OGH 7Ob8/12w

OGH7Ob8/12w25.1.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** H*****, vertreten durch Gabler Gibel & Partner Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei A***** AG, *****, vertreten durch Dr. Clemens Völkl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 227.168,67 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 24. November 2011, GZ 15 R 129/11t-47, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Die behaupteten Mangelhaftigkeiten des Berufungsverfahrens (wie etwa die fehlerhafte Erledigung der Beweisrüge) liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

2. Fragen der Behauptungs- und Beweislast im Zusammenhang mit der Berücksichtigung hypothetischer Alternativanlagen, wie sie die Beklagte releviert, stellen sich nicht (vgl zum aktuellen Meinungsstand G. Kodek, Ausgewählte Fragen der Schadenshöhe bei Anlegerschäden, ÖBA 2012, 11 [13, 22 f]).

Die Klägerin erstattete ausreichendes Vorbringen zur Kausalität des Beratungsfehlers der Mitarbeiterin der Beklagten und zum dadurch eingetretenen Schaden unter Berücksichtigung der hypothetischen Alternativanlage. Die Regelungen über die Beweislast kommen nur dann zur Anwendung, wenn die Beweisergebnisse nach der Überzeugung des Gerichts nicht ausreichen, um einen entscheidungswesentlichen Sachverhalt als erwiesen oder als nicht erwiesen anzunehmen, sodass die freie Beweiswürdigung zu keinem Ergebnis führt. Trifft das Gericht hingegen eine eindeutige positive oder negative Feststellung, so ist für die Anwendung von Beweislastregeln kein Platz (RIS-Justiz RS0039904 [T1]; RS0039903 [T1]; RS0039875 [T4]; RS0039872 [T2]). Nach den Feststellungen wünschte der Vertreter der Klägerin beim Beratungsgespräch am 13. 2. 2007 mit der Beklagten eine gestreute, risikoärmere Veranlagung des Portfolios der Klägerin, das nahezu ausschließlich aus Aktien der I***** AG bestand. Eine diesem Wunsch entsprechende sachgerechte Zusammenstellung des Portfolios der Klägerin („mittlere Risikobereitschaft“), von der sie auf Grund der Fehlberatung der Mitarbeiterin der Beklagten abgehalten wurde, hätte bis Ende April 2010 einen Wertverlust von ca 20,1 % ergeben. Die Klägerin hätte - so das Erstgericht disloziert in der rechtlichen Beurteilung - bei ordnungsgemäßer Beratung durch die Beklagte ab Februar 2007 ihr Vermögen gestreut und risikoärmer mit einem bis April 2010 „gegebenen“ Verlust von 20,1 % veranlagt. Auf der Grundlage des Vorbringens der Klägerin und der getroffenen Feststellungen zur hypothetischen Alternativanlage durch die Klägerin kommt es daher auf die diesbezügliche Behauptungs- und Beweislast nicht an.

3. Die Beklagte tritt der Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass ihrer Mitarbeiterin im Februar 2007 gegenüber der Klägerin ein Beratungsfehler unterlief, nicht entgegen. Eine Vermögensverwaltung war nicht vereinbart. Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang von ihrer Verpflichtung zur Depotbeobachtung sowie Depotbetreuung und vom Wunsch der Klägerin nach „intensiver Vermögensbetreuung“ spricht, geht sie nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. In der Ansicht der Vorinstanzen, dass die Klägerin ihre Anlageentscheidungen bis Anfang 2007 selbst zu verantworten hatte, der Beklagten im Zeitraum 2001 bis Anfang 2007 kein Beratungsfehler unterlief und diese nicht gehalten war, von sich aus früher aktiv zu werden, um die Klägerin von deren selbst gewählter Veranlagungsstrategie („Klumpenrisiko“ im Hinblick auf die hohe Konzentration auf „I*****-Papiere“) abzubringen, liegt keine aufzugreifende Fehlbeurteilung. Die Übergewichtung der Produkte der I*****-Gruppe im Portfolio der Klägerin entstand ab 2002 durch ihre eigenen Veranlagungsentscheidungen und ohne Beratung der Beklagten. Das von der Beklagten mit der Klägerin am 1. 10. 2003 erstellte Kundenprofil mit der Einstufung „mittlere Risikobereitschaft“ entsprach der von der Klägerin gewählten Anlagestrategie. Die Klägerin nahm vor dem 13. 2. 2007 keine Beratungsleistungen der Beklagten im Zusammenhang mit der fehlenden Diversifizierung in Anspruch. Die Beratung der Beklagten gegenüber der Klägerin im Jahr 2004 im Hinblick auf deren Geldbedarf war nach den Feststellungen ordnungsgemäß. Erstmals trat die Klägerin mit dem Wunsch auf gestreute, risikoärmere Veranlagung am 13. 2. 2007 an die Beklagte heran, die ihr jedoch den unrichtigen Rat erteilte, sie brauche sich keine Sorgen zu machen, die Aktie der I***** AG sei ein „solides Papier“, das noch steigen werde, weshalb die Klägerin so veranlagt bleiben solle. Erst durch diese Fehlberatung trat der Schaden ein.

4. Die Beklagte war anlässlich dieser Fehlberatung als Anlageberaterin tätig. Die Klägerin hat ihre Aktien der I***** AG schon verkauft.

Ihr Schaden ist durch eine Differenzrechnung zu ermitteln; es ist zunächst der hypothetische heutige Vermögensstand ohne das schädigende Ereignis zu ermitteln und von diesem Betrag der heutige tatsächliche Vermögenswert abzuziehen. Ein Anlageberater haftet nicht für das positive Vertragsinteresse. Der Anleger kann nur verlangen, so gestellt zu werden, wie er stünde, wenn der Anlageberater pflichtgemäß gehandelt hätte, ihn also richtig aufgeklärt hätte (4 Ob 28/10m mwN = ecolex 2010/239, 664 [Graf]; dazu Trenker, Umfang und Art des Ersatzanspruchs bei fehlerhafter Anlageberatung, wbl 2010, 618; Leupold/Ramharter, Anlegerschaden und Kausalitätsbeweis bei risikoträchtiger hypothetischer Alternativanlage, ÖBA 2010, 718). Die Vorinstanzen haben der Klägerin nach diesen Grundsätzen unter Berücksichtigung der gewählten hypothetischen Alternativveranlagung den eingetretenen Schaden zugesprochen.

5. Dass sich die Klägerin hier die „Vorteile der zwischen 2004 und 2007 äußerst positiven Entwicklung des Depots anrechnen“ lassen soll, ist rechtlich nicht begründbar. Die Vorteilsanrechnung (Vorteilsausgleich) betrifft den Fall, dass das haftungsbegründende Verhalten des Schädigers beim Geschädigten nicht nur Nachteile, sondern zugleich auch Vorteile auslösen kann (G. Kodek aaO 19; Koziol/Welser, Bürgerliches Recht II13 329 f). Die unrichtige Beratung der Mitarbeiterin der Beklagten im Februar 2007 brachte der Klägerin aber keine Vorteile, die zu berücksichtigen wären.

6. Soweit die Beklagte im Zusammenhang mit der Berechnung des Schadens die Feststellungen des Erstgerichts bekämpft, handelt es sich dabei um eine im Revisionsverfahren unzulässige Beweisrüge. Wenn sie damit argumentiert, dass „die laufenden Entnahmen der Klägerin“ zu berücksichtigen seien, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt. Unklar bleibt, warum der von der Klägerin aufgenommene Lombard-Kredit bei der Schadensberechnung berücksichtigt werden sollte.

7. Zusammenfassend zeigt die außerordentliche Revision keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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