OGH 8ObA88/11s

OGH8ObA88/11s20.1.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden und den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras sowie die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und Mag. Herbert Böhm als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Parteien 1. Tusnelda S*****, 2. Inge T*****, beide vertreten durch Mag. Thomas Spiegel, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Ö*****, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17-19, wegen 16.075,03 EUR sA, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 7. September 2011, GZ 7 Ra 74/11w-51, mit dem infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 7. Juli 2010, GZ 6 Cga 81/08m-42, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 961,44 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 22. 7. 2010 verstorbene frühere Kläger, dessen Gesamtrechtsnachfolger nunmehr in das Verfahren eingetreten sind (im Folgenden nur Kläger), wurde am 7. 1. 1955 geboren. Er trat im Jahre 1974 bei den Österreichischen Bundesbahnen ein, wurde am 1. 1. 1976 im Sinne der Bestimmung des § 2 der damaligen Bundesbahn-Besoldungsordnung angestellt und ab 12. 3. 1978 definitiv gestellt. Auf sein Dienstverhältnis fanden die Übergangsbestimmungen des § 67 Abs 3 der Allgemeinen Vertragsbedingungen für Dienstverträge bei den Österreichischen Bundesbahnen (AVB) Anwendung.

Der Kläger befand sich unter anderem vom 1. 9. 2003 bis 31. 8. 2004 im Krankenstand. Mit Ablauf des 31. 8. 2004 wurde er mit Wirksamkeit ab 1. 9. 2004 in den zeitlichen Ruhestand und in weiterer Folge ab 25. 3. 2006 in den dauernden krankheitsbedingten Ruhestand versetzt. Bereits am 8. 10. 2003 ersuchte er um Feststellung des Vorliegens eines Gebrechens iSd § 2 Abs 1 Z 1 BB-PG.

Die Tätigkeit des Klägers vor seiner Ruhestandversetzung bestand darin, in steuerlichen Angelegenheiten bei der Aufbereitung von Daten mitzuarbeiten. Er war aber auch mit der Ausarbeitung von Präsentation und Managementberichten befasst.

Im Zeitpunkt der Versetzung in den zeitlichen Ruhestand nach § 131 lit b der Dienstordnung der Beklagten (DO) mit 31. 8. 2004 konnte der Kläger diese Tätigkeiten nur aufgrund einer Erkrankung seiner Augen nicht mehr ausüben, da es sich um eine Bildschirmtätigkeit handelte. Spätere Operationen konnten diesen Zustand wesentlich verbessern.

Die Wertigkeit der Tätigkeit des Klägers bei der Beklagten entsprach einer Angestelltentätigkeit in der Beschäftigungsgruppe 3 des Kollektivvertrags für Handelsangestellte Österreichs. Auch zum Zeitpunkt der Versetzung in den zeitlichen Ruhestand hätte der Kläger am allgemeinen Arbeitsmarkt weiter Bürohilfstätigkeiten (etwa bei der Archiv- und Aktenlagerbetreuung, Kopierarbeiten mit Zusammenstellen der Unterlagen, Büromittelinventurarbeiten im Rahmen der Anlagenbuchhaltung) ausüben können, die in der Beschäftigungsgruppe 2 des genannten Kollektivvertrags einzustufen sind.

Im Zeitpunkt der dauernden Ruhestandsversetzung im Jahr 2006 hätte der Kläger wegen der durch seine Operationen bewirkten Besserung des Augenleidens auch Bürotätigkeiten als Sachbearbeiter wie etwa im Back-Office von Verkaufsabteilungen oder im Einkaufsbereich mit Kunden und Lieferantenkontakt durchführen können.

Mit Schreiben vom 22. 9. 2004 gewährte die Beklagte dem Kläger im Zusammenhang mit der zeitlichen Ruhestandsversetzung einen monatlichen Ruhegenuss, jedoch ohne bei der Berechnung die Erhöhung der ruhegenussfähigen Gesamtdienstzeit nach § 9 BB-PG zugrundezulegen.

