OGH 1Ob259/11m

OGH1Ob259/11m31.1.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. E***** Z*****, und 2. T***** Z*****, beide vertreten durch Dr. Manfred Luger, Rechtsanwalt in Freistadt, gegen die beklagte Partei J***** Z*****, vertreten durch Dr. Gerhard Wagner, Rechtsanwalt in Linz, wegen Vertragsaufhebung (Streitwert: 35.000 EUR), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 10. November 2011, GZ 3 Nc 12/11f-3, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 2.155,43 EUR (darin 359,24 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die beiden Kläger schlossen mit dem Beklagten, ihrem Sohn, am 29. 11. 2000 einen Übergabsvertrag über drei Liegenschaften in K***** ab. Sie bedungen sich dabei Wohnungs- und Ausgedingeleistungen hinsichtlich einer mitübergebenen Liegenschaft aus.

Die Kläger begehren im vor dem Landesgericht Salzburg anhängigen Verfahren die Aufhebung des Übergabsvertrags mit der Begründung, dass der Beklagte zumindest seit Frühjahr 2008 keine einzige der sich aus dem Übergabsvertrag ergebenden Pflichten erfülle. Er sei aus dem Übergabsobjekt weggezogen und nunmehr in Salzburg aufhältig. Trotz gegenteiliger vertraglicher Zusicherung werde von ihm das Übergabsobjekt nicht bewirtschaftet und auch der Gastgewerbebetrieb nicht weitergeführt. Auch würden von ihm die auf das Übergabsobjekt entfallenden Kosten nicht beglichen. Daher drohe die Aufgabe des gastwirtschaftlichen Betriebs, welcher aufgrund der Abwesenheit des Beklagten bisher notdürftig von der Tochter der Kläger und Schwester des Beklagten geführt werde.

Der Beklagte bestreitet das Vorliegen eines Aufhebungsgrundes. Die angeführten Gründe rechtfertigten nur ein Begehren auf Vertragszuhaltung.

Die Kläger beantragten gemäß § 31 JN die Delegierung der Rechtssache an das Landesgericht Linz. Sämtliche Parteien (mit Ausnahme des Beklagten) sowie die Parteienvertreter und die von den Klägern beantragte Zeugin (Tochter der Kläger und Schwester des Beklagten) seien im Sprengel dieses Landesgerichts aufhältig. Der 85-jährige Erstkläger und die 73-jährige Zweitklägerin befänden sich in einem fortgeschrittenen Alter und für den Erstkläger sei die Anreise zum Landesgericht Salzburg äußerst mühsam, weil er sich in einem schlechten Gesundheitszustand befinde. Zudem lägen die Liegenschaften, auf die sich das Anfechtungsbegehren beziehe, im Sprengel des Landesgerichts Linz.

Das Landesgericht Salzburg sprach sich für eine Delegierung aus, wobei es im Wesentlichen den Argumenten der Kläger folgte.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Delegierungsantrags und wies darauf hin, dass die Lage der Liegenschaften irrelevant sei, weil ein Lokalaugenschein weder erforderlich noch von einer der Parteien beantragt worden sei. Für die Zweckmäßigkeit der Delegierung sei der Kanzleisitz der Parteienvertreter nicht von Bedeutung. Das fortgeschrittene Alter der Kläger und ein - nicht bescheinigter - schlechter Gesundheitszustand des Erstklägers würden als Zweckmäßigkeitsgründe nicht ausreichen, weil die Kläger - ebenso wie die von ihnen beantragte Zeugin - mittels Videokonferenz vernommen werden könnten und dadurch dem Unmittelbarkeitsgrundsatz Genüge getan und dem Zweck der Kostenverringerung, insbesondere im Fall einer Einvernahme mittels Videokonferenz am Bezirksgericht Freistadt, Rechnung getragen werden könne.

Mit dem angefochtenen Beschluss bestimmte das Oberlandesgericht Linz zur Verhandlung und Entscheidung anstelle des Landesgerichts Salzburg das Landesgericht Linz. Die Rechtssache weise mit Ausnahme des Wohnorts des Beklagten, der aber nach dem insofern ohnedies nicht bestrittenen Klagevorbringen unter anderem zur Weiterbewirtschaftung des im Sprengel des Landesgerichts Linz gelegenen Übergabsobjekts verpflichtet sei, keinen Bezug zu Salzburg auf. Die schon aufgrund des Alters des Erstklägers anzunehmende Mobilitätsbeeinträchtigung und der Umstand, dass die von den Klägern beantragte Zeugin jetzt Mutter eines kleinen Kindes sein dürfte, ließen eine Erleichterung des Gerichtszugangs und der Amtstätigkeit und eine wesentliche Verbilligung des Rechtsstreits bei Stattgebung des Delegierungsantrags erwarten. Die Videokonferenz sei nur für die Beweisaufnahme, nicht jedoch als Ersatz für die persönliche Anwesenheit einer Partei vorgesehen, worauf die Partei grundsätzlich ein Recht habe. Zudem könne die Einvernahme per Videokonferenz auch gewisse Defizite betreffend den Unmittelbarkeitsgrundsatz mit sich bringen. Nicht unberücksichtigt dürfe bleiben, dass aufgrund des Parteivorbringens allenfalls die Durchführung eines Ortsaugenscheins notwendig sein werde, der ebenfalls im Sprengel des Landesgerichts Linz durchzuführen wäre.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs des Beklagten, mit dem er die Abweisung des Delegierungsantrags anstrebt.

