OGH 4Ob1/12v

OGH4Ob1/12v28.2.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Fachverband *****, vertreten durch Tonninger Schermaier Riegler Maierhofer Rechtsanwälte (GbR) in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. T***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Michael Metzler, Rechtsanwalt in Linz, 2. b***** AG, *****, vertreten durch Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Sicherungsverfahren 60.200 EUR), infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 25. Oktober 2011, GZ 4 R 185/11w-16, womit der Beschluss des Landesgerichts Linz vom 15. September 2011, GZ 31 Cg 51/11b-8, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten Partei die mit 2.026,06 EUR (darin 337,67 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 526 Abs 2 ZPO) - Ausspruch des Rekursgerichts hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO ab.

Rechtliche Beurteilung

1. In der Fallgruppe „Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch“ ist nur die Vertretbarkeit, nicht die Richtigkeit der dem beanstandeten Verhalten zugrunde liegenden Rechtsauffassung zu prüfen.

2.1. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Verstoß gegen eine nicht dem Lauterkeitsrecht im engeren Sinne zuzuordnende generelle Norm als unlautere Geschäftspraktik oder als sonstige unlautere Handlung iSv § 1 Abs 1 Z 1 UWG zu werten, wenn die Norm nicht auch mit guten Gründen in einer Weise ausgelegt werden kann, dass sie dem beanstandeten Verhalten nicht entgegensteht (RIS-Justiz RS0123239).

2.2. Maßgebend für die Beurteilung der Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung sind der eindeutige Wortlaut und Zweck der angeblich übertretenen Norm sowie gegebenenfalls die Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts und eine beständige Praxis von Verwaltungsbehörden (4 Ob 67/11y mwN; RIS-Justiz RS0077771 [T76]).

2.3. Hat das Gericht zweiter Instanz eine vertretbare Rechtsansicht angenommen, ist die „richtige“ Auslegung der angeblich übertretenen Norm unerheblich; entscheidend ist allein, ob das Gericht zweiter Instanz die Vertretbarkeitsfrage in vertretbarer Weise beurteilt hatte. Das Fehlen von höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur „richtigen“ Auslegung der angeblich übertretenen Norm schadet daher nicht; das Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof ist aus diesem Grund nur dann zulässig, wenn das Gericht zweiter Instanz seinen Ermessensspielraum bei der Beurteilung der Vertretbarkeitsfrage überschritten hat. Das ist im Regelfall nur bei einer „krassen“ Fehlbeurteilung anzunehmen (4 Ob 40/09z; vgl RIS-Justiz RS0124004 [T2]).

3.1. Der klagende Fachverband stützt seinen Vorwurf lauterkeitswidrigen Verhaltens auf einen Verstoß der Beklagten gegen § 1 Satz 1 des Bundesgesetzes über die Preisbindung bei Büchern, BGBl I Nr 2000/45 (BPrBG). Danach gilt dieses Bundesgesetz für den Verlag und den Import sowie den Handel, mit Ausnahme des grenzüberschreitenden elektronischen Handels, mit deutschsprachigen Büchern und Musikalien.

Nach Auffassung des Klägers erfüllten die Beklagten mit ihrem Geschäftsmodell den Ausnahmetatbestand des grenzüberschreitenden elektronischen Handels mit deutschsprachigen Büchern nicht, weshalb über diese Plattform abgewickelte Gutscheinaktionen gesetzwidrig seien. Die Beklagten hätten in gemeinsamer Zusammenarbeit mit der Webplattform „t*****.at“ eine Konstruktion geschaffen, die weder rein elektronisch noch grenzüberschreitend sei und mit der sie die Buchpreisbindung zu umgehen versuchten. Sie wickelten über diese Webplattform Rabattaktionen unter dem Anschein ab, der Internethandel werde über die Zweitbeklagte mit Sitz im Ausland betrieben, um sich damit auf die Ausnahme zum Buchpreisbindungsgesetz berufen zu können. Die Zweitbeklagte stelle offenbar die Funktionalität der Plattform bereit und werde als zuständig für den Internethandel und als Vertragspartner für Bestellungen genannt, die Erstbeklagte verteile und versende aber die Gutscheine, betreibe die Plattform weitgehend selbst und trete gegenüber dem Kunden wie deren eigentlicher Vertragspartner auf. Die Erstbeklagte profitiere neben der Zweitbeklagten auch selbst von den auf der Webplattform erzielten Umsätzen.

