OGH 4Ob169/11y

OGH4Ob169/11y28.2.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. B***** GmbH, *****, 2. M***** GmbH, *****, beide vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Ö***** GmbH, *****, vertreten durch DDr. Meinhard Ciresa, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Sicherungsverfahren 65.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 12. September 2011, GZ 6 R 320/11p-16, womit infolge Rekurses der klagenden Parteien der Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 19. Juli 2011, GZ 10 Cg 77/11y-8, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Beschluss - unter Einbeziehung des in Rechtskraft erwachsenen Teils - insgesamt wie folgt zu lauten hat:

„Einstweilige Verfügung

Zur Sicherung des mit der Klage geltend gemachten Anspruchs auf Unterlassung wettbewerbswidriger Handlungen wird der beklagten Partei für die Dauer dieses Rechtsstreites aufgetragen, es ab sofort zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr bis zur Rechtskraft des über die Klage ergehenden Urteils

1. die Produkte 'Immun 44 Saft' und 'Immun 44 Kapseln' als diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (Bilanzierte Diäten) zur diätetischen Behandlung von wiederkehrenden grippalen Infekten, insbesondere - ohne Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz - mit den auf eine Arzneimittelwirkung hinweisenden und/oder irreführenden Angaben 'blockiert Viren', 'blockiert Grippeviren', 'ein spezieller Pflanzenextrakt ist in der Lage, Viren und Bakterien physikalisch weitgehend zu binden und so am Eindringen in die Körperzellen zu hindern', 'spezielle Pflanzenschutzstoffe schützen den Körper durch die Neutralisation immunbelastender Radikale und es werden auf diese Weise entzündliche Prozesse des Körpers abgefedert' sowie mit sinngemäß ähnlichen Angaben anzukündigen, zu vertreiben oder auf sonstige Weise in Verkehr zu bringen;

2. die Produkte 'Immun 44 Saft' und 'Immun 44 Kapseln' zu vertreiben und auf sonstige Weise in Verkehr zu bringen, wenn sie für Säuglinge und/oder Kleinkinder (das sind Kinder bis zur Vollendung des 4. Lebensjahres) empfohlen werden und die unzulässigen Zusatzstoffe Xanthan, Kaliumsorbat, Natriumbenzoat und Gummi arabicum (Immun 44 Saft) bzw Hydroxypropylmethylcellulose, Mikrokristalline Cellulose, Titandioxid und Gummi arabicum (Immun 44 Kapseln) enthalten;

3. das Produkt 'Immun 44 Lutschtabletten' als diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (Bilanzierte Diät) zur diätetischen Behandlung von Hals- und Rachenentzündungen, insbesondere mit den auf eine Arzneimittelwirkung hinweisenden und/oder irreführenden Angaben 'blockiert Viren' und 'ein spezieller Pflanzenextrakt ist in der Lage, Viren und Bakterien physikalisch weitgehend zu binden und so am Eindringen in die Körperzellen zu hindern' oder mit sinngemäß ähnlichen Angaben anzukündigen, zu vertreiben und in Verkehr zu bringen.“

Die klagenden Parteien haben die Kosten des Sicherungsverfahrens aller drei Instanzen vorläufig, die beklagte Partei hat die Kosten des Sicherungsverfahrens aller drei Instanzen endgültig selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die klagenden Pharmaunternehmen vertreiben Arzneimittel zur Stärkung der Abwehrkräfte.

Die Beklagte vertreibt die Produkte „Immun 44 Saft“, „Immun 44 Kapseln“ und „Immun 44 Lutschtabletten“ und steht damit in einem Wettbewerbsverhältnis zu den Klägerinnen. Allen diesen Produkten wird nach dem Verpackungstext folgende Wirkung zugeschrieben: „blockiert Viren; ein spezieller Pflanzenextrakt ist in der Lage, Viren und Bakterien physikalisch weitgehend zu binden und so am Eindringen in die Körperzellen zu hindern“. Saft und Kapseln wird nach dem Verpackungstext folgende Wirkung zugeschrieben: „stabilisiert das Immunsystem; neutralisiert immunbelastete Radikale; spezielle Pflanzenschutzstoffe schützen den Körper durch die Neutralisation immunbelastender Radikale, auf diese Weise werden entzündliche Prozesse des Körpers abgefedert; füllt Immunakkus wieder auf“. Ob die Produkte die in der Aufmachung angegebenen Wirkungen erzielen, hat das Erstgericht nicht als bescheinigt erachtet.

