OGH 7Ob245/11x

OGH7Ob245/11x25.1.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** S*****, vertreten durch Dr. Helmut Graupner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei H***** AG, *****, vertreten durch Mag. Daniel Kornfeind, Rechtsanwalt in Wien, wegen 8.867,09 EUR (sA), über die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 13. September 2011, GZ 1 R 35/11k-14, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 7. Jänner 2011, GZ 6 C 930/10y-10, infolge Berufung der Klägerin bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit 744,43 EUR (darin enthalten 124,07 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Klägerin war bei der Beklagten vom 18. 1. 2005 bis 18. 1. 2008 rechtsschutzversichert. Dem Versicherungsvertrag lagen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 2004) zugrunde. In deren Art 6. werden die vom Versicherer zu erbringenden Leistungen angeführt. Der erste Absatz des Punktes 6.1. dieses Artikels lautet:

Der Versicherer zahlt die angemessenen Kosten des für den Versicherungsnehmer tätigen Rechtsanwalts bis zur Höhe des Rechtsanwaltstarifgesetzes oder, sofern dort die Entlohnung für anwaltliche Leistungen nicht geregelt ist, bis zur Höhe der Autonomen Honorarrichtlinien;“

Die Beklagte erteilte der Klägerin Rechtsschutzdeckung für ein Verfahren vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien zur Bekämpfung eines abweisenden Bescheids der Pensionsversicherungsanstalt auf Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension. Die Klage wurde rechtskräftig abgewiesen. Der Klagevertreter, der die Klägerin auch in diesem Verfahren vertreten hatte, stellte ihr ein Honorar von 10.757,22 EUR in Rechnung, dem eine Bemessungsgrundlage von 114.354 EUR zugrunde lag. Der Klagevertreter nahm als Bemessungsgrundlage den Bezug der begehrten Monatspension für 10 Jahre an, wobei er irrtümlich von 12 statt 14 Monatspensionen jährlich ausging. Die Beklagte ersetzte der Klägerin die Kosten der rechtsfreundlichen Vertretung lediglich auf Basis einer Bemessungsgrundlage von 3.600 EUR in Höhe von 1.890,13 EUR.

Die Klägerin vertritt die Ansicht, die Bemessungsgrundlage errechne sich nach § 4 RATG iVm § 58 Abs 1 JN mit dem zehnfachen Jahresbetrag und sei von ihrem Anwalt daher sogar noch zu gering angenommen worden. Die Beklagte habe ihr daher den gesamten, von ihrem Anwalt in Rechnung gestellten Betrag zu ersetzen. Im vorliegenden Verfahren wird daher der Zuspruch des Differenzbetrags von 8.867,09 EUR begehrt.

Die Beklagte wendete unter Hinweis auf § 77 Abs 2 ASGG, der den Streitwert in Sozialrechtssachen mit 3.600 EUR festsetzt, ein, ihrer Zahlungsverpflichtung bereits zur Gänze nachgekommen zu sein.

Das Erstgericht teilte diese Ansicht und wies das Klagebegehren ab. Das Verfahren vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien habe eine Sozialversicherungsstreitigkeit betroffen. Der Kostenersatz richte sich daher nach der Sonderbestimmung des § 77 Abs 2 ASGG, wonach der Kostenersatz bei Klagen wegen einer Feststellung oder eines Anspruchs auf wiederkehrende Leistung, wie hier im Falle einer Pension, auf Basis eines Streitwerts von 3.600 EUR zu bestimmen sei. Diese Bestimmung auch auf den Honoraranspruch des Vertreters gegen den Versicherten anzuwenden, entspreche der Intention des Gesetzgebers, die Kostenschranke im Sozialversicherungsrecht abzubauen.

Das Berufungsgericht schloss sich der Rechtsmeinung des Erstgerichts an und bestätigte dessen Entscheidung. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob § 77 Abs 2 ASGG auch im Verhältnis des Versicherten zu seinem Rechtsanwalt gelte und auch bei der Auslegung der Bestimmung des Art 6.6.1. der ARB heranzuziehen sei.

