelika Neuhauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S***** K*****, vertreten durch Dr. Anton Krautschneider, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei F***** H*****, vertreten durch Dr. Heinrich H. Rösch, Rechtsanwalt in Wien, wegen 3.346,09 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 20. Oktober 2011, GZ 8 Ra 35/11t-15, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Die klagende Partei hat ihre Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur mehr die Frage, ob der Kläger einen Grund für die vorzeitige Auflösung seines Lehrverhältnisses nach § 15 Abs 3 lit c BAG verwirklicht hat.

Die außerordentliche Revision der Beklagten betont durchaus zutreffend, dass jede berechtigte Entlassung die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung für den Dienstgeber bzw Lehrherrn voraussetzt (RIS-Justiz RS0107934; Neumayr in Kletecka/Schauer, ABGB-ON 1.00 § 1162 Rz 26 [www.rdb.at ]; Krejci in Rummel 3, § 1162 Rz 23). Nicht jede, sondern nur eine erhebliche Pflichtverletzung berechtigt daher zur vorzeitigen Auflösung eines Lehrverhältnisses (Preiss/Spitzl in ZellKomm2 § 10 BAG Rz 3).

Die Frage, ob diese Schwelle durch ein bestimmtes Verhalten des Lehrlings überschritten wurde, kann immer nur aufgrund der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (RIS-Justiz RS0106298 [T10]). Eine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO liegt nur dann vor, wenn der zweiten Instanz bei Beurteilung des Einzelfalls eine gravierende Fehlbeurteilung unterlaufen ist, die aus Gründen der Rechtssicherheit vom Obersten Gerichtshof korrigiert werden muss, oder wenn das Berufungsgericht in Überschreitung seines Ermessensbereichs von allgemeinen Grundsätzen abgewichen ist.

Diese Voraussetzungen zeigt die Revision im vorliegenden Fall nicht auf, vielmehr entfernt sie sich von den für den Obersten Gerichtshof bindenden Sachverhaltsfeststellungen der Tatsacheninstanzen, wenn sie als zentrales Argument für ihren Standpunkt das wiederholte Zuspätkommen des Klägers zum Berufsschulunterricht heranzieht.

Die letzten konkret festgestellten Fälle verspäteten Erscheinens zum Unterricht fanden danach alle bereits im Jahre 2009 statt und waren, zusammen mit Beschwerden über schlechtes Benehmen des Klägers, am 28. September 2009 Anlass für die Erteilung einer förmlichen Verwarnung. Damit können dieselben Vorfälle aber nicht später neuerlich als Entlassungsgrund herangezogen werden. Wählt der Arbeitgeber die Sanktion einer bloßen Verwarnung, bringt er damit schlüssig einen Verzicht auf sein allfälliges Entlassungsrecht zum Ausdruck (RIS-Justiz RS0029023).

Gründe, aus denen der Arbeitnehmer bereits verwarnt wurde, können zwar bei späterer Wiederholung dieses Verhaltens noch im Rahmen einer Würdigung des Gesamtverhaltens Berücksichtigung finden (RIS-Justiz RS0110657), der eigentliche Anlassfall für die Entlassung muss aber immer eine gewisse Mindestintensität aufweisen, um die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung zu begründen (RIS-Justiz RS0029600 [T2]).

Unmittelbarer Anlass für die Entlassung des Klägers am 29. März 2010 war, dass er im praktischen Unterricht darauf bestanden hatte, ein Werkstück nicht wie aufgetragen mit einer Flexschere, sondern mit einer Lochschere zu bearbeiten; diese Missachtung von Anweisungen veranlasste seinen Lehrer zu einem umfassenden Beschwerdebrief. Dieser konkret für die Entlassung ausschlaggebende Vorfall kann aber objektiv nicht für so gravierend erachtet werden, dass deswegen eine Weiterbeschäftigung des Klägers für die Beklagte unzumutbar gewesen wäre, es mangelt bereits an der Mindestintensität des Anlassfalls.

Auf die im Rechtsmittel angesprochenen Fragen, ob Zuspätkommen zum Berufsschulunterricht an sich als besonders gravierende Pflichtenverletzung anzusehen ist, und inwieweit das Entlassungsrecht des Lehrherrn wegen fortgesetzten Fehlverhaltens des Lehrlings in der Berufsschule von Sanktionen der Schulleitung abhängt, kommt es daher im vorliegenden Verfahren nicht an.

Für die ohne Freistellung gemäß § 508a Abs 2 ZPO eingebrachte Revisionsbeantwortung des Klägers gebührt kein Kostenersatz (RIS-Justiz RS0043690 [T6, T7]).

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