Das Produkt Saft enthält Xanthan, Kaliumsorbat, Natriumbenzoat und Gummi arabicum; die Kapseln enthalten Hydroxypropylmethylcellulose, mikrokristalline Cellulose, Titandioxid und Gummi arabicum. Kapseln, Saft und Lutschtabletten enthalten ein Extrakt der Pflanze Cistus incanus. Für keines der Produkte liegt eine Zulassung als Arzneimittel vor. Eine Zulassung von Cistus incanus nach der Novel-Food-VO (EG) 258/97 hat die Beklagte nicht beantragt; dieser Stoff wurde schon vor dem 15. 5. 1997 in der Europäischen Union zB zur Teezubereitung in Verkehr gebracht.

Zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs beantragten die Klägerinnen, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung aufzutragen, es bis zur Rechtskraft des über die Klage ergehenden Urteils im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen,

1. die Produkte „Immun 44 Saft“ und „Immun 44 Kapseln“ als diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (Bilanzierte Diäten) zur diätetischen Behandlung von wiederkehrenden grippalen Infekten, insbesondere - ohne Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz - mit den auf eine Arzneimittelwirkung hinweisenden und/oder irreführenden Angaben „blockiert Viren“, „blockiert Grippeviren“, „ein spezieller Pflanzenextrakt ist in der Lage, Viren und Bakterien physikalisch weitgehend zu binden und so am Eindringen in die Körperzellen zu hindern“, „spezielle Pflanzenschutzstoffe schützen den Körper durch die Neutralisation immunbelastender Radikale und es werden auf diese Weise entzündliche Prozesse des Körpers abgefedert“ sowie mit sinngemäß ähnlichen Angaben anzukündigen, zu vertreiben oder auf sonstige Weise in Verkehr zu bringen;

2. die Produkte „Immun 44 Saft“ und „Immun 44 Kapseln“ zu vertreiben und auf sonstige Weise in Verkehr zu bringen, wenn sie für Säuglinge und/oder Kleinkinder (das sind Kinder bis zur Vollendung des 4. Lebensjahres) empfohlen werden und die unzulässigen Zusatzstoffe Xanthan, Kaliumsorbat, Natriumbenzoat und Gummi arabicum (Immun 44 Saft) bzw Hydroxypropylmethylcellulose, Mikrokristalline Cellulose, Titandioxid und Gummi arabicum (Immun 44 Kapseln) enthalten;

3. das Produkt „Immun 44 Lutschtabletten“ als diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (Bilanzierte Diät) zur diätetischen Behandlung von Hals- und Rachenentzündungen, insbesondere mit den auf eine Arzneimittelwirkung hinweisenden und/oder irreführenden Angaben „blockiert Viren“ und „ein spezieller Pflanzenextrakt ist in der Lage, Viren und Bakterien physikalisch weitgehend zu binden und so am Eindringen in die Körperzellen zu hindern“ oder mit sinngemäß ähnlichen Angaben anzukündigen, zu vertreiben und in Verkehr zu bringen;

hilfsweise zu den Begehren 1. und 3., die Produkte „Immun 44 Saft“, „Immun 44 Kapseln“ und „Immun 44 Lutschtabletten“ anzukündigen, zu vertreiben und auf sonstige Weise in Verkehr zu bringen, sofern diese Produkte einen Extrakt aus der Pflanze Cistus incanus enthalten, ohne dass für die Pflanze Cistus incanus eine Zulassung nach der Novel-Food-Verordnung (EG) Nr 258/97 vorliegt.

Die Beklagte bewerbe die beanstandeten Produkte als diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (Bilanzierte Diäten) und bringe sie als solche in Verkehr, ohne dass sie den gesetzlichen Anforderungen (VO BGBl II 2000/416; RL 1999/21/EG) entsprächen. Die Bestimmung dieser Produkte zur vorbeugenden Anwendung sei daher nicht zulässig. Die Produkte „Saft“ und „Kapseln“ würden mit der Behauptung arzneilicher Wirkung in Verkehr gebracht, ohne dass eine Arzneimittelzulassung (§§ 7 ff AMG) vorläge. Die Angaben über die arzneiliche Wirkung der Produkte seien zur Irreführung geeignet, weil die behaupteten Wirkungen nicht zuträfen. § 3 Abs 1 VO BGBl II 2000/416 verlange, dass ein diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke wirksam sei, indem es besonderen Ernährungserfordernissen der Personen, für die es bestimmt sei, entspreche; dies sei durch allgemein anerkannte wissenschaftliche Daten zu belegen. Die Beklagte habe der ihr auferlegten Beweislast nicht entsprochen. Die Produkte der Beklagten enthielten unzulässige Zusatzstoffe, so Cistus incanus, da es sich um eine nach der Novel-Food-Verordnung zulassungspflichtige Substanz handle und eine Genehmigung nicht vorliege. Die Beklagte biete unzulässig ein nicht registriertes Arzneimittel unter Umgehung des Zulassungsverfahrens als ergänzende Bilanzierte Diät an. Die von der Beklagten vorgelegten Gutachten und die vom Bundesministerium für Gesundheit ausgestellten „Certificates“ bescheinigten nicht, dass die beanstandeten Produkte den Anforderungen eines diätetischen Lebensmittels entsprächen.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Sicherungsantrags. Die beanstandeten Produkte seien weder Arzneimittel noch Präsentationsarzneimittel, sondern Bilanzierte Diäten, die die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllten; dies belegten zahlreiche Sachverständigengutachten und Zertifikate des Bundesministeriums für Gesundheit. Die Produktaufmachungen seien nicht irreführend und wiesen nicht auf Arzneimittelwirkung hin. Diätetische Lebensmittel dürften auch vorbeugend wirken. Cistus incanus sei kein „Novel-Food“ nach der VO 258/1997 /EU und schon vor dem 15. 5. 1997 innerhalb der Union für den menschlichen Verzehr verwendet worden. Die beanstandeten Produkte enthielten keine unzulässigen Zusatzstoffe. Die Verzehrempfehlung richte sich in erster Linie an den behandelnden Arzt, erst danach an erwachsene Patienten bzw erwachsene Erziehungsberechtigte. Die beanstandeten Zusatzstoffe seien gängig und auch für Kleinkinder erlaubt. Die beanstandeten Produkte würden ausschließlich für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, nicht hingegen für Säuglinge oder Kleinkinder ausgelobt.

Das Erstgericht gab dem Sicherungsbegehren in den Punkten 1. und 3. (betreffend die Produkte Saft, Kapseln und Lutschtabletten) insoweit statt, als das Sicherungsbegehren auf Vertrieb und Inverkehrbringen ohne Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz mit auf eine Arzneimittelwirkung hinweisenden Angaben gestützt war; soweit das Begehren hingegen auf Ankündigung, Vertrieb und Inverkehrbringen als diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (Bilanzierte Diäten) zur diätetischen Behandlung von wiederkehrenden grippalen Infekten und auf das Verbot der Ankündigung mit irreführenden Angaben gerichtet war, wies es das Sicherungsbegehren ab.

Dem Begehren zu Punkt 2. gab das Erstgericht statt, soweit es auf Vertrieb und Inverkehrbringen des Produkts Kapseln für Kleinkinder und die Zusatzstoffe Hydroxypropylmethylcellulose, mikrokristalline Cellulose und Titandioxid, bzw des Produkts Saft und die Zusatzstoffe Kaliumsorbat und Natriumbenzoat gestützt war; hinsichtlich Zusatzstoff Gummi arabicum (Kapseln) sowie Xanthan und Gummi arabicum (Saft) wies es dieses Teilbegehren ab; das Eventualbegehren wies das Erstgericht ebenfalls ab.

