OGH 7Ob15/12z

OGH7Ob15/12z28.3.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Unterbringungssache des minderjährigen F***** J*****, vertreten durch den Verein VertretungsNetz-Patientenanwaltschaft, 5020 Salzburg, Ignaz-Harrer‑Straße 79 (Patientenanwältin Mag. C***** M*****, dieser vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in Wien, und das Land Salzburg als Jugendwohlfahrtsträger, über die Revisionsrekurse der Vertreter gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 8. November 2011, GZ 21 R 390/11s‑54, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Salzburg vom 7. Oktober 2011, GZ 35 Ub 222/11k‑49, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1. Der namens des Patienten vom Jugendwohlfahrtsträger erhobene Revisionsrekurs und die Revisionsrekursbeantwortung des Vereins werden zurückgewiesen.

2. Dem Revisionsrekurs des Vereins wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Der jetzt knapp 15‑jährige F***** J***** (in der Diktion des UbG: der Kranke; hier im Folgenden Patient) neigt auf Grund einer psychischen Erkrankung zu Gewalthandlungen, wobei er sein eigenes Leben und seine Gesundheit und auch Leben und Gesundheit anderer gefährdet. Er wurde deshalb am 23. 3. 2011 im geschlossenen Bereich der Kinder‑ und Jugendpsychiatrie der C*****Klinik (im Folgenden Klinik) in S***** untergebracht. Seine weitere Unterbringung in der Klinik wurde vom Erstgericht wiederholt für zulässig erklärt, zuletzt mit Beschluss vom 18. 7. 2011 bis zum 31. 10. 2011. Auf Grund eines vom Erstgericht eingeholten Gutachtens steht fest, dass eine längerfristige geschlossene Unterbringung in einer Einrichtung erforderlich sein wird, in der eine dem jugendlichen Alter des Patienten adäquate Entwicklungsförderung gewährleistet ist. Dies ist in der Klinik und auch sonst in einer österreichischen Institution nicht möglich. Mit seiner Zustimmung und der seiner obsorgeberechtigten Mutter wurde der Patient daher am 20. 10. 2011 in einer geeigneten Einrichtung, dem R*****, Deutschland, untergebracht. Die deutschen Behörden hatten zuvor einen gerichtlichen Beschluss verlangt, dass die Unterbringung in der deutschen Einrichtung notwendig sei.

Das Erstgericht fasste daraufhin am 7. 10. 2011 vor der Überstellung des Patienten den Beschluss, dass die weitere Unterbringung des Patienten in dieser Einrichtung genehmigt werde.

Dagegen erhob der nach § 13 Abs 1 UbG örtlich zuständige Verein als gesetzlicher Vertreter des Patienten gemäß § 14 Abs 1 UbG Rekurs mit dem Antrag, den Beschluss des Erstgerichts aufzuheben und auszusprechen, „dass die Unterbringung seit der Sicherstellung einer geeigneten alternativen Betreuungsmöglichkeit, spätestens ab dem Zeitpunkt der Übergabe des Patienten an die Rettung (und die den Patienten begleitende Mutter) am 20. 10. 2011, unzulässig war.“ Mit der Zustimmung der deutschen Einrichtung, den jugendlichen Patienten aufzunehmen und der Einwilligung der obsorgeberechtigten Mutter dazu sei eine der Unterbringung in der Klinik vorzuziehende alternative Betreuungsmöglichkeit zur Verfügung gestanden. Sobald die Klinik von dieser gelinderen Alternative Kenntnis erlangt habe, sei die Zulässigkeit der Unterbringung gemäß § 3 Z 2 UbG beendet gewesen. Das Erstgericht hätte daher die Zulässigkeit der Unterbringung mit jenem Zeitpunkt befristet auszusprechen gehabt, zu dem die alternative Betreuung in Deutschland sichergestellt habe werden können.

