OGH 8Ob96/11t

OGH8Ob96/11t24.4.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner sowie die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten, gegen die beklagte Partei R***** AG, *****, vertreten durch Dr. Dieter Zaponig, Rechtsanwalt in Graz, wegen 9.561 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 11. Mai 2011, GZ 6 R 77/11d-17, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 7. Dezember 2010, GZ 206 C 743/10a-13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin schloss als Auftraggeberin mit einer Baugesellschaft einen Werkvertrag ab und leistete dafür vereinbarungsgemäß eine Vorauszahlung von 4.116.098 EUR. Zur Sicherung dieser Vorausleistung erhielt sie eine von der Beklagten am 13. 7. 2009 ausgestellte Bankgarantie bis zum Höchstbetrag der Anzahlung.

Diese Garantie enthielt folgende Bestimmung: „Die Haftungssumme vermindert sich weiters um den jeweiligen in der monatlichen Leistungsabnahmeerklärung zwischen der Firma (...) GesmbH Nfg KG als Auftragnehmer und der (...) GmbH & Co KG als Auftraggeber ausgewiesenen Betrag. Die Leistungsabnahmeerklärung ist durch den Auftraggeber der (...) GmbH & Co KG firmenmäßig laut aufliegender Musterzeichnung zu unterfertigen. In Übereinstimmung mit dem Werkvertrag vom 27. 5. 2009 wird nach Prüfung der firmenmäßigen Unterschrift am monatlichen Leistungsabnahmeverzeichnis um die namhaft gemachten Beträge die Haftungssumme vermindert.

Mit Schreiben vom 27. 8. 2009 teilte der Geschäftsführer der Klägerin dem Sachbearbeiter der Beklagten mit: „... für die Vorauszahlung von € 4.125.660,00 hat die KG von ihrem Institut eine Bankgarantie in der Höhe von € 4.125.660,00 erhalten. Gemäß beiliegendem Leistungsprotokoll vom 31. 7. 2009 ersuchen wir Sie nun, diese Bankgarantie um € 240.814,80 auf € 3.884.845,20 zu reduzieren (...)“. Diesem Schreiben lag auch das Rechnungsprüfblatt bei, weiters eine Zusammenstellung, in der von zwei Teilrechnungen und von einer Reduktion um 240.814,80 EUR bei einer Garantiesumme von 4.125.660 EUR die Rede war.

Im September 2009 wurde über das Vermögen der Auftragnehmerin der Konkurs eröffnet. Die Klägerin rief daraufhin am 25. 2. 2010 die Garantie ab. Die Beklagte bezahlte der Klägerin die um 240.814,80 EUR reduzierte ursprüngliche Garantiesumme, nämlich 3.875.282,20 EUR aus.

Die Klägerin begehrt die Differenz zwischen der Garantiezahlung und dem in ihrem Schreiben vom 27. 8. 2009 genannten Betrag von 3.884.845,20 EUR, dies mit der Begründung, sie habe einer Reduktion der Garantiesumme eindeutig nur bis zu diesem Betrag zugestimmt. Die Beklagte wäre jedenfalls vertraglich verpflichtet gewesen, sie auf einen Irrtum über die Höhe der Garantiesumme aufmerksam zu machen.

Die Beklagte bestritt den Anspruch unter Verweis auf den Wortlaut der Garantie.

