Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der Beschluss des Rekursgerichts wird aufgehoben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung über den Rekurs unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Text
Begründung
Über Anregung des Betroffenen selbst, vertreten durch jene Rechtsanwaltsgesellschaft, die auch im Revisionsrekursverfahren für ihn einschreitet, bestellte das Erstgericht mit Beschluss vom 16. Juni 2010 (ON 13) für den Betroffenen eine Sachwalterin zur Besorgung aller Angelegenheiten (§ 268 Abs 3 Z 3 ABGB) und verfügte eine Einschränkung der Testierfähigkeit (nur mündlich vor Gericht oder vor einem Notar).
Der Sachwalterbestellung liegt ein vom Erstgericht eingeholtes ärztliches Gutachten zugrunde, das zum Schluss kommt, dass der Betroffene an einer mittelschweren vaskulären Demenz leidet, zwar örtlich und zur Person noch großteils orientiert, seine Einsichts-, Urteils- und Kritikfähigkeit jedoch bereits deutlich herabgesetzt ist.
Der Beschluss über die Sachwalterbestellung erwuchs in Rechtskraft.
Mit Beschluss vom 11. Februar 2011 (ON 25) enthob das Erstgericht die bisherige Sachwalterin ihres Amtes und bestellte einen Rechtsanwalt zum neuen Sachwalter.
Das Erstgericht genehmigte über Antrag des Sachwalters einen Tauschvertrag vom 19. Jänner 2012 zwischen dem Betroffenen, vertreten durch den Sachwalter, und zwei näher bezeichneten Tauschpartnern, nach dessen Inhalt Teilgrundstücke des Betroffenen im Ausmaß von 57.759 m² gegen Teilgrundstücke im Ausmaß von ebenfalls 57.759 m² getauscht werden sollen, wobei der Betroffene überdies eine Ausgleichszahlung in Höhe von 115.518 EUR erhalten soll.
Dagegen erhob der Betroffene Rekurs (ON 42). Im Rekurs wurde auf die bereits ausgewiesene Rechtsvertretung (gemeint: die Berufung auf die erteilte Vollmacht bei Erstattung der Anregung auf Sachwalterbestellung) verwiesen.
Offenbar aus Anlass des Rekurses leitete das Erstgericht ein Zwischenverfahren ein und beauftragte die Erstattung eines neuropsychiatrischen Gutachtens insbesondere zur Frage, ob der Betroffene in der Lage sei, eine Vollmacht zu erteilen und „selbst Gedankengänge wie sie im Rekurs ON 42 enthalten sind, anzustellen“.
Der bestellte Gutachter gelangte zum Ergebnis, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass der Betroffene nicht mehr in der Lage sei, Notwendigkeit und Umfang einer Vollmachtserteilung zu erkennen und die im Rekurs ON 42 dargelegten Gedankengänge auszuformulieren. Es sei jedoch nicht ausgeschlossen, dass es sich bei diesen Aussagen (gemeint: den Ausführungen im Rekurs ON 42) um den mutmaßlichen Willen des „Probanden“ handle.
Das Rekursgericht wies den Rekurs als unzulässig zurück und sprach aus, dass der Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Einen Bewertungsausspruch unterließ das Rekursgericht.
Rechtlich vertrat das Rekursgericht die Auffassung, dass eine Vollmachtserteilung durch den Betroffenen selbst nicht mehr in Betracht komme, wenn für ihn endgültig ein Sachwalter für alle Angelegenheiten bestellt worden sei. Die behauptete Bevollmächtigung durch den Betroffenen habe nach dem Vorbringen im Rekurs erst nach der Sachwalterbestellung stattgefunden. Die nunmehr einschreitende Rechtsanwaltskanzlei könne sich daher auf keine wirksam zustande gekommene Bevollmächtigung berufen.
Der dagegen vom Betroffenen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist. Der Revisionsrekurs ist auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Bei der beantragten pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung eines Tauschvertrags handelt es sich um einen Entscheidungsgegenstand rein vermögensrechtlicher Natur (RIS-Justiz RS0109789). Da es um die Genehmigung des Vertrags geht, ist die betroffene Liegenschaft nicht unmittelbar streitverfangen, weshalb nicht der (dreifache) Einheitswert der Liegenschaft maßgeblich ist (4 Ob 550/94 = RIS-Justiz RS0029384; Gitschthaler in Fasching² § 60 JN Rz 34).
Obwohl grundsätzlich bei Fehlen des erforderlichen Bewertungsausspruchs dieser vom Rekursgericht nachzutragen wäre (RIS-Justiz RS0007073), ist eine Rückstellung an das Rekursgericht zur Nachholung des Bewertungsausspruchs dann entbehrlich, wenn der zweitinstanzliche Entscheidungsgegenstand eindeutig 30.000 EUR (RIS-Justiz RS0125732; 5 Ob 184/11m) übersteigt (5 Ob 98/09m; 3 Ob 245/10s).
