OGH 17Os5/12g

OGH17Os5/12g2.10.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. Oktober 2012 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek und Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Scheickl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Richard P***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Schöffengericht vom 20. Februar 2012, GZ 9 Hv 12/11p-109, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Richard P***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB (I) und der Verbrechen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (II A 1 und II B), in einem Fall nach §§ 15, 202 Abs 1 StGB (II A 2) schuldig erkannt.

Danach hat er „im Zeitraum von März 2009 bis März 2010 im Bezirk E*****

I) als Polizeibeamter der Polizeiinspektion E*****, sohin als Beamter, mit dem Vorsatz, dadurch den Staat an seinem Recht auf Durchführung ordnungsgemäßer verwaltungsrechtlicher Kontrollen nach der Verordnung des Bundesministeriums für Gesundheit und Umweltschutz über die gesundheitliche Überwachung von Personen, die der Prostitution nachgehen (BGBl Nr 314/1974 idF BGBl Nr 591/1993), und auf Anzeigeerstattung wegen Verwaltungsübertretungen nach dem Geschlechtskrankheitengesetz (StGBl Nr 152/1945 idF BGBl I Nr 98/2001) und Einhebung von Sicherheitsleistungen sowie die Prostituierten Gyulane E*****, Fiordalizia O***** und Natalia A***** an ihrem Recht auf Vollziehung gesetzeskonformer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt im Rahmen gesundheitspolizeilicher Kontrollen zu schädigen, seine Befugnisse im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem er aus ausschließlich privaten Motiven schikanöse polizeiliche 'Rotlichtkontrollen' durchführte,

A) in T***** (E*****-Bar)

1) im März oder April 2009 bei Gyulane E*****;

2) im Zeitraum September/Oktober 2009 bei Fiodalizia O*****;

B) im Februar/März 2010 in D***** (P*****-Bar) bei Natalia A*****;

II) in T***** (E*****-Bar) außer den Fällen des § 201 StGB nachangeführte Personen teils mit Gewalt, teils durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung an der Ehre zur Vornahme oder Duldung einer geschlechtlichen Handlung genötigt bzw zu nötigen versucht und zwar

A) Gyulane E*****

1) im März oder April 2009 dadurch, dass er sie zu sich heranzog und mit einer Hand ihre Brust massierte, während er sie mit der anderen Hand festhielt;

2) am 5. April 2009 oder am 23. Mai 2009 dadurch, dass er sie nach Feststellen des Fehlens einer erforderlichen Untersuchung aufforderte, seinen Penis in den Mund zu nehmen und ihr zu verstehen gab, dass er gegen sie anderenfalls Anzeige wegen Überschreitung nach dem Geschlechtskrankheitengesetz erstatten und eine Sicherheitsleistung von 50 Euro einheben werde, wobei es beim Versuch geblieben ist;

B) im September/Oktober 2009 Fiodalizia O***** dadurch, dass er sie nach Feststellen des Fehlens einer erforderlichen Untersuchung durch die Ankündigung, andernfalls gegen sie Anzeige wegen Überschreitung nach dem Geschlechtskrankheitengesetz zu erstatten und eine Sicherheitsleistung von 50 Euro einzuheben, zur Gestattung des Betastens ihrer Brüste und ihrer Scheide veranlasste“.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Angeklagten aus Z 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde geht fehl.

Urteilsfeststellungen sind nur dann mit Mängel- (Z 5) oder Tatsachenrüge (Z 5a) anfechtbar, wenn sie entscheidende Tatsachen zum Gegenstand haben, wenn also die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens einer Tatsache in den Entscheidungsgründen entweder die rechtliche Entscheidung über Schuld- oder Freispruch oder - im Fall gerichtlicher Strafbarkeit - darüber beeinflusst, welche strafbaren Handlungen begründet werden (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 398, 399; RIS-Justiz RS0106268).

Ob auch die Stellung des Angeklagten als Polizeibeamter für die nicht sehr heftige Gegenwehr der Gyulane E***** maßgeblich war (US 7), ist ebenso wenig entscheidend wie die weiters als mangelhaft begründet kritisierte Feststellung, wonach der Angeklagte an einem Tag im Oktober 2009 in - wahrscheinlich aufgrund polizeiinterner Kommunikation erlangter - Kenntnis von einem Diebstahl gemeinsam mit Fiordalizia O***** deren Zimmer aufsuchte (US 9).