Entgegen diesem, den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden, Ausspruch des Berufungsgerichts ist die von der Klägerin erhobene Revision mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO gegeben sind, ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs maßgebend (RIS-Justiz RS0112921; RS0112769; Kodek in Rechberger 3 § 502 Rz 18; Zechner in Fasching/Konecny 2 IV/1 § 502 Rz 32 mwN). Der vom Berufungsgericht angenommene Zulassungsgrund liegt nicht mehr vor, weil der Oberste Gerichtshof inzwischen in der (eine Invaliditätspension betreffenden) Entscheidung 7 Ob 162/11s vom 28. 9. 2011 die vom Berufungsgericht für erheblich erachtete Frage (bezüglich der zu Art 6.6.1. ARB 2004 wortgleiche Bestimmung des Art 6.6.1. ARB 2003) bereits beantwortet hat. Der Rechtsmeinung Klickas, Bemerkungen zum Kostenersatzrecht des ASGG in Sozialrechtssachen, ZAS 1987, 81 [82 ff], der sich auch Kuderna, ASGG2 § 77 Anm 8 und Neumayr, ZellKomm § 77 ASGG Rz 16 sowie mehrere vorinstanzliche Gerichte angeschlossen hatten, folgend sprach der Oberste Gerichtshof in der genannten Entscheidung aus, dass sich bei wiederkehrenden Sozialleistungen aus § 77 Abs 2 ASGG nicht nur der Kostenersatzanspruch des Versicherten ergibt, sondern dass sich aus Rechtsschutzerwägungen auch der gesetzliche Tarifanspruch seines Rechtsanwalts nach dem dort genannten Betrag richtet. Der Gesetzeszweck des § 77 Abs 2 ASGG - Abbau der Kostenbarriere für den Sozialversicherten und grundsätzliche Reduktion der Kosten (BlgNR 16. GP RV 7, 56) - würde durch einen Honoraranspruch des den Versicherten vertretenden Rechtsanwalts auf einer höheren Bemessungsgrundlage (dort nach § 9 Abs 1 RATG, der eine Bewertung mit dem Dreifachen der Jahresleistung vorsieht) konterkariert. Diese offensichtlich planwidrige Lücke kann für Klagen des Versicherten auf wiederkehrende Leistungen in Sozialrechtssachen durch analoge Heranziehung des in § 77 Abs 2 ASGG genannten Betrags von 3.600 EUR als gesetzlicher Tarifanspruch auch des eigenen Rechtsanwalts geschlossen werden. Aus Rechtsschutzerwägungen und entsprechend dem Normzweck des § 77 Abs 2 ASGG sind insofern die Berechnungsregeln des RATG teleologisch zu reduzieren.

Gemäß Art 6.6.1. ARB 2004 zahlt der Versicherer die angemessenen Kosten des für den Versicherungsnehmer tätigen Rechtsanwalts bis zur Höhe des RATG. Die im Sinn des § 1152 ABGB „angemessenen Kosten“ bilden die absolute Obergrenze der durch die Rechtsschutzversicherung zu bezahlenden Kosten. Ist die Entlohnung des Rechtsanwalts im RATG geregelt, ergibt sich daraus die Obergrenze. Die Ansätze insbesondere nach RATG dürfen das angemessene Honorar nach § 1152 ABGB nicht überschreiten (Mittermayr in Kronsteiner/Lafenthaler, Erläuterungen zu den Musterbedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung, 67 [zur wortgleichen Klausel des Art 6.6.1. ARB 1994]). Die vom Rechtsschutzversicherer gemäß Art 6.6.1. ARB 2003/2004 zu zahlenden angemessenen Kosten des für den Versicherungsnehmer in einer Sozialrechtssache auf wiederkehrende Leistungen tätigen Rechtsanwalts sind auf der gesetzlichen Bemessungsgrundlage nach § 77 Abs 2 ASGG zu berechnen (RIS-Justiz RS0127199).

Die Ansicht der Vorinstanzen, für den Honoraranspruch des Klagevertreters gegenüber der Klägerin sei entgegen der Ansicht der Klägerin nicht eine Bewertung nach § 4 RATG iVm § 58 Abs 1 JN (das Zehnfache der Jahresleistung) vorzunehmen, sondern die niedrigere Bemessungsgrundlage nach § 77 Abs 2 ASGG maßgeblich; die vom beklagten Rechtsschutzversicherer nach Art 6.6.1. ARB 2004 zu zahlenden angemessenen Kosten des Klagevertreters seien analog auf der gesetzlichen Bemessungsgrundlage gemäß § 77 Abs 2 ASGG (3.600 EUR) zu berechnen; steht mit der Entscheidung 7 Ob 162/11s somit im Einklang. Nach ständiger Rechtsprechung reicht bereits eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, zu der gegenteilige Entscheidungen nicht vorliegen und die auch im Schrifttum auf keine beachtliche Kritik gestoßen ist, für das Vorliegen gesicherter Rechtsprechung aus (RIS-Justiz RS0103384; RS0103384 [T5]). Diese Voraussetzungen treffen auf die Entscheidung 7 Ob 162/11s zu. Die von der Klägerin entsprechend dem Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts aufgeworfene Frage ist daher nicht als im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO erheblich einzustufen, zumal die Revisionswerberin einen neuen Aspekt, der an der Richtigkeit der Erwägungen des Obersten Gerichtshofs in der genannten Entscheidung zweifeln ließe, nicht aufzeigt.

Die Revision der Klägerin ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO. Die Beklagte hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels ihrer Prozessgegnerin hingewiesen.

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