Die beanstandeten Produkte der Beklagten seien Präsentationsarzneimittel (§ 1 Abs 1 Z 1, Z 4 und Z 5 AMG); ihr Vertrieb ohne arzneimittelrechtliche Zulassung verstoße gegen § 1 Abs 1 Z 1 UWG. Eine Irreführung gemäß § 2 UWG liege nicht vor, weil im Sicherungsverfahren die Richtigkeit der im Zusammenhang mit der Produktaufmachung aufgestellten Behauptungen nicht zu klären sei. Aus § 3 Abs 1 VO BGBl II 2000/416 könne keine Beweislast der Beklagten, dass ihre Produkte die an diätetische Lebensmittel geknüpften Anforderungen erfüllten, abgeleitet werden. Das Eventualbegehren sei unbegründet, weil Cistus incanus schon vor dem 15. 5. 1997 innerhalb der Europäischen Union für den menschlichen Verzehr verwendet worden sei und somit nicht unter die VO (EG) Nr 258/97 über neuartige Lebensmittel falle. Aus Teil 4 in Anhang VI der Verordnung über andere Zusatzstoffe als Farbstoffe und Süßungsmittel (Zusatzstoff-VO) gehe hervor, dass die Anwendung von Xanthan und Gummi arabicum zulässig sei.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die Klägerinnen hätten keine Tatsachen vorgebracht, aus welchen sich zumindest eine begründete Vermutung ableiten ließe, die beanstandeten Produkte entsprächen den gesetzlichen Anforderungen (RL 1999/21/EG und VO BGBl II 2000/416) nicht oder hätten nicht die von der Beklagten angekündigten Wirkungen. Die Klägerinnen hätten sich nur pauschal auf allgemeine Abhandlungen und Stellungnahmen berufen, ohne speziell auf die beanstandeten Produkte einzugehen, aus keinem ihrer Bescheinigungsmittel ergäbe sich ein Verdacht, die Beklagte sei nicht in der Lage, anhand der ihr vorliegenden Studien zu belegen, dass ihre Produkte diätetische Lebensmittel seien und die angekündigten Wirkungen entfalteten. Vielmehr sei auch denkbar, dass die Beklagte die Herausgabe der Studien zur Wahrung der eigenen wirtschaftlichen Interessen abgelehnt habe, um nicht Gefahr zu laufen, dass wichtige Informationen über ihre Produkte Konkurrenzunternehmen bekannt würden. Die Klägerinnen vermuteten daher bloß, dass die beanstandeten Produkte keine diätetischen Lebensmittel seien und die versprochenen Wirkungen nicht entfalteten. Gemäß § 178 ZPO müsse aber jede Partei in ihren Vorträgen alle im einzelnen Falle zur Begründung ihrer Anträge erforderlichen tatsächlichen Umstände der Wahrheit gemäß vollständig und bestimmt angeben. Nur begründete Annahmen und begründete Vermutungen dürften demnach unter Angabe der dafür sprechenden Gründe vorgetragen werden, nicht aber substanzlose Verdächtigungen. Die Bescheinigungslast für eine unlautere Geschäftspraktik der Beklagten treffe die Klägerinnen. Ob die beanstandeten Produkte die gesetzlichen Anforderungen erfüllten und die angekündigte Wirkung entfalteten, betreffe die Richtigkeit einer Tatsachenbehauptung. Die Beweislastumkehr nach § 1 Abs 5 UWG komme nur dann zur Anwendung, wenn dies unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Werbenden und der anderen Verkehrsteilnehmer im Hinblick auf die Umstände des Einzelfalls angemessen erscheine. § 3 Abs 1 VO BGBl II 2000/416 enthalte die Verpflichtung, durch allgemein anerkannte wissenschaftliche Daten zu belegen, dass Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke den besonderen Ernährungserfordernissen der Personen, für die sie bestimmt seien, entsprechen. Bei der nach § 1 Abs 5 UWG vorzunehmenden Interessenabwägung sei zu beachten, dass die Klägerinnen als Pharmaunternehmen - ebenso wie die Beklagte - über Laboreinrichtungen, fachkundige Mitarbeiter, Kenntnisse und Erfahrungen verfügten, weshalb es ihnen möglich und zumutbar gewesen wäre, produktbezogene Erhebungen durchzuführen, um ein ihrer Rechtspflicht entsprechendes vollständiges und bestimmtes Vorbringen samt Bescheinigungsmitteln dahin erstatten zu können, dass zumindest eine begründete Vermutung naheliege, die beanstandeten Produkte erfüllten die gesetzlichen Anforderungen nicht und verfehlten die ihnen zugeschriebenen Wirkungen. Damit sei im Sicherungsverfahren eine Beweislastumkehr nicht geboten. Es sei nicht bescheinigt, dass die Produkte nicht den Anforderungen der Verordnung über diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke entsprächen bzw die ihnen zugeschriebene Wirkung nicht erzielten. Aus Teil 4 des Anhanges VI der VO BGBl II 1998/383 über andere Zusatzstoffe als Farbstoffe und Süßungsmittel (Zusatzstoff-VO) ergebe sich, dass unter Weiterverweis auf die in den Teilen 1 bis 3 des Anhanges VI angeführten Zusatzstoffe sowohl Xanthan als auch Gummi arabicum zulässige Zusatzstoffe für diätetische Säuglings- und Kleinkindernahrung für besondere medizinische Zwecke seien. Dass die dort angeführten Höchstmengen in den beanstandeten Produkten überschritten würden, sei von den Klägerinnen weder behauptet noch bescheinigt worden. Soweit die Klägerinnen argumentierten, aus Teil 4 des Anhangs VI Zusatzstoff-VO ergebe sich, dass Xanthan als Zusatzstoff in diätetischer Säuglings- und Kleinkindernahrung nur dann zulässig sei, wenn es sich um Erzeugnisse auf Aminosäure- oder Peptidbasis für Patienten handle, die Probleme mit der Eiweißmalabsorption hätten, sowie für Patienten mit gastrointestinalen Störungen oder angeborenen Stoffwechselstörungen, sei nicht bescheinigt, dass die beanstandeten Produkte nicht gerade (auch) auf diese Patienten abzielten.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen den abweisenden Teil dieser Entscheidung gerichtete Revisionsrekurs der Klägerinnen ist zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Beweislastverteilung im Fall des Inverkehrbringens von diätetischen Lebensmitteln für besondere medizinische Zwecke fehlt; das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

