OGH 10ObS71/11f

OGH10ObS71/11f13.3.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Ernst Bassler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei D***** K*****, vertreten durch Mag. Susanne Schlager, Vertretungsnetz-Sachwalterschaft, 1120 Wien, Wilhelmstraße 43/2, als Sachwalterin, diese vertreten durch Dr. Peter Rudeck und Dr. Gerhard Schlager, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Wiener Gebietskrankenkasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15-19, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kostenersatz, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. März 2011, GZ 7 Rs 11/11f-17, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 20. September 2010, GZ 17 Cgs 44/10z-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten der Revisionsbeantwortung sind weitere Verfahrenskosten. Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revision selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die schwer adipöse, an paranoider halluzinatorischer Schizophrenie leidende Klägerin steht unter Sachwalterschaft. Seit 22. 4. 2008 ist das Vertretungsnetz-Sachwalterschaft zum Sachwalter für alle Angelegenheiten bestellt.

Am 16. 8. 2008 rief die Heimhilfe der Klägerin gegen 8:30 Uhr den Rettungs- und Krankenbeförderungsdienst der Stadt Wien zur Wohnung der Klägerin, weil diese vom Sessel gerutscht war. Nachdem die Sanitäter keine sichtbaren Verletzungen festgestellt und im Einsatzprotokoll vermerkt hatten, dass die Patientin keine Schmerzen hat, wurde sie über ihren Wunsch ins Bett gesetzt und nicht zur Abklärung des Gesundheitszustands in ein Krankenhaus gebracht. Ein Notarzt zur Abklärung des Gesundheitszustands wurde nicht gerufen. Die Klägerin war aufgrund ihres geistigen Zustands nicht in der Lage, zuverlässige Angaben über ihren Gesundheitszustand oder allfällige Schmerzen zu machen. Sie unterzeichnete letztlich einen Revers, obwohl sie die notwendige Einsichtsfähigkeit dafür nicht hat. Sie wäre auch nicht in der Lage gewesen, selbst den Rettungs- und Krankenbeförderungsdienst zu rufen.

Mit Bescheid der Magistratsabteilung 70 vom 4. 9. 2009 wurde die Klägerin verpflichtet, für diesen Rettungs- und Krankentransporteinsatz 460 EUR zu zahlen.

Die beklagte Partei lehnte mit Bescheid vom 3. 2. 2010 den Antrag der Klägerin auf Übernahme der Kosten für die Intervention des Rettungs- und Krankenbeförderungsdienstes vom 16. 8. 2008 ab.

