OGH 8ObS8/12b

OGH8ObS8/12b13.9.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter MMag. Dr. Robert Schneider und Dr. Gerda Höhrhan‑Weiguni als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei G***** J*****, vertreten durch Dr. Werner Heißig, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei IEF‑Service GmbH, *****, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17‑19, wegen Insolvenz‑Entgelt (5.783,04 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 27. März 2012, GZ 9 Rs 27/12z‑24, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 1. Juni 2011, GZ 4 Cgs 47/10m‑20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass es lautet:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 5.783,04 EUR samt 4 % Zinsen seit 16. 5. 2009 an Insolvenzentgelt binnen 14 Tagen zu zahlen.

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit 3.389,46 EUR (darin enthalten 437,58 EUR USt und 764 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des bisherigen Verfahrens, die mit 1.330,11 EUR (darin enthalten 135,35 EUR USt und 518 EUR Pauschalgebühren) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 1.207,15 EUR (darin enthalten 93,19 EUR USt und 648 EUR Pauschalgebühren) bestimmten Kosten der Revision binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom 30. 3. 1998 bis 18. 6. 2009 bei der Schuldnerin, einer Immobilien GmbH, als gewerberechtlicher Geschäftsführer beschäftigt. Am 25. 5. 1998 wurde ein „Angestelltenvertrag über gewerberechtliche Geschäftsführung“ abgeschlossen. Das Nettogehalt betrug zunächst 5.500 ATS und zuletzt 414,28 EUR für 20 Wochenstunden. Mit Beschluss vom 15. 5. 2009 wurde über das Vermögen der Immobilien GmbH das Konkursverfahren eröffnet. Das Dienstverhältnis des Klägers endete durch Auflösung durch die Masseverwalterin nach § 25 KO (IO).

Der Kläger begehrte Insolvenzentgelt für laufendes Entgelt, Sonderzahlungen, Kündigungs-entschädigung und Abfertigung. Mit Bescheid vom 18. 1. 2010 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab.

Im vorliegenden Verfahren begehrte der Kläger die Zahlung von 5.783,04 EUR sA. Er sei für die Schuldnerin jedenfalls 20 Stunden wöchentlich sowohl weisungs- als auch zeitgebunden tätig gewesen. Unter Anwendung von Gleitzeit habe er zwischen 8:00 Uhr und 9:30 Uhr zu arbeiten begonnen. Auch außerhalb der Bürozeiten sei er für die Geschäftsleitung telefonisch erreichbar gewesen. Er habe ebenso Auswärtstermine wahrgenommen.

Die Beklagte entgegnete, dass der Kläger mangels organisatorischer Einbindung in den Betrieb der Schuldnerin kein persönlich abhängiger Arbeitnehmer gewesen sei. Es sei ausgeschlossen, dass der Kläger 20 Wochenstunden im Rahmen eines unselbständigen Dienstverhältnisses für die Schuldnerin tätig gewesen sei. Er sei nur anwesend gewesen, wenn seine Anwesenheit aus gewerberechtlicher Sicht erforderlich gewesen sei. Es sei daher die Zurverfügungstellung der Gewerbeberechtigung im Vordergrund gestanden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Vertragsverhältnis des Klägers zur Schuldnerin habe mangels wirtschaftlicher Abhängigkeit des Klägers nicht der Verpflichtung eines unselbständigen Angestellten entsprochen. Da der Kläger nicht Arbeitnehmer im Sinn des Arbeitsvertragsrechts gewesen sei, falle er nicht unter den durch § 1 Abs 1 IESG geschützten Personenkreis.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Kläger sei aufgrund der Einbeziehung von freien Dienstverhältnissen in die IESG‑Sicherung grundsätzlich in den Anwendungsbereich des IESG gefallen. Nach § 39 Abs 3 GewO müsse sich ein gewerberechtlicher Geschäftsführer aber entsprechend im Betrieb betätigen. Bei einem bloß vorgetäuschten Anstellungsverhältnis sei der Vertrag absolut nichtig. Gemäß § 39 Abs 2 Z 2 GewO müsse der gewerberechtliche Geschäftsführer ein mindestens zur Hälfte der wöchentlichen Normalarbeitszeit im Betrieb beschäftigter, nach den Bestimmungen des Sozialversicherungsrechts vollversicherungspflichtiger Arbeitnehmer sein. Ein derartiges tatsächliches Beschäftigungsausmaß hätte nicht festgestellt werden können. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage, ob ein als freier Dienstnehmer beschäftigter gewerberechtlicher Geschäftsführer Anspruch auf Insolvenzentgelt habe, dessen Betätigung im Wesentlichen in der Überwachung der Einhaltung der gewerberechtlichen Vorschriften bestehe und bei dem das tatsächliche Vorliegen eines Beschäftigungsausmaßes iSd § 39 Abs 2 Z 2 GewO nicht feststellbar sei, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers, die auf eine Stattgebung des Klagebegehrens abzielt.

Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht angeführten Gründen zulässig. Der Standpunkt der Beklagten, der Kläger habe die vom Berufungsgericht aufgeworfenen Rechtsfragen gar nicht angesprochen, kann nicht geteilt werden. Das Hauptargument des Klägers liegt gerade darin, dass er als gewerberechtlicher Geschäftsführer der Schuldnerin dauerhafte Dienstleistungen erbracht habe und aus diesem Grund in die IESG‑Sicherung einzubeziehen sei.

Die Revision des Klägers ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1.1 Die Beklagte führt selbst aus, dass es nach der neuen Rechtslage (nunmehr § 1 Abs 1 IESG idF BGBl I 2010/29, zuvor § 2a IESG idF BGBl I 2007/104) nicht darauf ankommt, ob zwischen dem Kläger und der Schuldnerin ein Arbeitsvertrag oder ein freier Dienstvertrag bestand. Der Kläger hat sich, gleichgültig ob als Arbeitnehmer oder als freier Dienstnehmer, jedenfalls im Anwendungsbereich des IESG befunden.

1.2 Die Beklagte stellt weiters nicht in Abrede, dass auch die Ansprüche eines gewerberechtlichen Geschäftsführers grundsätzlich durch das IESG gesichert sind. Gegen den geltend gemachten Anspruch des Klägers führt sie aber ins Treffen, dass der Normzweck des § 39 Abs 3 GewO 1994 die Nichtigkeit einer Vereinbarung verlange, mit der das Fehlen einer gewerberechtlichen Erlaubnis oder Konzession durch ein vorgetäuschtes Angestelltenverhältnis ausgeglichen bzw umgangen werden solle. Diese Konsequenz leite die Beklagte aus den Umständen ab, dass der Kläger das von § 39 Abs 2 Z 2 GewO 1994 geforderte Beschäftigungsausmaß nicht erreicht habe und er sich im Betrieb der Schuldnerin nicht iSd § 39 Abs 3 GewO 1994 betätigt habe. Die Zurverfügungstellung der Gewerbeberechtigung sei (im Sinn einer Umgehung) klar im Vordergrund gestanden.

2. Unbestritten ist, dass nach der dargestellten neuen Rechtslage durch Einbeziehung der freien Dienstnehmer in die IESG‑Sicherung auch gewerberechtliche Geschäftsführer regelmäßig als anspruchsberechtigt anzusehen sind, sofern sie dauerhafte Dienstleistungen erbringen (Gahleitner in Neumayr/Reissner, ZellKomm2 § 1 IESG Rz 16). „Dauerhafte Dienstleistungen“ bedeutet, dass diese regelmäßig wiederkehrend erbracht werden.

Wie noch dargestellt wird, hat der Kläger die mit der Schuldnerin vereinbarten Leistungen zur Ausübung seiner Funktion als gewerberechtlicher Geschäftsführer tatsächlich und regelmäßig erbracht.

3.1 Die Beklagte bestreitet, dass die Voraussetzung des § 39 Abs 3 GewO 1994 vorliege, wonach sich der gewerberechtliche Geschäftsführer im Betrieb entsprechend zu betätigen hat. Der Zweck dieser Norm besteht in der Sicherstellung, dass eine zur redlichen und fachkundigen Ausübung des Gewerbes geeignete und dafür verantwortliche Person vorhanden ist. Dadurch sollen die Kunden vor den nachteiligen Folgen des Fehlens eines sich entsprechend im Betrieb betätigenden gewerberechtlichen Geschäftsführers bewahrt werden (RIS‑Justiz RS0016760; 7 Ob 135/03h).

