OGH 12Os152/11m

OGH12Os152/11m20.12.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Dezember 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Ludwig als Schriftführer in der Strafsache gegen Josef K***** wegen Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 24. März 2011, GZ 40 Hv 92/09t-50, sowie dessen Beschwerde gegen den unter einem gefassten Beschluss auf Erteilung einer Weisung nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil und demzufolge auch der Beschluss nach §§ 50 Abs 1, 51 StGB aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Salzburg verwiesen.

Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Josef K***** der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (A./) und der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (B./) schuldig erkannt.

Danach hat er in Hallein

A./ außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an einer unmündigen Person, nämlich der am 28. Juni 1996 geborenen Nicole M***** vorgenommen, und zwar

1./ in der Nacht vom 10. auf den 11. Jänner 2009 oder in der Nacht vom 17. auf den 18. Jänner 2009 durch Betasten der Scheide und der Brust unter dem Pyjama;

2./ zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Jahr 2008 oder 2009 durch Betasten der Brust über der Kleidung;

B./ durch die unter A./1./ angeführten Handlungen mit einer minderjährigen Person, nämlich mit Nicole M*****, die seiner Aufsicht unterstand, unter Ausnützung dieser Stellung gegenüber dieser Person geschlechtliche Handlungen vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 1, 1a, 2, 4 und 5 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der Berechtigung zukommt.

Nominell unter Z 1 und 1a, inhaltlich mit Verfahrensrüge (Z 4) macht der Angeklagte geltend, die in die Hauptverhandlung eingeführte kontradiktorische Vernehmung der Zeugin Nicole M***** im Vorverfahren hätte in Abwesenheit eines Verteidigers stattgefunden.

Der Angeklagte in Strafverfahren mit Verteidigerzwang in der Hauptverhandlung (§ 61 Abs 1 Z 4 und 5 StPO) kann, wenn das Beweisverfahren durch kontradiktorische Vernehmung im Ermittlungsverfahren gleichsam vorweggenommen wird, aus Z 4 mit Erfolg geltend machen, dass er nicht rechtzeitig, ausdrücklich und in einer für ihn verständlichen Weise auf den Wert, den ein zur kontradiktorischen Vernehmung beigezogener geschulter Rechtsbeistand darstellt, und das Recht hingewiesen wurde, mit Blick auf ein (angesichts der Vorschriften der §§ 281 Abs 1 Z 1a, 345 Abs 1 Z 2, 489 Abs 1 erster SatzStPO zwanglos zu bejahendes) Erfordernis im Sinn des § 61 Abs 2 StPO nach Maßgabe der sonstigen Voraussetzungen die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers zu verlangen (RIS-Justiz RS0125706).

Vorliegend erfolgte die Ladung des Beschwerdeführers zur kontradiktorischen Zeugenvernehmung ohne eine entsprechende Belehrung (ON 1 S 3), weiters beantragte der Angeklagte in der Hauptverhandlung, die Vorführung der Videoaufnahme über die kontradiktorische Vernehmung wegen fehlender Beiziehung eines Verteidigers zu dieser Befragung ohne entsprechende Belehrung zu unterlassen (ON 49 S 16, ON 25 S 4 f), weshalb die dennoch erfolgte Einführung des Ergebnisses der mit einem Verfahrensmangel behafteten Beweisaufnahme in die Hauptverhandlung (§ 258 Abs 1 StPO) erfolgreich aus Z 4 gerügt werden kann (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 158).

Schon insoweit zeigt sich, dass die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung unumgänglich ist (§ 285e StPO). Das angefochtene Urteil und demzufolge auch der Beschluss nach §§ 50 Abs 1, 51 StGB waren daher aufzuheben, eine neue Hauptverhandlung anzuordnen und die Sache an das Erstgericht zu verweisen.

Aufgrund des kassatorischen Erkenntnisses erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren vom Rechtsmittelwerber geltend gemachten Nichtigkeitsgründe.

Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Bleibt anzumerken, dass Beschlüsse auf Erteilung von Weisungen nicht in das Urteil aufzunehmen sind (RIS-Justiz RS0101841).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte