OGH 10ObS99/12z

OGH10ObS99/12z24.7.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hallas (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und AR Angelika Neuhauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei H*****, vertreten durch Dr. Markus Fink, Rechtsanwalt in Bezau, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter‑Straße 65, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 17. April 2012, GZ 25 Rs 35/12a‑16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 27. Februar 2012, GZ 36 Cgs 12/11f‑12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird mit der Maßgabe bestätigt, dass die Urteile der Vorinstanzen insgesamt lauten:

„1. Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger ab 13. 8. 2010 für die Folgen des Arbeitsunfalls vom 6. 7. 1998 eine Versehrtenrente von 20 vH der Vollrente als Dauerrente im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, besteht dem Grunde nach zu Recht.

2. Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger vom 13. 8. 2010 bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheids eine vorläufige Zahlung von 200 EUR monatlich zu erbringen, und zwar die bis zur Zustellung dieses Urteils fälligen vorläufigen Zahlungen binnen 14 Tagen, die weiteren jeweils im Nachhinein am Ersten des Folgemonats.

3. Das Mehrbegehren auf Zahlung einer höheren Versehrtenrente für die Folgen des Arbeitsunfalls vom 6. 7. 1998 wird abgewiesen.

4. Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger zu Handen seines Vertreters die mit 589,15 EUR (darin enthalten 98,19 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz und die mit 541,97 EUR (darin enthalten 90,33 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, dem Kläger zu Handen seines Vertreters die mit 371,52 EUR (darin enthalten 61,92 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger wurde am 6. 7. 1998 bei einem Verkehrsunfall verletzt. Mit Bescheid der beklagten Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt vom 30. 11. 1999 wurde dieses Ereignis als Arbeitsunfall anerkannt und dem Kläger für die Folgen des Arbeitsunfalls eine vorläufige Versehrtenrente von 30 vH der Vollrente ab 4. 8. 1998 gewährt.

Mit Bescheid vom 4. 7. 2000 gewährte die beklagte Partei dem Kläger anstelle der vorläufigen Versehrtenrente ab 1. 9. 2000 eine Dauerrente von 25 vH. Diese Dauerrente wurde mit Bescheid der beklagten Partei vom 20. 8. 2002 mit Wirkung ab 1. 10. 2002 entzogen. In dem gegen diesen Bescheid beim Landesgericht Feldkirch als Arbeits‑ und Sozialgericht zur AZ 34 Cgs 207/02d geführten Sozialrechtsverfahren verpflichtete sich die beklagte Partei, dem Kläger ab 1. 10. 2002 eine Dauerrente von 25 vH weiterzugewähren.

Mit Bescheid der beklagten Partei vom 29. 1. 2008 wurde dem Kläger die gewährte Dauerrente ab 1. 3. 2008 wieder entzogen. Der vom Kläger dagegen zur AZ 33 Cgs 34/08i eingebrachten Klage gab das Landesgericht Feldkirch als Arbeits‑ und Sozialgericht insofern statt, als es mit Urteil vom 2. 9. 2008 die beklagte Partei schuldig erkannte, dem Kläger für die Folgen des Arbeitsunfalls vom 6. 7. 1998 (weiterhin) eine Dauerrente in Höhe von 25 vH im Zeitraum vom 1. 3. 2008 bis 31. 12. 2008 zu zahlen. Diesem Urteil lagen ein Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der HNO und ein weiteres neurologisch‑psychiatrisches Sachverständigengutachten zugrunde. Demnach bestand beim Kläger zum damaligen Entscheidungszeitpunkt aus HNO‑fachärztlicher Sicht aufgrund einer unfallkausal verbliebenen leichtgradigen Hörstörung und eines Tinnitus eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 vH. Aus neurologisch‑psychiatrischer Sicht betrug die kausale Erwerbsminderung ohne Bezugnahme auf den Tinnitus infolge eines milden und situativ posttraumatischen Kopfschmerzanteils, einer situativ und belastungsabhängig auftretenden Konzentrations‑ und Aufmerksamkeitsreduktion ohne Hinweise auf ein anhaltend durchgehendes organisches Psychosyndrom sowie infolge diskreter Einbußen der Geruchs‑ und Geschmackswahrnehmung ‑ ohne Überschneidung mit der HNO‑fachärztlichen Einschätzung ‑ ebenfalls 10 vH. Aus damaliger neurologisch‑psychiatrischer Sicht war zu erwarten, dass die rein neurologisch‑psychiatrische Minderung der Erwerbsfähigkeit künftig abnehmen und ab dem Jahr 2009 auf 5 vH günstigstenfalls sogar auf weniger als 5 vH absinken werde. Unter Berufung auf diese medizinische Prognose wurde dem Kläger vom Landesgericht Feldkirch als Arbeits‑ und Sozialgericht mit dem bereits erwähnten Urteil vom 2. 9. 2008 „aufgrund des bereits erkennbaren Datums des Eintritts der wesentlichen Änderung, nämlich des Absinkens der Minderung der Erwerbsfähigkeit ab dem 31. 12. 2008 unter das rentenbegründende Ausmaß“ die Versehrtenrente nur bis 31. 12. 2008 zuerkannt. Diese Entscheidung blieb unbekämpft und erwuchs daher in Rechtskraft.