Allein im Hinblick auf die vom Erstgericht festgesetzte Ausgleichszahlung in Höhe von 115.518 EUR (die mit - dem Betroffenen bisher nach der Aktenalge nicht zugestelltem - „Ergänzungsbeschluss“ des Erstgerichts vom 25. Mai 2012 festgesetzte erhöhte Ausgleichszahlung von insgesamt 231.036 EUR ist nicht Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens) ist eine Rückstellung des Akts an das Rekursgericht zur Nachholung des Bewertungsausspruchs entbehrlich.
2. Nach ständiger Rechtsprechung steht der betroffenen Person, wenn sie des Gebrauchs der Vernunft nicht gänzlich beraubt ist, im Sachwalterbetreuungsverfahren bei Uneinigkeit zwischen ihr und dem Sachwalter über eine Maßnahme, die der Genehmigung des Pflegschaftsgerichts bedarf, ein eigenes Rekursrecht gegen eine dem Willen des Sachwalters folgende gerichtliche Entscheidung auch dann zu, wenn die bekämpfte Entscheidung in den Wirkungsbereich des Sachwalters fällt (4 Ob 100/09y JBl 2009, 723 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung zur Rechtslage vor dem AußStrG 2003; RIS-Justiz RS0124785). Darunter ist zu verstehen (vgl Schauer zu 4 Ob 147/09k iFamZ 2010/20), dass bei dem Betroffenen ein Minimum an Einsichtsfähigkeit vorhanden sein muss, um Inhalt und Ziel der Verfahrenshandlung zu erkennen.
3. Das Rekursgericht ist nun davon ausgegangen, dass der Betroffene derzeit dieses Minimum an Einsichtsfähigkeit nicht aufweist und er daher - auch im Hinblick auf die umfassende Bestellung des Sachwalters - an seine Rechtsvertreterin nicht wirksam habe Vollmacht erteilen können.
Diese Auffassung trifft nicht zu:
3.1 Unzutreffend ist zunächst, dass aus dem Rekurs des Betroffenen ON 42 abzuleiten ist, dass er erst im Zuge der Rekurserhebung Vollmacht an die einschreitende Rechtsanwaltsgesellschaft erteilte: vielmehr ist aktenkundig, dass bereits in der verfahrenseinleitenden Anregung auf Sachwalterbestellung, die am 25. März 2010 beim Erstgericht einlangte, der Betroffene auf eine der auch nunmehr einschreitenden Rechtsanwaltsgesellschaft erteilte Vollmacht verwies.
3.2 Nach ständiger Rechtsprechung setzt die Wirksamkeit der Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts voraus, dass die betroffene Person bei der Vollmachtserteilung fähig war, den Zweck der den Rechtsvertreter erteilten Vollmacht zu erkennen. Nur bei offenkundiger Unfähigkeit zu dieser Erkenntnis ist die Bevollmächtigung unwirksam (4 Ob 100/09y; 3 Ob 230/10k; RIS-Justiz RS0008539).
3.3 Zwar bildet die Frage, ob eine solche offenkundige Unfähigkeit im Einzelfall vorliegt, in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage (3 Ob 230/10k mwN). Im konkreten Fall bestehen allerdings im Hinblick auf die - aktenwidrige - Annahme des Rekursgerichts, die Vollmachtserteilung sei erst im Zusammenhang mit der Rekurserhebung erfolgt, gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung, zumal die von der Rechtsprechung geforderte Offenkundigkeit der fehlenden Einsichtsfähigkeit in Bezug auf die Bevollmächtigung durch den Betroffenen vor Einleitung des Sachwalterschaftsverfahrens nicht vorliegt. Dass bereits bei Einleitung des Sachwalterschaftsverfahrens die höheren Hirnleistungen des Betroffenen, insbesondere die Aufmerksamkeits- und die Gedächtnisleistung, reduziert waren (vgl das im Streitverfahren 1 Cg 59/09p des LG Ried im Innkreis eingeholte forensisch-neuropsychiatrische Gutachten) reicht nicht aus, eine solche offenkundige Unfähigkeit anzunehmen.
3.4 Darauf, ob der Betroffene nunmehr in der Lage wäre, Vollmacht zu erteilen, kommt es nicht an, weil eine nachträgliche Handlungsunfähigkeit des Machtgebers nicht zum Erlöschen der erteilten Vollmacht führt (RIS-Justiz RS0019873).
4. Da der für alle Angelegenheiten bestellte Sachwalter auch keinen Vollmachtswiderruf erklärte (vgl dazu 7 Ob 152/07i) - in seiner Äußerung vom 26. April 2012 (ON 46) verwies der Sachwalter lediglich darauf, dass es aus seiner Sicht für den Betroffenen nicht mehr möglich sei, zum Tausch eine Stellungnahme abzugeben - und es an ausreichenden Anhaltspunkten dafür fehlt, dass der Betroffene bereits zum Zeitpunkt der ursprünglichen Vollmachtserteilung offenkundig unfähig war, den Zweck der Vollmachtserteilung zu erfassen, ist von der Wirksamkeit der Vollmachtserteilung auszugehen. Das Rekursgericht wird sich daher mit dem Rekurs des Betroffenen inhaltlich auseinanderzusetzen haben.
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