OGH 7Ob25/12w

OGH7Ob25/12w19.4.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. K***** P*****, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei W***** AG *****, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. November 2011, GZ 5 R 179/11x-18, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 16. Juni 2011, GZ 53 Cg 14/11x-14, infolge Berufung der beklagten Partei bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.751,04 EUR (darin enthalten 291,84 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger wurde am 30. 3. 2007 im Konkurs der P***** GmbH (im Folgenden Gemeinschuldnerin) zum Masseverwalter bestellt. In die Konkursmasse fiel auch eine mit einem Pfandrecht der S***** AG (Pfandgläubigerin) belastete Liegenschaft mit Haus in O*****. Nachdem die vorübergehend eingestellte Gaszufuhr zu diesem Haus wiederhergestellt worden war, beauftragte der Masseverwalter den Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin sowohl schriftlich als auch telefonisch, die Heizung im Objekt wieder aufzudrehen. Da der Geschäftsführer bislang allen Aufträgen des Klägers nachgekommen war, ging dieser davon aus, dass der Geschäftsführer auch diesen Auftrag erfüllen werde. Im Jänner 2009 wurde der Kläger von einem durch einen Frostschaden an der Wasserleitung eingetretenen massiven Wasserschaden informiert. Erst dadurch wurde ihm bekannt, dass das Haus entgegen seiner bisherigen Annahme leer gestanden war. Der Kläger erstattete am 2. 2. 2009 eine Schadensmeldung an den Gebäudeversicherer. Dieser lehnte die Versicherungsdeckung unter Hinweis auf eine dem Versicherungsvertrag zugrunde liegende Klausel ab, wonach bei länger als 72 Stunden unbewohnten Gebäuden die wasserführenden Leitungen abgesperrt zu halten und während der Heizperiode zu entleeren sind, sofern die Heizung nicht durchgehend in Betrieb gehalten wird. Vor Eintritt des Wasserschadens lag ein verbindliches Kaufanbot der Pfandgläubigerin für die Liegenschaft über 67.000 EUR vor, das der Kläger als Masseverwalter angenommen hatte. Die Pfandgläubigerin erklärte im Hinblick auf den Wasserschaden den Rücktritt vom Vertrag. In der Folge konnte die Liegenschaft um 47.000 EUR anderweitig veräußert werden. Mit Meistbotsverteilungsbeschluss vom September 2009 wurden der Pfandgläubigerin 34.200 EUR zugewiesen. Diese stellte nun wegen des ihr zugewiesenen verminderten Erlöses Schadenersatzansprüche an den Kläger als Masseverwalter.

Der Kläger ist als Rechtsanwalt und war damals auch für seine Tätigkeit als Masseverwalter bei der Beklagten berufshaftpflichtversichert. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden (AVBV 2005) zugrunde, die folgende, hier maßgeblichen Bestimmungen aufweisen:

Artikel 1

Gegenstand der Versicherung; Versicherungsfall

1 Versicherungsschutz besteht für den Fall, dass der Versicherungsnehmer wegen eines bei der Ausübung der in der Polizze angegebenen beruflichen Tätigkeit von ihm selbst oder einer Person, für die er nach dem Gesetze einzutreten hat, begangenen Verstoßes von einem Dritten auf Grund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts für einen Vermögensschaden verantwortlich gemacht wird.

2 Versichert sind Vermögensschäden.

Das sind solche Schäden, die weder Personenschäden (Tötung, Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung von Menschen) noch Sachschäden (Beschädigung, Verderben, Vernichtung, Verlust oder Abhandenkommen körperlicher Sachen) sind, noch sich aus solchen Schäden herleiten. Als körperliche Sachen gelten insbesondere auch Geld, geldwerte Zeichen (so zB Brief- und Stempelmarken), Inhaberpapiere und blanko indossierte Orderpapiere sowie Wertsachen.

[…].