Seit 13. 10. 2010 (offensichtlich gemeint: 13. 8. 2010) ist im Gesundheitszustand des Klägers im Vergleich zu dem im Jahr 2008 bestandenen und dem Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 2. 9. 2008 zugrunde gelegten Gesundheitszustand aus HNO‑fachärztlicher Sicht keine Änderung eingetreten, sodass sich die aus der unfallkausalen Hörstörung und dem Tinnitus resultierende Minderung der Erwerbsfähigkeit nach wie vor auf 10 vH beläuft. Auch aus neurologisch‑psychiatrischer Sicht sind die Dauerfolgen unverändert vorhanden. Es bestehen weiterhin ein posttraumatischer Kopfschmerzanteil, eine belastungsabhängig auftretende Konzentrations‑ und Aufmerksamkeitsreduktion ohne Hinweis auf ein stärkeres organisches Psychosyndrom sowie geringgradige Einbußen der Geruchs‑ und Geschmackswahrnehmung. Die damals zugrunde gelegte Verbesserung des Gesundheitszustands des Klägers ab 2009 auf primär 5 vH Minderung der Erwerbsfähigkeit und eventuell auch längerfristig sogar 0 vH Minderung der Erwerbsfähigkeit ist nicht eingetreten. Die aus neurologisch‑psychiatrischer Sicht den Unfallfolgen zuordenbare Erwerbsminderung beträgt weiterhin auf Dauer 10 vH.

Mit Bescheid vom 11. 1. 2011 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 13. 8. 2010 auf Zuerkennung einer Versehrtenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 6. 7. 1998 mit der Begründung ab, dass im Zustand der Unfallfolgen keine wesentliche Änderung eingetreten sei.