1. Die Vorinstanzen haben den Sicherungsantrag in den Begehren Punkt 1. und 3. teilweise abgewiesen, soweit er sich auf Irreführung (§ 2 UWG) stützt. Auf Sachverhaltsebene ist nicht bescheinigt, dass die Angaben auf der Verpackung der beanstandeten Produkte wahr sind. Damit ist die Wirkung, die die Beklagte ihren Produkten gegenüber dem Publikum zuschreibt, nicht bescheinigt, und es stellt sich die im Rechtsmittel aufgeworfene Frage der Beweislast.

2. Unstrittig ist, dass die gegenständlichen Produkte der Beklagten als diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke vermarktet und in Verkehr gebracht werden. Sie unterliegen damit den Vorschriften der Verordnung des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen über diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke, BGBl II 2000/416 idF BGBl II 2008/78 (DLM-VO), mit der die Richtlinie 1999/21/EG über diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (ABl L 91 vom 7. 4. 1999) und die Richtlinie 2006/141/EG über Säuglingsanfangsnahrung und Folgenahrung und zur Änderung der Richtlinie 1999/21/EG (ABl L 401 vom 22. 12. 2006) umgesetzt wurden.

3. Gegenstand der DLM-VO sind Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke, die besonderen Ernährungserfordernissen von Personen dienen, die an bestimmten Krankheiten, Störungen oder Beschwerden leiden oder aufgrund von ihnen unterernährt sind (§ 1 Abs 1 DLM-VO).

§ 3 Abs 1 DLM-VO lautet:

Die Formulierung von Lebensmitteln für besondere medizinische Zwecke hat auf fundierten medizinischen und diätetischen Grundsätzen zu beruhen. Diese Lebensmittel müssen sich gemäß den Anweisungen des Herstellers sicher und nutzbringend verwenden lassen und wirksam sein in dem Sinne, dass sie den besonderen Ernährungserfordernissen der Personen, für die sie bestimmt sind, entsprechen, was durch allgemein anerkannte wissenschaftliche Daten zu belegen ist.

4.1. In Fällen vergleichender Werbung (§ 2a UWG) muss aufgrund richtlinienkonformer Auslegung von § 1 Abs 5 UWG (Art 7 der RL 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung) regelmäßig der Werbende die Richtigkeit der in der Werbung enthaltenen Tatsachenbehauptungen behaupten und beweisen (RIS-Justiz RS0116971). Ein Fall vergleichender Werbung ist hier allerdings nicht gegeben.