Das Erstgericht verpflichtete die beklagte Partei, die Kosten für die Intervention des Rettungs- und Krankenbeförderungsdienstes der Stadt Wien am 16. 8. 2008 zu übernehmen. Rechtlich beurteilte es den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt dahin, dass es im Rahmen des Einsatzes zu keiner Krankenbehandlung gekommen sei. Die Klägerin sei gegen Unterzeichnung eines Reverses in der Wohnung belassen worden. Aufgrund ihres geistigen Gesundheitszustands sei der Revers ungültig. Der Klägerin habe die notwendige Einsichtsfähigkeit gefehlt, Inhalt und Sinn des Reverses zu verstehen. Sie sei auch nicht in der Lage gewesen, zuverlässige Angaben über ihren Gesundheitszustand oder allfällige Schmerzen zu machen. Damit seien die Voraussetzungen gegeben, dass der Krankheitsverdacht im Sinn einer ersten Diagnose nur durch einen Arzt oder eine ihm gleichgestellte Person erfolgen könne. Die Sanitäter, die eine ärztliche Leistung im Sinn einer Stellung einer Diagnose nicht erbringen könnten, wären unter diesen Voraussetzungen verpflichtet gewesen, entweder den Notarzt zur weiteren Abklärung zu rufen oder die Klägerin zur weiteren Abklärung ins Krankenhaus zu transportieren. Theoretisch wäre es möglich gewesen, dass die schwer adipöse Klägerin durch den Sturz vom Sessel ein behandlungsbedürftiges Hämatom bekommen werde oder eine kleine Fraktur oder einen Knochenriss erlitten habe. Derartiges wäre röntgenologisch oder in Form von stärker werdenden Schmerzen erst nach 24 Stunden klar erkennbar gewesen. Ex ante betrachtet sei daher der Einsatz des Rettungs- und Krankenbeförderungsdienstes letztlich als notwendig und zweckmäßig einzustufen. Infolge des wegen des Wegfalls des Reverses als unrichtig einzustufenden Verhaltens der Sanitäter sei eine Abklärung des Gesundheitszustands der Klägerin im Sinn einer ersten Diagnose unterblieben. Ihrem zunächst bestehenden Anspruch auf Krankenbehandlung bzw Anstaltspflege im Sinn einer Klärung des Krankheitsverdachts sei nicht nachgekommen worden. Deshalb seien die Transportkosten jedenfalls zu übernehmen, auch wenn ex post betrachtet offensichtlich keine Behandlungsbedürftigkeit bestanden habe.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn liege bereits dann vor, wenn eine Störung der psycho-physischen Funktionen nach außen hin wahrnehmbar sei, und sei es nur durch entsprechende Äußerungen des Versicherten, die die Notwendigkeit einer Diagnoseerstellung indizierten. Dem Arzt obliege es, festzustellen, wann eine Störung ein solches Ausmaß erreicht habe, dass Behandlungsbedürftigkeit „medizinisch“ geboten sei. Den Vermerken der Sanitäter im Einsatzprotokoll, es seien keine sichtbaren Verletzungen festgestellt worden und die Patientin habe keine Schmerzen, käme gerade nicht die Bedeutung zu, dass damit ein objektiver Krankheitsverdacht beseitigt wäre. Die Klägerin sei nämlich aufgrund ihres geistigen Zustands nicht in der Lage gewesen, zuverlässige Angaben über ihren Gesundheitszustand oder allfällige Schmerzen zu machen. Berücksichtige man, dass die adipöse und geistig verwirrte Klägerin am Boden liegend vorgefunden worden sei, sei eine Abklärung ihres Gesundheitszustands durch einen Arzt angezeigt gewesen. Der von ihr abgegebene „Verzicht“ auf eine diagnostische Abklärung ihres Zustands durch Unterfertigung des Reverses entfalte mangels Einsichtsfähigkeit jedenfalls keine Wirkung.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil die Entscheidung von den besonderen Umständen des Einzelfalls abhänge und sich das Berufungsgericht auf jüngste Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs habe stützen können.

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei ist zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einem vergleichbaren Sachverhalt fehlt. Sie ist im Sinn der beschlossenen Aufhebung auch berechtigt.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die außerordentliche Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Aus dem Versicherungsfall der Krankheit werden dem Versicherten unter anderem Leistungen der Krankenbehandlung gewährt (§ 117 Z 2 ASVG). Die Krankenbehandlung umfasst ärztliche Hilfe und die Versorgung mit Heilmitteln und Heilbehelfen (§ 133 Abs 1 ASVG). Reicht eine ambulante ärztliche Versorgung nicht aus, hat der Versicherte Anspruch auf medizinische Hauskrankenpflege und Anstaltspflege (§ 144 Abs 1, § 151 Abs 1 ASVG).

Ärztliche Hilfe wird in erster Linie durch Vertragsärzte und Vertragsgruppenpraxen erbracht (§ 135 Abs 1 ASVG). § 135 Abs 4 ASVG bestimmt, dass dem Versicherten „im Falle der Notwendigkeit der Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe“ der Ersatz der Reise-(Fahrt-)Kosten nach Maßgabe der Bestimmungen der Satzung gewährt werden kann. § 135 Abs 5 ASVG legt fest, dass die Satzung des Krankenversicherungsträgers unter Bedachtnahme auf § 135 Abs 4 ASVG bestimmt, unter welchen Voraussetzungen für gehunfähig erkrankte Versicherte der Transport mit einem Krankentransportwagen zur Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe sowie der Ersatz der Kosten für die Inanspruchnahme eines Lohnfuhrwerks bzw privaten Kraftfahrzeugs gewährt werden können. Die medizinische Notwendigkeit eines solchen Transports muss ärztlich bescheinigt sein.

Benötigt der Versicherte Anstaltspflege, sind die notwendigen Kosten der Beförderung vom Versicherungsträger unter Bedachtnahme auf § 135 Abs 4 ASVG zu übernehmen, wenn der körperliche Zustand des Erkrankten oder die Entfernung seines Wohnsitzes die Beförderung in die oder aus der Anstalt erfordert (§ 144 Abs 5 ASVG).

