OGH 9ObA42/12k

OGH9ObA42/12k30.4.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichthofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter MMag. Dr. Helwig Aubauer und Dr. Heinrich Ehmer in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei I***** Z*****, vertreten durch Dr. Rolf Schuhmeister, Dr. Walter Schuhmeister, Rechtsanwälte in Schwechat, wider die beklagte Partei E*****gesmbH, *****, vertreten durch Dr. Rainer Kornfeld, Rechtsanwalt in Wien, wegen 20.871,21 EUR brutto abzüglich 1.473 EUR netto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 17. Jänner 2012, GZ 8 Ra 145/11v-13, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Die seit 1997 bei der Beklagten beschäftigte Klägerin führte deren Entsorgungsbetrieb nahezu selbständig, weil sich der Geschäftsführer immer weiter zurückgezogen hatte. Nach Eintritt seiner Frau ins Unternehmen kam es vermehrt zu Differenzen. Am 23. 9. 2010 stellte der Geschäftsführer die Klägerin unter Hinweis, dass er sie jederzeit kündigen oder „feuern“ könnte, bis zum Antritt ihres bereits vereinbarten Urlaubs dienstfrei. Die Frau des Geschäftsführers forderte die Klägerin auf, ihren Schreibtisch zu räumen und den Schlüssel zu übergeben. Anfang Oktober erhielt die Klägerin ein Schreiben, mit dem die „Kündigung vom 23. 9. 2010“ bestätigt wurde. In der Folge half sie ihrem ebenfalls im Bereich Abfallsammlung und -verwertung tätigen Ehemann insoweit, als sie ein Inserat für eine Arbeitskraft aufgab und ihm bei Fragen der Buchhaltung und des Steuerwesens behilflich war, ohne im Betrieb beschäftigt oder gemeldet gewesen zu sein. Als der Geschäftsführer der Beklagten das Inserat sah, sprach er mit Schreiben vom 8. 11. 2010 die Entlassung aus.

Die Vorinstanzen gaben dem Begehren der Klägerin auf Zahlung von 20.871,21 EUR brutto abzüglich einer ungewidmeten Teilzahlung von 1.473 EUR netto mangels eines Entlassungsgrundes statt.

Dazu zeigt die Beklagte keine Rechtsfrage von der Bedeutung des § 502 Abs 1 ZPO auf.

Rechtliche Beurteilung

1. Die Auslegung von Willenserklärungen stellt stets eine Frage des Einzelfalls dar, die - von Fällen krasser Fehlbeurteilung abgesehen - keine revisible Rechtsfrage zu begründen vermag (RIS-Justiz RS0042555, RS0042776 ua). Auch das Vorliegen der Voraussetzungen für eine gerechtfertigte vorzeitige Auflösung des Dienstverhältnisses kann immer nur aufgrund der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (RIS-Justiz RS0106298 [T1]; vgl auch RS0103201).

2. Die Ansicht der Vorinstanzen, dass die Klägerin nicht schon am 23. 9. 2010 (schlüssig) gekündigt wurde, ist nach den Umständen des Falls vertretbar: Isoliert betrachtet könnte zwar die an die Klägerin gerichtete Aufforderung der Frau des Geschäftsführers, den Schreibtisch zu räumen und die Schlüssel zurückzugeben, durchaus als Kündigungserklärung gewertet werden. Hier aber wies der Geschäftsführer die Klägerin an jenem Tag darauf hin, sie jederzeit kündigen oder „feuern“ zu können. Dennoch stellte er sie - selbst in Kenntnis der Aufforderung seiner Frau - zunächst nur bis zu ihrem Urlaub dienstfrei.

3. Der Entlassungsgrund des § 27 Z 3 AngG zweiter Fall ist verwirklicht, wenn der Angestellte im Geschäftszweig des Dienstgebers für eigene oder fremde Rechnung Handelsgeschäfte macht. Dieser Entlassungsgrund dient der Absicherung des Konkurrenzverbots nach § 7 Abs 1 zweiter Fall AngG, demzufolge Angestellte im Geschäftszweig des Dienstgebers keine Handelsgeschäfte für eigene oder fremde Rechnung machen dürfen.

Nach der Rechtsprechung sind als „Handelsgeschäfte“ im Sinne dieser Bestimmungen nur Handelsgeschäfte nach Art 271 und 272 des (zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des AngG in Geltung gestandenen) AHGB idF vor der Novelle 1928 zu verstehen (RIS-Justiz RS0029469; zuletzt 9 ObA 45/07v). Danach sind Handelsgeschäfte ua der Verkauf oder die anderweitige Anschaffung von Waren oder anderen beweglichen Sachen, um sie weiterzuveräußern, und die Übernahme einer Lieferung von Gegenständen der unter Z 1 bezeichneten Art, welche der Unternehmer zu diesem Zweck angeschafft hat. Anschaffung und Weiterveräußerung müssen miteinander in einem zweckgerichteten Zusammenhang stehen (Kuderna, Entlassungsrecht² 99). Diese Judikatur steht auch im Einklang mit der herrschenden Lehre (zB Floretta/Spielbüchler/Strasser, Arbeitsrecht4 I 195; Löschnigg, Arbeitsrecht11 318; Tomandl/Schrammel, Arbeitsrecht6 II 201; Burgstaller/Preyer in Marhold/Burgstaller/Preyer, AngG § 7 Rz 30 ff; Pfeil in ZellKomm I2 § 7 AngG Rz 11; Lindmayr, AngG § 7 Rz 77).

4. Auf die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob die Bestimmung des § 7 AngG nach Art XXX Abs 2 BGBl I Nr 120/2005 (Handelsrechtsreform) aufgrund der Änderung der „Handelsgeschäfte“ in „unternehmensbezogene Geschäfte“ in §§ 343 ff UGB einer Neuinterpretation bedarf (so Resch in Löschnigg, AngG I8 § 7 Rz 15; aA Felten, Angestellter, Kaufmann, Unternehmer - Die Auswirkungen des UGB auf das AngG, RdW 2007, 220, 224 f), kommt es nicht an: Die Unterstützung durch die Klägerin bei der Buchhaltung ihres Ehemannes ist mangels einer rechtsgeschäftlichen Tätigkeit per se nicht geeignet, das „Machen eines Handelsgeschäftes“, dh den Abschluss oder die Effekturierung eines Handelsgeschäftes (Pfeil in ZellKomm aaO Rz 12) darzustellen. Für eine solche Subsumtion eignet sich auch ein „unternehmensbezogenes Geschäft“ nicht. Die Ansicht, dass die Klägerin mit der Aufgabe eines Inserates nicht den genannten Entlassungsgrund verwirklichte, bedarf im vorliegenden Fall schon angesichts des für eine Beeinträchtigung der geschäftlichen Interessen der Beklagten fehlenden Gewichts dieser Handlung keiner Korrektur. Das spricht auch gegen die Verwirklichung des Entlassungsgrundes der Vertrauensunwürdigkeit iSd § 27 Abs 1 AngG.

Die Revision ist daher zurückzuweisen.

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