OGH 6Ob273/11g

OGH6Ob273/11g12.1.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** S*****, vertreten durch Dr. Gerd Lugert, Rechtsanwalt in St. Pölten, gegen die beklagte Partei J***** T*****, vertreten durch Dr. Hans Kaska, Rechtsanwalt in St. Pölten, und des Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei H***** B*****, vertreten durch Mag. Oliver Lindenhofer und Mag. Leopold Luegmayer, Rechtsanwälte in Amstetten, wegen Wiederaufnahme, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 1. September 2011, GZ 21 R 178/11a‑15, womit der Beschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom 10. Juni 2011, GZ 4 C 1576/10z‑10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Der Kläger ist schuldig, der beklagten Partei und dem Nebenintervenienten binnen 14 Tagen jeweils die mit je 556,99 EUR (darin 92,83 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Streitteile sind Alleineigentümer benachbarter Grundstücke. An die nördliche Außenmauer des klägerischen Wohnhauses bzw an die nördliche Hofmauer angrenzend befinden sich ein Schuppen und eine Hütte. Im Verfahren 4 C 607/09y des Erstgerichts war strittig, ob die Grenze nördlich oder südlich dieser Bauwerke verläuft. Der Kläger hatte die Feststellung begehrt, dass der strittige Grundstücksstreifen in seinem Alleineigentum stehe. Dieses Klagebegehren blieb in allen Instanzen erfolglos (6 Ob 256/10f).

Nach den wesentlichen Feststellungen dieses Verfahrens fand am 21. 11. 2006 über Einladung des Vermessungsamts St. Pölten eine Grenzverhandlung statt, an der die Rechtsvorgänger der Streitteile teilnahmen. Der Geometer belehrte die Anwesenden über die Mappenberichtigung gemäß § 42 Z 5 VermG und die Möglichkeit einer Antragstellung nach § 17 VermG. A***** R*****, die damalige Eigentümerin des klägerischen Grundstücks, stimmte einem Grenzverlauf zu. Sie unterfertige auch ein Formblatt, wobei ihr bewusst war, dass sie mit ihrer Unterschrift ihre Zustimmung zu dem vom Geometer festgelegten Grenzverlauf erteilte. Diese Vereinbarung wurde im Vorverfahren als Vergleich gewertet.

Nunmehr begehrt der Kläger die Wiederaufnahme des Verfahrens. Er habe erst am 19. 9. 2010 in einem Gespräch mit M***** E***** und A***** E***** erfahren, dass der Nebenintervenient stets davon ausgegangen sei, dass die getrennt bestehenden Baulichkeiten zur Liegenschaft R***** gehören würden; er habe wider besseres Wissen am 21. 11. 2006 angegeben, dass die Grenze entlang der Mauer verlaufe.

Das Erstgericht wies die Wiederaufnahmsklage zurück. Die Feststellung, dass dem Nebenintervenienten bewusst gewesen sei, dass der klagsgegenständliche Grundstückstreifen im Eigentum von A***** R***** stehe und er wider besseres Wissen bei der Vermessung die Grenze entlang der Mauer angegeben habe, könnte nicht zu einem anderen Ergebnis führen, zumal nach dem Prozessstandpunkt des Klägers ja auch die Voreigentümerin selbst davon ausgegangen sei, dass der gegenständliche Grundstückstreifen in ihrem Eigentum stehe. Es liege also kein von der anderen Partei veranlasster Irrtum vor. Selbst wenn das Vorbringen des Klägers zutreffe, lasse sich daraus noch nicht ableiten, dass Ursache dieses Verhaltens eine arglistige Täuschung oder ungerechtfertigte Drohung seitens des Nebenintervenienten oder des Vermessungsamtsleiters gewesen sei. Die vom Kläger angeführten Beweismittel seien daher nicht geeignet, eine andere rechtliche Beurteilung herbeizuführen, sodass die Klage als zur Bestimmung einer Tagsatzung für die mündliche Verhandlung ungeeignet zurückzuweisen sei.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Relevant sei lediglich der Umstand, dass die Grenze anlässlich der Begehung mit dem Vermessungstechniker zumindest formell strittig war. Dies sei Voraussetzung dafür gewesen, dass durch den anlässlich dieser Begehung abgeschlossenen Vergleich der Grenzverlauf konstitutiv festgesetzt wurde. Auf eine allfällige „Mentalreservation“ des Nebenintervenienten komme es hierbei nicht an.

Der Beklagte sei zudem lediglich Einzelrechtsnachfolger von A***** R*****. Es sei kein Grund ersichtlich, weshalb der Beklagte eine allfällige Arglist des Nebenintervenienten gegenüber A***** R***** gegen sich gelten lassen müsste und in der Folge zur Rückabwicklung gegenüber seinem Vertragspartner, dem Nebenintervenienten, gezwungen sein sollte.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil zum Problemkreis der Rechtsnachfolge bei Anfechtungstatbeständen keine einschlägige Judikatur aufgefunden werden konnte.

Rechtliche Beurteilung

Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Der Revisionsrekurs ist entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden ‑ Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig:

1. In der Einigung, die Grenze gemäß dem Stand der Katastralmappe festzustellen, liegt eine Vereinbarung über strittige Rechte an bestimmten Grundteilen, die als Vergleich im Sinne des § 1380 ABGB anzusehen ist (RIS‑Justiz RS0013881).

