OGH 6Ob49/12t

OGH6Ob49/12t19.4.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Firmenbuchsache der im Firmenbuch des Handelsgerichts Wien zu FN ***** eingetragenen J***** SE, mit dem Sitz in Wien, vertreten durch Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH in W*****, über den Revisionsrekurs der Gesellschaft gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 31. Jänner 2012, GZ 28 R 254/11w-11, mit dem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 15. November 2011, GZ 74 Fr 20391/11z-7, teilweise bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Am 29. 9. 2011 beantragte die Gesellschaft, das Erstgericht möge die in der Urkundensammlung befindlichen uneingeschränkten Beurkundungen der Protokolle verschiedener - im Einzelnen näher angeführter - Hauptver-sammlungen durch vorgelegte auszugsweise Beurkundungen iSd § 87 Abs 4 NO ersetzen. Zur technischen Umsetzung dieses Antrags solle der Firmenbuchstatus dieser Urkunden auf den Status „S“ adaptiert werden, damit diese Urkunden dann nur noch gerichtsintern einsehbar seien. Die vorgelegten auszugsweisen Beurkundungen sollten demgegenüber mit dem Status „F“ bzw „öffentlich“ in die Urkundensammlung aufgenommen werden.

Außerdem beantragte die Gesellschaft, das Erstgericht möge analog zu § 18 MeldeG hinsichtlich sämtlicher Protokolle der Hauptversammlungen einen Sperrvermerk verfügen, aufgrund dessen diese Urkunden durch Dritte nur gegen Offenlegung ihrer Identität, Nachweis eines rechtlichen Interesses sowie nach vorheriger Anhörung der Gesellschaft eingesehen werden könnten.

Bei der Gesellschaft handle es sich um eine klassische Familiengesellschaft. Die Aktionärsfamilie zähle zu den wohlhabendsten Familien Deutschlands und Österreichs. Gerade wegen ihres Reichtums und nicht zuletzt im Interesse des Schutzes ihrer persönlichen Sicherheit hätten sich die Aktionärsfamilien bislang stets im Hintergrund gehalten und alles vermieden, was der Wahrung größtmöglicher Diskretion abträglich sein könne.

In letzter Zeit seien die Aktionärsfamilien ungewollt einem für sie ungewohnten und überdurchschnittlichen Ausmaß öffentlichen Interesses ausgesetzt. Die Gesellschaft habe daher Grund, um die persönliche Sicherheit ihrer Aktionäre besorgt zu sein. Sie müsse damit rechnen, dass konkrete Nachforschungen über ihre persönlichen Verhältnisse angestellt würden.

Im Hinblick darauf erscheine es der Gesellschaft problematisch, dass aus einzelnen Protokollen, insbesondere aus diesen angeschlossenen Stimmrechtsvollmachten, Rückschlüsse auf konkrete Aufenthaltsorte einzelner Aktionäre gezogen werden können. Andererseits sei problematisch, dass aufgrund der Bestimmungen des § 110 AktG aF und des § 117 AktG idgF zwingend der Wohnort der jeweiligen Aktionäre in das Teilnehmerverzeichnis aufzunehmen sei.

Das Erstgericht wies beide Anträge ab. Die Hauptversammlungsprotokolle samt den angeschlossenen Stimmrechtsvollmachten seien jeweils Eintragungsgrundlage und daher gemäß § 12 FBG in die allgemein einsehbare Urkundensammlung einzustellen gewesen. Deren Zweck sei die Information der Öffentlichkeit. Aufgrund der Generalklausel des § 12 Satz 1 FBG seien alle Urkunden, die Grundlage für eine Eintragung gewesen seien, in die Urkundensammlung aufzunehmen, insbesondere Hauptversammlungsprotokolle. Eine - auch teilweise - Vernichtung oder Löschung von darin aufgenommenen Urkunden sei schon aus Gründen der anzustrebenden lückenlosen Dokumentation durch das Firmenbuch nicht vorgesehen.