Unter Berücksichtigung dieser höheren Gesamtdienstzeit hätte der Kläger für die Zeit von Juni 2005 bis August 2008 insgesamt einen höheren Anspruch auf Ruhegenuss von 16.075,03 EUR gehabt.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger diese Differenz von 16.075,03 EUR sA. Er stützt dies zusammengefasst darauf, dass er Anspruch auf Versetzung in den dauernden Ruhestand gehabt habe und spätestens ab 25. 3. 2006 nicht mehr in der Lage gewesen sei, einer zumutbaren Erwerbstätigkeit nachzugehen. Eine Verweisung des Klägers auf andere Tätigkeiten als jene eines Programmierers sei nicht zulässig.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete zusammengefasst ein, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Versetzung in den zeitlichen Ruhestand sowohl dienst- als auch erwerbsfähig gewesen sei. Es sei aber jedenfalls keine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorgelegen. Eine dauernde Dienstunfähigkeit hätte nur nach einer Begutachtung durch die Pensionsversicherungsanstalt festgestellt werden können, sei aber nicht vorgelegen. Die Begünstigung des § 9 BB-PG komme nur dienst- und erwerbsunfähigen Personen zugute.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach § 131 lit b DO könne ein Arbeitnehmer schon nach einem Jahr Krankenstand in den zeitlichen Ruhestand versetzt werden. Darüber hinaus bestehe nach § 2 Abs 1 Z 2 des BB-PG „bei dauernder Unfähigkeit zur Erfüllung der Dienstpflichten aufgrund der gesundheitlichen Verfassung“ Anspruch auf Versetzung in den dauernden Ruhestand. § 9 BB-PG sehe eine Erhöhung der ruhegenussfähigen Gesamtdienstzeit um den Zeitraum vor, der für die Erlangung des Höchstausmaßes erforderlich sei, jedoch höchstens um zehn Jahre, wenn der Beamte „ohne sein vorsätzliches Verschulden zu einem zumutbaren Erwerb unfähig“ geworden sei. Zum Zeitpunkt der Versetzung in den zeitlichen Ruhestand aufgrund des § 131 lit b DO im August 2004 sei der Kläger nicht erwerbsunfähig gewesen, weil er auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt weiter eine Angestelltentätigkeit hätte ausüben können. Da der Kläger im Zeitpunkt der Versetzung in den Ruhestand zwar dienstunfähig, aber nicht erwerbsunfähig gewesen sei, habe er auch keinen Anspruch auf die Erhöhung nach § 9 Abs 1 BB-PG. Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei auch dann zumutbar, wenn es sich um eine der Konstitution des Beamten entsprechende Beschäftigung handle, die in ihrer sozialen Geltung der bisherigen Tätigkeit annähernd gleichkomme. Es komme dabei nicht auf die zuletzt bei der Beklagten ausgeübte Erwerbstätigkeit an. Dies ergebe sich auch aus § 9 Abs 2 BB-PG, wonach die Begünstigung ruhe, wenn der Beamte wieder einen zumutbaren Erwerb ausübe.

Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge. Es nahm auf die Durchführungsanweisung der Beklagten zu § 9 BB-PG Bezug, die sich erkennbar am Begriff der Berufsunfähigkeit iSd § 273 Abs 1 ASVG orientiere. Danach sei ein unzumutbarer sozialer Abstieg bei der Verweisung ausgeschlossen, wobei für die Bewertung, ob dies der Fall sei, auf die Einstufung im Kollektivvertrag zurückgegriffen werde. Die Verweisung auf unmittelbar nachgeordnete kollektivvertragliche Beschäftigungsgruppen werde als zulässig angesehen. Gewisse Einbußen in der Entlohnung und auch in der sozialen Stellung müssten in Kauf genommen werden. Dementsprechend werde regelmäßig auch die Verweisung von Angestellten der Beschäftigungsgruppe 3 des Kollektivvertrags auf Tätigkeiten die in die Beschäftigungsgruppe 2 des Kollektivvertrags fallen, als möglich erachtet. Diese Rechtsprechung zu § 273 ASVG sei auch hier fruchtbar zu machen. Zum Zeitpunkt der Versetzung in den zeitlichen Ruhestand hätte der Kläger noch verschiedene Tätigkeiten ausüben können. Ausgehend davon, dass seine bisherige Tätigkeit in die Beschäftigungsgruppe 3 des Kollektivvertrags gefallen wäre und die noch möglichen Verweisungstätigkeiten in die Beschäftigungsgruppe 2, sei diese Verweisung hier als zumutbar zu beurteilen.

