OGH 8ObA10/12x

OGH8ObA10/12x28.6.2012

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofräte Hon.-Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Rolf Gleißner und Mag. Manuela Majeranowski als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei E***** W*****, vertreten durch Hasch & Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei A***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Mag. Klaus F. Lughofer LLM, Rechtsanwalt in Linz, wegen Feststellung (Streitwert: 30.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15. November 2011, GZ 11 Ra 92/11w-10, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 31. August 2011, GZ 11 Cga 101/11d-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.680,84 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 280,14 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist als Bezirksleiterin bei der Beklagten beschäftigt; auf das Arbeitsverhältnis ist der Kollektivvertrag für Angestellte und Lehrlinge in Handelsbetrieben (in weiterer Folge: KV) anzuwenden. Ihre Aufgabe ist die Betreuung der Filialen der Beklagten in dem ihr zugewiesenen Verkaufsbezirk, der außerhalb Wiens liegt. Die Klägerin ist für alle Filialen verantwortlich und unmittelbare Vorgesetzte der Filialleiter und -leiterinnen der in ihrem Verkaufsbezirk gelegenen Filialen. Sie erbringt ihre Leistungen vereinbarungsgemäß so, dass sie von ihrem Wohnsitz aus nach einem von ihr nach den jeweiligen Bedürfnissen festgelegten „Routenplan“ diese Filialen besucht und dort vor Ort so lange verweilt, bis ihre Tätigkeiten beendet sind. Die Klägerin hat sämtliche 32 Filialen in ihrem Verkaufsbezirk durchschnittlich alle zwei Wochen, bestimmte Filialen auch wöchentlich, aufzusuchen. Die einzelnen Filialen liegen zwischen 1,1 und 84,8 Straßenkilometer voneinander entfernt. Die Klägerin ist ausschließlich in den von ihr zu betreuenden Filialen tätig, und zwar entweder direkt im Verkaufsraum, in einem Pausenraum der Filiale oder im Büro des jeweiligen Filialleiters. Die Zentrale der Beklagten liegt in einem anderen Bundesland, die Klägerin verfügt dort über keinen eigenen Arbeitsplatz. Dienstliche Belange mit ihren Vorgesetzten erledigt sie entweder telefonisch oder über ein ihr von der Beklagten zur Verfügung gestelltes Faxgerät.

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass sie bei Ausübung ihres Berufs als Bezirksleiterin der Beklagten Reiseleistungen im Sinn des Art XVI KV erbringe und dementsprechend ein Anspruch auf Auszahlung von Diäten (Taggeldern) bestehe.

Die Beklagte wandte dagegen im Wesentlichen ein, dass der der Klägerin zugewiesene Verkaufsbezirk ihren gewöhnlichen Arbeitsort darstelle, sodass die Fahrten zwischen den einzelnen Filialen keine Dienstreisen im Sinn des Kollektivvertrags für Handelsangestellte seien.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Arbeitsort eines Arbeitnehmers sei nach der Rechtsprechung der regelmäßige Mittelpunkt seines tatsächlichen Tätigwerdens und müsse mit dem Betriebsort des Arbeitgebers nicht zusammenfallen. Die Klägerin übe ihre Tätigkeit in den als Betriebsstätten der Beklagten anzusehenden Filialen aus. Da diese Betriebsstätten höchstens 84,8 Straßenkilometer und damit weniger als drei Stunden Autofahrt voneinander entfernt liegen, verlasse die Klägerin auf ihren Fahrten zwischen ihrem Wohnort und diesen Betriebsstätten ihren Dienstort im Sinne des Art XVI.1.b KV jedenfalls nicht für mehr als drei Stunden, weshalb die Tätigkeit an sich keinen Anspruch auf Reiseaufwandsentschädigung begründe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin gegen dieses Urteil nicht Folge. Dienstort der Klägerin im Sinn des KV seien die Gemeindegebiete jener Gemeinden ihres Verkaufsbezirks, in denen die Beklagte eine Betriebsstätte (Filiale) unterhalte bzw der örtliche Bereich im Umkreis von 12 Straßenkilometern von diesen Betriebsstätten. Die Fahrten der Klägerin von ihrem Wohnort zu diesen Filialen seien daher Wegzeiten, für die kein Anspruch auf Taggelder nach dem KV bestehe. Seien die vom Kollektivvertrag genannten Voraussetzungen erfüllt, könnten die Fahrten der Klägerin von einer Filiale zur nächsten zwar als Dienstreise im Sinn des Art XVI KV anzusehen sein. Das Erstgericht habe aber zutreffend und in der Berufung unwidersprochen ausgeführt, dass ein Anspruch auf Taggelder nur bestehe, wenn eine Dienstreise länger als drei Stunden dauere. Dies sei angesichts der vom Erstgericht festgestellten Entfernungen zwischen den von der Klägerin aufzusuchenden Filialen jedoch auszuschließen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung fehle, ob Art XVI.1 KV auch jene Fälle betreffe, in denen der Arbeitgeber - wie hier - mehrere Betriebsstätten hat.