Das Rekursgericht änderte diesen Beschluss teilweise dahin ab, dass es dem Antrag, die in der Urkundensammlung befindlichen uneingeschränkten Beurkundungen der Hauptversammlungsprotokolle durch die vorgelegten auszugsweisen Beurkundungen zu ersetzen, stattgab. Im Übrigen bestätigte es die Entscheidung des Erstgerichts. Schon aus der Regelung der Aufnahme der Anmeldung in die Urkundensammlung ergebe sich, dass nicht alle eingereichten und vom Firmenbuchgericht geprüften Urkunden in die Urkundensammlung aufzunehmen seien, möge deren Vorlage auch (weitere) Voraussetzung für die Eintragung sein. Es seien daher nicht alle Urkunden in das Firmenbuch aufzunehmen, die letztlich zu einer Eintragung führten. Vielmehr gehe es um eine - erst im Auslegungsweg zu ermittelnde - Intensität des Zusammenhangs zwischen Urkunde und Eintragung. Der Umstand, dass die Vorlage einer Urkunde erforderlich sei, bedeute nicht zwingend, dass die betreffende Urkunde auch in die Urkundensammlung aufzunehmen sei. Die aus dem Grundbuchsrecht stammende Unterscheidung von Eintragungsgrundlage und Bewilligungsurkunden sei auch auf das Firmenbuch übertragbar. Nur die unmittelbaren Eintragungsgrundlagen seien in die Urkundensammlung aufzunehmen, nicht aber die bloßen Bewilligungsurkunden (unter Berufung auf G. Kodek, Die elektronische Urkundensammlung im Firmenbuch, NZ 2006, 193 [194]).

Die den Hauptversammlungsprotokollen angeschlossenen Stimmrechtsvollmachten seien nicht zur Aufnahme in die Urkundensammlung vorgesehen. Zum einen sei weder ihre Einreichung noch ihre Aufbewahrung bei Gericht gesetzlich angeordnet; insbesondere seien sie weder gemäß § 120 Abs 3 AktG der Niederschrift anzuschließen, noch in ein Verzeichnis iSd § 117 AktG aufzunehmen. Zum anderen sei auch dort eine Aufnahme in die Urkundensammlung nicht vorgesehen, wo die Stimmrechtsvollmachten dem Erstgericht ermöglichten, einer amtswegigen Prüfpflicht im Hinblick auf das rechtmäßige Zustandekommen eines in einer Hauptversammlung gefassten Beschlusses (§ 15 FBG iVm § 2 Abs 2 Z 5 AußStrG) nachzukommen, weil auch diesfalls die Stimmrechtsvollmachten lediglich Teil des der Eintragung vorausgehenden Verfahrens, nicht aber unmittelbare Eintragungsgrundlage seien.

§ 12 FBG sei lex specialis zu § 169 Geo. Für nicht in die Urkundensammlung aufzunehmende Urkunden gelte jedoch § 169 Geo; diese seien daher nach Rechtskraft der Entscheidung den Parteien auf Antrag zurückzustellen. Im vorliegenden Fall begehre die Gesellschaft jedoch ohnehin nicht die Wiederausfolgung der Stimmrechtsvollmachten, sondern - unter gleichzeitiger Vorlage von nur um die Stimmrechtsvollmachten gekürzten, beglaubigten Ausfertigungen der beurkundeten Hauptversammlungsprotokolle zur Aufnahme in die Urkundensammlung - lediglich die Änderung des Status der bisher in die Urkundensammlung aufgenommenen Hauptversammlungsprotokolle dahin, dass diese für die Öffentlichkeit nicht einsehbar sein sollten („S“). Daher bestünden keine rechtlichen Hindernisse, die den Hauptversammlungsprotokollen beigeordneten Stimmrechts-vollmachten auf die im Antrag der Gesellschaft genannte Weise aus der Urkundensammlung zu entfernen.

