OGH 4Ob124/12g

OGH4Ob124/12g2.8.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Partei DI G***** V***** K*****, vertreten durch Proksch & Fritzsche Frank Fletzberger Rechtsanwälte OG in Wien, wider I. die beklagten Parteien 1. M***** L*****, 2. K***** L*****, beide vertreten durch Dr. Johannes Hock sen Dr. Johannes Hock jun Rechtsanwälte Gesellschaft m.b.H. in Wien, wegen Aufkündigung (Bestandobjekt *****, top 4/5 (29 C 215/10k) und II. die beklagten Parteien 1. Mag. Ing. H***** L*****, 2. M***** L*****, 3. K***** L*****, alle vertreten durch Dr. Johannes Hock sen Dr. Johannes Hock jun Rechtsanwälte Gesellschaft m.b.H. in Wien, wegen Aufkündigung (Bestandobjekt *****, top 10) (29 C 235/10a), infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 27. März 2012, GZ 18 R 271/11y-43, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Wiener Neustadt vom 7. Oktober 2011, GZ 29 C 215/10k, 235/10a-37, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei die mit 2.283,07 EUR (darin 380,51 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Kläger hat in seinem Haus mit Mietvertrag vom 27. 4. 1989 Geschäftsräumlichkeiten zum Betrieb einer Tanzschule an die Erst- und Zweitbeklagte, mit Mietvertrag vom 7. 5. 1991 ein im Dachgeschoß liegendes Atelier an alle drei Beklagten vermietet. Die Beklagten haben ihren Hauptwohnsitz im Nachbarhaus; Erstbeklagte und Drittbeklagter (= Erstbeklagter im Verfahren 29 C 235/10a) (ein Architekt) sind verheiratet, die Zweitbeklagte ist ihre Tochter.

Die Beklagten waren stets bestrebt, eine Verbindung auf Dachebene vom Haus des Klägers zu ihrem benachbarten Wohnhaus herzustellen, weil sich in letzterem kein Lift befindet und ihre im fünften Stock befindliche Wohnung nur über Stiegen erreichbar ist; bei einer Verbindung der Nachbarhäuser auf Dachebene kann ihre Wohnung hingegen bequem über den Lift des Hauses des Klägers erreicht werden.

Als der Drittbeklagte (als Untermieter einer im Haus des Klägers gelegenen Wohnung) ohne Wissen und Willen des Klägers einen Feuermauerdurchbruch zwecks Durchgangs zwischen den beiden Häusern herstellte, brachte der Rechtsvorgänger des Klägers 1987 gegen seinen damaligen Hauptmieter eine gerichtliche Aufkündigung ein, der rechtskräftig aus dem Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 erster Fall MRG (Herstellung und Aufrechterhaltung einer Öffnung der Feuermauer zum Nachbarhaus durch den Untermieter als erheblich nachteiliger Gebrauch des Bestandgegenstands) stattgegeben wurde (6 Ob 743/88).

Der Mietvertrag vom 27. 4. 1989 (betreffend Geschäftsräumlichkeiten zum Betrieb einer Tanzschule) enthält ua folgende Bestimmung:

„Der Vermieter stimmt ausdrücklich zu, dass die Mieter und ihre Besucher den Dachboden des Hauses zum Zweck des Durchganges zum Objekt [Nachbarhaus] benützen. Bis zum Zeitpunkt der faktischen Möglichkeit des Durchganges zum Objekt [Nachbarhaus] und nach deren Wegfall ermässigt sich der Mietzins um S 1.500 jeweils zuzüglich Umsatzsteuer und allfällig eingetretener Wertsicherung. Sobald und solange der Durchgang faktisch möglich ist, verpflichten sich die Mieter zur Bezahlung des Anteiles von 20 % an den Instandsetzungs- und Erhaltungskosten des im Haus befindlichen Aufzuges.“

Mit dieser Bestimmung wollte der Vermieter eine Abgeltung für die zu erwartende gesteigerte Benützung des Liftes abgegolten haben, sobald es die faktische Möglichkeit eines Durchgangs zum Nachbarhaus gibt.

Mit Mietvertrag vom 7. 5. 1991 mieteten sämtliche Beklagte das Dachgeschoss, wobei durch den Ausbau des Trockenbodens ein neues Bestandobjekt (top 10) auf Kosten der Beklagten geschaffen werden sollte. Im Vertrag wird den Beklagten das Recht eingeräumt, einen den Bestimmungen der Wiener Bauordnung entsprechenden Zugang (Verbindung) vom Bestandobjekt zum Nachbarhaus auf ihre Kosten herzustellen und ihn uneingeschränkt zu benützen. Diese Bewilligung bezieht sich auch auf einen hierzu erforderlichen Mauerdurchbruch.