Dagegen erhob der Kläger rechtzeitig Klage mit dem Begehren auf Gewährung einer Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß von zumindest 25 vH der Vollrente für die Folgen des Arbeitsunfalls vom 6. 7. 1998. Es sei ihm nach dem 31. 12. 2008 die Dauerrente von 25 vH nicht mehr weitergewährt worden, weil die Gutachter im erwähnten Vorverfahren 33 Cgs 34/08i des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht eine künftige Besserung der Minderung der Erwerbsfähigkeit prognostiziert hätten. Es sei jedoch tatsächlich keine Besserung, sondern eine wesentliche Verschlechterung der Unfallfolgen eingetreten, weshalb dem Kläger weiterhin eine Dauerrente im Ausmaß von zumindest 25 vH zustehe.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete im Wesentlichen ein, dass kein Anspruch auf Gewährung einer Versehrtenrente bestehe, weil seit der hier maßgeblichen Vorentscheidung des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 2. 9. 2008 keine Verschlimmerung der unfallbezogenen Beeinträchtigungen eingetreten sei und die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit nur 10 vH betrage und daher das rentenbegründende Ausmaß nicht erreiche.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger für die Folgen seines Arbeitsunfalls vom 6. 7. 1998 ab 13. 8. 2010 eine Versehrtenrente von 20 vH der Vollrente im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren und wies das darüber hinausgehende Mehrbegehren auf Gewährung einer höheren Versehrtenrente ab. Es beurteilte den bereits eingangs wiedergegebenen unstrittigen Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht dahin, dass eine Neufeststellung einer Rente iSd § 183 Abs 1 ASVG nur dann in Betracht komme, wenn eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten sei. Vergleichsmaßstab dafür, ob eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten sei, sei der jener Entscheidung zugrundeliegende Tatsachenkomplex, dessen Rechtskraftwirkung bei unveränderten Verhältnissen einer Neufestsetzung der Rente im Wege stehe. Der Entscheidung des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 2. 9. 2008 im Vorverfahren 33 Cgs 34/08i sei zugrunde gelegen, dass mit einer Reduktion der kausalen Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers ab 1. 1. 2009 auf insgesamt 15 vH zu rechnen sei. Diese Zukunftsprognose habe sich jedoch nicht bewahrheitet, weshalb die tatsächlich nicht eingetretene Besserung des Gesundheitszustands wie eine nachträgliche Verschlechterung als eine Änderung der Verhältnisse iSd § 183 Abs 1 ASVG zu werten sei. Da die kausale Erwerbsminderung des Klägers mangels Besserung der Unfallfolgen seit 13. 8. 2010 20 vH betrage, sei dem Klagebegehren in diesem Umfang stattzugeben.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei keine Folge. Es vertrat ‑ zusammengefasst ‑ die Rechtsansicht, das Landesgericht Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht hätte im Vorverfahren 33 Cgs 34/08i in seinem Urteil vom 2. 9. 2008 nur auf die bis zum Schluss der damaligen Verhandlung erster Instanz an diesem Tag hinsichtlich der arbeitsunfallbezogenen Beeinträchtigungen des Klägers und der daraus resultierenden Erwerbsminderung bestehende Tatsachenlage (und nicht auch auf eine von den Sachverständigen erst für die Zukunft prognostizierte Besserung der unfallbedingten Gesundheitsstörungen) Bedacht nehmen dürfen und hätte daher dem Kläger mangels wesentlicher Änderung iSd § 183 ASVG die bisher gewährte Dauerrente von 25 vH unbefristet weitergewähren müssen. Tatsächlich habe das Landesgericht Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht im erwähnten Vorverfahren in seinem Urteil vom 2. 9. 2008 eine (an sich unzulässige) befristete Weitergewährung der Dauerrente von 25 vH bis 31. 12. 2008 angeordnet. Insoweit sei diese Entscheidung vom 2. 9. 2008 auch in Rechtskraft erwachsen. Das Landesgericht Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht habe in seiner Entscheidung im Vorverfahren jedoch weder im Urteilsspruch noch in den Entscheidungsgründen über einen Anspruch des Klägers auf Versehrtenrente ab 1. 1. 2009, insbesondere im Sinne einer Abweisung eines solchen Anspruchs des Klägers auf Gewährung einer Dauerrente ab diesem Zeitpunkt, abgesprochen. Da der vom Kläger im Vorverfahren bekämpfte Entziehungsbescheid der beklagten Partei durch die Klagsführung zur Gänze außer Kraft getreten sei, wäre es an der beklagten Partei gelegen gewesen, über den Rentenanspruch des Klägers ab 1. 1. 2009 bescheidmäßig abzusprechen. Die faktische Einstellung der Rentenleistung ab 1. 1. 2009 stelle jedenfalls keine (vom Versicherten bekämpfbare) rechtsverbindliche Rentenentziehung dar. Da somit dem auf Zuerkennung der Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß gerichteten Antrag des Klägers vom 13. 8. 2010 keine rechtswirksame Rentenentziehung entgegenstehe, habe der Kläger Anspruch auf die ihm vom Erstgericht zuerkannte Versehrtenrente von 20 vH ab Antragstellung.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil sich der Oberste Gerichtshof mit einer vergleichbaren verfahrensrechtlichen Fallkonstellation bisher noch nicht auseinandergesetzt habe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragte in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen bzw ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Die beklagte Partei macht im Wesentlichen geltend, auch wenn vom Landesgericht Feldkirch als Arbeits-und Sozialgericht im Vorverfahren eine an sich unzulässige Befristung der Rentenleistung ausgesprochen worden sei, sei diese Befristung dennoch in Rechtskraft erwachsen und damit rechtswirksam geworden. Der Anspruch des Klägers auf Versehrtenrente sei daher mit Ablauf der Befristung erloschen. Im Zeitraum zwischen dem Erlöschen des Rentenanspruchs mit 31. 12. 2008 und dem neuerlichen Antrag des Klägers vom 13. 8. 2010 auf Gewährung einer Versehrtenrente bestehe kein Anspruch des Klägers auf Versehrtenrente. Da im Gesundheitszustand des Klägers im Vergleich zu dem im Vorverfahren im Jahr 2008 vorliegenden Gesundheitszustand keine Änderung eingetreten sei, sei eine Neufeststellung der Versehrtenrente gemäß § 183 Abs 1 ASVG nicht zulässig. Bei der Prüfung, ob eine wesentliche Änderung eingetreten sei, sei ausschließlich ein Vergleich zwischen den tatsächlichen Verhältnissen anzustellen. Auf die im Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 2. 9. 2008 angeführte prognostische Entwicklung des Gesundheitszustands des Klägers komme es hingegen nicht an.