4.2. Davon abgesehen hat in Verfahren auf Unterlassung oder Schadenersatz der Unternehmer die Richtigkeit von Tatsachenbehauptungen im Zusammenhang mit einer Geschäftspraktik dann zu beweisen, wenn ein solches Verlangen unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Unternehmers und anderer Marktteilnehmer wegen der Umstände des Einzelfalls angemessen erscheint (§ 1 Abs 5 UWG).

4.3. Solches trifft etwa dann zu, wenn der Kläger mangels genauer Kenntnis der Tatumstände unverhältnismäßige Beweisschwierigkeiten hat, während dem Beklagten diese Kenntnisse zur Verfügung stehen und es ihm daher nicht nur leicht möglich, sondern nach Treu und Glauben auch ohne weiteres zumutbar ist, die erforderliche Aufklärung zu geben (4 Ob 132/10f mwN; vgl RIS-Justiz RS0116971, RS0011634 [T4, T8, T9]). Im Regelfall trifft die Beweislast aber den Kläger (RIS-Justiz RS0011634 [T2]).

5. Im Anlassfall liegen gewichtige Gründe vor, von der Regelbeweislastverteilung abzuweichen.

Unter den hier gegebenen Umständen des Einzelfalls ist es nämlich für die werbende Beklagte ungleich leichter, im Streitfall unter Beweis zu stellen, dass ihre Produkte den Wirksamkeitserfordernissen der DLM-VO genügen, musste sie sich ja schon vor deren erstmaligen Inverkehrbringen entsprechende allgemein anerkannte wissenschaftliche Daten (vgl § 3 Abs 1 DLM-VO) besorgt haben, um rechtskonform zu handeln. Die Beklagte ist daher deutlich näher am Beweis als es die Klägerinnen sind.

Dass auch die Klägerinnen Pharmaunternehmen betreiben und über eine entsprechende Infrastruktur für Untersuchungen und Analysen verfügen, ändert - entgegen der Auffassung des Rekursgerichts - an dieser Interessenabwägung nichts. Es ist nämlich regelmäßig einfacher, in einem Rechtsstreit über die Zusammensetzung und Wirkung von Lebensmitteln für besondere medizinische Zwecke auf bereits bestehende Beweis-(Bescheinigungs-)mittel zugreifen zu können, als sich solche durch Einholung entsprechender Gutachten oder Durchführung eigener Testreihen mit entsprechendem Zeitaufwand erst verschaffen zu müssen.

Auch der Bundesgerichtshof (Urteil vom 2. 10. 2008, I ZR 220/05 - MobilPlus-Kapseln) ist unter Hinweis auf Art 3 Satz 2 der RL 1999/21/EG (welcher § 3 Abs 1 DLM-VO entspricht) zum Ergebnis gelangt, dass derjenige, der unter diese Bestimmung fallende Produkte herstellt und vertreibt, grundsätzlich deren Wirksamkeit darzulegen und zu beweisen hat.

6.1. Selbst die Beklagte gesteht in der Revisionsrekursbeantwortung zu, dass die Beweislast zur Wirksamkeit ihrer Produkte und damit zum Wahrheitsgehalt ihrer Werbeaussagen sie selbst als das Unternehmen trifft, das diese Produkte in Verkehr bringt. Sie vermeint aber, durch Vorlage ausreichender Bescheinigungsmittel ihrer Beweislast Genüge getan zu haben, während die Klägerinnen diesen Verfahrensergebnissen nicht fachlich gleichwertig entgegengetreten seien.

6.2. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Tatsacheninstanzen zu den hier strittigen Fragen der Produktzusammensetzung und -wirkung eine non-liquet-Situation angenommen und keine positiven Feststellungen getroffen haben. Ausgehend von diesem Bescheinigungsergebnis, von dem der Oberste Gerichtshof als Rechtsinstanz nicht abgehen kann, ist dann aber der Sicherungsantrag auch insoweit berechtigt, als er auf irreführende Angaben gestützt ist. Steht nämlich der Wahrheitsgehalt einer Werbeaussage nicht fest, ist diese Aussage, sofern sie sich auf ein lauterkeitsrelevantes Irreführungskriterium (hier: ein wesentliches Produktmerkmal iSd § 2 Abs 1 Z 1 UWG) bezieht, bis zum Beweis des Gegenteils zur Irreführung geeignet.