Das Rekursgericht gab diesem Rekurs teilweise dahin Folge, dass es (lediglich) aussprach, dass die weitere Unterbringung des Patienten bis zum Zeitpunkt des Verlassens des Hoheitsgebiets der Republik Österreich am 20. 10. 2011 zulässig gewesen sei. Die vom Erstgericht genehmigte weitere Unterbringung des Patienten in einer Anstalt in Deutschland sei mit dem in § 2 UbG normierten Geltungsbereich des UbG nicht in Einklang zu bringen. Dem Beschluss des Erstgerichts stehe auch das Territorialprinzip entgegen, weil es kein internationales Abkommen gebe, das eine derartige Kompetenz eines österreichischen Gerichts begründete. Entgegen der Ansicht des Rekurswerbers stelle die alternative Unterbringung in der genannten Einrichtung in Deutschland im Hinblick darauf, dass es sich um eine mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung nach § 1631b BGB handle, keine gelindere Maßnahme im Sinn des § 3 Z 2 UBG dar. Zum Zeitpunkt der Beschlussfassung sei diese Unterbringungsmöglichkeit auch noch gar nicht zur Verfügung gestanden. Es habe hiezu eines gerichtlichen Beschlusses bedurft, der begründen habe sollen, warum die Unterbringung in Deutschland erfolgen solle. Der Beschluss des Erstgerichts habe diese Grundlage geboten, hätte aber aus den erwähnten Gründen nicht in diesem Umfang gefasst werden können. Im Hinblick auf die vergleichbare Rechtslage bei der Überstellung von untergebrachten Patienten von einer psychiatrischen Anstalt in eine andere müsse sich die Kompetenz des Erstgerichts grundsätzlich auf die Frage der Zulässigkeit der weiteren Unterbringung in der Klinik in S***** beschränken. Für die Verlegung von einer psychiatrischen Anstalt in eine andere sei keine (vorherige) Genehmigung des Unterbringungsgerichts einzuholen. Über die Frage der Zulässigkeit sei zwar (auf Antrag) vom (Ziel‑)Unterbringungsgericht (hier das für die deutsche Einrichtung zuständige Amtsgericht) ex post zu entscheiden. Da hier aber eine grenzüberschreitende Überstellung vorgelegen sei, müsse die Kompetenz des Erstgerichts bis zum Verlassen des (österreichischen) Hoheitsgebiets angenommen werden.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil es zu den Fragen der Zulässigkeit und der Modalitäten des Transports von untergebrachten Patienten ins Ausland keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gebe.

Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts haben einerseits der Verein und andererseits der gemäß § 212 Abs 3 ABGB mit Zustimmung der obsorgeberechtigten Mutter für den jugendlichen Patienten einschreitende Jugendwohlfahrtsträger Revisionsrekurse erhoben. Der Verein will ‑ ausdrücklich im Namen des Patienten ‑ eine Abänderung des angefochtenen Beschlusses dahin erreichen, dass die weitere Unterbringung (nur) bis zum Zeitpunkt des Verlassens der Klinik am 20. 10. 2011 (also nicht auch für den Transport zur Grenze) zulässig gewesen sei. Der Jugendwohlfahrtsträger beantragt namens des Patienten, den angefochtenen Beschluss im Sinn der Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses abzuändern.

Der Verein hat eine Revisionsrekursbeantwortung mit dem Antrag erstattet, dem vom Jugendwohlfahrtsträger namens des Patienten erhobenen Revisionsrekurs keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Jugendwohlfahrtsträgers und die Revisionsrekursbeantwortung des Vereins sind unzulässig. Der Revisionsrekurs des Vereins ist nicht berechtigt.