Der erkennende Senat hat dazu Folgendes erwogen:

1. Das Gesetz kennt nur einen einzigen Begriff der Versehrtenrente. Diese Rente ist unter den in § 209 Abs 1 ASVG bezeichneten Voraussetzungen als vorläufige Rente, sonst als Dauerrente und entsprechend der Bestimmung des § 210 Abs 2 ASVG als Gesamtrente festzustellen. Nach § 209 Abs 1 ASVG ist die Versehrtenrente nach einem Unfall spätestens nach 2 Jahren als Dauerrente festzusetzen. Der Zweck dieser Regelung ist darin zu sehen, dass im Verhältnis zwischen dem Rentenbezieher und dem Versicherungsträger nach einem gewissen Übergangszeitraum Rechtssicherheit eintreten soll. Eine Änderung der Dauerrente ist daher nur noch unter den Voraussetzungen des § 183 ASVG dann möglich, wenn eine wesentliche Änderung der Verhältnisse gegeben ist (vgl 10 ObS 184/93, SSV‑NF 7/117 ua).

2. Nach § 183 Abs 1 ASVG hat der Unfallversicherungsträger bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse, die für die Feststellung einer Rente maßgebend waren, auf Antrag oder von Amts wegen die Rente „neu festzustellen“ (dh zu erhöhen, herabzusetzen oder zu entziehen). Als wesentlich gilt eine Änderung der Verhältnisse nur, wenn durch sie die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Versehrten durch mehr als 3 Monate um mindestens 10 vH geändert wird, durch die Änderung ein Rentenanspruch entsteht oder wegfällt (§§ 203, 210 Abs 1 ASVG) oder die Schwerversehrtheit entsteht oder wegfällt (§ 205 Abs 4 ASVG). Sind 2 Jahre nach Eintritt des Versicherungsfalls abgelaufen oder ist innerhalb dieser Frist die Dauerrente (§ 209 ASVG) festgestellt worden, so kann die Rente immer nur in Zeiträumen von mindestens einem Jahr nach der letzten Feststellung neu festgestellt werden. Diese Frist gilt nicht, wenn in der Zwischenzeit eine Heilbehandlung abgeschlossen oder eine vorübergehende Verschlimmerung der Folgen des Arbeitsunfalls oder der Berufskrankheit wieder behoben wurde (§ 183 Abs 2 ASVG). Die Bestimmung des § 183 ASVG regelt somit die Neufeststellung der Versehrtenrente und stellt für diesen Bereich bezüglich der Entziehung eine Sonderbestimmung gegenüber § 99 ASVG dar (10 ObS 15/11w mwN).

