OGH 1Ob236/11d

OGH1Ob236/11d22.12.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** S*****, vertreten durch Mader-Steskal Rechtsanwälte Partnerschaft in Reutte, gegen die beklagte Partei Gemeinde B*****, vertreten durch Dr. Christian Fuchs Rechtsanwalt GmbH in Innsbruck, wegen 12.495 EUR sA, über die Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 2. September 2011, GZ 1 R 156/11t-109, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 9. Mai 2011, GZ 8 Cg 77/06h-103, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden in der Hauptsache dahin abgeändert, dass sie insgesamt lauten:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 12.495 EUR samt 4 % Zinsen seit 5. 10. 2004 binnen 14 Tagen zu zu zahlen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 22.149,23 EUR (darin 3.081,58 EUR an USt und 3.659,75 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Rechtsvorgänger des Klägers, dessen aktive Klagelegitimation nicht strittig ist, traten der beklagten Gemeinde zwei Teilflächen (Gesamtausmaß 232 m2) einer Liegenschaft zur Errichtung eines öffentlichen Wegs ab; diese Flächen wurden in der Folge in einem Verfahren nach den §§ 15 ff LiegTeilG der im Eigentum der Beklagten stehenden Wegparzelle grundbücherlich zugeschrieben. Der Abtretung, in deren Zug der Rechtsvorgänger des Klägers am 15. 6. 2004 auch schriftlich seine Zustimmung zum geänderten Grenzverlauf erteilt hatte, waren Verhandlungen mit Vertretern der Beklagten vorangegangen, die aufgrund eines Gemeinderatsbeschlusses eine Ablöse von (nur) 5 EUR/m2 für die von den anliegenden Grundeigentümern abzutretenden Grundflächen angeboten hatte. Unstrittig war, dass die Abtretung nicht unentgeltlich erfolgen sollte, doch kam es zu keiner Einigung über den angebotenen, vom Rechtsvorgänger des Klägers als zu niedrig angesehenen Betrag. Die Beklagte überwies einen auf der Basis von 5 EUR/m2 errechneten Betrag von 1.160 EUR, welcher ihr jedoch rücküberwiesen wurde. Ohne die Abtretung der Grundflächen hätte die Liegenschaft keinen Anschluss an das öffentliche Wegenetz; eine Baubewilligung, die weniger als zwei Monate nach der Zustimmungserklärung des Rechtsvorgängers des Klägers erteilt wurde, hätte nicht erlangt werden können. Die Liegenschaft war seit 1997 als „Bauland“ gewidmet. Zu einer Konkretisierung des Wegebaus durch die Beklagte, insbesondere die Vermessung und Projektierung des Wegs kam es erst im Jahr 2000. Der Baulandpreis für die Liegenschaft betrug im Sommer 2004 unter der Annahme der vollen Erschließung durchschnittlich 160 bis 180 EUR/m². Noch nicht erschlossenes Bauland hatte einen Wert von der Hälfte bis zu zwei Dritteln des Verkehrswerts erschlossenen Baulands. Für nicht bebaubare Flächen im Bauland sind rund 35 % des Baulandpreises anzusetzen. Im Zusammenhang mit der straßenmäßigen Erschließung wurde die Liegenschaft von einem zu Gunsten einer Nachbarliegenschaft bestehenden Wegerecht entlastet, das auf einer Fläche von 170 m² ausgeübt worden war.

Der Kläger begehrte nach Klageausdehnung und Klageeinschränkung zuletzt 12.495 EUR samt 4 % Zinsen seit 5. 10. 2004 und brachte dazu letztlich im Wesentlichen vor, es sei von der Beklagten stets ein ortsüblicher Preis für die einzulösenden Baugrundstücke zugesichert worden. Da in Tirol keine landesgesetzlichen Bestimmungen existierten, die für die Bemessung der ihm zustehenden Ablösezahlung herangezogen werden könnten, habe die Wertermittlung nach § 17 Abs 2 LiegTeilG zu erfolgen. Die durch die Abtretung verkleinerte und zugleich von der Servitut entlastete Liegenschaft habe - ausgehend von ortsüblichen Durchschnittspreisen vor der Planung der Straßenanlage - einen Wertverlust in Höhe des Klagebetrags erlitten.

