OGH 10ObS28/12h

OGH10ObS28/12h13.3.2012

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden und durch den Hofrat Dr. Fellinger sowie die Hofrätin Dr. Fichtenau in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. M*****, vertreten durch Mag. Gregor Kohlbacher, Rechtsanwalt in Graz, und des Nebenintervenienten auf Seiten der klagenden Partei Mag. H*****, vertreten durch Gheneff-Rami-Sommer Rechtsanwälte KG in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei Steiermärkische Gebietskrankenkasse, 8011 Graz, Josef-Pongratz-Platz 1, infolge Rekurses des Nebenintervenienten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15. November 2011, GZ 7 Rs 60/11i-22, womit die Berufung des Nebenintervenienten gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 12. April 2011, GZ 29 Cgs 358/10d-8, zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs des Nebenintervenienten wird nicht Folge gegeben.

Der Nebenintervenient hat die Kosten seines erfolglosen Rekurses selbst zu tragen.

Text

Begründung

Mit Bescheid vom 3. 12. 2010 wurde die Zuerkennung des der Klägerin anlässlich der Geburt ihrer Tochter Marie Elena von 1. 1. 2005 bis 31. 12. 2005 gewährten Kinderbetreuungsgeldes widerrufen und die Klägerin zum Ersatz der unberechtigt empfangenen 5.303,45 EUR verpflichtet.

Das Erstgericht wies mit Urteil vom 12. 4. 2011 die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage ab und verpflichtete die Klägerin, der Beklagten diesen Betrag in 25 aufeinanderfolgenden monatlichen Teilbeträgen zurückzuzahlen. Das Ersturteil wurde der Klägerin am 14. 6. 2011 zugestellt.

Das Berufungsgericht wies mit Beschluss vom 20. 9. 2011 die dagegen von der Klägerin erhobene Berufung unter Hinweis darauf als unzulässig zurück, dass ausschließlich der Ausspruch über die Ratenanordnung angefochten sei (§ 90 Z 1 ASGG). Die Berufungsentscheidung wurde der Klägerin am 29. 9. 2011 zugestellt.

Bereits mit Schriftsatz vom 5. 8. 2011 hatte die Klägerin Dr. H***** den Streit verkündet. Eine Gleichschrift dieses Schriftsatzes samt weiteren Aktenkopien wurde an Dr. H***** zugestellt. Nach seinem Vorbringen ist ihm auf diesem Weg auch das Ersturteil, und zwar am 26. 9. 2011 zur Kenntnis gelangt.

Am 13. 10. 2011 erhob die Klägerin gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts Rekurs an den Obersten Gerichtshof, der diesem bisher nicht vorgelegt wurde.

Am 18. 10. 2011 (Einbringung im ERV) erklärte Dr. H*****, dem Verfahren auf Seiten der Klägerin als Nebenintervenient beizutreten (AS 171); am 24. 10. 2011 erhob er Berufung gegen das Ersturteil. Mit Verfügung vom selben Tag veranlasste das Erstgericht die Zustellung der Beitrittserklärung an die beklagte Partei (AS 223). Diese stellte keinen Antrag auf Zurückweisung.

Das Berufungsgericht wies die gegen das Ersturteil erhobene Berufung des Nebenintervenienten als verspätet zurück. Rechtlich ging es davon aus, dass der Nebenintervenient dann, wenn die der Hauptpartei eröffnete Rechtsmittelfrist im Beitrittszeitpunkt bereits verstrichen war, die dadurch bestimmte Verfahrenslage, ua auch eine nicht mehr weiter anfechtbare Entscheidung, hinnehmen müsse. Seine Befugnisse würden sich auf die weiteren Rechte im Verfahren beschränken, so auf die Rechte im drittinstanzlichen bzw im fortgesetzten Verfahren nach einer allfälligen aufhebenden Entscheidung. Da das vom Nebenintervenienten angefochtene Ersturteil der Hauptpartei (der Klägerin) bereits am 14. Juni 2011 zugestellt worden sei, sei die Beitrittserklärung und die Berufung des Nebenintervenienten weit nach Ablauf der Berufungsfrist erfolgt; die Zustellung des erstgerichtlichen Urteils an den Nebenintervenienten habe für diesen keinen (neuerlichen) Lauf der Berufungsfrist ausgelöst, weshalb seine Berufung verspätet sei.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung gerichtete Rekurs des Nebenintervenienten ist nicht berechtigt.