3. Der Kläger bezog von der beklagten Partei für die Folgen seines Arbeitsunfalls vom 6. 7. 1998 seit 1. 9. 2000 eine Dauerrente von 25 vH. Mit dem im Vorverfahren 33 Cgs 34/08i des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht in Rechtskraft erwachsenen Urteil vom 2. 9. 2008 wurde die beklagte Partei schuldig erkannt, dem Kläger für die Folgen des Arbeitsunfalls vom 6. 7. 1998 (weiterhin) eine Dauerrente in Höhe von 25 vH im Zeitraum vom 1. 3. 2008 bis 31. 12. 2008 zu zahlen. Das Landesgericht Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht begründete diese Entscheidung im Wesentlichen damit, dass „aufgrund des bereits erkennbaren Datums des Eintritts der wesentlichen Änderung, nämlich des Absinkens der Minderung der Erwerbsfähigkeit ab dem 31. 12. 2008 unter das rentenbegründende Ausmaß“ die Versehrtenrente nur bis 31. 12. 2008 zuzusprechen gewesen sei.

3.1 Diese Rechtsansicht des Erstgerichts im Vorverfahren war schon deshalb unrichtig, weil es sich bei der Dauerrente immer um eine Rente auf unbestimmte Zeit handelt (vgl 10 ObS 190/06y, SSV‑NF 20/86), welche daher nicht befristet zuzusprechen ist, sondern im Fall einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse iSd § 183 Abs 1 ASVG neu festzustellen (dh zu erhöhen, herabzusetzen oder zu entziehen) ist. Darüber hinaus ist nach zutreffender Rechtsansicht des Berufungsgerichts dem Urteil auch in Sozialrechtssachen jene Sach- und Rechtslage zugrunde zu legen, wie sie sich bei Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz präsentiert. Das Gericht hat entsprechend dem Grundsatz der sukzessiven Kompetenz ein eigenes Verfahren durchzuführen und aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen neu zu entscheiden, wobei bis zum Schluss der Verhandlung erster Instanz eingetretene Sachverhaltsänderungen zu berücksichtigen sind (10 ObS 188/04a, SSV‑NF 20/13 mwN). Da beim Kläger bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz im Vorverfahren 33 Cgs 34/08i des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht eine iSd § 183 ASVG relevante Änderung der Verhältnisse nicht eingetreten war, hätte das Gericht in diesem Vorverfahren nach ebenfalls zutreffender Rechtsansicht des Berufungsgerichts dem Kläger gesetzeskonform die bisher gewährte Dauerrente von 25 vH unbefristet weitergewähren müssen. Sachverhaltsänderungen, die sich erst nach Schluss der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz verwirklichen, können nur in einem (neuen) Verwaltungsverfahren Berücksichtigung finden, sei es, dass der Sozialversicherungsträger ein solches von Amts wegen einleitet (in der Regel um Leistungen herabzusetzen oder zu entziehen), sei es, dass der Versicherte eine zu seinen Gunsten ausschlagende Änderung zum Gegenstand eines neuen Antrags macht (vgl Fink, Die sukzessive Zuständigkeit im Verfahren in Sozialrechtssachen 512 mwN). Die beklagte Partei hätte daher eine nach Schluss der Verhandlung erster Instanz im Vorverfahren allenfalls eingetretene Besserung des Gesundheitszustands des Klägers zum Anlass nehmen müssen, von Amts wegen ein neues Herabsetzungs- oder Entziehungsverfahren einzuleiten.