3.2. Die Beklagten stehen dem gegenüber auf dem Standpunkt, die Zweitbeklagte betreibe einen grenzüberschreitenden elektronischen Handel mit Büchern und sei damit von der Anwendung des Buchpreisbindungsgesetzes ausgenommen, möge sie sich dabei auch von der Erstbeklagten unterstützen lassen. Die Zweitbeklagte habe ihre Hauptverwaltung in Deutschland und werde alleinige Vertragspartnerin bei Bestellungen über die Webplattform. Die Gutscheine könnten beim Filialverkauf der Erstbeklagten im Inland nicht eingelöst werden.

3.3. Bescheinigt ist, dass die im Inland eingetragene Erstbeklagte über ein inländisches Filialnetz den Handel mit Büchern und Medien betreibt. Sie ist im Rahmen desselben Konzerns eine Schwestergesellschaft der in Deutschland registrierten Zweitbeklagten, die den Internetversandhandel mit Büchern und Medien ua über die hier strittige Webplattform betreibt. Bei Aufruf deren Startseite findet sich nach mehrmaligem Scrollen am Seitenende ein Hinweis, dass der Internethandel über die Zweitbeklagte, der Filialverkauf hingegen über die Erstbeklagte erfolgt. Das Impressum bezeichnet die Webplattform als Internetauftritt beider Beklagten und unterscheidet wie zuvor zwischen Internethandel und Filialverkauf. In den AGB wird nur die Zweitbeklagte als Betreiberin der Webplattform angeführt und darauf hingewiesen, dass die Zweitbeklagte nicht Vertragspartner wird, wenn der Kunde im Rahmen des Bestellvorgangs die Abholung der Ware in einer Filiale der Erstbeklagten wählt. Die Kontaktdaten für das Kundenservice sind Telefonnummern der Erstbeklagten. Im Bereich „Onlinehilfe: Versand & Lieferung“ wird unter „Lieferung ins Ausland“ darauf hingewiesen, dass Bestellungen aus Deutschland und der Schweiz akzeptiert werden, Lieferungen nach Österreich sind grundsätzlich versandkostenfrei, während für Lieferungen nach Deutschland Versandkosten von 3,50 EUR anfallen. Die Rücksendung von über die Webplattform abgewickelten Bestellungen hat an ein inländisches Versand-Center am Sitz der Erstbeklagten zu erfolgen. Die Zweitbeklagte trägt die Webplattform hinsichtlich der gesamten Hard- und Software sowie des gesamten Personals für den Betrieb des Online-Shops und gestaltet sie auch inhaltlich; die Erstbeklagte kann dort nur in einem vorgegebenen begrenzten Rahmen eigene Inhalte einstellen. Für die über die Webplattform abgewickelten Bestellungen erhält die Erstbeklagte eine Provision von der Zweitbeklagten. Die Webplattform ist auf inländische Kunden ausgerichtet, der Vertragsschluss zwischen diesen und der Zweitbeklagten erfolgt ausschließlich elektronisch unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln ohne jeden persönlichen Kundenkontakt.

4.1. Das Rekursgericht hat das Vorliegen eines grenzüberschreitenden elektronischen Handels bei Bestellungen über die Webplattform bejaht und damit die in Frage stehende Norm des § 1 Satz 1 BPrBG im Sinne der Auffassung der Beklagten ausgelegt. Es hat damit im Ergebnis implizit auch die Vertretbarkeit dieser Auffassung bejaht: Hält ein Gericht eine Auslegung sogar für „richtig“, impliziert dieses Urteil notwendig, dass es diese Auslegung jedenfalls für vertretbar hält.

