OGH 8Ob43/12z

OGH8Ob43/12z28.6.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. C***** GmbH & Co KG, *****, und 2. G***** AG, *****, beide vertreten durch Univ.-Prof. Dr. Friedrich Harrer, Dr. Iris Harrer-Hörzinger, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagte Partei F***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Johann Eder, Dr. Stefan Knaus, Dr. Cornelia Mazzucco, Rechtsanwälte in Salzburg, sowie der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei A***** GmbH *****, vertreten durch Herbst Vavrovsky Kinsky Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 1) 271.865,42 EUR sA (Erstklägerin) und 2) 119.714,08 EUR sA (Zweitklägerin), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 8. Februar 2012, GZ 1 R 206/11m-62, den

B e s c h l u s s

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

1. Die Revisionswerberin wendet sich gegen die (angebliche) Rechtsauffassung der zweiten Instanz, wonach die Parteien konkludent vereinbart hätten, dass die Beklagte selbst die Prüfung der von ihr gelieferten Ware vorzunehmen habe und dass damit schlüssig die die Erstklägerin als Käuferin treffende Untersuchungspflicht des Art 38 UNK abbedungen worden sei. Eine solche (konkludente) Vereinbarung über die Verlagerung der Prüfungsverpflichtung sei nicht zustande gekommen; die vom Berufungsgericht konkret angenommene Vereinbarung sei überdies nach ihrem Inhalt nicht geeignet, eine „Freizeichnung“ der Erstklägerin von ihrer Untersuchungsobliegenheit gemäß Art 38 UNK zu bewirken.

Rechtliche Beurteilung

Diese Rechtsauffassung hat das Berufungsgericht in der ihm von der Revisionswerberin unterstellten Form allerdings gar nicht vertreten. Vielmehr verwies es auf die zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarungen und auf ihre Handhabung ihrer Geschäftsbeziehung und leitete daraus ab, dass die Erstklägerin nicht zu laufenden Kontrollen verpflichtet war, sondern sich mit stichprobenartigen Kontrollen nach einem standardisierten Verfahren („skip-lot“) beschränken konnte.

Diese Rechtsauffassung ist aus folgenden Überlegungen vertretbar:

2. Primär maßgebend für die Art und Weise der Untersuchung sind die Vereinbarungen der Parteien. Fehlen solche, kann sich die erforderliche Art und Weise der Untersuchung vor allem auch aus Handelsbräuchen und Gepflogenheiten ergeben (RIS-Justiz RS0112467; Schwenzer in Schlechtriem/Schwenzer, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht5 § 38 Rz 11). Die Untersuchungsanforderungen an den Käufer hängen wesentlich von der Natur der Ware, ihrer Menge, ihrer Verpackung und allen weiteren Umständen ab (Schwenzer aaO Art 38 Rz 13). Welche Untersuchungshandlungen dem Käufer jeweils zuzumuten sind, bestimmt sich nach objektiven Gesichtspunkten und den Umständen des Einzelfalls (1 Ob 223/99x; RIS-Justiz RS0112467). Bei Massenwaren ist der Käufer nur zur Untersuchung einer angemessenen Zahl von Stichproben verpflichtet (Magnus in Honsell, Kommentar zum UN-Kaufrecht² Art 38 Rz 16). Zwar dient Art 38 UNK dem Ziel - und damit vorrangig dem Interesse des Verkäufers - schnell Klarheit darüber zu schaffen, ob ordnungsgemäß erfüllt wurde. Allerdings dürfen bei der Anwendung der Bestimmung keine überzogenen Anforderungen an die Untersuchung aufgestellt werden, weil andernfalls ohne rechtfertigenden Grund dem Käufer das Risiko von Warenmängeln zugeschoben werden würde (Magnus in Honsell aaO, Art 38 Rz 5).