4. Die beklagte Partei verweist in ihren Revisionsausführungen zutreffend darauf, dass die vom Landesgericht Feldkirch im Vorverfahren in unzulässiger Weise ausgesprochene Befristung des Anspruchs des Klägers auf Versehrtenrente mit 31. 12. 2008 in Rechtskraft erwachsen und damit rechtswirksam geworden ist.

4.1 Soweit die beklagte Partei in diesem Zusammenhang erkennbar weiterhin den Standpunkt vertritt, durch das in Rechtskraft erwachsene Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 2. 9. 2008 sei die dem Kläger für die Folgen des Arbeitsunfalls vom 6. 7. 1998 gewährte Dauerrente von 25 vH mit Ablauf der vorgenommenen Befristung dieses Anspruchs mit 31. 12. 2008 gemäß § 183 ASVG rechtswirksam entzogen worden, der nunmehr verfahrensgegenständliche Antrag des Klägers vom 13. 8. 2010 sei daher als Antrag auf Neufeststellung der Versehrtenrente gemäß § 183 ASVG zu werten, dieser Antrag sei aber nicht berechtigt, weil im Zustand der Unfallfolgen beim Kläger keine wesentliche Änderung eingetreten sei, hat bereits das Berufungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass dem Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 2. 9. 2008 ein diesbezüglicher Entscheidungswille des Gerichts auf Abweisung des Rentenbegehrens des Klägers ab 1. 1. 2009 nicht zweifelsfrei entnommen werden kann. Ein solcher Entscheidungswille des Gerichts geht weder aus dem Urteilsspruch noch aus den Entscheidungsgründen zweifelsfrei hervor. Auch die für die Befristung des Rentenanspruchs des Klägers gegebene Begründung, die Rente sei „im Hinblick auf das bereits erkennbare Datum einer künftigen wesentlichen Änderung bzw eines Absinkens der Erwerbsminderung unter das rentenbegründende Ausmaß zu befristen“, lässt offen, ob das Gericht damals überhaupt von seiner Entscheidungskompetenz bezüglich des Rentenanspruchs des Klägers ab 1. 1. 2009 ausgegangen ist und bejahendenfalls, ob es über den diesbezüglichen Anspruch abschlägig befinden wollte oder ob es jenen Anspruch allenfalls einer künftigen bescheidmäßigen Entscheidung des Unfallversicherungsträgers vorbehalten wollte.

4.2 Zutreffend ist daher das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass mit dem im Vorverfahren ergangenen Urteil vom 2. 9. 2008 nur eine (unzulässige) befristete Weitergewährung der Dauerrente von 25 vH ausgesprochen, aber keine Rentenentziehung verfügt wurde, weshalb diese Entscheidung auch nur hinsichtlich der befristeten Weitergewährung der Rente der Rechtskraft fähig war. Dem verfahrensgegenständlichen Antrag des Klägers vom 13. 8. 2010 auf Zuerkennung der Versehrtenrente von 25 vH liegt somit nach zutreffender Rechtsansicht des Berufungsgerichts kein vormaliger Entziehungsbescheid bzw kein die Rentenentziehung verfügendes Gerichtsurteil zugrunde, weshalb es auf die in den Revisionsausführungen der beklagten Partei auch relevierte Frage, ob eine wesentliche Änderung der Verhältnisse iSd § 183 ASVG zwischen dem Zeitpunkt der (tatsächlich nie stattgefundenen) Entziehung der Versehrtenrente und dem Zeitpunkt der (Neu‑)Antragstellung des Klägers vom 13. 8. 2010 eingetreten ist, nicht mehr ankommt.