Die Kläger beantragen in der (richtig:) Rekursbeantwortung, den Rekurs als verspätet bzw unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihn abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

1. Der am letzten Tag der 14-tägigen Rekursfrist (§ 521 Abs 1 ZPO) beim Oberlandesgericht Linz eingebrachte Rekurs ist entgegen der Ansicht der Kläger weder verspätet noch stehen ihm die Rechtsmittelbeschränkungen des § 528 ZPO entgegen. Das Oberlandesgericht wird bei der Entscheidung über den Delegierungsantrag gemäß § 31 Abs 1 JN als Erstgericht tätig. Der Rekurs gegen diesen Beschluss ist daher beim Oberlandesgericht einzubringen, das über den Antrag entschieden hat (§ 520 Abs 1 erster Halbsatz ZPO; RIS-Justiz RS0046243). Sowohl die Genehmigung als auch die Verweigerung einer Delegierung durch das Oberlandesgericht ist mit Rekurs an den Obersten Gerichtshof anfechtbar, wobei die - hier nicht in Betracht kommenden - Rekursbeschränkungen des § 517 ZPO, nicht aber jene des § 528 ZPO, zu beachten sind (Mayr in Rechberger³ § 31 JN Rz 6; 1 Ob 80/02z, jeweils mwN). Der Rekurs ist daher unabhängig vom Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO zulässig, weil das Oberlandesgericht funktional in erster Instanz entschieden hat (RIS-Justiz RS0116349; zuletzt 4 Ob 194/10y; vgl RIS-Justiz RS0106758 [T1]).

2. Der Rekurs ist aber nicht berechtigt. Eine Delegierung nach § 31 JN setzt voraus, dass klare und überwiegende Zweckmäßigkeitsgründe dafür sprechen. Sie ist zweckmäßig, wenn die Zuständigkeitsübertragung an das andere Gericht zu einer wesentlichen Verkürzung des Prozesses, zu einer Erleichterung des Gerichtszugangs und der Amtstätigkeit oder zu einer wesentlichen Verbilligung des Rechtsstreits beitragen kann. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Beweisverfahren oder der maßgebliche Teil davon vor dem erkennenden Gericht durchgeführt werden kann, weil die Wahrung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes bedeutsamer ist als die Einhaltung der örtlichen Zuständigkeitsordnung. Für die Zweckmäßigkeit der Zuweisung einer Rechtssache an ein anderes Gericht ist vor allem der Wohnsitz der Parteien und der namhaft gemachten Zeugen oder die Lage des Augenscheingegenstands maßgebend, während dem Kanzleisitz eines Parteienvertreters dabei keine Bedeutung zukommt. Die Delegierungsmöglichkeit aus Gründen der Zweckmäßigkeit setzt voraus, dass die Übertragung der Sache vom zuständigen an ein anderes Gericht im Interesse aller am Verfahren Beteiligten liegt; kann die Frage der Zweckmäßigkeit nicht eindeutig zu Gunsten beider Parteien beantwortet werden und widerspricht eine von ihnen, so ist von der Delegierung abzusehen (10 Nc 18/11w mwN).

3. Auf dieser Grundlage ist die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden. Hier spricht lediglich der Wohnort des Beklagten, dessen Verpflichtungen aus dem Übergabsvertrag sich auf Liegenschaften und insbesondere einen Gastgewerbebetrieb in K***** beziehen, gegen eine Delegierung, während die Aufnahme der übrigen beantragten Beweismittel ökonomischer durch das Landesgericht Linz erfolgen kann. Sowohl die betagten Kläger als auch die beantragte Zeugin, die Mutter eines kürzlich geborenen Kleinkindes sein soll, wohnen im Sprengel dieses Gerichts. Für die Zeugin und die Kläger wäre die Anreise zum Landesgericht Linz bedeutend kürzer, während für den 44-jährigen Beklagten, von dem keine Mobilitätseinschränkungen bekannt sind, eine längere Fahrtzeit von Salzburg nach Linz nicht erheblich ins Gewicht fällt. Zwar könnte die Zeugin - ebenso wie die Kläger - mittels Videokonferenz vor dem Bezirksgericht Freistadt einvernommen werden (§ 277 ZPO), jedoch wären die Mitwirkungsrechte des 85-jährigen Erstklägers und der 73-jährigen Zweitklägerin bei der Beweisaufnahme (§ 289 ZPO) beim Fortbestehen der Zuständigkeit des Landesgerichts Salzburg nicht in gleicher Weise gewährleistet wie vor dem Landesgericht Linz. Die von den Klägern beantragte Delegierung nach Linz liegt somit im wohlverstandenen Interesse beider Parteien, weil die Sache aller Voraussicht nach rascher und mit geringerem Kostenaufwand vor diesem Gericht durchgeführt werden kann. Da die für eine Zweckmäßigkeit der Delegierung sprechenden Umstände deutlich überwiegen, liegen hier die Voraussetzungen für ein Abweichen von der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung vor.

4. Dem unberechtigten Rekurs ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung in diesem Zwischenstreit gründet sich auf § 52 Abs 1 letzter Satz iVm § 41 Abs 1 ZPO. Im Verfahren über einen Delegierungsantrag sind, soweit § 31 JN keine Sonderregelung enthält, die Bestimmungen jenes Verfahrens anzuwenden, dessen Delegierung beantragt wird. Daher ist das Rekursverfahren nach § 521a ZPO idF der ZVN 2009 zweiseitig (4 Ob 194/10y mwN).

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