Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird wie folgt abgeändert:
„Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Krems an der Donau vom 30. April 2012, GZ 17 Ps 217/11s‑11, gemäß § 111 Abs 1 JN ausgesprochene Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Melk wird genehmigt.“
Text
Begründung
Die Eltern des mj K***** sind geschieden, der letzte gemeinsame Wohnsitz lag im Sprengel des Bezirksgerichts Krems. Am 15. Dezember 2011 stellte die Mutter bei diesem Gericht den Antrag auf Übertragung der alleinigen Obsorge. Der Vater erklärte, er wolle selbst keinen Antrag stellen, strebe aber die Fortsetzung der gemeinsamen Obsorge an.
Am 25. Februar 2012 beantragte die Mutter beim Bezirksgericht Krems an der Donau, ihr die alleinige Obsorge mit einstweiliger Verfügung zu übertragen, weil aufgrund konkreter Vorfälle eine Gefährdung der Gesundheit des Kindes durch den Vater zu befürchten sei. Sämtliche Anträge sind noch offen.
Am 27. März 2012 beantragte die Mutter, die Zuständigkeit für den Akt dem Bezirksgericht Melk zu übertragen, weil sie mit dem Kind in den Sprengel dieses Gerichts verzogen sei. Der Vater sprach sich nicht gegen diesen Antrag aus.
Das Bezirksgericht Krems übertrug daraufhin mit Beschluss vom 30. April 2012 gemäß § 111 Abs 1 und 2 JN die Zuständigkeit für die Führung der Pflegschaftssache dem Bezirksgericht Melk, dieses lehnte die Übernahme mit Beschluss vom 8. Mai 2012 unter Verweis auf die noch unerledigten Anträge ab.
Das Oberlandesgericht Wien genehmigte die Übertragung der Zuständigkeit nicht. Es fehle bereits an der Voraussetzung eines dauerhaften Aufenthaltswechsels, weil über die Obsorge noch nicht entschieden sei. Zumindest vor der Erledigung des Antrags auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung sei die Übertragung den Interessen des Kindes wegen des konfliktbeladenen persönlichen Verhältnisses der Eltern nicht förderlich.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs der Mutter, mit dem sie die Genehmigung der Zuständigkeitsübertragung anstrebt, ist zulässig (RIS‑Justiz RS0047005; Mayr in Rechberger³ § 111 JN Rz 6 mwN), und auch berechtigt.
Maßgeblich für die Entscheidung über die Zuständigkeitsübertragung nach § 111 JN ist die bestmögliche Wahrung des den Pflegebefohlenen zukommenden Schutzes (vgl RIS‑Justiz RS0047074; RS0046929; RS0049144). Offene Anträge sind noch kein grundsätzliches Übertragungshindernis, sondern es hängt von den Umständen des einzelnen Falls ab, ob eine Entscheidung darüber durch das bisherige Gericht zweckmäßiger ist (RIS‑Justiz RS0053012).
Auch während eines offenen Obsorgestreits hat sich die Prüfung der Zweckmäßigkeit der Zuständigkeitsübertragung ausschließlich daran zu orientieren, welches Gericht die für die Entscheidung maßgeblichen Umstände sachgerechter und umfassender beurteilen kann. Bei der Gesamtbeurteilung der für die Übertragung der Elternrechte maßgebenden Kriterien ist dabei stets von der aktuellen Lage auszugehen und sind Zukunftsprognosen miteinzubeziehen. Nur wenn eine Erforschung aller maßgeblichen Lebensumstände der Beteiligten möglichst vollständig und aktuell in die Entscheidung einfließen kann, ist das Wohl des Kindes gewährleistet. An diesen Überlegungen ist die Zweckmäßigkeit der Übertragung zu messen (RIS‑Justiz RS0047027 [T5, T6]).
Im vorliegenden Fall hat das Bezirksgericht Krems noch keine aufwändigen Verfahrensschritte gesetzt. Ein Richterwechsel und damit ein neues Einarbeiten in den Akt wäre außerdem auch bei diesem Gericht unumgänglich, weil der bisher zuständige Richter mittlerweile in den Ruhestand getreten ist.
Zu Recht setzt die Rekurswerberin den Bedenken des Oberlandesgerichts entgegen, dass der Vater die Übertragung der alleinigen Obsorge gar nicht beantragt hat, sondern die Beibehaltung der bestehenden Lage anstrebt, weshalb derzeit - unabhängig vom Verfahrensausgang - nichts für eine bevorstehende Veränderung der Wohnverhältnisse des Kindes spricht. Aus dem gleichen Grund ist auch nicht zu befürchten, dass in der Zuständigkeitsentscheidung bereits ein Präjudiz für den Obsorgestreit erblickt werden könnte.
Für die Zweckmäßigkeit der Zuständigkeitsübertragung spricht schließlich, dass sie für alle Beteiligten eine Verkürzung der Anreisewege zu Gericht mit sich bringt. Die Wohnorte der beiden Elternteile liegen, wenn auch durch eine Bezirksgrenze getrennt, nur wenige Kilometer voneinander entfernt; das Bezirksgericht Melk ist nicht nur für die Rekurswerberin, sondern auch für den Vater erheblich schneller erreichbar als das Bezirksgericht Krems.
Die Übertragung der Zuständigkeit an das Bezirksgericht Melk lässt daher eine Beschleunigung und Vereinfachung des Verfahrens erwarten und entspricht am Besten dem Interesse des Kindes (RIS‑Justiz RS0053012). Ausnahmsweise hindert unter den besonderen Umständen auch der noch unerledigte Provisorialantrag den Zuständigkeitswechsel nicht, zumal das Bezirksgericht Krems nach dem gegebenen Verfahrensstand nicht (mehr) schneller und effizienter darüber entscheiden könnte als das Empfangsgericht.
Dem Rekurs war daher Folge zu geben.
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