Grundsätzlich sind sowohl der Betroffene selbst als auch der Verein für ihn rechtsmittellegitimiert. Der Verein wird mit der Aufnahme eines ohne Verlangen untergebrachten Kranken kraft Gesetzes dessen Vertreter für das in diesem Bundesgesetz vorgesehene gerichtliche Verfahren und zur Wahrnehmung der insbesondere in den §§ 33 bis 39 UbG verankerten Rechte. Dadurch wurden die Geschäftsfähigkeit des Kranken und die Vertretungsbefugnis eines sonstigen Vertreters nicht beschränkt (§ 14 Abs 1 UbG). Gemäß § 28 Abs 1 Satz 1 UbG können der Kranke und sein Vertreter gegen den Beschluss, mit dem die Unterbringung für zulässig erklärt wird, innerhalb von 14 Tagen ab Zustellung Rekurs erheben. Der Gesetzgeber hat also, vergleichbar den Regelungen im Sachwalterrecht (vgl dazu RIS‑Justiz RS0006229), ausdrücklich angeordnet, dass der Kranke grundsätzlich selbständig verfahrensfähig bleibt (vgl auch Kopetzki, Grundriss des Unterbringungsrechts3 Rz 475 f; Hopf/Aigner, Unterbringungsgesetz Anm 6 zu § 14). Umgekehrt sollen allfällige Verfahrenshandlungen des Kranken und seines Vertreters (etwa ein Rechtsmittelverzicht) die Stellung des Patientenanwalts, dem die Wahrung der Rechte des Kranken obliegt, als Beteiligten (vgl § 9 AußStrG) grundsätzlich nicht beeinflussen.

Im vorliegenden Fall hat der Verein Revisionsrekurs ausdrücklich im Namen des Patienten erhoben. Dies steht im Einklang mit der oberstgerichtlichen Judikatur, wonach Rechtsmittel des Patientenanwalts (des Vereins) nur Rechtsmittel des von ihm Vertretenen sein können, auch wenn sein Recht, den Rekurs zu erheben, vom Willen des Kranken unabhängig ist (RIS‑Justiz RS0075886; aM Kopetzki, Grundriss des Unterbringungsrechts3 Rz 476, der annimmt, dass der Patientenanwalt [der Verein] die Rechte des Patienten ‑ wenngleich „für“ diesen ‑ kraft eigener Parteistellung im eigenen Namen wahrnehme).

Wie der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 8 Ob 167/08d ausgesprochen hat, ändert der Umstand, dass der Patientenanwalt (nur: Verein) im Namen des Patienten agiert, nichts daran, dass auf Grund der ausdrücklichen Anordnung des Gesetzes der Patient stets auch neben dem Patientenanwalt in den seine Unterbringung betreffenden Angelegenheiten selbständig handeln kann. Räumt der Gesetzgeber dem Kranken einerseits und seinem Vertreter andererseits selbständige, voneinander unabhängige Verfahrensrechte ein, würde es dem mit dieser Anordnung offenbar verfolgten Gesetzeszweck, nämlich dem Kranken umfassenden Rechtsschutz einzuräumen, in Widerspruch stehen, wollte man den ‑ grundsätzlich auch im Außerstreitverfahren geltenden (RIS‑Justiz RS0007007) ‑ Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels bei Rekurserhebung des Kranken selbst einerseits und des Kranken, vertreten durch den Patientenanwalt (den Verein) andererseits strikt zur Anwendung bringen: Es hinge dann unter Umständen von Zufälligkeiten ab, welcher der Rekurse zuerst erhoben wurde und damit inhaltlich als erster zu behandeln wäre. Aus diesem Grund ist auch eine, nach Ansicht von Reisenhofer, ÖJZ 2012, 35 (Glosse zu 7 Ob 105/11h) im Sachwalterschaftsverfahren gebotene, analoge Anwendung des § 154a ABGB, wonach entsprechend dem Zuvorkommen nur entweder der Verein oder ein Vertreter der Kranken (hier der Jugendwohlfahrtsträger) für das gesamte Verfahren vertretungsbefugt wäre, abzulehnen. Der Zweck, den Kranken einerseits selbständig handeln zu lassen, den Patientenanwalt (den Verein) andererseits aber im Namen des Kranken auch Rechte sogar gegen den Willen des Kranken einzuräumen, wäre konterkariert, würde man gerade im Fall der (Revisions‑)Rekurserhebung die selbständige Verfahrensstellung beider Genannten unterschiedlich behandeln. Erheben sowohl der Kranke, vertreten durch einen anderen Vertreter (hier durch den Jugendwohlfahrtsträger) als auch der Verein im Namen des Kranken jeweils gesondert Rechtsmittel gegen einen Unterbringungsbeschluss, sind beide Rechtsmittel (grundsätzlich) einer inhaltlichen Behandlung zu unterziehen. Der Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels gilt hier nicht.