Die Beklagte wandte im Wesentlichen ein, die Rechtsvorgänger des Klägers hätten der Grundabtretung zugestimmt, ohne eine Zahlung zu fordern. Sie seien auch durch die Verwirklichung des Wegprojekts um die frühere Servitutsfläche bereichert worden. Sie hätten mit ihrem Verhalten einer entschädigungslosen Grundabtretung zugestimmt. Da das Grundstück bei der Abtretung noch nicht erschlossen und daher auch nicht bebaubar gewesen sei, käme allenfalls eine Vergütung in Höhe des Freilandwerts in Betracht. In diesem Sinne habe die Beklagte einen Ablösebetrag von 5 EUR/m² festgesetzt, der ortsüblich und angemessen sei. Ein solcher Wert ergäbe sich auch bei einem Rückgriff auf § 77 Abs 2 Tiroler Raumordnungsgesetz (TROG) 2001, welcher auf die §§ 65, 66 Abs 1 Tir StraßenG verweise. Nach diesen Bestimmungen seien Grundabtretungsflächen als „nicht bebaubar“ zu werten. Die Straßenbauanlage sei bereits im Jahr 1982 geplant worden, als die Liegenschaft noch als Freiland gewidmet gewesen sei. Damals wäre für ein solches Grundstück allenfalls der damals ortsübliche Freilandpreis von maximal 5 EUR/m² bezahlt worden. Der dem Kläger bzw seinen Rechtsvorgängern maximal zustehende Anspruch auf Leistung einer Ablösezahlung in Höhe von 1.160 EUR sei bereits durch Überweisung erfüllt worden. Die Beklagte könne insoweit nicht gerichtlich zur nochmaligen Erfüllung verpflichtet werden.