Bei im Inland eingetretenen Unfällen, plötzlichen Erkrankungen und ähnlichen Ereignissen kann der Versicherte den nächst erreichbaren Arzt (nächst erreichbare Gruppenpraxis), erforderlichenfalls auch die nächst erreichbare Krankenanstalt in Anspruch nehmen, falls ein Vertragsarzt (Vertrags-Gruppenpraxis), eine Vertragskrankenanstalt oder eine eigene Einrichtung des Versicherungsträgers für die ärztliche Hilfe nicht rechtzeitig die notwendige Hilfe zu leisten vermag („Erste Hilfe“). Der Versicherungsträger hat den Versicherten für die tatsächlich erwachsenen Kosten, wozu auch Transportkosten gehören, den in der Satzung vorgesehenen Ersatz zu leisten. Darüber hinaus könne nach Maßgabe der Satzung auch die notwendigen Reise-(Fahrt-)Kosten übernommen werden (§ 131 Abs 3 ASVG).

Aus den genannten Bestimmungen erhellt, dass Krankentransportkosten als Teil der zu gewährenden ärztlichen Hilfe bzw Anstaltspflege zu werten sind (vgl 10 ObS 10/94, SSV-NF 8/9; Teschner/Widlar/Pöltner, ASVG MGA § 135 Anm 11; Schrammel/Welser, Die Kostentragung bei Flugrettungseinsätzen 32; Binder in Tomandl, SV-System 21. ErgLfg 224). Da Beförderungskosten nur im Fall der Notwendigkeit (vgl § 133 Abs 2 ASVG) der Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe ersetzt werden, muss der Transport in jedem Fall medizinisch indiziert sein (Schrammel/Welser aaO 32).

Die Satzung 2007 der beklagten Partei, www.avsv.at 70/2007, in der im Anlassfall anzuwendenden Fassung der 2. Änderung, www.avsv.at 45/2008, bestimmt:

Bei Inanspruchnahme Erster Hilfeleistung (§ 131 Abs 3 ASVG) werden die notwendigen Transportkosten nach den entsprechenden vertraglich festgelegten Tarifsätzen erstattet. Besteht keine vertragliche Regelung, erfolgt die Erstattung in Höhe der zuletzt in Geltung gestandenen Tarifen bzw leistet die Kasse in deren Ermangelung einen Zuschuss nach Anhang 7 der Satzung (§ 25 Satzung 2007).

Transportkosten iSd §§ 135 Abs 5, 144 Abs 5 ASVG übernimmt die Kasse, wenn ärztlich bescheinigt wird, dass die gehunfähig erkrankte Versicherte aufgrund ihres körperlichen oder geistigen Zustands kein öffentliches Verkehrsmittel - auch nicht mit einer Begleitperson - benutzen kann (§ 44 Abs 1 Satzung 2007). Die Kasse übernimmt Transportkosten nur für in § 44 Abs 2 Satzung 2007 aufgezählte Beförderungen im Inland in Höhe der vertraglich festgelegten Tarife. Gibt es keine vertraglich festgelegten Tarife, ersetzt die Kasse der Versicherten Kosten in Höhe der zuletzt geltenden Tarife, sofern im Anhang zur Satzung kein anderer Kostenersatz festgelegt ist (§ 44 Abs 2 Satzung 2007). Für den medizinisch notwendigen Transport mit der notwendigen Begleitung eines Sanitäters neben dem Fahrer (liegend) mit dem Krankentransportwagen einer Vertragseinrichtung (ua öffentlicher Rettungs- und Krankenbeförderungsdienst der Stadt Wien) übernimmt die Kasse die jeweils vertraglich vereinbarten Kosten (§ 44 Abs 3 Z 2 iVm Abs 5 Satzung 2007). Ein Kostenanteil an den Transportkosten pro Fahrt in Höhe der Rezeptgebühr entfällt für Versicherte, die von der Rezeptgebühr nach dem 1. und 2. Teil der Richtlinien des Hauptverbands für die Befreiung von der Rezeptgebühr (RRZ 2008) befreit sind, und bei Erster Hilfeleistung (§ 44 Abs 6 Z 2 und Z 4 Satzung 2007). Für Transporte im Bundesland Wien gelten alle geeigneten Behandlungsstellen als nächstgelegen (§ 44 Abs 12 Satzung 2007).

