OGH 8Ob88/12t

OGH8Ob88/12t13.9.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen E***** A*****, geboren am *****, wegen Teilentziehung der Obsorge, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters E***** A*****, vertreten durch Dr. Thomas Romauch, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 19. April 2012, GZ 44 R 686/11z‑61, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist im Pflegschaftsverfahren die ausnahmsweise Rekurslegitimation der nächsten Angehörigen eines Minderjährigen, hier des Vaters, zum Zweck der Gefahrenabwehr zu bejahen (RIS‑Justiz RS0006454; 4 Ob 158/04w).

2. Maßnahmen nach § 176 Abs 1 ABGB, insbesondere die gänzliche oder teilweise Entziehung der Obsorge über ein Kind, setzen eine Gefährdung des Kindeswohls durch den mit der Obsorge betrauten Elternteil voraus. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass eine solche Änderung der Obsorge nur angeordnet werden darf, wenn sie im Interesse des Kindes dringend geboten ist, wobei grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen ist (RIS‑Justiz RS0048699; RS0047841). In ebenfalls ständiger Rechtsprechung wird betont, dass aus dem Grundsatz der Familienautonomie den Familienmitgliedern die Obsorge solange gewahrt werden soll, als sich dies mit dem Kindeswohl verträgt. Die Beschränkung der Obsorge darf nur das letzte Mittel sein und nur insoweit angeordnet werden, als dies zur Abwendung einer drohenden Gefährdung des Kindeswohls notwendig ist (RIS‑Justiz RS0048712). Eine Übertragung der Obsorge an den Jugendwohlfahrtsträger darf gemäß § 213 ABGB nur erfolgen, wenn sich dafür nicht Verwandte oder andere nahestehende oder sonst geeignete Personen finden lassen. Die Eltern, Großeltern und Pflegeeltern haben Vorrang vor Dritten. Der Jugendwohlfahrtsträger soll vom Gericht daher nur subsidiär mit der Obsorge betraut werden (8 Ob 14/10g; 3 Ob 155/11g).

2.2 Die Vorinstanzen sind von diesen Grundsätzen ausgegangen. Ihre Entscheidungen basieren auf konkreten Feststellungen, aus denen sich jeweils eine Gefährdung für das Wohl des Kindes E***** ableiten lässt.

Die Erziehungsfähigkeit beider Eltern ist eingeschränkt. Sie wären zwar in der Lage, den rein körperlichen Bedürfnissen des Kindes nachzukommen. Ein emotional stabiles Umfeld mit einer entsprechenden Eltern‑Kind‑Interaktion und einer kindgerechten emotionalen Bindung könnten sie dem Kind aber nicht bieten. Sie könnten auch nicht als stabile Vertrauenspersonen fungieren. Eine Kooperation mit dem Jugendwohlfahrtsträger ist ebenfalls nicht zu erwarten.

Die väterliche Großmutter ist zwar an sich erziehungsfähig. Sie will aber nicht etwa nur die Eltern in die Betreuung des Kindes einbinden. Vielmehr beabsichtigt sie aus mangelndem Problembewusstsein, das Kind den Eltern zur Betreuung „im Rahmen einer Großfamilie“ zu überlassen und die Mutter bei der Betreuung des Kindes nur zu unterstützen. Es ist nicht zu erwarten, dass sie sich von den Eltern abgrenzt und im erforderlichen Ausmaß selbst die Verantwortung für das Kind übernimmt. Die Betreuungssituation für das Kind würde sich im Vergleich zu jener durch die Eltern somit nicht entscheidend verbessern.

Schon mangels Kooperationsbereitschaft mit dem Jugendwohlfahrtsträger scheidet etwa auch die Möglichkeit der (faktischen) Ausübung der Pflege und Erziehung durch die väterliche Großmutter mit Zustimmung der Eltern im Rahmen der jugendwohlfahrtsrechtlichen Maßnahme der freiwilligen „vollen Erziehung“ iSd § 28 JWG aus (vgl dazu 3 Ob 165/11b; Kathrein in Klang 3 § 215 ABGB Rz 19). Der im außerordentlichen Revisionsrekurs angesprochene Probezeitraum für eine Obsorgeübertragung an die väterliche Großmutter (laut Rekurs von etwa einem halben Jahr) würde nach den Feststellungen vor allem angesichts des Alters des Kindes keine ausreichenden Aufschlüsse bringen.

3. Die Entscheidung über die (hier teilweise) Übertragung der Obsorge an den Jugendwohlfahrtsträger ist eine solche des Einzelfalls, die regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG begründet, wenn dabei ausreichend auf das Kindeswohl Bedacht genommen wurde (RIS‑Justiz RS0115719). Die Vorinstanzen haben sich mit der Erziehungsfähigkeit der Eltern des Kindes sowie der väterlichen Großmutter und mit der jeweils zu erwartenden Betreuungssituation für das Kind ausführlich auseinandergesetzt. Ihre Beurteilung erweist sich jedenfalls als vertretbar.

Mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage war der außerordentliche Revisionsrekurs zurückzuweisen.

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