In der Folge richtete sich der Drittbeklagte eine Verbindung zwischen den benachbarten Häusern derart ein, dass er unter Zuhilfenahme von Leitern über die Dächer der Häuser zu seiner Wohnung gelangen konnte; dies war weder dem Vermieter noch der Hauseigentümerin des Nachbarhauses bekannt. Als Letztere 2002 den Dachboden ihres Hauses ausbauen ließ, wurde sie vom Drittbeklagten mit einer Besitzstörungsklage in Bezug auf den Übergang über die Dächer konfrontiert. Die Besitzstörungsklage ging mit einem Baustopp einher, weshalb eine rasche Lösung gesucht werden musste. Die Hauseigentümerin und die Beklagten vereinbarten deshalb, dass ein Steg auf Kosten des Drittbeklagten errichtet werden dürfe. Den Einreichplan für diesen Steg verfasste der Drittbeklagte; daraus ist die von Anfang an beabsichtigte Anbindung an das Haus des Klägers in der Form, dass ein Element aus der Dachterrassenumrandung dieses Hauses entfernt wird, nicht ersichtlich. Der Plan und der Antrag an die Baubehörde waren vielmehr so gestaltet, dass ein Steg ohne Anbindung an das Haus des Klägers errichtet werden soll. Dieser Plan führte dazu, dass der Kläger im baubehördlichen Verfahren nicht beigezogen wurde und daher von der Errichtung des Stegs und der Entnahme eines Elements der Dachumrandung (die baubehördlich als Feuermauer anzusehen ist), nichts erfuhr. Der Steg wurde 2002 in der eingereichten Form ohne die Öffnung in der Dachumrandung baubehördlich bewilligt. Auch die Fertigstellungsanzeige enthält keinen Hinweis auf die Öffnung zur Anbindung an das Nachbarhaus. Bei ordnungsgemäßer Einreichung hätten die Beklagten die Öffnung zur Gußhausstraße in einem Einreichplan darstellen müssen, dies wusste der Drittbeklagte aufgrund seines Fachwissens als Architekt.

Sodann ließen die Beklagten nicht nur den Steg errichten, sondern entnahmen aus der Dachumrandung ein Element, sodass sie seit der Errichtung über das Dach von der Wohnung zum Atelier bzw zur Tanzschule und zurück gelangen. Dieser Weg wird nicht nur von den Beklagten selbst, sondern auch von Gästen verwendet. Dadurch wird der Lift vermehrt von den Beklagten und Besuchern verwendet. Eine Information an den Kläger, seinen Rechtsvorgänger oder die jeweiligen Hausverwaltungen erfolgte nicht. Die Beklagten wählten diese Vorgangsweise, damit der Vermieter und dessen Rechtsnachfolger vom Übergang nichts erfahren; dies hätte ja vereinbarungsgemäß zur Einforderung eines erhöhten Mietzinses und der anteiligen Instandsetzungs- und Erhaltungskosten für den Lift von Erst- und Zweitbeklagter geführt. Die Beklagten wollten den jeweiligen Eigentümer des Hauses, in dem sich die Bestandobjekte befinden, über das Vorhandensein einer Übergangsmöglichkeit zum Nachbarhaus täuschen; sie rechneten damit, dass die Erst- und Zweitbeklagte sich durch die Täuschungshandlung mangels Einforderung durch den Hauseigentümer das erhöhte Entgelt ersparen sowie sich dadurch unrechtmäßig bereichern, und fanden sich damit ab.

Als der Kläger von diesem Sachverhalt (begehbare Verbindung der benachbarten Häuser) 2009 erfuhr, forderte er die bisher aufgelaufenen anteiligen Instandsetzungs- und Erhaltungskosten des Lifts sowie den erhöhten Mietzins ein; die Beklagten lehnten eine Zahlung ab.

Das Erstgericht sprach die Rechtswirksamkeit der Aufkündigung aus und gab dem Räumungsbegehren statt. Es liege der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 dritter Fall MRG vor, da die Beklagten im bewussten und gewollten Zusammenwirken gegenüber dem Vermieter ein betrügerisches Verhalten gesetzt hätten; sie hätten die Errichtung des Stegs verschwiegen und dadurch den erhöhten Mietzins und die Instandsetzungs- und Erhaltungskosten in Bereicherungsabsicht nicht entrichtet. Weiters sei durch die Entnahme eines Teils von der Dachumrandung der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 erster Fall MRG erfüllt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist unzulässig.

Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) - Ausspruch des Berufungsgerichts hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ab. Die angefochtene Entscheidung hält sich im Rahmen der Grundsätze höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu den Kündigungsgründen des § 30 Abs 2 Z 3 MRG und wendet diese in vertretbarer Weise auf den Einzelfall an.

1. Eine strafbare Handlung ist, auch wenn sie kein Verbrechen darstellt, grundsätzlich ein Kündigungsgrund (RIS-Justiz RS0067676; RS0067682). Der Kündigungsgrund der strafbaren Handlung wird bereits durch die strafbare Handlung an sich verwirklicht (RIS-Justiz RS0070257 [T2]). Es darf sich allerdings nicht um nach den Umständen geringfügige Fälle handeln (Würth/Zingher/Kovanyi, Miet- und Wohnrecht I22 § 30 Rz 25 mwN).

2. Versuchter schwerer Betrug ist ein Eigentumsdelikt im Sinne des genannten Kündigungsgrundes (5 Ob 574/83; 1 Ob 169/03i); eine Differenzierung zwischen den „klassischen Eigentumsdelikten“ wie Diebstahl etc und der Untreue nach § 153 StGB ist im Lichte des genannten Kündigungsgrundes nicht gerechtfertigt (vgl 2 Ob 242/06m).

3. Eine strafrechtliche Verurteilung ist nicht Voraussetzung für die gerichtliche Geltendmachung des Kündigungsgrundes. Der Zivilrichter hat in jedem Fall die Tatbestandsmäßigkeit des behaupteten Verhaltens des Mieters selbst zu prüfen (6 Ob 617/92).

Daraus, dass ein Ermittlungsverfahren gegen die Beklagten gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellt worden ist, kann - entgegen der Argumentation im Rechtsmittel - weder der Schluss gezogen werden, dass die diesem Verfahren zu Grunde liegende Tat nicht mit gerichtlicher Strafe bedroht, noch dass sonst eine Verfolgung aus rechtlichen Gründen unzulässig wäre (vgl § 190 Z 1 StPO). Eine solche Entscheidung entfaltet auch keine Bindungswirkung im Kündigungsstreit (vgl RIS-Justiz RS0106015; 8 ObA 218/99p zur bloßen Einstellung nach § 90 StPO durch die Staatsanwaltschaft; zur fehlenden Bindungswirkung freisprechender Strafurteile siehe 6 Ob 18/09d mwN).

4. Das Berufungsgericht ist von dieser Rechtsprechung nicht abgewichen, wenn es den Beklagten betrügerisches Verhalten zur Last gelegt und den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 dritter Fall MRG bejaht hat. Feststellungen zur objektiven und subjektiven Tatseite haben die Tatsacheninstanzen in ausreichendem Umfang getroffen. Es steht auch fest, dass der Vermieter durch das Verhalten der Beklagten an seinem Vermögen geschädigt wurde.

Ob die Voraussetzungen einer Geringfügigkeit vorliegen, hängt regelmäßig von den Umständen des Einzelfalls ab. Dass der Störwert der Tat als gering anzusehen oder eine Verfolgung aus spezialpräventiven Gründen entbehrlich wäre (vgl § 191 StPO, zuvor § 42 StGB), kann schon deshalb nicht gesagt werden, weil der Drittbeklagte schon einmal eigenmächtig eine Verbindung zwischen den Nachbarhäusern herstellen hat lassen, die der Bauordnung widersprach; dass das Einverständnis der übrigen Beklagten im Familienverbund dazu gefehlt hätte, steht nicht fest. Auch war allen drei Beklagten bewusst, dass sich im Falle einer Verbindung zwischen den Häusern der Mietzins erhöht und sie zu den Erhaltungspflichten des Aufzugs beitragen müssen. Schließlich wurde der Kläger der Gefahr einer verwaltungsbehördlichen Strafe ausgesetzt, weil der Steg in der ausgeführten Form verwaltungsbehördlich nicht genehmigt war (vgl 6 Ob 743/88).

5. Den Beklagten nützt der im Mietvertrag vom 7. 5. 1991 vereinbarte Kündigungsverzicht auf bestimmte Zeit nichts, war doch der Vermieter dessen ungeachtet zur Kündigung des Dauerschuldverhältnisses berechtigt, wenn ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses aus gewichtigen Gründen nicht mehr zugemutet werden kann (RIS-Justiz RS0021107, RS0018368).

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO. Da der Kläger in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat, diente sein Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung. Die Bemessungsgrundlage der verbundenen Verfahren beträgt 45.201,96 EUR.

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