1. Zum vom Jugendwohlfahrtsträger namens des Patienten erhobenen Revisionsrekurs:

Dieser ist dennoch unzulässig:

Gemäß § 28 Abs 1 UbG können der Kranke und sein Vertreter (nur) gegen den Beschluss, mit dem die Unterbringung für zulässig erklärt wird, Rekurs erheben. Ein Beschluss, mit dem die Unterbringung für unzulässig erklärt wird, kann nach Abs 2 leg cit hingegen nur vom Abteilungsleiter unter der Voraussetzung des § 26 Abs 3 UbG bekämpft werden. Der Revisionsrekurs des Jugendwohlfahrtsträgers begehrt die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung und wendet sich gegen den Beschluss des Rekursgerichts demnach nur insoweit, als die weitere Unterbringung des Patienten nicht auch nach dem Zeitpunkt des Verlassens der Republik Österreich für zulässig erklärt wurde. Der namens des Patienten vom Jugendwohlfahrtsträger erhobene Revisionsrekurs ist daher mangels Rechtsmittellegitimation des Patienten (und seines Vertreters) unzulässig.

Nach § 28 Abs 3 UbG, der gemäß § 29a UbG im Revisionsrekursverfahren sinngemäß gilt, kommt das Recht zur Rekursbeantwortung nur dem Kranken und seinem Vertreter gegen Rekurse des Leiters der Einrichtung zu. Die vom Verein zum vom Jugendwohlfahrtsträger verfassten Revisionsrekurs erstattete Revisionsrekursbeantwortung ist daher unzulässig und ebenso wie der betreffende Revisionsrekurs zurückzuweisen.

2. Zum vom Verein namens des Patienten erhobenen Revisionsrekurs:

Dieser Revisionsrekurs ist zwar aus den vom Rekursgericht genannten Gründen zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

Das Rekursgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die durch § 3d KAKuG grundsätzlich mögliche Unterbringung von Patienten in ausländischen Krankenanstalten nicht die „Unterbringung“ im Sinn des UbG erfasst. Da der örtliche Geltungsbereich des UbG auf das Bundesgebiet der Republik Österreich beschränkt ist (Art 49 Abs 1 B‑VG) und daher an der Staatsgrenze endet, ist die Überstellung in eine ausländische Krankenanstalt durch österreichische Sicherheitsorgane mit den Instrumenten des UbG nicht möglich (vgl Kopetzki, Grundriss des Unterbringungsrechts3 Rz 36 und 170). Das Rekursgericht hat die Überstellung an die Grenze, so wie die Überstellung eines untergebrachten Kranken von einer psychiatrischen Anstalt oder Abteilung in eine andere, zutreffend als Teil der ‑ durch die Überstellung nicht beendeten ‑ Unterbringung angesehen. Dieser Transport unterliegt daher der Kontrolle des Gerichts und nicht des unabhängigen Verwaltungssenats (VfGH 8. 3. 2001, B 1723/00 = VfSlg 16.119). Einer Bescheinigung gemäß § 8 UbG bedarf es hiezu nicht (Kopetzki aaO Rz 184/1 mwN).

Richtig hat das Rekursgericht also erkannt, dass die zulässige Unterbringung ohne Verlangen des Patienten auch dessen Transport von der Klinik bis zur österreichischen Staatsgrenze umfasst. Entgegen der Ansicht des Vereins hat die Verbringung des Patienten an die Staatsgrenze zwecks Überstellung in eine geeignetere ausländische Einrichtung mit einer (unzulässigen) „Ausweisung eines österreichischen Staatsbürgers“ nichts zu tun. Die Entscheidung des Rekursgerichts ist daher zu bestätigen.

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