Für das Vorliegen einer Krankheit, die einen Anspruch auf Krankenbehandlung auslöst, muss nach der Legaldefinition des Versicherungsfalls der Krankheit in § 120 Abs 1 Z 1 ASVG zur Regelwidrigkeit noch die Notwendigkeit einer Krankenbehandlung (Behandlungsbedürftigkeit) treten. Behandlungsbedürftigkeit ist gegeben, wenn der regelwidrige Zustand ohne ärztliche Hilfe nicht mit Aussicht auf Erfolg behoben, zumindest aber gebessert oder vor einer Verschlimmerung bewahrt werden kann oder wenn die ärztliche Behandlung erforderlich ist, um Schmerzen oder sonstige Beschwerden zu lindern. Die Notwendigkeit der Krankenbehandlung ist dabei stets losgelöst vom Erfolg bzw Nichterfolg der tatsächlichen Krankenbehandlung ex ante zu beurteilen (10 ObS 99/08v, SSV-NF 23/2 mwN; RIS-Justiz RS0117777 [T1 und T2]). Es obliegt dem Arzt, festzustellen, wann eine Störung ein solches Ausmaß erreicht hat, dass Behandlungsbedürftigkeit medizinisch geboten ist (10 ObS 99/08v mwN). Die Krankenkassen haben die Kosten der Untersuchung zur Beseitigung eines vom Arzt geäußerten Krankheitsverdachts auch dann zu tragen, wenn sich nachträglich herausstellt, dass eine Krankheit nicht vorliegt (10 ObS 99/08v; Mazal, Krankheitsbegriff und Risikozurechnung 84; Schrammel/Welser aaO 36). Entscheidend ist, ob der Krankheitsverdacht bei der gebotenen ex-ante-Betrachtung nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft vertretbar („objektivierbar“) war (10 ObS 99/08v mwN; Schrammel/Welser aaO 36; Mazal aaO 86 und FN 164). Minimale Voraussetzung des Krankheitsbegriffs ist in der Regel, dass der Versicherte glaubhaft Symptome bezeichnen kann, die auf eine Abweichung von irgendeiner Norm - sei es physiologischer, psychischer oder sozialer Art - hindeuten oder sonst eine Störung der psycho-physischen Funktionen nach außen hin wahrnehmbar ist (10 ObS 99/08v mwN).

Regelmäßig wird der Arzt aber nicht von sich aus tätig, sondern sucht der Versicherte, dem Leistungen der Krankenversicherung nicht von Amts wegen, sondern auf Antrag gewährt werden (§ 361 Abs 1 Z 1 ASVG), den Arzt auf, wenn aufgrund störender Symptome nach seinem subjektiven Empfinden das Bedürfnis nach ärztlicher Behandlung besteht. Ob ein regelwidriger und behandlungsbedürftiger Körper- oder Geisteszustand vorliegt, muss der Versicherte also zunächst selber beurteilen. Eine Leistungspflicht der Krankenkasse für die Verifizierung oder Falsifizierung der Selbstbeurteilung des Versicherten durch den Arzt besteht, wenn der Versicherte dem Arzt seinen Leidenszustand so darlegen und glaubhaft (hinreichend wahrscheinlich) machen kann, dass aus der Sicht des Arztes ärztliches Tätigwerden in Form von Diagnose und Therapie erforderlich ist (Schrammel, Veränderung des Krankheitsbehandlungsanspruches durch Vertragspartnerrecht, ZAS 1986, 145 [148 f]; Schrammel/Welser aaO 36; vgl 10 ObS 99/08v).

Der Grundsatz der ex-ante-Beurteilung der Notwendigkeit einer Krankenbehandlung gilt auch für den Krankentransport, der ein Annex zur ärztlichen Hilfe oder Anstaltspflege ist. Ein Transport kann mit der Inanspruchnahme von Leistungen der Krankenbehandlung nur dann in Zusammenhang stehen, wenn der Versicherte einer ärztlichen Hilfe oder Anstaltspflege bedarf. Ist die Notwendigkeit der Krankenbehandlung ex ante zu bejahen, ist weiters zu prüfen, ob die Beförderung mit einem bestimmten Transportmittel notwendig ist. Kann der Versicherte den Arzt (die Krankenanstalt) aus eigener Kraft nicht aufsuchen, muss ein geeignetes Transportmittel ausgewählt werden, wobei das Maß des Notwendigen nicht überschritten werden darf (Schrammel/Welser aaO 37).

