OGH 12Os151/11i

OGH12Os151/11i15.11.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. November 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Sommer als Schriftführer in der Strafsache gegen Tobias T***** und einen weiteren Angeklagten wegen des Verbrechens des Raubes nach §§ 142 Abs 1 und Abs 2 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Tobias T***** sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Jugendschöffengericht vom 30. Mai 2011, GZ 7 Hv 41/11f-21, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen II./1./ und II./2./ aufgehoben und dem Landesgericht Wels aufgetragen, in Betreff des Angeklagten Tobias T***** nach dem 11. Hauptstück der StPO iVm § 7 JGG vorzugehen.

Der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft werden mit ihren Berufungen auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruch des Angeklagten Rojhat S***** enthält, wurde Tobias T***** des Vergehens der Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 286 Abs 1 StGB (II./1./) und des Verbrechens der Hehlerei nach § 164 Abs 2 zweiter Fall und Abs 4 dritter Fall StGB (II./2./) schuldig erkannt.

Danach hat er am 18. Februar 2011 in V***** - zusammengefasst wiedergegeben - es unterlassen, die durch Rojhat S***** bereits begonnene Ausführung eines Raubes nach § 142 Abs 1 und Abs 2 StGB zum Nachteil des Daniel H***** zu verhindern (II./1./) und einen Teil der Beute, nämlich 20 Euro im Wissen um deren Herkunft an sich gebracht (II./2./).

Diese Schuldsprüche bekämpft der Angeklagte mit der auf § 281 Abs 1 Z 9 lit b und 10a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Rechtliche Beurteilung

Insoweit die Rechtsrüge (Z 9 lit b) ein Vorgehen nach § 6 Abs 3 iVm Abs 1 JGG und daher einen Freispruch (Schroll in WK2 JGG § 6 Rz 18) begehrt, ist sie nicht im Recht.

Denn gemäß § 6 Abs 1 JGG ist unter weiteren, hier an sich gegebenen Voraussetzungen von der Verfolgung einer Jugendstraftat abzusehen und das Verfahren einzustellen (im Rechtsmittelverfahren ein Freispruch zu fällen), wenn aus spezialpräventiver Sicht Diversionsmaßnahmen nicht erforderlich sind. Mit Blick auf das aus den Tatmodalitäten (in Absprache mit Rojhat S***** bewusst herbeigeführtes Treffen mit dem unmündigen Tatopfer aus nichtigem Anlass und Ausnützen der Überlegenheit) hervorgehende geringe Unrechtsbewusstsein des Angeklagten kann nicht davon ausgegangen werden, dass die bisher ergriffenen kriminalpolizeilichen Maßnahmen und das gegen ihn geführte gerichtliche Verfahren allein ausreichen, um ihn von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten.

Zutreffend fordert der Beschwerdeführer allerdings ein diversionelles Vorgehen nach dem 11. Hauptstück der StPO - unter Anwendung des § 7 JGG - ein. Neben einem hinreichend geklärten Sachverhalt setzt dies das Fehlen spezialpräventiver Notwendigkeit der Bestrafung (§ 7 Abs 1 JGG) und eine als nicht schwer (§ 32 StGB) anzusehende Schuld des Angeklagten voraus (§ 7 Abs 2 Z 1 JGG).

Bei Prüfung der Frage, ob eine schwere Schuld vorliegt, ist nach Lage des konkreten Falls eine ganzheitliche Abwägung aller schuld- und unrechtsrelevanten Tatumstände geboten. Um die Schuld als schwer einzustufen, muss das Handlungs- und Gesinnungsunrecht insgesamt ein Ausmaß erreichen, das als auffallend und ungewöhnlich zu beurteilen ist. Bedacht zu nehmen ist auch auf die in der Strafdrohung zum Ausdruck gebrachte Vorbewertung des deliktstypischen Unrechts- und Schuldgehalts durch den Gesetzgeber, insbesondere auch der Entfall einer Strafuntergrenze nach § 5 Z 4 JGG (Schroll, WK-StPO § 198 Rz 28; RIS-Justiz RS0116021).

Dem Angeklagten liegt zum einen die Unterlassung der Verhinderung eines Verbrechens, das im Allgemeinen als „minderschwer“ bezeichnet wird und zum anderen die Annahme einer aus dieser Tat resultierenden verhehlten Sache zur Last. Angesichts des bis zu diesen Taten ordentlichen Lebenswandels des damals nicht einmal 15-jährigen Beschwerdeführers in Verbindung mit seiner geständigen Verantwortung und der Schadensgutmachung sowie der Tatsache, dass er noch am Tatort darauf hinwirkte, dass das Opfer bereits dort einen Teil der Beute zurück erhielt (US 4), erscheint - unbeschadet des erschwerenden Zusammentreffens eines Verbrechens mit einem Vergehen - eine Bestrafung nicht von vornherein geboten, um den Jugendlichen von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten (Schroll, WK-StPO § 198 Rz 33). Vielmehr könnte sich eine diversionelle Beendigung des Verfahrens in spezialpräventiver Hinsicht als wirkungsvoller erweisen.

Daher war das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, in den Schuldsprüchen II./1./ und II./2./ sowie im Strafausspruch betreffend Tobias T***** aufzuheben und dem Erstgericht ein Vorgehen nach dem 11. Hauptstück der StPO iVm § 7 JGG aufzutragen.

Der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft waren mit ihren Berufungen auf diese Entscheidung zu verweisen.

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