Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Mit Beschlüssen des Erstgerichts vom 4. 5. 2010 wurde zu AZ 41 S 65/10x über das Vermögen der Schuldnerin sowie zu AZ 41 S 64/10z über das Vermögen ihrer Tochtergesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet und jeweils die Rechtsmittelwerberin zur Masseverwalterin bestellt.
Die Schuldnerin, die Genussscheine emittierte, war gleichzeitig Hauptaktionärin ihrer genannten Tochtergesellschaft. Aus wirtschaftlicher Sicht stellten beide Gesellschaften eine Einheit dar, weil die Tochtergesellschaft ohne die Vermögensverschiebungen durch die Schuldnerin nicht lebensfähig gewesen wäre. Die Tochtergesellschaft war eine völlig abhängige Vertriebs- und Vermittlungsgesellschaft, die keine sonstige unternehmerische Leistung erbrachte.
Der Vorstandsvorsitzende beider Gesellschaften wurde rechtskräftig wegen der Verbrechen des gewerbsmäßigen schweren Betrugs, der Untreue und der betrügerischen Krida sowie weiterer Vergehen strafgerichtlich verurteilt. Unter anderem wurde ihm vorgeworfen, in der Zeit von 2001 bis 2008 ungerechtfertigte Erlösverschiebungen von der Muttergesellschaft zur Tochtergesellschaft, insbesondere durch Zahlungen von nicht fremdüblich hohen Provisionen für den Vertrieb von Genussscheinen sowie durch Zahlung von nicht aufwandsbezogenen hohen Honoraren für die Börseeinführung der Genussscheine, veranlasst zu haben.
Die Masseverwalterin beantragte, die Übernahme der gesamten Konkursmasse der Tochtergesellschaft durch die Masse der Muttergesellschaft konkursgerichtlich zu genehmigen, sowie die Ermittlung der Konkursquote unter Miteinbeziehung der Konkursgläubiger des Konkursverfahrens über das Vermögen der Tochtergesellschaft nach der ihnen in diesem Verfahren zukommenden Rechtsstellung konkursgerichtlich zu genehmigen und die Masseverwalterin zu ermächtigen, die von ihr so ermittelte einheitliche Konkursquote an die Gläubiger festgestellter Konkursforderungen in beiden Verfahren auszuschütten (ON 90).
Zur Begründung dieses Antrags führte die Masseverwalterin aus, nur die Bildung einer einheitlichen Konkursmasse könne die kriminellen Vermögensverschiebungen durch den Vorstandsvorsitzenden beseitigen und eine Gleichbehandlung aller Gläubiger gewährleisten. Die getrennte Zuordnung der durch die kriminellen Handlungen verschobenen Vermögenswerte zu den einzelnen Kapitalgesellschaften zu einem bestimmten Stichtag wäre rein zufällig. Die Übertragung der Konkursmasse führe zu einem Vermögensübergang iSd § 1409 ABGB, § 38 UBG.
Im Insolvenzverfahren der Tochtergesellschaft stellte die Masseverwalterin den spiegelbildlichen Antrag auf Genehmigung der Ausschüttung der dort bestehenden Masse an die Schuldnerin (41 S 64/10z-96).
Das Erstgericht gab den Anträgen der Masseverwalterin statt und schloss sich deren rechtlichen Überlegungen an.
Das Rekursgericht gab (ebenso wie im Parallelverfahren der Tochtergesellschaft) dem für zulässig erachteten Rekurs eines Gläubigers Folge, änderte den angefochtenen Beschluss im abweisenden Sinn ab und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Das Gesetz erlaube zwar die Vereinigung von zwei Insolvenzverfahren zur gemeinsamen Verhandlung unter der Voraussetzung, dass die Abstimmung der Gläubiger für jeden Konkurs gesondert erfolge, kenne aber kein Insolvenzverfahren mit mehr als einem Schuldner. Die Vollbeendigung einer Aktiengesellschaft, also das Erlöschen ihrer Rechtspersönlichkeit, stehe erst am Ende der Abwicklung. Aus diesem Grund seien die beiden Gesellschaften auch nach der Konkurseröffnung verschiedene Rechtspersonen geblieben. Eine Zusammenlegung der Konkursverfahren sei nicht möglich. Schließlich sei auch die These der Masseverwalterin, wonach die (allerdings unzulässige) Übertragung der Konkursmasse iSd § 1409 ABGB, § 38 UGB eine Gesamtrechtsnachfolge bewirke, unrichtig.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Masseverwalterin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass der Rekurs des Gläubigers gegen den erstgerichtlichen Beschluss zurück- bzw abgewiesen werde.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Masseverwalterin ist zulässig, weil der Oberste Gerichtshof die Fragen, ob einem Insolvenzgläubiger gegen einen Beschluss, mit dem die Übertragung der Masseaktiva eines insolventen Konzernunternehmens auf die Konkursmasse der ebenfalls insolventen Muttergesellschaft genehmigt wird, Rekurslegitimation zukommt, und ob eine derartige Ausschüttung rechtlich zulässig ist, bisher nicht zu behandeln hatte. Der Revisionsrekurs ist aber nicht berechtigt.