2. Ein außergerichtlicher Vergleich ist lediglich in den Grenzen des § 1385 ABGB anfechtbar, wenn also ein Irrtum über die Vergleichsgrundlage, also über wesentliche Umstände, welche die den Vergleich schließenden Parteien als feststehend angenommen haben, vorliegt (9 Ob 30/08i). Die Anfechtungsmöglichkeit nach § 870 ABGB besteht auch bei einem Vergleich (RIS‑Justiz RS0014785). Nach ständiger Rechtsprechung liegt Arglist beim Vergleich bereits dann vor, wenn ein Teil über entscheidende Tatsachen Gewissheit hat und dies dem anderen verheimlicht. Arglist kann auch in einer Verschweigung liegen, wenn dadurch eine Aufklärungspflicht verletzt wird (RIS‑Justiz RS0014809).

3. Wie bereits das Rekursgericht zutreffend erkannt hat, war im vorliegenden Fall der Grenzverlauf zumindest formell strittig, sodass die Voraussetzungen zum Abschluss eines Vergleichs im Sinne des § 1380 ABGB vorlagen. Damit stellt sich entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts die Frage der Anfechtbarkeit des von den Rechtsvorgängern der Streitteile geschlossenen Vergleichs nach § 870 ABGB im vorliegenden Fall in Wahrheit nicht.

4.1. Im Übrigen entsprechen die Rechtsfolgen der Rückabwicklung nach § 877 ABGB jenen der §§ 1431 und 1437 ABGB (RIS‑Justiz RS0123426). Der Entreicherte kann mit Kondiktion die geleistete Sache zurückfordern, wenn die Rückgabe möglich und tunlich ist (RIS‑Justiz RS0108262). Dies kann auch einen Anspruch auf bücherliche Rückübertragung beinhalten (vgl 5 Ob 231/98a). Erweist sich die Rückstellung in natura als unmöglich, weil Dritte bereits gutgläubig Rechte an dem Grundstück erworben haben und zur Rückgabe nicht bereit sind, so ist Geldersatz zu leisten (vgl 5 Ob 231/98a).

4.2. Wie schon das Rekursgericht zutreffend erkannt hat, ist der Beklagte im vorliegenden Fall nicht Partei des seinerzeitigen Vergleichsabschlusses, sondern Rechtsnachfolger des Nebenintervenienten. Gründe, aus denen er sich ein allfälliges Fehlverhalten des Nebenintervenienten beim Vergleichsabschluss zurechnen lassen müsste, sind ‑ wie das Rekursgericht bereits zutreffend erkannt hat ‑ nicht ersichtlich.

4.3. Die Ausführungen Gschnitzers (in Klang² IV 135) sind nicht geeignet, die Rechtsansicht der Vorinstanzen zu widerlegen. Gschnitzer führt lediglich - ohne jede nähere Begründung - aus, dass sich das Anfechtungsrecht gegen den „andern Teil und dessen Rechtsnachfolger, also gegen den Erben und gegen den Zessionar der Forderung aus dem anfechtbaren Geschäft, aber nicht gegen den redlichen, wertpapiermäßig legitimierten Dritterwerber eines Inhaber- oder Orderpapiers“ richte. Als Beleg für die Passivlegitimation des Rechtsnachfolgers beruft sich Gschnitzer auf die Entscheidungen JBl 1937, 409 und GlU 14.842. Beide Entscheidungen sind jedoch in Wahrheit nicht einschlägig. Die Entscheidung JBl 1937, 409 betraf die Übernahme des Bausparstocks nach § 4 der Bausparnovelle 1933 durch eine Bausparkasse, sohin in Wahrheit einen Fall der (wenn auch nur partiellen) Gesamtrechtsnachfolge. In dem der Entscheidung GlU 14.842 zugrundeliegenden Fall hatte der Kläger vor Lieferung zweier Grabsteine Zahlung an den Verkäufer geleistet. Die Zahlung war jedoch an den für diesen bestellten Sequester gelangt und wurde sodann einem Gläubiger des Verkäufers „eingeantwortet“. Der Oberste Gerichtshof sprach aus, dass die Anfechtbarkeit des Kaufvertrags nach § 871 ABGB nicht zu prüfen sei, weil das Verfahren nicht gegen den Verkäufer als seinerzeitigen Vertragspartner geführt werde. Damit sind diese beiden Entscheidungen aber gerade kein Beleg für eine generelle Passivlegitimation des Einzelrechtsnachfolgers.

4.4. Der Revisionsrekurs bringt dazu lediglich vor, das Rekursgericht „manifestiere einen arglistig und somit rechtswidrig herbeigeführten sachenrechtlichen Zustand“, was „absolut unbefriedigend“ wäre. Nach Auffassung des Revisionsrekurswerbers sei eine Interessenabwägung anzustellen, die „zweifellos zu Gunsten des Anfechtenden“ ausschlagen müsse. Es bleibe ein „massives Unbehagen, wollte man nunmehr einen durch betrügerisches Vorgehen erschlichenen Rechtszustand belassen, nur um den Rechtsnachfolger des Betrügers zu schützen“.

Diese Behauptungen sind jedoch nicht geeignet, eine Unrichtigkeit der angegriffenen Rechtsausführungen darzutun. Vielmehr bleiben dem Kläger allfällige Schadenersatzansprüche sowie die Möglichkeit der Irrtumsanfechtung gegenüber dem Nebenintervenienten unbenommen. Warum die Interessenabwägung im vorliegenden Fall „zweifellos“ zu Ungunsten des Beklagten, dessen Gutgläubigkeit zu keiner Zeit bestritten wurde, ausschlagen soll, ist nicht ersichtlich.

5. In der Zusatzbegründung des Rekursgerichts, der Beklagte als bloßer Einzelrechtsnachfolger sei nicht passiv legitimiert, ist daher keine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken.

6. Damit bringt der Revisionsrekurs aber keine Rechtsfragen der in § 528 Abs 1 ZPO geforderten Bedeutung zur Darstellung, sodass er spruchgemäß zurückzuweisen war.

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