OGH 13Os70/12m

OGH13Os70/12m30.8.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. August 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Temper als Schriftführerin in der Finanzstrafsache gegen Constantin Theodor D***** wegen Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 FinStrG und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 29. November 2011, GZ 26 Hv 88/11m-112, sowie die Beschwerde des Angeklagten gegen den unter einem gefassten Beschluss auf Erteilung einer Weisung nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus deren Anlass werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der (die Schuldsprüche I und II betreffenden) Subsumtion nach § 38 Abs 1 FinStrG und demzufolge auch im Strafausspruch sowie der Beschluss auf Erteilung einer Weisung aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.

Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde wird der Angeklagte auf die Aufhebung des Strafausspruchs und des Beschlusses auf Erteilung einer Weisung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Constantin Theodor D***** (richtig) jeweils mehrerer Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 2 lit a, 38 Abs 1 FinStrG (I) und nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 FinStrG (II) schuldig erkannt.

Danach hat er im Zuständigkeitsbereich des Finanzamtes K***** gewerbsmäßig vorsätzlich

(I) „im Zeitraum von Mai 2008 bis Februar 2009“ unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von § 21 UStG entsprechenden Voranmeldungen eine Verkürzung an Umsatzsteuer für die Monate März, April, Mai und August 2008 um insgesamt rund 71.000 Euro bewirkt und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss gehalten sowie

(II) „im Zeitraum 2008“ durch Nichtabgabe von Steuererklärungen für das Jahr 2007 unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflichten Verkürzungen an Einkommensteuer um ca 2.000 Euro und an Umsatzsteuer um etwa 22.000 Euro bewirkt.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil meldete der Angeklagte am 2. Dezember 2012 (ON 113 S 2) - also innerhalb der Frist des § 284 Abs 1 erster Satz StPO - die Nichtigkeitsbeschwerde an, ohne allerdings dabei die Nichtigkeitsgründe einzeln und bestimmt zu bezeichnen (ON 113).

Nach Zustellung der Urteilsausfertigung (ON 112) an den Verteidiger am 23. Jänner 2012 (ON 112 S 14) teilte dieser dem Erstgericht am 21. Februar 2012 mit, dass der Angeklagte das Vollmachtsverhältnis am 20. Februar 2012 aufgelöst habe, und beantragte namens des Angeklagten (mit dem Hinweis, diesbezüglich speziell bevollmächtigt zu sein) die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers (ON 115).

Diesen Antrag wies das Landesgericht Innsbruck mit Beschluss vom 1. März 2012 ab (ON 117), der dagegen erhobenen Beschwerde (ON 118) gab das Oberlandesgericht Innsbruck mit - dem Angeklagten am 25. April 2012 zugestelltem (ON 121 S 9) - Beschluss vom 10. April 2012 nicht Folge (ON 121).

Wenngleich der Angeklagte die Nichtigkeitsbeschwerde am 22. Mai 2012 (ON 122 S 1) und solcherart innerhalb von vier Wochen ab Zustellung der die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers rechtskräftig ablehnenden Entscheidung ausführte, war die Frist des § 285 Abs 1 erster Satz StPO - wie die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt - nicht gewahrt, weil sie in concreto mit Ablauf des 20. Februar 2012 endete. Der Antrag auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers wurde am 21. Februar 2012, also nach Fristablauf, eingebracht, hätte aber auch bei früherer Einbringung am Fristenlauf nichts geändert. Denn § 63 Abs 1 StPO gilt nicht für Fälle bereits erfolgter Zustellung an einen Wahlverteidiger (RIS-Justiz RS0116182). Auch der Umstand, dass der Angeklagte das Vollmachtsverhältnis mit seinem Wahlverteidiger schon am 20. Februar 2012 aufgelöst und diesem untersagt hat, erforderliche Prozesshandlungen vorzunehmen, beeinflusste den Fristenlauf nicht (RIS-Justiz RS0125686).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch, dass zum Nachteil des Angeklagten das Strafgesetz unrichtig angewendet worden ist (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), weil das Erstgericht einen Schuldspruch (auch) wegen gewerbsmäßiger Begehung fällte (US 2), ohne Feststellungen zur Qualifikationsnorm des § 38 Abs 1 FinStrG zu treffen.