4.3 An diesem Ergebnis der Beurteilung ändert sich auch dann nichts, wenn man mit den insoweit zutreffenden Revisionsausführungen der beklagten Partei davon ausgeht, dass der Anspruch des Klägers auf Versehrtenrente mit dem Ablauf der in Rechtskraft erwachsenen Befristung mit 31. 12. 2008 erloschen ist und erst mit der neuerlichen Antragstellung des Klägers am 13. 8. 2010 wieder entstanden ist. Nach § 100 Abs 1 lit b ASVG erlischt der Anspruch auf eine laufende Leistung in der Unfallversicherung ohne weiteres Verfahren nach Ablauf der Dauer, für die eine Rente zuerkannt wurde. Das Wesentliche dieses Erlöschens liegt in der „automatischen“ Beendigung eines Leistungsanspruchs, also ohne bescheidmäßige Feststellung. Die Leistungsgewährung wird seitens des Versicherungsträgers schlicht eingestellt (vgl Atria in Sonntag, ASVG3 § 100 Rz 1).

4.4 Der Anspruch des Klägers auf die durch das rechtskräftige Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 2. 9. 2008 zeitlich begrenzte Dauerrente erlosch somit nach § 100 Abs 1 lit b ASVG ohne weiteres Verfahren nach Ablauf der Dauer, für die die Dauerrente zuerkannt wurde, ohne dass es dazu einer bescheidmäßigen Entziehung der Leistung bedurfte (vgl 10 ObS 404/90). Die Rechtsschutzmöglichkeit des Empfängers der erloschenen Leistung besteht darin, einen Antrag auf Weitergewährung der Leistung zu stellen, über den dann bescheidmäßig abzusprechen ist (§ 367 ASVG). Gegen diesen Bescheid kann vom Versicherten Klage erhoben werden (Atria in Sonntag, ASVG3 § 100 Rz 1). Auch in diesem Verfahren ist ein Vergleich mit den Verhältnissen zur Zeit der Zuerkennung der befristeten Leistung, wie es bei der Entziehung einer Leistung notwendig ist, nicht anzustellen (vgl 10 ObS 20/92, SSV‑NF 6/17 zur Zuerkennung einer zeitlich begrenzten Invaliditätspension).

5. Die dargelegten Ausführungen führen zu dem Ergebnis, dass dem Kläger ab dem Tag der neuerlichen Antragstellung (13. 8. 2010) der noch strittige Anspruch auf Versehrtenrente entsprechend der festgestellten Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 vH als Dauerrente zusteht. Daraus folgt, dass der Revision der beklagten Partei ein Erfolg versagt bleiben muss.

6. Die Entscheidungen der Vorinstanzen entsprechen jedoch in anderer Hinsicht nicht ganz dem Gesetz. Das Erstgericht hat das Klagebegehren dadurch erledigt, dass es die beklagte Partei schuldig erkannte, dem Kläger ab 13. 8. 2010 eine Versehrtenrente von 20 vH der Vollrente im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, und das darüber hinausgehende Mehrbegehren abwies. Das Berufungsgericht hat dieses Urteil bestätigt. Gemäß § 89 Abs 2 ASGG kann das Gericht dann, wenn sich in einem Verfahren, in dem das Klagebegehren auf eine Geldleistung gerichtet und dem Grund und der Höhe nach bestritten ist, ergibt, dass das Klagebegehren in einer zahlenmäßig noch nicht bestimmten Höhe gerechtfertigt ist, die Rechtsstreitigkeit dadurch erledigen, dass es das Begehren des Klägers dem Grunde nach für berechtigt erkennt; gleichzeitig hat es nach dieser Bestimmung dem Versicherungsträger aufzutragen, dem Kläger bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheids eine vorläufige Zahlung zu erbringen. Diese Bestimmung haben beide Vorinstanzen unbeachtet gelassen. In Rechtsstreitigkeiten nach § 65 Abs 1 Z 1, 6 oder 8 ASGG ist der Auftrag nach § 89 Abs 2 ASGG in das Urteil des Rechtsmittelgerichts von Amts wegen aufzunehmen, auch wenn dieser Auftrag im angefochtenen Urteil fehlt (§ 90 Z 3 ASGG). Der Auftrag zur Erbringung einer iSd § 89 Abs 2 ASGG bestimmten vorläufigen Zahlung war daher in sinngemäßer Anwendung des § 273 Abs 1 ZPO durch das Revisionsgericht nachzutragen (RIS‑Justiz RS0085734).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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