Ein Widerspruch (Z 5 dritter Fall) zwischen der Konstatierung, der Angeklagte habe „Papiere“ der Natalia A***** verlangt, jedoch nach deren Übergabe kein Interesse daran gezeigt und „sogleich“ ihre Brust berührt und versucht, „ihr zwischen die Beine zu greifen“ (US 11), zur Erwägung, wonach sich das Wissen des Angeklagten um den Fehlgebrauch seiner Befugnis (Schuldspruch I) auch aus den Angaben dieser Zeugin ergebe (US 24), ist nicht erkennbar. Dass der Angeklagte durch die Ankündigung, von einer Sicherheitsleistung und Anzeige im Fall der Bereitschaft zu geschlechtlichen Handlungen Abstand zu nehmen, auch auf Natalia A***** psychischen Druck ausgeübt hätte, haben die Tatrichter (ungeachtet der Formulierung auf US 24) gerade nicht angenommen (vgl US 25 und den nicht auf die Genannte bezogenen Schuldspruch II).

Die Beurteilung der Überzeugungskraft von Aussagen kann unter dem Gesichtspunkt von Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) mangelhaft erscheinen, wenn sich das Gericht mit gegen die Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit sprechenden Beweisergebnissen nicht auseinandergesetzt hat.

Indem jedoch die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) eine Auseinandersetzung mit der Aussage des Zeugen K*****, dem Natalia A***** von einem (nicht schuldspruchgegenständlichen weiteren) Vorfall im März oder Anfang April 2010 berichtet haben soll, sowie mit Angaben des Zeugen Oberstleutnant H*****, wonach Beschwerden über den Angeklagten durch sein „energisches Einschreiten“ motiviert waren und er anlässlich von Kontrollen der „bad cop“ gewesen sei, vermisst, und zufolge dieser Angaben sowie jener der Zeugen BI Gerhard Hu***** und Peter M***** ein abgesprochenes Aussageverhalten der Zeugen W*****, Me***** und M***** sowie Vernetzungen im Rotlichtmilieu ortet, verfehlt sie den - nicht in der Sachverhaltsannahme der Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit, sondern ausschließlich in den Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen gelegenen - Bezugspunkt des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 431 f).

Erinnerungsschwächen der Zeuginnen E*****, O***** und A***** und Widersprüche zufolge Zeitablaufs, haben die Tatrichter berücksichtigt (US 16) und waren zufolge des Gebots zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) nicht verhalten,(durch Fundstellen nicht bezeichnete; vgl jedoch RIS-Justiz RS0124172) Angaben des Zeugen K***** „dem BAK gegenüber“ zur tatzeitnahen Schilderung einer anderslautenden Tatversion durch Natalia A***** in den Entscheidungsgründen explizit zu erörtern.

Wesen und Ziel der Tatsachenrüge (Z 5a) ist es, anhand aktenkundiger Umstände unter Beachtung sämtlicher Verfahrensergebnisse erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen aufzuzeigen. Einwendungen ausschließlich gegen Beweiswerterwägungen der Tatrichter, wie hier gegen deren Überzeugung von der Glaubwürdigkeit der Belastungszeuginnen E***** und O***** auf Grund des von diesen gewonnenen persönlichen Eindrucks können erhebliche Bedenken nicht hervorrufen (RIS-Justiz RS0099649). Ebenso wenig Mutmaßungen zu einer Falschbezichtigung des Angeklagten, die das Erstgericht mit mängelfreier Begründung verneint hat (US 17).

Gegenstand von Rechts- und Subsumtionsrüge ist der Vergleich des zur Anwendung gebrachten materiellen Rechts, einschließlich prozessualer Verfolgungs- voraussetzungen, mit dem festgestellten Sachverhalt. Den tatsächlichen Bezugspunkt bildet dabei die Gesamtheit der in den Entscheidungsgründen getroffenen Feststellungen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO), zu deren Verdeutlichung das Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) herangezogen werden kann. Von diesem Gesamtzusammenhang ausgehend ist zur Geltendmachung eines aus Z 9 oder Z 10 gerügten Fehlers klarzustellen, aus welchen ausdrücklich zu bezeichnenden Tatsachen (einschließlich der Nichtfeststellung von Tatsachen) welche rechtliche Konsequenz (§§ 259, 260 Abs 1 Z 2 StPO) hätte abgeleitet werden sollen (vgl RIS-Justiz RS0099810; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 581, 584).

Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zum Schuldspruch I ersichtlich bloß das (ungerügt gebliebene) Referat der entscheidenden Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) in den Blick nimmt, und solcherart ihren Bezugspunkt der getroffenen Feststellungen, wonach der Angeklagte im Wissen um seinen Fehlgebrauch ausschließlich privat motivierte schikanöse „Rotlichtkontrollen“ durchführte (US 6 ff), also gerade nicht die Absicht hatte, rechtmäßige Amtshandlungen vorzunehmen, vernachlässigt, und gegen die tatrichterliche Überzeugung argumentiert, die Kontrollen seien „stets (mindestens) zu zweit durchgeführt“ worden und der Angeklagte sei „dabei (sinngemäß) mindestens immer im Blickfeld eines Kollegen“ gewesen, erfüllt sie die angeführten Kriterien nicht.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt.

Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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