4.2. Das Rekursgericht ist dabei von folgenden wesentlichen Überlegungen ausgegangen: Die Materialien (Bericht des Kulturausschusses zu § 1 BPrBG, 113 Blg NR 21. GP) hielten fest, dass zur Definition von elektronischem Handel im Sinne dieses Gesetzes auf die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr bzw die Definitionen der Richtlinie 98/38/EG idF 98/48/EG zum Begriff Dienst der Informationsgesellschaft zurückgegriffen werden könne. Demnach sei ein Dienst der Informationsgesellschaft jede gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf des Empfängers erbrachte Leistung (Art 1 Abs 2 RL 98/38/EG idF 98/48/EG). Eine im Fernabsatz erbrachte Leistung sei eine Dienstleistung, die ohne gleichzeitige physische Anwesenheit der Vertragsparteien erbracht werde. Für die Beurteilung, ob ein grenzüberschreitender Handel vorliege, sei die RL 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. 6. 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs im Binnenmarkt (E-Commerce Richtlinie) einschlägig. Nach deren 19. Erwägungsgrund habe die Bestimmung des Orts der Niederlassung des Anbieters gemäß den in der Rechtsprechung des Gerichtshofs entwickelten Kriterien zu erfolgen, nach denen der Niederlassungsbegriff die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung auf unbestimmte Zeit umfasse. Erbringe ein Unternehmen Dienstleistungen über eine Website des Internets, so sei es weder dort niedergelassen, wo sich die technischen Mittel befänden, die diese Website beherbergten, noch dort, wo die Website zugänglich sei, sondern an dem Ort, an dem es seine Wirtschaftstätigkeit ausübe. Ein Internetbuchhändler könne sich daher dann auf den Ausnahmetatbestand für den grenzüberschreitenden Internetbuchhandel berufen, wenn sich seine Hauptverwaltung (wie hier jene der Zweitbeklagten) im Ausland befinde. Die genannte Richtlinie stelle hingegen nicht darauf ab, wo und in welcher Form die Geschäftsanbahnung erfolge; auch sei das bloße Verteilen von Gutscheinen im Inland, die von den Empfängern nur bei Bestellungen im Internethandel eingelöst werden könnten, noch keine Geschäftsanbahnung. Dass bei einem Testkauf bestellte Bücher die österreichische Staatsgrenze nicht passiert hätten, weil die Versendung durch einen inländischen Großhändler erfolgt sei, stehe der vertretenen Auffassung ebenso wenig entgegen wie der Umstand, dass Rücksendungen an ein inländisches Versandzentrum zu adressieren seien und auch sonstige „after sales Serviceleistungen“ im Inland erbracht würden. Entscheidend sei, dass die Kaufverträge über Bücher zwischen dem Letztverbraucher und der Zweitbeklagten abgeschlossen würden, worauf auf der Webplattform auch ausdrücklich hingewiesen werde. Die Organisation der Abwicklung des Vertrags unter Einschaltung von Gehilfen oder das Verlangen von Versandkosten sei kein Kriterium für die Beurteilung, ob ein grenzüberschreitender elektronischer Handel vorliege. Es könne keine Rede davon sein, dass die Zweitbeklagte - entgegen den deutlichen Hinweisen in den AGB und auf der Startseite - als Vertragspartner der Letztverbraucher nur „vorgeschoben“ sei. Sie schließe vielmehr nicht dem BPrBG unterliegende Eigengeschäfte.

4.3. Diese Auslegung der hier strittigen Norm durch das Rekursgericht orientiert sich an deren Wortlaut und Systematik; so bezeichnet etwa § 2 Z 3 BPrBG als Letztverkäufer jenen, der Waren iSd § 1 an Letztverbraucher veräußert, womit für den Handelsbegriff des § 1 BPrBG am Abschluss von Kaufverträgen (und nicht etwa an der Organisation der Vertragsabwicklung oder Details der Produktwerbung) angeknüpft wird. Diese Auslegung ist daher keinesfalls krass unvertretbar und bedarf keiner Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung.

4.4. Die Zweitbeklagte mit Sitz im Ausland tritt im Internethandel allein nach außen als Vertragspartnerin auf, und der Bestellvorgang läuft ohne jeden persönlichen Kontakt und damit ohne physische Anwesenheit der Vertragspartner über das von der Zweitbeklagten allein betriebene System ab. Wenn die Beklagten diesen Vorgang als grenzüberschreitenden elektronischen Handel beurteilen, begehen sie damit keinen Lauterkeitsverstoß. Daran ändert selbst dann nichts, sollte die Bestellung bei der Zweitbeklagten - wie vom Revisionsrekurswerber aufgezeigt - in einer Filiale der Erstbeklagten mit kostenlosem WLAN unter Verwendung eines Internetzugangs über das Handy des Bestellers erfolgen, wird doch dadurch noch keine Anwesenheit des Vertragspartners beim Vertragsabschluss hergestellt.

Der Revisionsrekurs war daher wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO als unzulässig zurückzuweisen.

5. Die Entscheidung über die Kosten der Klägerin beruht auf § 393 Abs 1 EO, jene über die Kosten der Erstbeklagten auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Da die Erstbeklagte in ihrer Revisionsrekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat, diente ihr Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung. Die Bemessungsgrundlage im Sicherungsverfahren beträgt 60.200 EUR.

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