Dementsprechend können die Untersuchungsanforderungen ganz oder teilweise reduziert sein, wenn der Verkäufer das Vertrauen in eine bestimmte Warenbeschaffenheit geweckt und der Käufer deshalb keine Veranlassung hat, den Fortbestand der bislang als selbstverständlich angesehenen Beschaffenheitsmerkmale laufend zu überprüfen. Gleiches gilt, wenn der Käufer davon ausgehen kann, dass die Ware - gegebenenfalls sogar aufgrund bestehender Qualitätssicherungsvereinbarungen - bereits eine zuverlässige Qualitätskontrolle durchlaufen hat (vgl dazu Achilles, UN-Kaufrecht/CISG Art 38 Rz 4).

3. Hier bestanden die Geschäftsbeziehungen zwischen der Erstklägerin und der Beklagten bereits seit Mitte der 1990er Jahre. Die Beklagte übermittelte mit den ersten Lieferungen seit 2002 der Erstklägerin Werkszeugnisse, in denen die Messergebnisse von Prüfversuchen vermerkt waren. Fehlten solche Werkszeugnisse, forderte sie die Erstklägerin ein. Ab Anfang 2004 übermittelte die Beklagte sogenannte Konformitätsbescheinigungen mit den Lieferungen, in denen die Prüfung und Kontrolle der gelieferten Artikel gemäß den technischen Anforderungen der ECE-Vorschrift Nr 16 bestätigt wurde. Auch in diesen Zertifikaten wurden Zugversuche mit Messergebnissen angeführt, sodass die Erstklägerin davon ausging, dass die Produkte einer Prüfung unterzogen wurden und der ECE-Vorschrift entsprachen. Ab August 2004 verwendete die Beklagte Konformitätsbescheinigungen, die zwar keine technischen Daten mehr enthielten, in denen aber ebenfalls die Konformität der gelieferten Teile mit den ECE-Vorschriften für Automobilsicherheitsgurte bescheinigt wurden.

Die Erstklägerin durfte daher grundsätzlich der Beklagten als bewährte Lieferantin, die überdies im selben Geschäftsfeld wie sie tätig war und selbst Autogurte herstellte, vertrauen. Umstände, die das Vertrauen der Erstklägerin in die Beklagte hätten erschüttern können, sodass sie allenfalls zu genauerer oder regelmäßigerer Untersuchung verpflichtet gewesen wäre (vgl Achilles aaO, Art 38 Rz 4; Magnus aaO Art 38 Rz 33), hat das Verfahren nicht ergeben. Insbesondere hat die Beklagte der Erstklägerin auch nicht mitgeteilt, dass sie in den Jahren 2003 bis 2005 auf die Eigenproduktion der bis dahin von einem dritten Hersteller bezogenen Retraktoren umgestiegen war und ab März 2006 nicht mehr lasergeschnittene, sondern gestanzte Flywheels verwendete.

Im Übrigen steht fest, dass die verfahrensgegenständlichen Mängel durch eine bloße Sichtkontrolle nicht erkennbar waren. Ebenso steht fest, dass laufende Kontrollen bei maschineller Durchführung mit der Zerstörung der geprüften Gurte einhergehen. Fest steht auch, dass die Klägerin die nach dem Skip-Lot-Verfahren verlangten stichprobenartigen Untersuchungen im vorgesehenen Ausmaß und nach den dafür vorgesehenen Regeln durchgeführt hat.

4. Wie bereits ausgeführt, richtet sich die Beantwortung der Frage, welche Untersuchungshandlungen dem Käufer jeweils zuzumuten sind, nach objektiven Gesichtspunkten und den Umständen des Einzelfalls (1 Ob 223/99x; RIS-Justiz RS0112467). Unter den eben dargestellten Umständen erweist sich die dazu hier vom Berufungsgericht vertretene Rechtsauffassung, dass der Beklagten laufende Überprüfungen nicht zumutbar waren, sondern sie sich auf die stichprobenartigen Kontrollen nach dem Skip-Lot-Verfahren beschränken konnte, als durchaus vertretbar.

Die Revision war daher zurückzuweisen.

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