Das Erstgericht wies die Klage zur Gänze ab. Die Leistungspflicht aufgrund einer Bankgarantie sei abstrakt und unabhängig vom Grundgeschäft. Die Beklagte hätte daher nicht einmal überprüfen dürfen, wie es um das Grundgeschäft zwischen der Auftragnehmerin und der Klägerin bestellt war, sondern habe sich allein auf die Rechtmäßigkeit des Abrufens beschränken müssen. Der Abzug der bestätigten Teilrechnungssumme vom Höchstbetrag habe den Garantiebedingungen entsprochen. Der Beklagten könne auch keine Verletzung von Warn- und Aufklärungspflichten gegenüber der Klägerin vorgeworfen werden.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im klagsstattgebenden Sinn ab. Eine Garantiebank sei im Fall von Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Garantieabrufs nach ständiger Rechtsprechung gehalten, vertretbar erscheinende Maßnahmen zu ergreifen, um die Zweifel entweder zu beseitigen oder zu erhärten. Sie habe im Rahmen ihrer vertraglichen Nebenpflichten aus dem Geschäftsbesorgungsvertrag dem Begünstigten die Beanstandung einer fehlerhaften Inanspruchnahme unverzüglich mitzuteilen, wenn er dadurch noch die Möglichkeit habe, die Garantie rechtzeitig formgerecht abzurufen. Der Beklagten habe auffallen müssen, dass sich die vereinbarte Garantiesumme von dem im Schreiben der Klägerin vom 27. 8. 2009 genannten Betrag unterschieden habe. Bei gebotener Sorgfalt hätte sie spätestens bei Auszahlung der Garantiesumme mit der Klägerin Rücksprache halten müssen, auf welchen Betrag sich die Garantie tatsächlich reduzieren sollte, wodurch der Mangel rechtzeitig vor Ablauf des Verfallsdatums zu heilen gewesen wäre. Es könne kein Zweifel bestehen, dass die Garantiesumme auf den Betrag von 3.875.283,20 EUR reduziert werden sollte. Im Unterlassen der Nachfrage sei ein Verschulden der Beklagten zu erblicken, sodass sie der Klägerin für den Differenzbetrag hafte.

Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision nachträglich gemäß § 508 ZPO für zulässig, weil begründete Zweifel bestünden, ob die in der Berufungsentscheidung herangezogene Rechtsprechung zum Garantieabruf auf den vorliegenden Fall tatsächlich anwendbar sei.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Klägerin beantwortete Revision der Beklagten ist zulässig und im Sinne ihres Aufhebungsantrags auch berechtigt, weil die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts im vorliegenden Einzelfall einer Korrektur bedarf.

1. Die Revision zeigt zutreffend auf, dass die Ausführungen des Berufungsgerichts zur mangelhaften Inanspruchnahme einer Bankgarantie und damit zusammenhängender vertraglicher Nebenpflichten der Garantin zwar an sich richtig sein mögen, zur Lösung der vorliegenden Rechtsfrage aber nichts beitragen können, weil ein fehlerhafter Abruf der Garantie gar nicht behauptet wurde. Die Beklagte hat vielmehr den Eintritt des Garantiefalls anerkannt und auch Zahlung geleistet, strittig ist nur die Höhe ihrer Verpflichtung.

Nach einhelliger Auffassung handelt es sich bei der Garantie um einen zweiseitig verbindlichen Vertrag, der erst durch die (in der Regel schlüssig erklärte) Annahme des Garantieversprechens durch den Begünstigten zustandekommt. Garantieerklärungen sind daher grundsätzlich nach § 914 ABGB auszulegen (RIS-Justiz RS0033002; Koziol, Garantievertrag, 42; Jud/Spitzer in Graf von Westphalen/Jud [Hrsg], Die Bankgarantie im internationalen Handelsverkehr, 391).

In Lehre und Rechtsprechung wird wegen des abstrakten Charakters der Garantie vom Grundsatz der formellen Garantiestrenge ausgegangen. Im Regelfall ist nur der Text der Garantieerklärung für die Interpretation maßgeblich, weil der Erklärungsempfänger der Garantieerklärung von vornherein keine Bedeutung unterstellen darf, die sich für ihn aus dem Grundverhältnis ergibt (vgl Lindinger, Aktuelle Rechtsprechung zur Bankgarantie, WBl 1992, 137 mwN). Ist der Wortlaut der Garantieerklärung nicht eindeutig, ist nach § 914 ABGB aber auch auf die Absicht der Parteien Bedacht zu nehmen und der Vertrag so auszulegen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht.