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht wegen der allgemeinen Bedeutung der Auslegung des § 9 BB-PG als zulässig.

Die gegen dieses Urteil erhobene Revision des Klägers ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Unstrittig ist hier auf die Ansprüche des Klägers das Bundesgesetz über die Pensionsversorgung der Beamten der Österreichischen Bundesbahnen - Bundesbahn-Pensionsgesetz (BB-PG) anzuwenden.

Nach § 2 Abs 1 Z 2 BB-PG sind die von diesem Gesetz erfassten Angestellten der Österreichischen Bundesbahnen auf ihr Ansuchen in den dauernden Ruhestand zu versetzen, wenn sie aufgrund der gesundheitlichen Verfassung dauernd zur Erfüllung der Dienstpflichten unfähig sind. Zufolge § 2 Abs 2 BB-PG können Angestellte aber auch von Amts wegen in den dauernden Ruhestand versetzt werden, „wenn sie durch Krankheit ein Jahr ununterbrochen an der Ausübung des Dienstes verhindert wurden und ihre Wiederverwendung nicht zu gewärtigen“ ist. In beiden Fällen ist nach § 2 Abs 3 BB-PG, sofern die Beurteilung von ärztlichem oder berufskundlichem Fachwissen abhängig ist, Befund und Gutachten der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten einzuholen. Zusätzlich bedarf es zufolge Abs 4 des § 2 BB-PG auch der Zustimmung des Bundesministers für Finanzen.

In den §§ 3a ff BB-PG finden sich die Grundlagen für die Berechnung des Ruhegenusses, der einerseits aus der Ruhegenussberechnungsgrundlage und der daraus abgeleiteten Ruhegenussbemessungsgrundlage sowie andererseits aus der ruhegenussfähigen Gesamtdienstzeit berechnet wird. Im Zusammenhang mit letzterer bestimmt § 9 BB-PG Folgendes:

„(1) Ist der Beamte ohne sein vorsätzliches Verschulden zu einem zumutbaren Erwerb unfähig geworden, so ist ihm aus Anlass der Versetzung in den Ruhestand zu seiner ruhegenussfähigen Gesamtdienstzeit der Zeitraum, der für die Erlangung des Höchstausmaßes des Ruhegenusses erforderlich ist, höchstens jedoch zehn Jahre hinzuzurechnen.

(2) Ist der Beamte wieder zu einem zumutbaren Erwerb fähig geworden und übt er ihn aus, so ruht auf die Dauer der Erwerbstätigkeit die durch die Maßnahme nach Abs 1 bewirkte Erhöhung des Ruhegenusses. Das Ruhen endet mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Beamte das 65. Lebensjahr vollendet.

(3) Wird einem Beamten gemäß den Bestimmungen des Abs 1 ein Zeitraum zugerechnet und erhält er infolge der Schädigung, für die die Zurechnung erfolgt, wiederkehrende Geldleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung, nach dem Opferfürsorgegesetz, BGBl Nr 183/147, dem Kriegsopferversorgungsgesetz 1957, BGBl Nr 152, dem Heeresversorgungsgesetz, BGBl Nr 27/1964, oder nach gleichartigen landesgesetzlichen Vorschriften, so ruht die durch die Maßnahme nach Abs 1 bewirkte Erhöhung des Ruhegenusses im Ausmaß dieser Geldleistungen.“