Mit der Klage begehrte der Kläger die Feststellung, die Beklagte sei verpflichtet, ihm für seine Tätigkeit als Masseverwalter im Konkurs der Gemeinschuldnerin (aufgrund des am betreffenden Haus in O***** eingetretenen Wasserschadens) im Rahmen des bestehenden Haftpflichtversicherungsvertrags Versicherungsschutz zu gewähren sowie die Feststellung, dass die Beklagte im Rahmen der Gewährung des Versicherungsschutzes berechtigte Ansprüche der angeblich geschädigten Pfandgläubigerin zu befriedigen oder den Kläger bei der Abwehr ungerechtfertigter Ansprüche zu unterstützten habe. Der Beklagte habe die begehrte Versicherungsdeckung zu Unrecht abgelehnt. Bei den „untergegangenen“ Ansprüchen gegenüber dem Gebäudeversicherer handle es sich um einen versicherten Vermögensschaden.

Die Beklagte wendete, soweit im Revisionsverfahren noch wesentlich, ein, der Gebäudeversicherer habe zu Unrecht die Deckung abgelehnt. Überdies sei der Kläger im Rahmen der Berufshaftpflichtversicherung lediglich hinsichtlich von ihm verursachter (reiner) Vermögensschäden, nicht aber für Sachschäden haftpflichtversichert. Es liege ein aus dem Sachschaden abgeleiteter Vermögensschaden - ein „sogenannter Sachfolgeschaden“ - vor, der nicht zu den versicherten Risiken gehöre.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Anspruch gegenüber dem Gebäudeversicherer sei wegen Verstreichens der Klagefrist (§ 12 Abs 3 VersVG) endgültig untergegangen. Die Obliegenheitsverletzung und nicht der Eintritt des Wasserschadens habe zur Folge, dass der ursprünglich bestehende Versicherungsanspruch gegenüber dem Gebäudeversicherer erloschen sei. Der Untergang von Ansprüchen stelle einen Vermögensschaden und keinen Sachschaden dar. Die Obliegenheitsverletzung sei vom Kläger weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen worden, weil er den Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin angewiesen gehabt habe, die Heizung im Objekt zu aktivieren und er auch nicht über das Leerstehen der Wohnung informiert gewesen sei. Der Kläger habe nicht an der Ausführung seiner Anweisung zweifeln müssen. Das Verhalten des Gemeinschuldners sei ihm nicht zuzurechnen.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung der ersten Instanz. Der Versicherungsschutz aus der Berufshaftpflichtversicherung schließe auch die Abwehr unberechtigter Ansprüche ein. Daher komme der von der Beklagten aufgeworfenen Frage, ob der Gebäudeversicherer tatsächlich zufolge einer Obliegenheitsverletzung leistungsfrei geworden sei, für die Beurteilung der Deckungspflicht keine ausschlaggebende Bedeutung zu; im vorliegenden Deckungsprozess sei nur zu beurteilen, ob die von der Pfandgläubigerin gegen den Kläger erhobenen Schadenersatzansprüche zu den durch die Berufshaftpflichtversicherung gedeckten Risiken gehörten. Gegenstand der vorliegenden Haftpflichtversicherung seien nach Art 1 Z 2 AVBV 2005 Vermögensschäden, wobei aus einem Personen- oder einem Sachschaden hergeleitete („abgeleitete“) Vermögensschäden nicht umfasst seien. Bei der Interpretation dieser Bestimmung komme es darauf an, wie ein durchschnittlich verständiger Versicherungsnehmer den Wortlaut verstehe, wobei deren erkennbarer Zweck zu berücksichtigen sei. Gemäß § 81 Abs 3 KO hafte ein Masseverwalter allen Beteiligten, unter anderem auch Ab- und Aussonderungsgläubigern, für Vermögensnachteile, die er ihnen durch pflichtwidrige Führung seines Amts verursache. Hier mache die Pfandgläubigerin einen ihr aus einer Pflichtverletzung des Klägers entstandenen Vermögensschaden geltend. Dass an dem versicherten Gebäude ein Sachschaden entstanden sei, ändere entgegen der Ansicht der Beklagten nichts daran, dass unter bestimmten Umständen eine Obliegenheitsverletzung zum Untergang des bestehenden Versicherungsschutzes führen habe können. Sachschaden und Vermögensschaden stellten sich als zwei unterschiedliche Folgen desselben Verhaltens dar. Die Beklagte übersehe, dass nicht der Wasserschaden für den allfälligen Untergang des Versicherungsschutzes kausal gewesen sei; dieser leite sich nicht aus den Sachschäden, sondern aus einer behaupteten Obliegenheitsverletzung ab. Der von der Pfandgläubigerin geltend gemachte Schaden sei daher als von der Berufshaftpflichtversicherung umfasster Vermögensschaden zu qualifizieren.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil noch keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Auslegung der betreffenden Klausel (Abgrenzung der von der Haftpflichtversicherung erfassten Vermögensschäden zu den nicht erfassten Sachschäden) vorliege.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Beklagten, die unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht und beantragt, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel seiner Prozessgegnerin entweder zurück- oder abzuweisen.