Gegen dieses Urteil richtet sich die von der Beklagten beantwortete Revision der Klägerin.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.

Die Klägerin vertritt in der Revision zusammengefasst den Standpunkt, dass ihr Dienstort im Sinn des Art XVI.1.b KV die Zentrale der Beklagten sei, weshalb ihre Fahrten als Bezirksleiterin als Dienstreisen im Sinn des Art XVI.1.a KV anzusehen seien. Demgegenüber vertrat das Berufungsgericht die Rechtsauffassung, dass im konkreten Fall „Dienstort“ der Klägerin im Sinn des Art XVI.1.b KV die Gemeindegebiete jener Gemeinden in ihrem Verkaufsbezirk sind, in denen die Beklagte eine Betriebsstätte unterhält bzw der örtliche Bereich im Umkreis von 12 Straßenkilometern von diesen Filialen. Diese Rechtsauffassung ist zutreffend. Es reicht daher aus, auf die zutreffende Begründung der Berufungsentscheidung zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Ergänzend ist der Revisionswerberin entgegenzuhalten:

1. In erster Linie ist bei der Auslegung eines Kollektivvertrags der Wortsinn - auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen - zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen (9 ObA 119/08b; RIS-Justiz RS0010089). Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Reiseaufwandsentschädigung (Taggelder) ist in Art XVI KV geregelt und setzt das Vorliegen einer Dienstreise gemäß Art XVI.1 KV voraus. Art XVI lautet auszugsweise:

1. Begriff der Dienstreise:

a) Eine Dienstreise liegt vor, wenn der Angestellte zur Ausführung eines ihm erteilten Auftrages den Dienstort gem lit b) verlässt. Eine Dienstreise liegt auch vor, wenn der Angestellte zur Ausführung eines ihm erteilten Auftrages die Betriebsstätte des Arbeitgebers verlässt, dabei jedoch am Dienstort (lit b) bleibt. In diesem Falle erhält er nur dann ein Taggeld, wenn eine Betriebsvereinbarung dies vorsieht.

b) Als Dienstort im Sinne dieser Bestimmung gilt außerhalb von Wien ein Tätigkeitsgebiet im Umkreis von 12 Straßenkilometern von der Betriebsstätte, aber jedenfalls das Gemeindegebiet. Als Gemeindegebiet von Wien gelten die Bezirke 1 bis 23.

c) Die Dienstreise beginnt, wenn sie von der Arbeitsstätte aus angetreten wird, mit dem Verlassen der Arbeitsstätte. In allen anderen Fällen beginnt die Dienstreise mit dem reisenotwendigen Verlassen der Wohnung. Die Dienstreise endet mit der Rückkehr zur Arbeitsstätte bzw mit der reisenotwendigen Rückkehr in die Wohnung.

2. Reisekosten- und Reiseaufwandsent-schädigung:

Bei Dienstreisen ist dem Angestellten der durch die Dienstreise verursachte Aufwand zu entschädigen. […]“

Da eine Betriebsvereinbarung im Sinn des Art XVI.1.a Satz 3 KV nicht abgeschlossen wurde, ist der Begriff der Dienstreise in diesem Rechtsstreit ausschließlich gemäß Art XVI.1.a Satz 1 KV zu beurteilen. Eine Dienstreise liegt danach nur vor, wenn die Klägerin ihren Dienstort im Sinn des Art XVI.1.b KV zur Ausführung eines ihr erteilten Auftrags verlässt.