7.1. Der Oberste Gerichtshof hat erst jüngst Angaben iSv Art 13 Abs 1 VO (EG) 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben - Health ClaimsVO für zulässig erachtet, sofern sie sich auf allgemein anerkannte wissenschaftliche Nachweise stützen, und dazu ausgesprochen, dass ein solcher Nachweis nicht allein durch ein Gutachten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit erbracht werden kann, sondern es genügt, dass die behaupteten Wirkungen ganz allgemein durch wissenschaftliche Untersuchungen belegt sind (17 Ob 14/10y). Im hier gegebenen Zusammenhang gilt nichts anderes, sofern es sich nur um allgemein anerkannte wissenschaftliche Daten (§ 3 Abs 1 DLM-VO) handelt.

7.2. Eine randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie mit einer statistischen Auswertung, die durch Veröffentlichung in den Diskussionsprozess der Fachwelt einbezogen worden ist, erfüllt grundsätzlich die Anforderungen an einen Nachweis durch allgemein anerkannte wissenschaftliche Daten (BGH 2. 10. 2008, I ZR 51/06 - Priorin zu Art 3 Satz 2 der Richtlinie 1999/21/EG) .

7.3. Ob dieser hohe Maßstab im Einzelfall auch unterschritten werden kann, zumal es sich bei den hier zu beurteilenden Produkten um Lebensmittel und nicht um Arzneimittel handelt, bei denen ein entsprechendes mehrstufiges Verfahren der präklinischen und klinischen Arzneimittelprüfung durch das Unionsrecht vorgeschrieben ist, bedarf im derzeitigen Verfahrensstadium keiner näheren Untersuchung. Die Anregung der Beklagten, zu dieser Frage ein Vorabentscheidungsersuchen beim Gerichtshof der Europäischen Union einzuleiten, war deshalb nicht aufzugreifen. Im Übrigen ist die Tatfrage, ob die Angaben auf einer Verpackung wahr sind, unter Anwendung der nationalen Verfahrensvorschriften zu Beweislast und Beweismaß zu lösen; ein unionsrechtlicher Bezug besteht daher insoweit nicht.

8.1. Die teilweise Abweisung des Unterlassungsbegehrens zu Punkt 2. hat das Rekursgericht damit begründet, die Zusatzstoffe Xanthan und Gummi arabicum in Kapseln und Saft der Beklagten seien nach der VO über andere Zusatzstoffe als Farbstoffe und Süßungsmittel (Zusatzstoff-VO), Anhang VI, für Säuglings- und Kindernahrung nicht grundsätzlich verboten; eine Überschreitung der Grenzmenge sei nicht bescheinigt. Diese Begründung greift zu kurz.

8.2. Die einleitende Anmerkung in Anhang VI der zuvor genannten Bestimmung erlaubt den Zusatzstoff Gummi arabicum in Spezialnahrung und Getreidebeikost und anderer Beikost für Säuglinge und Kleinkindern bis zu einer bestimmten Höchstmenge.

Die hier gegenständlichen Produkte Kapseln und Saft der Beklagten fielen unter den Begriff „Spezialnahrung“, sofern es sich dabei um diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke handelte. Letztere Eigenschaft ist aber für die Produkte der Beklagten nicht bescheinigt. Das Sicherungsbegehren ist deshalb auch insoweit berechtigt.

8.3. Xanthan ist nach Teil 4/Anhang VI der Zusatzstoff-VO als Zusatzstoff in diätetischer Säuglings- und Kleinkindernahrung unter dort näher genannten besonderen Bedingungen zugelassen. Auch hier gilt, dass die Eigenschaft der beanstandeten Produkte als diätetische Produkte nicht bescheinigt ist. Auch insoweit ist das Sicherungsbegehren daher begründet.

9. Die Entscheidung über die Kosten der Klägerinnen beruht auf § 393 Abs 1 EO, jene über die Kosten der Beklagten auf § 393 Abs 1 EO iVm §§ 40, 50 Abs 1 ZPO.

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