Demgemäß war die angefochtene Entscheidung in der (die Schuldsprüche I und II betreffenden) Subsumtion nach dieser Bestimmung schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort aufzuheben (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO iVm § 285e StPO), was die Kassation des Strafausspruchs und des - verfehlt in Urteilsform ergangenen (Lässig in WK² FinStrG § 26 Rz 9) - Beschlusses auf Erteilung einer Weisung zur Folge hatte.

Anzumerken bleibt:

1) Sollten die Tatrichter im zweiten Rechtsgang erneut Gewerbsmäßigkeit annehmen, werden sie zu beachten haben, dass (ua) § 38 FinStrG in der vor dem Inkrafttreten der FinStrG-Novelle 2010 BGBl I 2010/104 geltenden Fassung gemäß § 265 Abs 1p FinStrG auf vor dem 1. Jänner 2011 begangene Finanzvergehen weiterhin anzuwenden ist.

2) Das Zitieren des § 33 Abs 3 lit a FinStrG (US 2) im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) ist verfehlt, weil § 33 Abs 3 FinStrG (bloß) Legaldefinitionen des Bewirkens (von Abgabenverkürzungen), also der möglichen Arten und des Zeitpunkts der technischen Vollendung der Finanzvergehen nach § 33 Abs 1 und Abs 2 FinStrG enthält, die finanzstrafrechtlichen Tatbestände der Abgabenhinterziehung hingegen in diesen Normen und in § 33 Abs 4 FinStrG umschrieben sind (RIS-Justiz RS0087102; Lässig in WK² FinStrG § 33 Rz 29).

3) Da das Referat der entscheidenden Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) die Tatzeiträume unpräzise eingrenzt, sei ergänzt:

Gemäß § 33 Abs 3 lit a zweiter Fall FinStrG ist eine Abgabenverkürzung nach § 33 Abs 1 FinStrG bewirkt, wenn Abgaben, die bescheidmäßig festzusetzen sind, infolge Unkenntnis der Abgabenbehörde von der Entstehung des Abgabenanspruchs mit Ablauf der gesetzlichen Erklärungsfrist nicht festgesetzt werden konnten. Diese Frist endet gemäß § 134 Abs 1 erster Satz BAO (soweit hier von Interesse) für die Einkommensteuer und die Umsatzsteuer Ende April, bei elektronischer Übermittlung Ende Juni des jeweiligen Folgejahres. Vorsätzliche Abgabenhinterziehung durch Unterlassen der Abgabe der Jahressteuererklärung ist daher nach der momentanen Gesetzeslage am 30. Juni des betreffenden Folgejahres vollendet, wenn die Behörde die in Rede stehende Steuer bis zu diesem Zeitpunkt infolge Unkenntnis von der Anspruchsentstehung nicht festsetzen kann (Lässig in WK² FinStrG § 33 Rz 36).

Nach § 33 Abs 3 lit b FinStrG ist die Abgabenverkürzung bewirkt, wenn Abgaben, die selbst zu berechnen sind, (ganz oder teilweise) nicht abgeführt wurden, wobei sich die jeweilige Leistungsfrist aus den Abgabenvorschriften ergibt. So hat der Unternehmer gemäß § 21 Abs 1 UStG spätestens am 15. Tag (Fälligkeitstag) des auf einen Kalendermonat (Voranmeldungszeitraum) zweitfolgenden Kalendermonats eine Voranmeldung bei dem für die Einhebung der Umsatzsteuer zuständigen Finanzamt einzureichen, in der er die für den Voranmeldungszeitraum zu entrichtende Steuer (Vorauszahlung) oder den auf den Voranmeldungszeitraum entfallenden Überschuss unter entsprechender Anwendung des § 20 Abs 1 und Abs 2 UStG und des § 16 UStG selbst zu berechnen hat. Dabei muss er eine sich ergebende Vorauszahlung spätestens am Fälligkeitstag entrichten. Demnach ist eine Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG vollendet, wenn die Vorauszahlung nicht bis zum 15. Tag des jeweils zweitfolgenden Monats geleistet wird (RIS-Justiz RS0087066).