1. Nach den Übergangsbestimmungen zum IRÄG 2010 (§ 273 IO) sind auf das vorliegende Verfahren - mit Ausnahme der Verfahrensvorschriften nach §§ 252 ff IO (§ 273 Abs 8 IO) - noch die Bestimmungen der Konkursordnung anzuwenden. Das Rekursverfahren ist einseitig (§ 260 Abs 4 iVm § 273 Abs 8 IO).
2. Das Rekursgericht hat den Rekurs des Gläubigers gegen den erstgerichtlichen Beschluss ohne Rechtsirrtum für zulässig erachtet. Im Insolvenzverfahren ist zum Erheben eines Rechtsmittels legitimiert, wer in seinem Recht verletzt ist (RIS-Justiz RS0065135). Im Konkurseröffnungsverfahren sind dies grundsätzlich der Schuldner und die Gläubiger bescheinigter Insolvenzforderungen (RIS-Justiz RS0059461). Die hier beantragte Ausschüttung der gesamten Konkursmasse führt aus Sicht der Gläubiger der Schuldnerin zu einer substanziell veränderten Gläubigerstellung in einem Verfahren mit neuem Verfahrensgegenstand. Dies gelangt auch im Antrag der Masseverwalterin zum Ausdruck, wonach die Konkursquote der Gläubiger im Konkurs der Tochtergesellschaft im gegenständlichen Verfahren nach der ihnen hier zukommenden Rechtsstellung ermittelt werden soll. Bei Veränderung der Gläubigerposition im Insolvenzverfahren sind aber die rechtlichen Interessen der betroffenen Insolvenzgläubiger berührt, weshalb ihre Rekurslegitimation bejaht werden muss (8 Ob 104/11v).
3. Inhaltlich vertritt die Masseverwalterin weiterhin die Ansicht, dass die beantragte Übertragung der Masseaktiva der Tochtergesellschaft auf die Schuldnerin und die Einbeziehung der Gläubiger beider Gesellschaften in dasselbe Insolvenzverfahren zulässig sei.
Der erkennende Senat hat in der Entscheidung im Verfahren der Tochtergesellschaft (8 Ob 104/11v) dazu bereits Folgendes erwogen:
Die Schuldnerin ist Teil eines Konzerns. Im Rahmen einer Konzernbildung werden durch einheitliche Leitung oder (Mehrheits-)Beteiligungen rechtlich selbständige Gesellschaften zu einer wirtschaftlichen Einheit mit der Folge zusammengefasst, dass Beherrschungs- und Abhängigkeitsverhältnisse entstehen, die zu einer Fremdbestimmung führen. Der (vertragliche oder faktische) Konzern bedingt nur eine funktionale Wirtschaftseinheit der verbundenen Unternehmen. Die wirtschaftliche Einheitlichkeit einerseits und die rechtliche Einheit andererseits fallen somit auseinander. Dem Konzern kommt keine Rechtspersönlichkeit zu (vgl RIS-Justiz RS0049295).