Schon aus der Systematik der Bestimmung des § 9 BB-PG lässt sich nun ableiten, dass der Gesetzgeber unter dem Begriff „der Erwerbsunfähigkeit“ iSd § 9 Abs 1 mehr verstanden hat als die bloße Unfähigkeit zur Erfüllung der Dienstpflichten aufgrund der gesundheitlichen Verfassung. In § 9 Abs 1 BB-PG wird ja gerade nicht auf eine „Dienstunfähigkeit“ iSd § 2 BB-PG abgestellt, sondern auf die allgemeine Unfähigkeit einem „zumutbaren Erwerb“ nachzugehen. Aus § 9 Abs 2 BB-PG zeigt sich, dass allgemein auf die Erwerbsfähigkeit abgestellt wird und nicht nur darauf, ob die frühere Diensttätigkeit verrichtet werden kann. Dies korreliert mit § 9 Abs 3 BB-PG, der ganz allgemein auf Geldleistungen abstellt, ohne Bezug auf die jeweilige dienstliche Tätigkeit bei der Beklagten. So wird etwa bei den in dieser Bestimmung herangezogenen Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung bei der Frage der Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht auf die konkrete berufliche Tätigkeit abgestellt (RIS-Justiz RS0088972).

Eine Einschränkung auf die bisher bei der Beklagten ausgeübte Tätigkeit ist also nicht ersichtlich. Wohl aber wird diese sowie die Ausbildung des jeweiligen Arbeitnehmers für die Beurteilung der „Zumutbarkeit“ iSd § 9 Abs 1 BB-PG eine gewisse Relevanz haben. Im vorliegenden Fall kann den Vorinstanzen jedenfalls nicht entgegengetreten werden, wenn sie eine Verweisung auf eine ähnliche Tätigkeit, die nur um eine Kollektivvertragsstufe geringer eingestuft wird, als zulässig erachten (vgl in diesem Zusammenhang RIS-Justiz RS0064692, RS0085599).

Soweit sich der Kläger auf eine „Durchführungsanweisung“ zu § 9 BB-PG beruft, wonach die Zumutbarkeit dann gegeben ist, wenn die der Konstitution des Beamten entsprechende Beschäftigung in ihrer sozialen Geltung der bisherigen Tätigkeit des Beamten wenigstens annähernd gleich kommt, so stellt er nicht dar, wieso sich aus dieser Durchführungsanweisung Rechtsansprüche des Klägers gegenüber der Beklagten ergeben sollen, liegt doch mit dem BB-PG eine umfassende und abschließende Regelung vor, die an die Stelle von etwaigen vertraglichen Ansprüchen tritt (9 ObA 63/07s). Die vom Kläger monierte Einschränkung des Begriffs der Zumutbarkeit, dass die Verweisungstätigkeit in ihrer sozialen Geltung der vorigen Tätigkeit wenigstens annähernd gleichkommen müsse, bedeutet im Ergebnis ja auch eine „Zumutbarkeitsprüfung“. Die Systematik des § 9 BB-PG und der offensichtliche Ansatz, diesen „Zuschlag“ nur in besonderen Fällen der Dienstunfähigkeit zu gewähren, bietet aber keinen Ansatz für eine enge Prüfung der „Zumutbarkeit“ nur anhand der bisher ausgeübten Tätigkeit.

Der Zuschlag nach § 9 BB-PG soll naturgemäß nur für die in BB-PG geregelten dauernden Versetzungen in den Ruhestand zum Tragen kommen. Diese setzen nach § 2 Abs 2 Z 3 BB-PG auch bei einem einjährigen Krankenstand voraus, dass eine „Wiederverwendung nicht zu gewärtigen“ ist. Bei der Versetzung in den dauernden Ruhestand nach seinen Operationen waren dem Kläger noch Tätigkeiten etwa im Back-Office von Verkaufsabteilungen oder im Einkaufsbereich möglich. Diese sind jedenfalls als zumutbar anzusehen.

Insgesamt war daher der Revision des Klägers nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50 und 41 ZPO.

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