Hingegen lasse die vom Gesetzgeber getroffene Entscheidung, den im Verzeichnis der anwesenden oder vertretenen Aktionäre gemäß § 117 AktG angegebenen Wohnort der Aktionäre im Firmenbuch allgemein einsichtig zu machen, eine planwidrige Lücke nicht erkennen. Im Übrigen habe die Gesellschaft keine ihre Aktionäre betreffende konkrete Bedrohung ins Treffen geführt. Die Gefahr, „ausgeforscht“ zu werden, gehe daher bei den Aktionären der Gesellschaft über eine die meisten Aktieninhaber berührende abstrakte Möglichkeit nicht hinaus.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen in die Urkundensammlung aufzunehmende Urkunden von der jedermann offenstehenden Einsicht ausgeschlossen werden können, bisher nicht vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

Vorauszuschicken ist, dass Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens lediglich die vom Rekursgericht bestätigte Abweisung des Antrags auf Setzung eines „Sperrvermerks“ hinsichtlich sämtlicher Hauptversammlungsprotokolle ist.

Der Oberste Gerichtshof billigt insoweit die rechtliche Beurteilung des Rekursgerichts sowohl im Ergebnis als auch in der methodischen Ableitung, sodass vollinhaltlich darauf verwiesen werden kann (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Wie schon das Rekursgericht zutreffend erkannt hat, sieht das FBG nur die Aufnahme solcher Urkunden in die Urkundensammlung vor, welche die Grundlage einer Eintragung bilden oder für die die Aufbewahrung bei Gericht angeordnet ist (G. Kodek, Die elektronische Urkundensammlung im Firmenbuch, NZ 2006, 193). Aufgabe des Firmenbuchs ist es, die grundlegenden Tatsachen und Rechtsverhältnisse vor allem der vollkaufmännischen Unternehmungen zu beurkunden und öffentlich einsichtig zu machen (G. Kodek in Kodek/Nowotny/Umfahrer, FBG Einl Rz 3; G. Nowotny in Kodek/Nowotny/Umfahrer, FBG § 1 Rz 3 ff, jeweils mwN). Die Offenlegung dient sowohl dem Interesse der Allgemeinheit als auch demjenigen des eingetragenen Rechtsträgers. Zweck des Firmenbuchs ist nicht primär der Schutz aller möglichen Rechte von Dritten, sondern die Offenlegung von erheblichen Tatsachen und Rechtsverhältnissen der im Einzelnen vorgesehenen Rechtsträger in deren Interesse und im Interesse anderer Rechtsträger sowie der Öffentlichkeit (RIS-Justiz RS0108414 [T2]).

Zutreffend hat bereits das Rekursgericht auch darauf hingewiesen, dass Zweck des Teilnehmerverzeichnisses (§ 117 AktG, § 110 AktG aF) die Feststellung der Beschlussfähigkeit ist, soweit diese nach Gesetz oder Satzung von einer Mindestpräsenz abhängt, weiters die Erleichterung der Feststellung des Abstimmungsergebnisses durch die Anwendung des Subtraktionsverfahrens, die Beurteilung von Stimmrechtsausschlüssen sowie die Transparenz der Beteiligungsverhältnisse (Bachner in Doralt/Kalss/Nowotny, AktG § 110 Rz 1 mwN).