Das Erstgericht erkannte die Beklagte mit seinem im zweiten Rechtsgang ergangenen Urteil schuldig, dem Kläger 11.335 EUR samt 4 % Zinsen seit 5. 10. 2004 zu zahlen und wies das Mehrbegehren von weiteren 1.160 EUR samt Zinsen ab. Der Oberste Gerichtshof habe in seinem Aufhebungsbeschluss angeordnet, mangels vergleichbarer Bestimmungen in Tirol, die die Frage einer Entschädigung für zu vergleichbaren Zwecken stattfindende Grundabtretungen regeln, die Wertermittlung nach § 17 Abs 2 LiegTeilG durchzuführen. Derartige Bestimmungen, bestünden nicht, könnte es sich doch nur um Regelungen für Fälle handeln, in denen bereits bebaubare Grundstücke vorhanden sind und lediglich die straßenmäßige Erschließung noch vorzunehmen sei. Bei einem Baulandumlegungsverfahren nach den §§ 72 ff TROG 2001 gehe es allerdings nicht nur um eine Erschließung, sondern auch die Schaffung eines Wohngebiets durch Neukonfiguration der betroffenen Grundstücksflächen. Die Wertermittlung habe daher nach § 17 Abs 2 LiegTeilG zu erfolgen, was einen Vergütungsbetrag von 12.495 EUR ergäbe. Wie bereits das Berufungsgericht in seiner im ersten Rechtsgang ergangenen Entscheidung ausgeführt habe, habe die Beklagte durch Überweisung eines Betrags von 1.160 EUR ihre Zahlungspflicht bereits vor Klageeinbringung in dieser Höhe erfüllt, womit der Anspruch der Rechtsvorgänger des Klägers in diesem Ausmaß erloschen sei und die Beklagte nicht neuerlich zur Erfüllung der bereits geleisteten 1.160 EUR verpflichtet werden könne.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, dass es die Beklagte schuldig erkannte, dem Kläger 6.960 EUR samt Zinsen zu zahlen, wogegen es das Mehrbegehren von weiteren 5.535 EUR samt 4 % Zinsen abwies; es erklärte die ordentliche Revision für zulässig. Der Oberste Gerichtshof habe in seinem Aufhebungsbeschluss bindend vorgegeben, dass die zwischen den Rechtsvorgängern des Klägers und der Beklagten getroffene unvollständige Grundabtretungsvereinbarung dahin zu verstehen sei, dass dem Liegenschaftseigentümer ein Geldanspruch zukommen solle, der jenem entspricht, der in ähnlichen Zusammenhängen für vergleichbare „Abtretungen“ von Grundstücksflächen gebühre. Dabei seien in erster Linie landesgesetzliche Bestimmungen zu beachten, die die Frage einer Entschädigung für zu vergleichbaren Zwecken (zB zur straßenmäßigen Erschließung eines Wohngebiets) stattfindende Grundabtretungen regeln. Maßgeblicher Zeitpunkt für diese Wertermittlung sei jener des Zustandekommens der Grundabtretungsvereinbarung am 15. 6. 2004. Als zur Orientierungshilfe vergleichend heranzuziehende landesgesetzliche Bestimmung käme § 77 Abs 2 TROG 2001, der für die Aufbringung von Grundflächen zum Neubau von Gemeindestraßen eine Vergütung in sinngemäßer Anwendung der §§ 65 und 66 Abs 1 des Tir Straßengesetzes vorgesehen habe, ebenso in Betracht wie die genannten Regeln des Tir StraßenG 1988 selbst. § 66 Abs 1 Tir StraßenG stelle als Bemessungskriterium für die Vergütung auf den Verkehrswert des Gegenstands der Enteignung am Ermittlungsstichtag ab. Sowohl § 77 Abs 2 TROG 2001 als auch § 66 Abs 3 Tir StraßenG ordneten an, die für den Bau einer Gemeindestraße enteigneten bzw aufgebrachten Grundflächen als „nicht bebaubar“ zu bewerten. Die Rechtfertigung dieses Sonderopfers des betroffenen Liegenschaftseigentümers sei im besonderen Erschließungsvorteil aus den Straßenbaumaßnahmen gesehen worden. Dieser Erschließungsvorteil, den der Grundeigentümer gewidmeten Baulands durch den Neubau einer Straße erlange, sei nach der Intention der genannten landesgesetzlichen Vorschriften dadurch auszugleichen, dass die Vergütung nicht nach dem Baulandpreis bemessen wird, sondern nach dem Preis für ein nicht bebaubares Grundstück. Entgegen der zu 4 Ob 173/01x vertretenen Rechtsmeinung und der Ansicht der Beklagten seien die Worte „nicht bebaubar“ nicht so zu verstehen, dass die abgetretenen Grundflächen mit dem üblichen Preis für Freiland zu bewerten seien. Auch bei einem als Bauland gewidmeten Grundstück seien nämlich Flächen denkbar, die aufgrund baurechtlicher Vorschriften nicht bebaubar sind (zB Mindestabstandsvorschriften, Bauverbotsbereiche, Straßen- und Baufluchtlinien ...). Bei diesen aus rechtlichen Gründen nicht bebaubaren Flächen handle es sich entsprechend ihrer Widmung im Flächenwidmungsplan um Bauland und nicht um Freiland. Der Landesgesetzgeber habe auch nicht etwa die gesetzliche Fiktion angeordnet, dass zum Straßenbau aufgebrachte Grundstücke als Freiland zu werten seien, sondern als „nicht bebaubar“. Hätte er auf „Freiland“ Bezug nehmen wollen, hätte er dies wohl deutlich angeordnet. Nach Ansicht des Berufungsgerichts sei der Begriff „nicht bebaubar“ dahin auszulegen, dass die Vergütung für „Abtretungen“ nach dem Verkehrswert von nicht bebaubarem Bauland zu bewerten sei. Mit dieser Bewertung sei auch der Vorteil der Befreiung von der Servitut berücksichtigt. Das Erstgericht habe nun festgestellt, dass für nicht bebaubare Flächen im Bauland rund 35 % des Baulandpreises als Berechnungsbasis anzusetzen seien. Dabei handle es sich um eine Tatsachenfeststellung, die auf dem schlüssigen und nachvollziehbaren Sachverständigengutachten beruhe, dessen Richtigkeit in diesem Punkt von der Beklagten gar nicht in Frage gestellt werde. Bei der Berechnung der von der Beklagten zu leistenden „Ablösezahlung“ sei zunächst vom durchschnittlichen Baulandpreis von 170 EUR/m² auszugehen, der allerdings um 50 % zu vermindern sei, weil die Liegenschaft bei der Abtretung noch nicht erschlossen gewesen sei. Rund 35 % dieses Betrags ergäben 30 EUR/m², weil eben die gesamten abgetretenen 232 m² als „nicht bebaubar“ zu werten seien. Damit ergebe sich eine Entschädigungssumme von 6.960 EUR. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei davon der bezahlte, jedoch rücküberwiesene Betrag von 1.160 EUR nicht in Abzug zu bringen, weil unter den gegebenen Umständen eine schuldbefreiende Teilzahlung nicht vorliege und auch im Betrag von 1.160 EUR ein noch aufrechter Anspruch gegenüber der Beklagten bestünde. Die Revision sei zulässig, weil das Berufungsgericht sowohl bei der Auslegung der Wortfolge „nicht bebaubar“ als auch bei der Frage der Erfüllungswirkung einer rücküberwiesenen Teilzahlung von höchstgerichtlicher Rechtsprechung abgegangen sei.