Ein Rettungstransportmittel wird in der Regel nicht vom Arzt, sondern vom Versicherten selbst oder einem Dritten für ihn angefordert. Von diesen Personen dürfen besondere medizinische Kenntnisse über die Notwendigkeit eines bestimmten Transportmittels nicht erwartet werden. Es reicht aus, dass die Notwendigkeit für den Anfordernden hinreichend wahrscheinlich sein musste (Schrammel/Welser aaO 38).

Für den zu entscheidenden Fall ergibt sich aus diesen Ausführungen:

Die Ausführung der Revisionswerberin, die Heimhilfe habe „womöglich“ nur deshalb die Rettung gerufen, weil sie selbst die adipöse Klägerin nicht wieder in das Bett habe heben können, geht nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Es wurde in erster Instanz von keiner Partei behauptet, die Rettung sei zum Zweck der „Betthebung“, nicht aber wegen einer für notwendig gehaltenen Krankenbehandlung gerufen worden.

Wenngleich eine ausdrückliche Feststellung der Intention der Heimhilfe nicht getroffen wurde, ist aufgrund der Behauptungslage und der Feststellungen davon auszugehen, dass die Heimhilfe die Rettung anforderte, weil sie wegen einer möglichen Verletzung der Klägerin die Inanspruchnahme von ärztlicher Hilfe für notwendig ansah. Dass die Sanitäter den Revers unterfertigen ließen, zeigt, dass bei ihnen selbst nach der Angabe der Klägerin, keine Schmerzen zu verspüren, ein Krankheitsverdacht nicht zur Gänze ausgeräumt war. Es ist nicht strittig, dass die Klägerin nach der Lage des Falls nicht gehfähig war und aufgrund ihres körperlichen und geistigen Zustands auch nicht mit Hilfe der Heimhelferin ein öffentliches Verkehrsmittel benutzen konnte.

Dass die mit der Ausfahrt des Rettungswagens begonnene Beförderung zur Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe nicht mit dem Transport der Klägerin zu einem Arzt oder in eine Krankenanstalt endete, bedeutet entgegen der Ansicht der Revisionswerberin nicht, dass im Anlassfall ein Krankentransport im Sinn des Gesetzes und der Satzung nicht vorliegt. Zum einen war - wie dargelegt - die Anforderung der Rettung durch die Heimhilfe der Klägerin zur Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe aus ex-ante-Sicht notwendig. Zum anderen sind der Klägerin wegen ihres Geisteszustands die zur vorzeitigen Beendigung des Transports führenden Umstände (ihre Angabe, keine Schmerzen zu haben, und die Unterfertigung des Reverses) nicht zuzurechnen, sodass sie das Unterbleiben des Transports durch die Vertragseinrichtung der beklagten Partei nicht belastet.

Ob eine Leistungspflicht des Krankenversicherungsträgers auch dann zu bejahen wäre, wenn ein zurechnungsfähiger Versicherter trotz weiter bestehenden Krankheitsverdachts eine Beförderung mit dem angeforderten Krankentransportwagen ablehnt, muss mangels Entscheidungsrelevanz nicht geprüft werden.

Die Sozialrechtssache ist nicht entscheidungsreif. Die beklagte Partei hat die Transportkosten nur in satzungsmäßiger Höhe zu ersetzen. Die zur Beurteilung der Höhe des Ersatzanspruchs notwendigen Feststellungen wurden nicht getroffen, sodass es zu einer Aufhebung und Rückverweisung kommen muss. Das Erstgericht wird mit den Parteien die Frage der Höhe des Ersatzanspruchs zu erörtern, über strittig bleibende Tatfragen Feststellungen zu treffen und neuerlich zu entscheiden haben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO. Die beklagte Partei hat gemäß § 77 Abs 1 Z 1 ASGG die Kosten ihrer Revision selbst zu tragen.

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