OGH 1Ob105/12s

OGH1Ob105/12s22.6.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anna F*****, vertreten durch Mag. Marc Pfletschinger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Wolfgang K*****, vertreten durch Dr. Franz Unterasinger, Rechtsanwalt in Graz, wegen Räumung, über die „außerordentliche“ Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Berufungsgericht vom 15. März 2012, GZ 13 R 234/11a-16, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Güssing vom 8. August 2011, GZ 2 C 1/11s-12, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Akten werden dem Erstgericht zurückgestellt.

Text

Begründung

Die Klägerin begehrte vom Beklagten die Räumung ihrer Liegenschaft samt darauf errichtetem Gebäude wegen titelloser Benützung. Sie habe die Bittleihe widerrufen bzw den Leihvertrag zum 31. 12. 2010 gekündigt. Ein Fruchtgenussrecht des Beklagten sei nie vereinbart worden.

Die Vorinstanzen gaben dem Räumungsbegehren statt. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Dagegen erhob der Beklagte eine „außerordentliche“ Revision, die vom Erstgericht unmittelbar dem Obersten Gerichtshof vorgelegt wurde.

Rechtliche Beurteilung

Die Aktenvorlage ist verfehlt.

Nach § 502 Abs 3 ZPO ist die Revision - außer im Fall des § 508 Abs 3 ZPO - jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand an Geld oder Geldeswert zwar 5.000 EUR, nicht aber insgesamt 30.000 EUR übersteigt und das Berufungsgericht die ordentliche Revision nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO - wie hier - für nicht zulässig erklärt hat. Unter diesen Voraussetzungen kann jedoch eine Partei nach § 508 Abs 1 und 2 ZPO binnen vier Wochen nach der Zustellung des Berufungsurteils den beim Erstgericht (§ 508 Abs 2 erster Satz ZPO) einzubringenden Antrag an das Berufungsgericht stellen, seinen Ausspruch dahin abzuändern, dass die ordentliche Revision doch für zulässig erklärt werde; ein solcher Antrag, der mit der ordentlichen Revision zu verbinden ist, muss die Gründe dafür anführen, warum entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 502 Abs 1 ZPO die ordentliche Revision für zulässig erachtet wird.

Diese Bestimmungen gelten gemäß § 502 Abs 5 Z 2 ZPO unter anderem nicht „für die unter § 49 Abs 2 Z 5 JN fallenden Streitigkeiten, wenn dabei über eine Kündigung, über eine Räumung oder über das Bestehen oder Nichtbestehen des Vertrags entschieden wird“. § 49 Abs 2 Z 5 JN erfasst „alle Streitigkeiten aus Bestandverträgen über die im § 560 ZPO bezeichneten Sachen und mit ihnen in Bestand genommene bewegliche Sachen sowie aus genossenschaftlichen Nutzungsverträgen (§ 1 Abs 1 MRG) und aus dem im § 1103 ABGB bezeichneten Vertrag über solche Sachen einschließlich der Streitigkeiten über die Eingehung, das Bestehen und die Auflösung solcher Verträge, die Nachwirkungen hieraus und wegen Zurückhaltung der vom Mieter oder Pächter eingebrachten oder der sonstigen dem Verpächter zur Sicherstellung des Pachtzinses haftenden Fahrnisse, schließlich Streitigkeiten zwischen wem immer über verbotene Ablösen (§ 27 MRG)“.

Vom klaren Wortlaut erfasst werden daher nur Streitigkeiten aus Bestandverträgen, genossenschaftlichen Nutzungsverträgen und Teilpachtverträgen, wobei nach herrschender Auffassung die (Zuständigkeits-)Bestimmung des § 49 Abs 2 Z 5 JN - und damit gleichermaßen die darauf ausdrücklich bezugnehmende Ausnahme vom Revisionsausschluss nach § 502 Abs 5 Z 2 ZPO - nicht ausdehnend ausgelegt werden darf (3 Ob 36/10f; 7 Ob 130/11k, jeweils mwN). Diese Bestimmungen sind daher nur auf reine Bestand-, Nutzungs- oder Teilpachtverträge, nicht aber auf gemischte oder mietähnliche Verhältnisse anzuwenden (RIS-Justiz RS0043261 [T10]); so auch nicht auf ein Benutzungsverhältnis aus einer persönlichen Dienstbarkeit des Wohnungsrechts oder eine jederzeit widerrufliche Benützungsvereinbarung (3 Ob 36/10f mwN). Räumungsklagen sind daher nur dann als Bestandstreitigkeiten im Sinn des § 49 Abs 2 Z 5 JN anzusehen, wenn sie aus der Beendigung eines Bestand-, Nutzungs- oder Teilpachtverhältnisses resultieren (vgl RIS-Justiz RS0122891), nicht hingegen, wenn sie sich auf die Benützung ohne Rechtsgrund beziehen (RIS-Justiz RS0043261 [T9]; RS0046865).

Für die Frage, ob der im § 502 Abs 5 Z 2 ZPO angeführte Ausnahmefall einer streitwertunabhängigen Revisionszulässigkeit vorliegt, ist grundsätzlich von den Behauptungen der Klägerin auszugehen (RIS-Justiz RS0043003; vgl auch RS0046236 [T2]). Der Rechtsstreit dient nicht der Durchsetzung eines Räumungsbegehrens unter Berufung auf die Beendigung eines Schuldverhältnisses nach § 49 Abs 2 Z 5 JN, sondern vielmehr der Beendigung einer behaupteten rechtsgrundlosen Benützung der Liegenschaft der Klägerin. Die Klägerin behauptete auch nicht die Rechtsunwirksamkeit von Bestandverträgen über das vom Räumungsbegehren erfasste Objekt. Demgemäß hat das Berufungsgericht zutreffend eine Bewertung des Entscheidungsgegenstands nach § 500 Abs 2 Z 1 ZPO vorgenommen (zu allem 3 Ob 36/10f; 7 Ob 130/11k).

Im Hinblick auf die dargestellte Rechtslage war der Rechtsmittelschriftsatz nicht dem Obersten Gerichtshof vorzulegen. Dieser darf über das Rechtsmittel nur und erst dann entscheiden, wenn das Gericht zweiter Instanz gemäß § 508 Abs 3 ZPO ausgesprochen hat, dass ein ordentliches Rechtsmittel doch zulässig sei (RIS-Justiz RS0109501; RS0109623). Dies gilt auch dann, wenn der Revisionswerber - wie hier - im Schriftsatz nicht im Sinn des § 508 Abs 1 ZPO den Antrag auf Abänderung des Ausspruchs des Berufungsgerichts gestellt hat, weil dieser Mangel nach § 84 Abs 3 ZPO verbesserungsfähig ist (RIS-Justiz RS0109623).

Da - solange der Zulassungsausspruch durch das Berufungsgericht nicht abgeändert wird - dem Obersten Gerichtshof die funktionelle Zuständigkeit fehlt, wird das Rechtsmittel des Beklagten vom Erstgericht dem Berufungsgericht vorzulegen sein.

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