Der Umstand, dass ein Konzern eine wirtschaftliche Einheit bildet, hat in einzelnen Bereichen der Rechtsordnung seinen Niederschlag gefunden. Dies gilt vor allem für die gesetzliche Betriebsverfassung und die Konzernrechnungslegung. Sonst bestehen nur regelungsbereichsabhängige Einzelvorschriften. Der österreichische Gesetzgeber hat das konzernrechtliche Regelungsprogramm zweifellos auf ein Minimum reduziert (vgl dazu Jabornegg, Arbeitsvertragsrecht im Konzern, DRdA 2002, 3). In der Rechtsprechung ist darüber hinaus anerkannt, dass bestimmte Konzernsachverhalte haftungsrechtliche Folgen auslösen können. In diesem Zusammenhang ist von Haftungsdurchgriff oder Durchgriffshaftung die Rede (vgl RIS-Justiz RS0115008; RS0009098; vgl auch 8 Ob 108/08b). Gegenstand der Betrachtung ist vor allem die mögliche Haftung für die Schädigung von Konzernunternehmungen und deren Gläubiger durch Unternehmensleitung und Gesellschafter im Konzernverbund.
Im Zusammenhang mit Insolvenzen kann sich vor allem die Frage stellen, ob rechtlich verbindliche Zusagen der Muttergesellschaft den Eintritt des Überschuldungstatbestands bei der Tochtergesellschaft verhindern können (vgl dazu Leitner, Der Insolvenztatbestand der Überschuldung im Konzernunternehmen, RdW 1994/9, 273).
Darüber hinaus ist in Rechtsprechung und Lehre anerkannt, dass gegen jeden Schuldner ein gesonderter Insolvenzantrag erforderlich ist, sich der Insolvenzantrag nur gegen einen einzigen Schuldner richten darf und es mangels einer entsprechenden Norm in der Insolvenzordnung kein Insolvenzverfahren mit mehr als einem Schuldner gibt (Übertsroider in Konecny, Insolvenzgesetze § 70 IO Rz 2; Schumacher in Bartsch/Pollak/Buchegger, Österreichisches Insolvenzrecht § 70 KO Rz 2 jeweils mwN). Selbst ein enger gesellschaftsrechtlicher Zusammenhang zwischen dem Schuldner und einem Dritten kann nie eine Insolvenzeröffnung auch über den Dritten rechtfertigen (Schumacher aaO Rz 2).
4. Die unstrittige wirtschaftliche Einheit der beiden insolventen Gesellschaften ändert nichts an ihrer rechtlichen Selbständigkeit und an ihrer getrennten Rechtssubjektivität im Insolvenzverfahren. Die beantragte Übertragung der Masseaktiva eines insolventen Konzernunternehmens auf die Insolvenzmasse der Muttergesellschaft würde im Ergebnis zur Zusammenlegung der Insolvenzverfahren gegen mehrere Schuldner aufgrund wirtschaftlicher Gesichtspunkte und de facto zur Bildung einer einheitlichen Insolvenzmasse führen. Im Fall der Genehmigung würden die insolvenzgerichtlichen Maßnahmen nur mehr in einem gemeinsamen Verfahren getroffen werden.
5. Wenn in der Literatur mitunter von „Konzerninsolvenz“ die Rede ist, darf dies nicht dahin missverstanden werden, dass über den Konzern als solchen ein einziges Insolvenzverfahren eröffnet würde (Deyda, Der Konzern im europäischen internationalen Insolvenzrecht 27).
Zwar wäre de lege ferenda durchaus eine Koordinierung der Insolvenzverfahren von Konzernunternehmen in mehreren Stufen denkbar, derzeit mangelt es für eine derartige Vorgangsweise allerdings an einer Rechtsgrundlage (vgl Konecny, Entwicklungen im Konzerninsolvenzrecht, ZIK 2007/195, 109). Aus diesem Grund ist bei Konzernunternehmen weiterhin nicht nur vom gesellschaftsrechtlichen Trennungsprinzip, sondern ebenso vom insolvenzrechtlichen Trennungsprinzip auszugehen.
Die Abwicklung des Insolvenzverfahrens hat demnach isoliert für das einzelne Konzernunternehmen zu erfolgen. Rechtshandlungen, die zu einem kriminellen Vermögenstransfer zwischen Konzernunternehmen und auf diese Weise zur Begünstigung der Gläubiger der Tochtergesellschaft auf Kosten der Gläubiger der Muttergesellschaft geführt haben, können demnach nur im Weg des Insolvenzanfechtungsrechts korrigiert werden (8 Ob 104/11v).
Dem Revisionsrekurs der Masseverwalterin war daher der Erfolg zu versagen.
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