Die Aufgabe des gewerberechtlichen Geschäftsführers besteht somit darin, die gewerberechtliche Tätigkeit des Betriebs (ausreichend) zu beobachten und zu kontrollieren (9 ObA 139/99b; 7 Ob 135/03h). Dazu hält die Beklagte, so wie auch das Berufungsgericht, selbst fest, dass sich die Tätigkeit des Klägers im Wesentlichen auf die Überwachung der Einhaltung der gewerberechtlichen Vorschriften bezogen habe. Schon aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass der Kläger die Funktion als gewerberechtlicher Geschäftsführer tatsächlich ausgeübt hat.

Dies steht auch mit den Feststellungen im Einklang. Danach gab es vereinbarte und vom Kläger eingehaltene Anwesenheitstage, und zwar zumindest zweimal wöchentlich; für diese war der Beginn der täglichen Arbeitszeit vorgegeben. Auch außerhalb der tatsächlichen Anwesenheitszeiten verrichtete der Kläger per Telefon Dienstleistungen. Er erledigte die gewerberechtlichen Fragestellungen und führte die sich darauf beziehenden Kontroll‑ und Überprüfungstätigkeiten durch.

3.2 Das Berufungsgericht geht in seiner Entscheidung nun davon aus, dass das Erstgericht ein Beschäftigungsausmaß des Klägers iSd § 39 Abs 2 Z 2 GewO 1994 nicht hätte feststellen können. Damit im Zusammenhang zieht es offenbar den Schluss, dass bei Nichterreichen des genannten Beschäftigungsausmaßes die Nichtigkeit des Dienstvertrags begründet werde.

Richtig ist, dass gemäß § 39 Abs 2 Z 2 GewO 1994 der zu bestellende Geschäftsführer ein mindestens zur Hälfte der wöchentlichen Normalarbeitszeit im Betrieb beschäftigter, nach den Bestimmungen des Sozialversicherungsrechts vollversicherungspflichtiger Arbeitnehmer sein muss. Bei einem Verstoß sieht die Gewerbeordnung eine Verwaltungsstrafsanktion vor (vgl § 367 Z 5 und 7 leg cit).

Die hier in Rede stehende Nichtigkeitssanktion kann allerdings nur am Umgehungstatbestand anknüpfen. In einem solchen Fall soll das Fehlen einer gewerberechtlichen Erlaubnis oder Konzession durch ein vorgetäuschtes Angestelltenverhältnis umgangen werden (9 ObA 338/98s; 7 Ob 135/03h). Diese Voraussetzung ist bei Fehlen eines sich entsprechend im Betrieb betätigenden gewerberechtlichen Geschäftsführers gegeben. Auch ein geringfügiges zeitliches Ausmaß der Ausübung der Tätigkeit als gewerberechtlicher Geschäftsführer wird den Umgehungstatbestand erfüllen. Maßgebend dafür ist die Beurteilung, ob eine nach den Verhältnissen im Betrieb, insbesondere der Art und dem Umfang des Betriebs bzw der Betriebsanlage und den persönlichen Verhältnissen des Geschäftsführers (Gruber/Paliege‑Barfuß, GewO7 § 39 Anm 70; vgl auch VwGH Zl 2000/04/0162) ausreichende (Kontroll‑)Tätigkeit des gewerberechtlichen Geschäftsführers vorliegt (vgl 9 ObA 139/99b; 7 Ob 135/03h).

Eine bloß gelegentliche Anwesenheit im Betrieb, etwa in 14‑tägigen Abständen, kann keine ausreichende Betätigung sein, um eine Strohmannfunktion des gewerberechtlichen Geschäftsführers auszuschließen (vgl Gruber/Paliege‑Barfuß aaO Anm 34 und 70). Die Frage, ob für eine ausreichende (Kontroll‑)Tätigkeit des gewerberechtlichen Geschäftsführers ein zeitliches Mindestmaß bestehen muss, kann hier aber offen bleiben.