Fallbezogen bedeutet dies, dass der Tatzeitraum zum Schuldspruch I am 15. Oktober 2008 endete und Tatzeitpunkt zum Schuldspruch II der 30. Juni 2008 war.

4) Schließlich sei darauf hingewiesen, dass es das Erstgericht zu Unrecht unterließ, hinsichtlich einzelner Anklagefakten ausdrückliche Freisprüche zu fällen. Jedes Strafurteil muss nämlich die gesamte Anklage entweder durch Schuldspruch oder durch Freispruch erledigen, wobei jeweils die Tat, also das unter Anklage gestellte historische Geschehen, Gegenstand der Erledigung ist (Lendl, WK-StPO § 259 Rz 5; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 523).

Dabei stellt sich der Tatbegriff im Finanzstrafrecht (soweit hier von Bedeutung) wie folgt dar:

Hinsichtlich zu veranlagender Abgaben wird nach ständiger Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0086590, RS0124712) - bezogen auf ein Steuersubjekt - mit Abgabe einer unrichtigen Jahressteuererklärung je Steuerart (unabhängig von der Höhe des Hinterziehungsbetrags) ein Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG begründet. Solcherart bildet insoweit die Jahressteuererklärung - allenfalls als Bündel mehrerer steuerlich trennbarer Einzelaspekte - das kleinste (nicht mehr teilbare) Element des Sachverhalts, also eine selbständige Tat im materiellen Sinn (13 Os 142/08v, JBl 2010, 318; 13 Os 105/08b, SSt 2009/18; 13 Os 12/10d). Entsprechendes gilt für das Unterlassen der Abgabe einer Jahressteuererklärung: Selbständige Tat ist die Nichtabgabe (bis) zum gesetzlich vorgesehenen Endzeitpunkt (Lässig in WK² FinStrG Vorbem Rz 9).

Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG hingegen werden durch dort pönalisiertes Verhalten in Bezug auf Voranmeldungszeiträume begangen, sodass sachverhaltsmäßig hinsichtlich jedes solchen Zeitraums und jeder Abgabenart (unabhängig von der Höhe des Hinterziehungsbetrags) eine selbständige Tat vorliegt (RIS-Justiz RS0118311, RS0124712).

Fallbezogen hätte also zu den Vorwürfen der Hinterziehung von Einkommensteuer und Umsatzsteuer für die Kalenderjahre 2000 bis 2006 (I der Anklageschrift ON 82) und von Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für die Monate Oktober 2008 und Dezember 2008 (II der Anklageschrift ON 82) ein förmlicher Freispruch erfolgen müssen.

Da die Entscheidungsgründe aber diesbezüglich einen Freispruch zum Ausdruck bringen (US 5 bis 9, 13), ist die Anklage durch das Urteil erledigt (RIS-Justiz RS0116266; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 503). Es sei daher nur der Vollständigkeit halber festgehalten, dass auch die Nichterledigung der Anklage (§ 281 Abs 1 Z 7 StPO) nach der Judikatur einem Freispruch gleichkommt (RIS-Justiz RS0099646; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 526).

Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde war der Angeklagte auf die Aufhebung des Strafausspruchs sowie des Beschlusses auf Erteilung einer Weisung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO. Sie umfasst nicht die Kosten des amtswegigen Vorgehens.

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