Rechtliche Beurteilung

Beide Revisionen sind zulässig, weil in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bisher nicht einheitlich beantwortet wurde, wie die Anordnung einer Bewertung von Bauland als „nicht bebaubar“ im Tiroler Landesrecht zu verstehen ist. Die Revision des Klägers ist auch berechtigt, nicht jedoch jene der Beklagten.

Wie der erkennende Senat in seinem Aufhebungsbeschluss (1 Ob 243/08d) ausgesprochen hat, ist der Entgeltanspruch des Klägers - in Ergänzung des insoweit unvollständigen Vertrags - entsprechend jenen Normen zu bemessen, die in vergleichbaren Fällen - etwa im Falle einer gegen seinen Willen vorgenommenen Inanspruchnahme (Enteignung) der betreffenden Grundflächen - zur Anwendung gekommen wären. Nicht in diesem Sinn einschlägig ist § 77 Abs 2 TROG 2001 (wieder verlautbart mit LGBl 2001/93), da diese Norm eine Sonderbestimmung für das Baulandumlegungsverfahren ist. Im vorliegenden Fall wurde ein solches Verfahren nicht durchgeführt; die Beklagte behauptet auch nicht, dass die hier zu beurteilende Grundabtretung in einer vergleichbaren Situation stattgefunden hätte. Zutreffend hat das Berufungsgericht § 66 Tir StraßenG (LGBl 1989/13) herangezogen, der in seinem Abs 3 unter anderem anordnet, dass bei der Enteignung von Grundflächen für den Neubau einer Gemeindestraße die enteigneten Grundflächen als „nicht bebaubar“ zu bewerten sind.

Die Vorgängerbestimmung dieser Norm, nämlich § 18 Tir Bauordnung (TBO)1974, war schon wiederholt Gegenstand höchstgerichtlicher Entscheidungen. So hat etwa der Verfassungsgerichtshof (VfSlg 8475) ausgesprochen, dass keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine unterhalb des Verkehrswerts der abzutretenden Grundflächen liegende Entschädigung bestünden, stehe doch die Entschädigungsregelung in einer Wechselwirkung zu den Erschließungsvorteilen von Eigentümern von Bauplätzen im Bauland, sodass ein isolierter Vergleich mit der Entschädigungsregelung bei [sonstigen] Enteignungen nicht zulässig sei. Ein solcher innerer Zusammenhang zwischen Erschließungslasten und Erschließungsvorteilen bestehe nur für solche Straßenprojekte, welche die Herstellung öffentlicher Verkehrsflächen für die Aufschließung von Bauland zum Gegenstand hätten.