Nach den Feststellungen des Erstgerichts arbeitete der Kläger (jedenfalls) nicht mehr als 20 Stunden pro Woche. Bei Überschreiten der Arbeitszeit nahm er Zeitausgleich in Anspruch. Daraus folgt, dass der Kläger in einzelnen Wochen auch mehr als 20 Stunden gearbeitet hat, weil ansonsten ein Überschreiten der Arbeitszeit nicht in Betracht käme. Auch wenn das Erstgericht die konkrete Arbeitszeit des Klägers nicht feststellen konnte, kann mit Rücksicht auf die gesicherten dauerhaften Dienstleistungen des Klägers nicht eine regelmäßige erhebliche Unterschreitung eines Beschäftigungsausmaßes von 20 Wochenstunden unterstellt werden.

3.3 Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann aus dem Beschäftigungsausmaß des Klägers somit keine Nichtigkeit des Dienstvertrags abgeleitet werden. Bei einer Gesamtbetrachtung der Feststellungen ist vielmehr davon auszugehen, dass er inhaltlich und zeitlich eine ausreichende Tätigkeit als gewerberechtlicher Geschäftsführer erbracht hat, und ihm nicht das Vortäuschen eines Dienstverhältnisses unterstellt werden kann.

Von einer bloßen Zurverfügungstellung der gewerberechtlichen Befugnis lediglich zum Schein kann demnach keine Rede sein. Auch dafür, dass die Gesellschaft den Kläger von der Ausübung der Tätigkeit als gewerberechtlicher Geschäftsführer befreit habe (vgl 7 Ob 135/03h), oder sie die von ihm übernommenen Leistungen nur auf schriftliches Verlangen (im Einzelfall) hätte in Anspruch nehmen wollen, bietet der Sachverhalt keine Grundlage.

4. Der abschließende Hinweis der Beklagten in der Revisionsbeantwortung auf eine angebliche Sittenwidrigkeit der Inanspruchnahme des Insolvenzentgeltfonds zufolge Überwälzung des Finanzierungsrisikos auf diesen ist ‑ abgesehen vom mangelnden Tatsachenvorbringen ‑ ebenfalls nicht stichhaltig (vgl dazu zuletzt 8 ObS 6/12h). Anhaltspunkte für eine atypische Vertragsgestaltung zur bewussten Begründung einer Ausbeutungssituation zu Lasten des Insolvenzentgeltfonds lassen sich der Sachverhaltsgrundlage nicht entnehmen.

5.1 Zusammenfassend ergibt sich:

Durch Einbeziehung der freien Dienstnehmer in die IESG‑Sicherung sind auch gewerberechtliche Geschäftsführer anspruchsberechtigt, sofern sie dauerhafte Dienstleistungen erbringen. Im Zusammenhang mit den Anforderungen des § 39 GewO 1994 ist maßgebend, ob eine nach den Verhältnissen im Betrieb inhaltlich und zeitlich ausreichende Tätigkeit als gewerberechtlicher Geschäftsführer vorliegt. Nichtigkeitssanktion für das Vertragsverhältnis besteht grundsätzlich nur dann, wenn das Fehlen einer gewerberechtlichen Befugnis durch ein vorgetäuschtes Dienstverhältnis umgangen werden soll.

5.2 Die angefochtene Entscheidung hält einer Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof somit nicht stand. Ausgehend von den dargestellten Grundsätzen besteht das Klagebegehren zu Recht.

5.3 Aufgrund eines entsprechenden Einwands in der Klagebeantwortung wurde nach Erörterung mit den Parteien in der Verhandlung vom 12. 4. 2010 vom Erstgericht festgehalten, dass der Kläger nur die von der Masseverwalterin anerkannten Beträge eingeklagt hat. Nach dieser Klarstellung wurde die Höhe des Klagebegehrens von der Beklagten nicht bestritten.

6. Eine Abänderung der Entscheidung in der Hauptsache bewirkt eine Änderung der Kostenentscheidung. Diese stützt sich auf § 77 Abs 1 Z 2 ASGG. Bei der zugrunde liegenden sozialrechtlichen Klage handelt es sich nicht um eine solche nach § 23 Abs 6 RATG. Ein entsprechender Kosteneinwand wurde von der Beklagten erhoben.

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