OGH 8ObA26/12z

OGH8ObA26/12z30.5.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger und Mag. Wolfgang Kozak als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei F***** K*****, vertreten durch Dr. Michael Günther, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei V***** GmbH, *****, vertreten durch die Dr. Borns Rechtsanwalts GmbH in Gänserndorf, wegen 16.419,67 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 25. Jänner 2012, GZ 9 Ra 151/11h‑52, mit dem das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 14. März 2011, GZ 4 Cga 159/09v‑46, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.049,04 EUR (darin enthalten 174,84 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Kläger war ab 1. 4. 2003 Geschäftsführer der Beklagten. Am 19. 12. 2006 wurde ein zweiter (ebenfalls alleinzeichnungsbefugter) Geschäftsführer der Beklagten bestellt. Mit Gesellschafterbeschluss vom 20. 8. 2009 wurde der Kläger als Geschäftsführer abberufen; am 28. 8. 2009 wurde er entlassen.

Um den Gewinn für das Jahr 2006 zu kürzen, ließ der zweite Geschäftsführer in die Bilanz eine Scheinrechnung einbuchen. Ab Herbst 2008 beabsichtigte der Kläger, aus der Beklagten auszuscheiden. Ab April 2009 wurden darüber Gespräche geführt, wobei das Vorliegen einer berichtigten Bilanz als Voraussetzung für das Ausscheiden des Klägers genannt wurde. Am 26. 8. 2009, als der Kläger von der Abberufung als Geschäftsführer in Kenntnis gesetzt wurde, sprach er mit dem ehemaligen Steuerberater der Beklagten ab, aus Anlass der unrichtigen Bilanz eine Selbstanzeige bei der Steuerbehörde zu erstatten. Zu diesem Zweck überwies er vom Konto der Beklagten den vom Steuerberater genannten Betrag auf ein Treuhandkonto seines Rechtsvertreters mit dem Hinweis, das Geld nur für die fragliche Steuerschuld zu verwenden. Der nach Berichtigung der Steuerschuld verbliebene Betrag wurde an die Beklagte zurücküberwiesen.

Der Kläger begehrte Kündigungsentschädigung vom 1. 9. 2009 bis 31. 12. 2009 sowie Urlaubsersatzleistung aus dem Titel der Kündigungsentschädigung. Seine Entlassung sei unberechtigt erfolgt.

Die Beklagte entgegnete, dass die Entlassung gerechtfertigt gewesen sei, weil der Kläger entgegen den internen Vereinbarungen, wonach alle Zahlungen von zwei Geschäftsführern freigegeben werden müssten, eigenmächtig einen größeren Geldbetrag vom Geschäftskonto der Beklagten behoben habe. Durch die von ihm angedrohte Selbstanzeige bei der Steuerbehörde habe er den zweiten Geschäftsführer unter Druck gesetzt, um die Bedingungen für sein Ausscheiden durchzusetzen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die eigenmächtige Abbuchung vom Geschäftskonto stelle keinen Entlassungsgrund dar, weil der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Mangels vorsätzlichen Verstoßes gegen die dienstlichen Interessen der Beklagten komme der Entlassungsgrund der Untreue nicht in Betracht. Der Beklagten sei zudem kein Schaden entstanden, weil die Körperschaftssteuer ohnedies von ihr zu zahlen gewesen wäre. Auch der Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit sei durch die eigenmächtige Überweisung des Klägers nicht verwirklicht worden. Der Geschäftsführer sei für die Einhaltung der abgabenrechtlichen Vorschriften verantwortlich. Er sei daher unmittelbarer Täter bzw Mittäter iSd § 11 FinStrG. Ein an einem vorsätzlich begangenen Finanzvergehen Beteiligter hafte für die hinterzogenen Beträge als Gesamtschuldner iSd § 11 BAO „primär“. Darüber hinaus treffe den Geschäftsführer für die verkürzte Körperschaftssteuer eine Ausfallshaftung nach § 9 BAO. Der Kläger hätte Grund zur Befürchtung gehabt, als Beteiligter an einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung angeklagt und bestraft zu werden. Aufgrund dieser speziellen Konstellation sei kein Entlassungsgrund verwirklicht. Die Revision sei zulässig, weil zur Frage, ob die Entlassung eines für eine unrichtige Steuererklärung verantwortlichen Geschäftsführers wegen Vertrauensunwürdigkeit berechtigt sei, wenn dieser im Zusammenhang mit einer Selbstanzeige zur Erlangung der Straffreiheit für eine Zahlung nach § 29 Abs 2 FinStrG einen größeren Geldbetrag vom Konto des Arbeitgebers auf ein Anderkonto seines Rechtsvertreters überweise, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie die Abweisung des Klagebegehrens anstrebt.