1. Gemäß § 18 Abs 1 ZPO kann die Nebenintervention in jeder Lage des Verfahrens bis zu dessen rechtskräftiger Erledigung durch Zustellung eines Schriftsatzes an beide Parteien erfolgen. Sie wird mit der Zustellung des Beitrittsschriftsatzes rechtswirksam. Gemäß § 19 Abs 1 ZPO muss der Intervenient den Rechtsstreit in der Lage annehmen, in welcher sich derselbe zur Zeit seines Beitritts befindet.

2. Da das Berufungsverfahren, als die Nebenintervention erklärt wurde, bereits beendet war, das Revisionsverfahren beim Obersten Gerichtshofs aber mangels Vorlage des Akts noch nicht anhängig war, war das Erstgericht für die Entscheidung über die Zulässigkeit der Nebenintervention funktionell zuständig (Schubert in Fasching/Konecny 2 II/1§ 18 ZPO Rz 7). Im weiteren Verlauf des Verfahrens kann der Umstand, dass sich aus dem Beitrittsschriftsatz kein schlüssig behauptetes rechtliches Interventionsinteresse ableiten lässt, von Amts wegen mangels eines Zurückweisungsantrags der beklagten Partei nicht mehr wahrgenommen bzw aufgegriffen werden (RIS-Justiz RS0035481 [T4, T6]).

3. Die bisher von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zu einer erst im Rechtsmittelverfahren abgegebenen Beitrittserklärung lassen sich wie folgt zusammenfassen:

3.1. Erfolgt der Beitritt erst zu einem Zeitpunkt, zu dem für die Hauptpartei die Rechtsmittelfrist bereits ungenützt verstrichen ist, ist die Erhebung eines Rechtsmittels nicht mehr möglich. Zwar sind dem Nebenintervenienten seit der Entscheidung des verstärkten Senats 1 Ob 145/02h, SZ 2002/168 Ausfertigungen der Entscheidung wie der Hauptpartei zuzustellen (RIS-Justiz RS0117093), wobei für ihn die Rechtsmittelfrist, auch wenn er erst im Rechtsmittelverfahren beitrat, mit dem Zeitpunkt dieser Zustellung beginnt (RIS-Justiz RS0122182). In der Entscheidung des verstärkten Senats wurde allerdings ausdrücklich betont, dass dieser Grundsatz nur gilt, wenn zum Zeitpunkt des Beitritts die Rechtsmittelfrist für jene Partei, auf deren Seite der Nebenintervenient beitrat, noch nicht abgelaufen ist. Ist hingegen die der Hauptpartei eröffnete Rechtsmittelfrist bereits verstrichen, muss der Nebenintervenient die dadurch bestimmte Verfahrenslage hinnehmen (§ 19 Abs 1 ZPO).

3.2. Aus § 19 Abs 1 ZPO ergibt sich weiters, dass im Falle des Beitritts des Nebenintervenienten erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist für die Hauptpartei der Nebenintervenient auch dann kein eigenes Rechtsmittel mehr erheben kann, wenn die Hauptpartei ihrerseits rechtzeitig ein Rechtsmittel erhoben hat (3 Ob 45/11f). Auch in diesem Fall muss der Nebenintervenient die dadurch bestimmte Verfahrenslage hinnehmen.

4. Im vorliegenden Fall war im Zeitpunkt der Zustellung der Beitrittserklärung die Berufungsfrist für die Hauptpartei (die Klägerin) bereits abgelaufen. Die dennoch erhobene Berufung des Nebenintervenienten ist somit - wie bereits das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - verspätet.

Entgegen der Meinung des Rekurswerbers setzt auch der Umstand, dass ihm am 26. 9. 2011 anlässlich der Zustellung der Streitverkündung (gemeinsam mit anderen Unterlagen) eine Ausfertigung der Entscheidung des Erstgerichts übermittelt worden war, für ihn keine eigene Berufungsfrist in Gang. Zu diesem Zeitpunkt hatte er seine Beitrittserklärung als Nebenintervenient noch nicht abgegeben, sodass er noch nicht als Nebenintervenient anzusehen war. Im Übrigen wäre auch am 26. 9. 2011 die der Hauptpartei (nach der Zustellung vom 14. 6. 2011) offenstehende Berufungsfrist bereits längst abgelaufen gewesen.

5. Der Rekurs des Nebenintervenienten bleibt daher erfolglos.

Die Entscheidung war - obwohl in zweiter Instanz unter Beiziehung von Laienrichtern entschieden wurde - von einem Dreiersenat zu fällen (§ 11a Abs 3 Z 2 ASGG; Neumayr in Zeller Kommentar, § 11a ASGG Rz 2, 3).

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