OGH 12Os60/12h

OGH12Os60/12h26.6.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. Juni 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs, Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel‑Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Temper als Schriftführerin in der Strafsache gegen Ziya H***** wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15 Abs 1, 75 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Jugendgeschworenengericht vom 15. März 2012, GZ 10 Hv 3/12g‑61, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Ziya H***** des Verbrechens des Mordes nach §§ 15 Abs 1, 75 StGB (I./) sowie des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (II./) schuldig erkannt.

Danach hat er am 1. Oktober 2011 in Steyr

1./ Sadiq A***** durch Versetzen von zumindest fünf Messerstichen in den Rücken und gegen den Oberkörper, welche zwei Stichwunden am Rücken links (wobei insbesondere eine Stichwunde zu einer Öffnung des Brustraums und einem Hämatopneumothorax, somit zu einer lebensgefährlichen Verletzung des linken Lungenunterlappens führte), zwei Stichwunden am Unterarm links, sowie eine Stichwunde im Schulterbereich rechts vorne, Schnittwunden an der Scheitel‑/Hinterhauptregion links und am rechten Unterarm sowie Hauterosionen im Bereich des linken Oberbauchs vorne, an der linken Flanke sowie am linken Unterarm zur Folge hatten, zu töten versucht;

2./ eine fremde Sache, und zwar den Laptop des Sadiq A***** und des Morteza E***** dadurch beschädigt, dass er ihn zu Boden warf, wobei ein Schaden in der Höhe von 699 Euro entstand.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf Z 5, 8 und 10a des § 345 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

Die Verfahrensrüge (Z 5) wendet sich, obwohl von keinem Geschworenen ein bei der Abstimmung unterlaufenes Missverständnis behauptet wurde, gegen die Abweisung des Antrags des Beschwerdeführers, den Laienrichtern die Verbesserung des Wahrspruchs aufzutragen. Damit verfehlt sie den Bezugspunkt des Nichtigkeitsgrundes, der auf in der Hauptverhandlung gestellte Anträge abzielt, während das Moniturverfahren außerhalb derselben stattfindet (§§ 319, 340 Abs 1 StPO; RIS-Justiz RS0116945). Die Ablehnung von im Rahmen der Anhörung nach § 332 Abs 4 StPO gestellten Anträgen, den Geschworenen die Verbesserung des Wahrspruchs aufzutragen, ist unter dem Blickwinkel der Z 5 des § 345 Abs 1 StPO nicht von Bedeutung.

Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer gemäß § 332 Abs 5 StPO eine Änderung oder Ergänzung der Fragen beantragen hätte können, worauf der Schwurgerichtshof die Verhandlung wieder zu eröffnen und nach § 310 Abs 3 und 4 StPO vorzugehen gehabt hätte. Lediglich dann wären dem Angeklagten gegen die Abweisung eines derartigen Antrags die allgemeine Verfahrensrüge nach § 345 Abs 1 Z 5 StPO, allenfalls der Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 6 StPO wegen Verletzung der Vorschriften über die Fragestellung offen gestanden (vgl Ratz, WK‑StPO § 345 Rz 75).

Die Unterlassung eines Verbesserungsauftrags steht lediglich bei Behauptung eines Missverständnisses durch einen oder mehreren Geschworene (§ 345 Abs 1 Z 10 StPO) oder innerem Widerspruch des Wahrspruchs (§ 345 Abs 1 Z 9 StPO), nicht aber bei einem Widerspruch zwischen Wahrspruch und Niederschrift unter Nichtigkeitssanktion.

Der ungeachtet Fehlens eines Verbesserungsauftrags vom Beschwerdeführer inhaltlich behauptete Widerspruch zwischen Niederschrift (§ 331 Abs 3 StPO) und Wahrspruch ist unter dem Aspekt der Nichtigkeitsgründe bedeutungslos (RIS-Justiz RS0118546). Ein Eingehen auf das weitere mit der Abweisung des Antrags verbundene Vorbringen der Verfahrensrüge erübrigt sich demnach.

Aus welchem Grund der Zweifelsgrundsatz (§ 14 StPO), der Gegenstand der ‑ ausdrücklich erst im Anschluss an die Rechtsbelehrung ‑ nach § 323 Abs 2 StPO abzuhaltenden Besprechung (ua) über das Wesen der freien Beweiswürdigung ist, Inhalt der Rechtsbelehrung hätte sein müssen, legt die Instruktionsrüge (Z 8) nicht dar (vgl RIS‑Justiz RS0098508).

Das weitere Vorbringen (Z 10a) übersieht, dass den Geschworenen keine „anfechtungsfeste“ Begründung ihres Wahrspruchs, somit keine ausdrückliche beweiswürdigende Auseinandersetzung mit widersprechenden Verfahrensergebnissen abverlangt wird (Philipp, WK‑StPO § 331 Rz 6). Da die Niederschrift der Geschworenen (§ 331 Abs 3 StPO) nicht zu deren Wahrspruch gehört, kann sie nicht Anknüpfungspunkt einer Tatsachenrüge sein (RIS‑Justiz RS0115549 [T1]). Aus dem Inhalt der in § 331 Abs 3 StPO bezeichneten Niederschrift der Geschworenen können keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch festgestellten entscheidenden Tatsachen abgeleitet werden, weil die Niederschrift nicht iSd § 345 Abs 1 Z 10a StPO zu „den Akten“ zählt (RIS‑Justiz RS0115549).

Mit dem Hinweis auf ein angeblich widersprüchliches Aussageverhalten des Tatzeugen Sadiq A*****, Verletzungsbilder der am Tatgeschehen Beteiligten, mit isoliert wiedergegebenen Passagen des Gutachtens des Sachverständigen Dr. Ha***** sowie eigenen Überlegungen zum Tatablauf vermag die Tatsachenrüge (Z 10a) keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch festgestellten entscheidenden Tatsachen zu wecken, sondern verkennt den von einer Schuldberufung verschiedenen Anfechtungsrahmen.

Der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass an die Geschworenen (richtig:) Zusatzfragen (und nicht wie in der Urteilsausfertigung irrtümlich angeführt Eventualfragen) gestellt wurden. Mehrere Strafausschließungsgründe im prozessualen Sinn (hier: Notwehr, Notwehrüberschreitung, Putativnotwehr und Putativnotwehrüberschreitung) sind in einer alternativen Zusatzfrage zusammenzufassen, um den Willen der Mehrheit der Geschworenen auch bei unterschiedlicher Beantwortung der einzelnen Fragen zweifelsfrei Ausdruck zu verleihen (vgl RIS‑Justiz RS0089823). Dies verkennt die Rüge, indem sie die Erwägungen der Geschworenen zu den einzelnen Strafausschließungsgründen in einem Gesamtzusammenhang kritisiert.

Soweit der gegen das ganze Urteil gerichtete Aufhebungsantrag auch den Schuldspruch 2./ erfasst, ist auf die Beschwerde keine Rücksicht zu nehmen, weil der Nichtigkeitswerber insofern weder bei der Anmeldung noch im Rahmen der Ausführung der Beschwerde Nichtigkeitsgründe einzeln und bestimmt bezeichnete (§ 285 Abs 1 zweiter Satz iVm §§ 285a Z 2, 44 StPO).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher ‑ in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO). Daraus folgt die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§§ 285i, 344 StPO).

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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