Durch Setzen des Codes „F" („freigegeben für die Öffentlichkeit, sichtbar für alle“) wird über die Aufnahme einer Urkunde in die Urkundensammlung entschieden; andernfalls wird der Code „S" („speichern, sichtbar für die Gerichte“) gesetzt. Letzterer führt dazu, dass eine externe Abfrage der Urkunde nicht möglich ist, während justizintern auf diese Urkunde weiter zugegriffen werden kann (G. Kodek aaO 198). Damit läuft - wie das Rekursgericht zutreffend erkannt hat - die beantragte Setzung eines Sperrvermerks über die Hauptversammlungsprotokolle darauf hinaus, dass sich diese nicht mehr in der Urkundensammlung iSd § 12 FBG befinden, sondern gewissermaßen nur mehr im Gerichtsakt einsehbar sind. Dies steht aber in Widerspruch zur eindeutigen Gesetzeslage, wonach die Hauptversammlungsprotokolle samt Teilnehmerverzeichnis (§ 117 AktG) zum Firmenbuch einzureichen und dort in die Urkundensammlung aufzunehmen sind. Eine weitere begriffliche Unterteilung der Urkundensammlung ist nicht möglich (Umfahrer in Kodek/Nowotny/Umfahrer, FBG § 30 Rz 4).

Der Oberste Gerichtshof billigt auch die weitere Einschätzung des Rekursgerichts, dass die Bestimmung des § 117 AktG eine planwidrige Lücke nicht erkennen lässt. Dass eine Regelung allenfalls aus rechtspolitischer Sicht wünschenswert erscheint, reicht für die Annahme einer Gesetzeslücke nicht aus. Zudem ist die Argumentation der Revisionsrekurswerberin methodisch verfehlt, orientiert sich diese doch am MeldeG und am AußStrG, während sie die sachnäheren Bestimmungen über andere öffentliche Register und Verzeichnisse, insbesondere im Grundbuchsrecht, welches in vieler Hinsicht Vorbild für das Firmenbuch war (G. Kodek aaO 195), nicht ausreichend berücksichtigt. In den genannten Bereichen ist aber grundsätzlich jedermann zur Einsichtnahme berechtigt; nur hinsichtlich des Personenverzeichnisses bestehen Einschränkungen. Eine uneingeschränkte Einsichtsmöglichkeit besteht weiters beim Luftfahrzeug- oder Kartellregister sowie bei den vom Patentamt geführten Büchern wie Muster-, Halbleiterschutz-, Schutzzertifikat-, Marken- oder Patentregister (Morscher, Öffentliche Bücher, Evidenzen, Listen, Register, Verzeichnisse, ZfV 2005/267).

Entgegen der Rechtsansicht der Revisionsrekurswerberin bedarf es dabei keiner Auseinandersetzung mit dem Schutzzweck des § 117 AktG (dazu Bachner aaO § 110 Rz 14), ergibt sich die Notwendigkeit der Anführung des Wohnorts im Teilnehmerverzeichnis und dessen Aufbewahrung in der Urkundensammlung doch bereits aus dem klaren Gesetzeswortlaut des § 120 Abs 3 und 4 AktG.

Die Rechtsansicht der Revisionsrekurswerberin läuft demgegenüber auf eine Interessenabwägung hinaus, die die klaren Vorgaben des FBG durch eine Abwägung zwischen dem jeweiligen Schutzbedürfnis der Beteiligten und dem Informationsinteresse des rechtsgeschäftlichen Verkehrs andererseits ersetzen will. Eine derartige Auslegung ist nicht nur mit dem Wortlaut des Gesetzes, sondern auch mit dem Gebot der Rechtssicherheit und der einfachen Handhabung des Firmenbuchrechts nicht zu vereinbaren.

Zutreffend hat das Rekursgericht auch schon darauf hingewiesen, dass „sensible Daten" als Begriff des Datenschutzrechts solche über die rassische und ethnische Herkunft einer natürlichen Person, ihre politische Meinung, Gewerkschaftszugehörigkeit, religiöse oder philosophische Überzeugung, Gesundheit oder ihr Sexualleben sind (§ 4 Z 2 DSG). Der bloße Wohnort eines Aktionärs ohne genaue Anführung der Adresse gehört dazu jedenfalls nicht.

Der angefochtene Beschluss erweist sich daher im Umfang der Anfechtung als frei von Rechtsirrtum, sodass dem unbegründeten Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen war.

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