Die im vorliegenden Fall gewählte Bedingung, wonach sich die Haftungssumme fortlaufend in jenem Maß reduziert, in dem der Garantieauftraggeber gegenüber dem Begünstigten seine vertragliche Verpflichtung erfüllt hat, ist für eine Anzahlungsgarantie charakteristisch. In dem Umfang, in dem die Anzahlung zweckentsprechend verwendet und die Gegenleistung erbracht wurde, besteht auch kein weiterer Sicherungsbedarf mehr.

Sowohl der von der Beklagten schriftlich zugesagte Garantiehöchstbetrag, wie auch der Wert der von der Werkvertragsnehmerin erbrachten Teilleistungen sind zwischen den Parteien unstrittig. Die Klägerin musste auch einräumen, dass ihre Mitteilung vom 27. 8. 2009, mit dem sie die anerkannte und anrechenbare Teilleistungssumme bekanntgab, insofern unzutreffend war, als der darin angestellten Berechnung der verbleibenden Haftungssumme ein objektiv falscher, mit dem Garantiebrief nicht übereinstimmender Ausgangswert zugrundelag. Die im Garantiebrief enthaltene Regelung, dass „nach Prüfung der firmenmäßigen Unterschrift am monatlichen Leistungsverzeichnis um die“ (nicht: auf die) „namhaft gemachten Beträge die Haftungssumme vermindert“ wird, ist klar und eindeutig, ihre wörtliche Interpretation lässt für den Standpunkt der Klägerin keinen Raum. Die Revision argumentiert völlig zutreffend, dass eine vom Berufungsgericht für erforderlich gehaltene Berichtigung des Fehlers im Schreiben der Klägerin vom 27. 8. 2009 nur im Austausch des falschen Betrags gegen die tatsächlich in der Garantie genannte Haftungssumme bestehen hätte können, wodurch sich aber zwangsläufig auch eine entsprechende Verringerung des verbleibenden Garantiebetrags ergeben hätte.

Im Valutaverhältnis zwischen den Streitteilen stand der Klägerin nur insoweit ein (indirekter) Einfluss auf die Höhe der Garantiesumme zu, als sie von der Anerkennung bzw Nichtanerkennung der von ihrer Auftragnehmerin erbrachten Leistungen abhing. Für ein darüber hinausgehendes Wahlrecht auf Berücksichtigung von weiteren Anzahlungen, die außerhalb des gegenständlichen Garantieverhältnisses geleistet wurden, bietet allein der Wortlaut der Garantieerklärung keine Grundlage.

2. Die Rechtssache erweist sich allerdings dennoch nicht als endgültig spruchreif, weil die Klägerin ihr Begehren in erster Instanz ausdrücklich auch auf eine die schriftliche Garantie ergänzende „Vereinbarung“ gestützt hat, die im Ergebnis darauf hinauslaufen sollte, dass die erste nach der Garantieerklärung festgestellte Leistungssumme einvernehmlich nicht zur Gänze auf die Haftungssumme anzurechnen gewesen wäre. Das Erstgericht hat sich in seiner Entscheidung mit diesem Vorbringen offenkundig nicht weiter beschäftigt, weil die als Beweismittel dafür von der Klägerin aufgebotenen Personen ihrer Vernehmung ferngeblieben waren. Die Klägerin hat das Unterbleiben dieser Beweisaufnahmen in ihrer Berufung als Verfahrensmangel geltend gemacht, jedoch hat sich das Berufungsgericht - ausgehend von seiner vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht - damit noch nicht befasst. Im fortgesetzten Verfahren wird das Berufungsgericht daher die Mängelrüge inhaltlich zu behandeln und danach eine neuerliche Entscheidung über die Berufung der Klägerin zu treffen haben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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