2. Der Ort, an dem die Arbeitsleistung zu erbringen ist, gehört zum wesentlichen Inhalt der Arbeitspflicht. Meist ergibt sich der Arbeitsort - sofern er nicht ausdrücklich vereinbart wurde - aus dem Standort des Betriebs bei Vertragsabschluss, doch können Natur und Zweck des Arbeitsverhältnisses (§ 905 ABGB) etwa bei Reisenden, Bauarbeitern oder Monteuren auch wechselnde Arbeitsorte innerhalb bestimmter Bereiche ergeben (RIS-Justiz RS0018175). Der Arbeitsort eines Arbeitnehmers ist der regelmäßige Mittelpunkt seines tatsächlichen betrieblichen Tätigwerdens, er muss mit dem Betriebsort bzw der Zentrale des Unternehmens nicht zusammenfallen (9 ObA 109/03z, 9 ObA 148/11x). Zutreffend sind die Vorinstanzen daher hier davon ausgegangen, dass der Arbeitsort der Klägerin nicht die Zentrale der Beklagten ist, weil die Klägerin dort keinerlei Tätigkeit ausübt, sondern vielmehr die von ihr zu betreuenden Filialen in dem ihr zugewiesenen Verkaufsbezirk. Daran vermag der Umstand, dass die Klägerin zu keiner der von ihr betreuten Filialen eine besondere Nahebeziehung hat und für sie dort auch keine eigenen Arbeitsplätze eingerichtet sind, nichts zu ändern.

3. Nach dem Wortlaut des Art XVI.1.b KV ist der Dienstort des Angestellten ein Tätigkeitsgebiet im Umkreis von 12 Straßenkilometern von der Betriebsstätte des Arbeitgebers bzw jenes Gemeindegebiets, in dem die Betriebsstätte liegt. Hat ein Unternehmen - wie hier die Beklagte - mehrere Betriebsstätten, so kann Dienstort des Angestellten im Sinn des KV nur das Tätigkeits- bzw Gemeindegebiet betreffend jene Betriebsstätte(n) sein, in der/denen der Angestellte vereinbarungsgemäß seine Arbeitstätigkeit erbringt. Der KV selbst spricht in Art XVI.1.c davon, dass eine Dienstreise gewöhnlich von der Arbeitsstätte angetreten wird, daher von jenem Ort, an dem der Angestellte seine Arbeitstätigkeit verrichtet. Selbst wenn daher die Zentrale der Beklagten ebenfalls eine Betriebsstätte sein mag, so ändert dies nichts daran, dass die Klägerin dort keinerlei Tätigkeiten verrichtete, sodass die Zentrale der Beklagten im konkreten Fall nicht Dienstort gemäß Art XVI.1.b KV ist.

4. Die Klägerin bestreitet nicht, dass neben dem Vorliegen einer Dienstreise im Sinn des Art XVI.1 KV als weitere Voraussetzung für den von ihr geltend gemachten Anspruch zu prüfen ist, ob eine solche Dienstreise länger als drei Stunden dauert, weil nur in diesem Fall Taggeld gebührt (Art XVI.2.B.d KV samt Erl 12). Diese zweite Anspruchsvoraussetzung ist aber nach der zutreffenden Rechtsansicht der Vorinstanzen hier nicht erfüllt, weil die Klägerin ihren Dienstort nicht in der Zentrale der Beklagten hat und ihre Fahrten zwischen den einzelnen Filialen infolge der festgestellten Distanzen in keinem Fall länger als drei Stunden dauern. Dem ist die Klägerin im gesamten Rechtsmittelverfahren auch nicht entgegengetreten.

5. Der Sachverhalt der von der Klägerin für ihren Standpunkt ins Treffen geführten Entscheidung 8 ObA 60/09w ist mit dem hier zu beurteilenden nicht vergleichbar. Insbesondere hatte die damals beklagte Arbeitgeberin im Gegensatz zur nunmehr Beklagten nur eine einzige Betriebsstätte. Die damalige Klägerin übte ihre Tätigkeit nicht an dieser Betriebsstätte aus, sondern hatte von ihrem Wohnsitz aus Kunden der Arbeitgeberin aufzusuchen.

Die von der Klägerin angestellten Vergleiche mit ständig reisenden Angestellten, die Kunden des Arbeitgebers besuchen, sind aufgrund der klaren Regelung des KV nicht zielführend. Es ist nicht Aufgabe der Gerichte, eine allenfalls unbefriedigende kollektivvertragliche Regelung zu ändern; dies können nur die Kollektivvertragsparteien selbst (8 ObA 54/10i ua).

Der Revision kommt daher keine Berechtigung zu.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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