Zu 7 Ob 547/88 setzte sich der Oberste Gerichtshof mit der Auslegung von § 18 Abs 3 aF TBO auseinander, der anordnete, die enteigneten Grundflächen seien als „nicht bebaubar“ zu werten. Dieser Begriff scheine weder in weiteren Bestimmungen der TBO, noch im TROG auf, das in § 10 Abs 1 nur die Widmungen „Bauland“, „Freiland“ und „Hauptverkehrsflächen“ offen lasse. Die Unterscheidung des TROG zwischen Bauland einerseits und Freiland andererseits werde von der TBO nicht als entscheidendes Kriterium genommen. Daraus ergebe sich aber, dass der Begriff des „Freilandes“ des TROG nicht zur Auslegung des Begriffs „nicht bebaubare Grundfläche“ im Sinne des § 18 TBO herangezogen werden könne. Vielmehr müsse dieser Begriff aus der TBO ausgelegt werden. Da diese den Zweck habe, Regeln für die Errichtung von Bauwerken aufzustellen, werde man den dort verwendeten Begriff „nicht bebaubare Grundflächen“ so zu verstehen haben, dass damit Grundflächen gemeint sind, für die Baubewilligungen im Sinne der TBO nicht erteilt werden dürfen. Durch die Einstufung der enteigneten Fläche als „nicht bebaubare Grundfläche“ werde lediglich eine Entschädigung für die Benützung auf eine Art, die eine Baubewilligung nach der TBO erfordert, ausgeschlossen, nicht jedoch für eine anderweitige Benützung.

Gegenstand der Entscheidung 4 Ob 173/01x (= bbl 2002/15 [Auer]) war (bereits) § 66 Tir StraßenG, wobei darauf hingewiesen wurde, dass dessen Abs 3 den aufgehobenen § 18 Abs 4 TBO zum Vorbild habe. Diese Regelung sei aus rechtssystematischen Gründen in das Tir StraßenG eingebaut und in ihrem Anwendungsbereich mit der Begründung erweitert worden, auch in den neu hinzugekommenen Fällen rechtfertige der besondere Erschließungsvorteil aus den Straßenbaumaßnahmen, denen die Enteignung diene, für die Eigentümer von Bauplätzen im Bauland die verminderte Entschädigung. Das TROG 1997 gliedere die Grundflächen eines Gemeindegebiets ihrer Widmung nach in Bauland, Freiland, Sonderflächen und Vorbehaltsflächen (§ 35 Abs 1 TROG). Als Bauland dürften nur Grundflächen gewidmet werden, die sich für eine der jeweiligen Widmung entsprechende Bebauung eignen; gleiches gelte sinngemäß für Sonderflächen und Vorbehaltsflächen. Als „nicht bebaubar“ im Sinne des § 66 Abs 3 und Abs 4 Tir StraßenG könnten daher nur solche Grundflächen gelten, die als Freiland im Sinne des § 41 TROG gewidmet sind.