Mit seiner Revisionsbeantwortung beantragt der Kläger, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden ‑ Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision der Beklagten mangels Aufzeigens einer entscheidungsrelevanten Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

1. Trotz Zulässigerklärung der Revision durch das Berufungsgericht muss der Rechtsmittelwerber die Revision ausführen und eine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen. Macht er hingegen nur solche Gründe geltend, deren Erledigung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage abhängt, so ist das Rechtsmittel ungeachtet des Zulässigkeitsausspruchs zurückzuweisen (8 Ob 19/12w). Zudem begründet der Umstand, dass zu einem konkreten Sachverhalt keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliegt, noch keine erhebliche Rechtsfrage. Im Fall der bloßen Anwendung bereits vorhandener Rechtsprechungsgrundsätze auf einen konkreten Sachverhalt können nur grobe Subsumtionsfehler eine Anrufung des Obersten Gerichtshofs rechtfertigen (RIS‑Justiz RS0102181).

2.1 Die vom Berufungsgericht als erheblich qualifizierte Rechtsfrage kann abstrakt nicht beantwortet werden. Vielmehr kommt es für die Beurteilung der Berechtigung der Entlassung (hier) wegen allfälliger Untreue oder Vertrauensunwürdigkeit auf die konkrete Pflichtverletzung an, die durch die Umstände des Einzelfalls geprägt ist (RIS‑Justiz RS0029420; RS0103201).

2.2 Die Ansicht der Beklagten, wonach sich der Kläger der Untreue nach § 153 StGB schuldig oder zumindest verdächtig gemacht und dieser ausschließlich sein eigenes Wohl im Auge gehabt und seine persönlichen Interessen verfolgt habe, erweist sich ausgehend von den Feststellungen als nicht stichhaltig. Die Einbuchung der Scheinrechnung wurde nicht vom Kläger veranlasst. Die „Richtigstellung“ der Bilanz wurde sogar als Voraussetzung für das vom Kläger beabsichtigte Ausscheiden aus der Gesellschaft genannt. Die Selbstanzeige bei der Finanzbehörde war mit dem ehemaligen Steuerberater der Beklagten abgesprochen. Der vom Geschäftskonto der Beklagten abgebuchte Betrag wurde zur Begleichung der Steuerschuld der Beklagten auf ein Treuhandkonto eines Rechtsanwalts überwiesen. Die Steuerschuld wurde auch tatsächlich beglichen; der Restbetrag wurde an die Beklagte zurückgezahlt. Schließlich geht die Beklagte in der Revision selbst davon aus, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Überweisung noch Geschäftsführer der Beklagten war und es ihm zugekommen ist, den Mangel im Jahresabschluss 2006 zu „berichtigen“.

Mit Rücksicht auf die finanzstrafrechtliche Verantwortung des Klägers für die in Rede stehende Abgabenverkürzung und seine persönliche Haftung für die Abgabenschuld der Beklagten stellt die Verneinung des Vorliegens eines Entlassungsgrundes durch die Vorinstanzen keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung dar. Gegen die Verneinung des Vorliegens eines Vermögensschadens (als Tatbestandsmerkmal nach § 153 StGB) wendet sich die Beklagte gar nicht. Schon in der Berufung hat die Beklagte nicht in Frage gestellt, dass die (verkürzte) Steuerschuld von ihr zu begleichen war. Die Beklagte vermag auch nicht schlüssig darzulegen, warum nach der Verkehrsauffassung für sie die gerechtfertigte Befürchtung bestanden haben soll, dass aufgrund der in Rede stehenden Überweisung ihre Belange gefährdet werden. Dem Hinweis des Berufungsgerichts, dass die (pflichtwidrige, weil nicht durch zwei Geschäftsführer freigegebene) Abbuchung durch die Bilanzmanipulation des zweiten Geschäftsführers „mitverursacht“ worden sei, kommt entgegen den Überlegungen in der Revision keine eigenständige Bedeutung zu.

3. Insgesamt gelingt es der Beklagten nicht, mit ihren Ausführungen in der Revision eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO; der Kläger hat in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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