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die strittige Deckungspflicht der Beklagten setzt voraus, dass der Kläger von der Pfandgläubigerin wegen eines (reinen) Vermögensschadens haftbar gemacht wird. Die Vorinstanzen haben dies zutreffend bejaht: Die Pfandgläubigerin hat ihren Schadenersatzanspruch auf den auf ein (angebliches) Fehlverhalten des Klägers (Obliegenheitsverletzung) zurückzuführenden Verlust des Versicherungsschutzes aus der Gebäudeversicherung gestützt. Der behauptete „Untergang“ des Versicherungsanspruchs gründet sich also nicht auf einen Sachschaden, sondern auf ein Fehlverhalten des Klägers. Der von der Beklagten auch in der Revision aufrecht erhaltene Einwand, ein und dasselbe Verhalten des Klägers habe sowohl den Sachschaden herbeigeführt als auch eine Obliegenheitsverletzung bewirkt, muss schon deshalb ins Leere gehen, weil er von den unbekämpften Sachverhaltsfeststellungen des Erstgerichts abweicht. Nicht der Kläger hat es verabsäumt, die Heizung in Betrieb zu halten, sondern der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin ist seinem wiederholten diesbezüglichen Auftrag nicht nachgekommen. Der Geschäftsführer übte lediglich die Obhut über die versicherte Sache aus und ist daher (nur) als Repräsentant des Klägers anzusehen. Soweit die Beklagte offenbar unterstellt, dass sein Verhalten dem Kläger zuzurechnen sei, setzt sie sich in Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung, dass eine Haftung des Versicherungsnehmers für einen Repräsentanten zufolge Fehlens einer gesetzlichen Deckung abzulehnen ist (RIS-Justiz RS0080407). Der Kläger hätte nur dann für das Verhalten des Geschäftsführers einzustehen, wenn er diesen zur Abwicklung des Versicherungsverhältnisses dem Versicherer gegenüber als seinen Vertreter bestellt hätte (vgl 7 Ob 33/85 mwN; RIS-Justiz RS0019473), was aber hier nicht der Fall war. Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin kann keine Rede davon sein, dass die Verursachung des Sachschadens auch gleichzeitig den Verlust des Versicherungsschutzes nach sich ziehen musste.

Zum Ergebnis, dass in einem Fall wie dem vorliegenden ein als Masse- oder Zwangsverwalter tätiger Rechtsanwalt für einen (reinen) Vermögensschaden haftbar gemacht werde, kommt auch Brügge in Gräfe/Brügge, Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung Rn 316 unter Bezugnahme auf die in ZInsO 2004, 873, veröffentlichte Entscheidung eines deutschen Landgerichts, auf dessen Ausführungen bereits vom Berufungsgericht hingewiesen wurde. Die Revisionswerberin bringt nichts vor, was an der Richtigkeit der Ansicht, beim zu beurteilenden Schaden handle es sich um einen „reinen“ und nicht um einen „abgeleiteten“ Vermögensschaden im Sinn des Art 1 Z 2 AVBV 2005, zweifeln ließe. Der dem Rechtsanwalt als Insolvenzverwalter (Masseverwalter) gegenüber geltend gemachte Schadenersatzanspruch eines geschädigten Dritten wegen Obliegenheitsverletzung durch den Schuldner (Gemeinschuldner), der einen Sachschaden verursacht, ist also als Vermögensschaden in der Berufshaftpflicht des Rechtsanwalts gedeckt.

Die Revision muss daher erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO.

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