Der erkennende Senat schließt sich den Bedenken des Berufungsgerichts gegen diese Auslegung an, wobei auch dessen systematisches Argument nicht zu vernachlässigen ist, der Gesetzgeber des Tir StraßenG hätte ohne weiteres den Begriff „Freiland“ verwenden können, wenn ihm ein solches Verständnis für die Bemessung der Entschädigung vorgeschwebt wäre. Entgegen der Ansicht des vierten Senats kennt das TROG auch noch die Kategorie der Verkehrsflächen, und zwar auch sowohl nach dem TROG 1984 (LGBl 4) und nach dem TROG 1997 (LGBl 10) in deren § 54 als auch nach dem hier maßgeblichen § 53 TROG 2001. Da Verkehrsflächen nach ihrer Zweckwidmung nicht bebaut werden können, kann nicht mit Recht vertreten werden, alle nicht bebaubaren Flächen wären als Freiland zu qualifizieren (vgl auch § 41 Abs 1 TROG 2001, wonach Verkehrsflächen nach § 53 Abs 3 erster Satz leg cit, also schon fertiggestellte, nicht als Freiland gelten, und § 35 leg cit). Es ist daher auch der Begriff „nicht bebaubare Grundfläche“ in § 66 Abs 3 Tir StraßenG nicht mit dem des Freilands identisch. Die Vergütung des bloßen (notorisch unverhältnismäßig niedrigeren) Freilandpreises wäre nun vor allem dann - selbst unter Berücksichtigung der Erschließungsvorteile durch den Straßenbau - ungenügend, wenn die teilweise enteignete Liegenschaft - wie hier - zur Gänze als Bauland gewidmet ist. Warum der Eigentümer einer solchen Liegenschaft keine höhere Entschädigung bekommen sollte als ein anderer, dem überhaupt unbebaubares Freiland weggenommen wird, ist nicht zu erkennen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Eigentümer einer Liegenschaft mit Baulandwidmung für die Erlangung einer Baubewilligung nicht unbedingt eine unmittelbare Anbindung an das öffentliche Straßennetz braucht, sondern sich einen Zugang allenfalls auch durch den Erwerb eines Wegerechts über ein Nachbargrundstück verschaffen kann. Solange eine solche Liegenschaft mit Baulandwidmung noch nicht konkret bebaut werden darf, hat sie zweifellos einen geringeren Wert als aufgeschlossenes Bauland, aber doch einen deutlich höheren als bloßes Freiland. Zutreffend hat das Berufungsgericht auch darauf hingewiesen, dass selbst bei Vorliegen einer Baubewilligung Teile der Liegenschaft weiterhin „nicht bebaubar“ sind (zB Abstandsflächen, Grundstücksteile außerhalb der Bauflucht- und Baugrenzlinien ...), dennoch aber nicht den niedrigeren Wert reinen Freilands aufweisen. Entsprechendes gilt etwa auch für bloße (private) Verkehrsflächen auf einer Liegenschaft mit Baubewilligung.

Damit ergibt sich, dass die gesetzliche Anordnung, die betreffenden Grundflächen als „nicht bebaubar“ zu bewerten, nur dann auf den Freilandpreis verweist, wenn bloß eine solche Widmung vorliegt, in Fällen wie dem hier zu beurteilenden aber auf den Wert von einer Bebauung nicht zugänglichen Teilen von Liegenschaften mit Baulandwidmung. Das Erstgericht hat dazu festgestellt, dass für nicht bebaubare Flächen im Bauland rund 35 % des Baulandpreises anzusetzen sind. Das Berufungsgericht hat dies als - somit nicht revisible - Tatsachenfeststellung qualifiziert, jedoch zu Unrecht einen doppelten Abschlag vom regulären Baulandpreis vorgenommen. Wenn festgestellt wurde, nicht bebaubare Flächen im Bauland hätten einen Wert von rund 35 % des Baulandpreises, so ist damit - dies ergibt sich auch aus dem den Tatsachenfeststellungen zu Grunde liegenden Sachverständigengutachten - erkennbar der genannte Prozentsatz vom Wert aufgeschlossenen Baulands gemeint. Ausgehend vom durchschnittlichen (§ 273 ZPO) Baulandpreis von 170 EUR/m² ergibt sich somit ein Wert „nicht bebaubaren“ Baulands von rund 60 EUR/m². Angesichts der vom Kläger überlassenen Fläche von 232 m² errechnet sich ein Anspruch in Höhe von 13.920 EUR. Da der Kläger ohnehin nur 12.495 EUR samt Zinsen begehrt, kann dahingestellt bleiben, ob seine Gesamtforderung durch die (zurücküberwiesene) Teilzahlung von 1.160 EUR entsprechend vermindert wurde. Selbst wenn man von einer teilweisen Tilgung ausginge, verbliebe immer noch ein die Klageforderung übersteigender Anspruch.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind daher im Sinne einer vollständigen Klagestattgebung abzuändern.

Die Kostenentscheidungen beruhen auf den §§ 50 Abs 1 und 41 Abs 1 bzw 43 Abs 2 ZPO; die zeitweilige Überklagung ist dem Kläger angesichts der schwierigen Bewertungsfragen nicht vorzuwerfen und mindert nicht seinen (vollen) Kostenersatzanspruch auf einer Bemessungsgrundlage von 12.495 EUR.

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