OGH 10ObS106/11b

OGH10ObS106/11b8.11.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Andrea Eisler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei R*****, vertreten durch Mag. Rudolf Lind MAS, Rechtsanwalt in Langenzersdorf, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, wegen Invaliditätspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10. August 2011, GZ 8 Rs 64/11g-25, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Der Revisionswerber zieht nicht in Zweifel, dass nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs für die Beurteilung der Frage, ob der/die Versicherte im Hinblick auf die von ihm/ihr benötigten Arbeitspausen auf ein besonderes Entgegenkommen des Arbeitgebers angewiesen und daher vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist, grundsätzlich von der Regelung über die Ruhepausen in § 11 AZG auszugehen ist (10 ObS 119/05f mwN).

1.1. Demgemäß ist die Arbeitszeit, wenn die Gesamtdauer der Tagesarbeitszeit mehr als sechs Stunden beträgt, durch eine Ruhepause von mindestens einer halben Stunde zu unterbrechen, welche - im Interesse der Arbeitnehmer des Betriebs oder bei Notwendigkeit aus betrieblichen Gründen - auch in zwei Ruhepausen von je einer Viertelstunde oder drei Ruhepausen von je zehn Minuten gewährt werden kann.

2. Die Ausführungen des Berufungsgerichts, dass es allgemein üblich geworden sei, jedenfalls kurze Toilettenpausen während der Arbeitszeit zu tolerieren und nicht als zusätzliche Arbeitspausen zu qualifizieren, liegen ebenfalls im Rahmen ständiger Judikatur (10 ObS 124/99d, SSV-NF 13/113), wonach (selbst) behinderungsbedingte zusätzliche Kurzpausen in einer täglichen Gesamtdauer von etwa 20 Minuten im Allgemeinen in der Wirtschaft toleriert werden, sodass diese Gruppe von Arbeitnehmern nicht auf ein besonderes Entgegenkommen des Arbeitgebers angewiesen und deshalb nicht vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist (RIS-Justiz RS0084389 [T3]; RS0084414; 10 ObS 119/05f mwN).

3. Auch im zuletzt erwähnten - bereits vom Berufungsgericht zitierten - Fall musste die dortige Klägerin aufgrund einer Harnsperre mit Selbstkatheterismus die Möglichkeit haben, alle zwei Stunden die Toilette für die Dauer von jeweils zehn Minuten aufsuchen zu können. Ihre außerordentliche Revision gegen die Abweisung der von ihr begehrten Berufsunfähigkeitspension hat der Senat mit folgender Begründung zurückgewiesen (10 ObS 119/05f):

4. „Unabhängig davon, dass das Aufsuchen der Toilette keineswegs nur während der Arbeitspausen üblich ist, sodass sich überhaupt die Frage stellt, inwieweit dafür im Sinne der Ausführungen der Klägerin 'zusätzliche Arbeitspausen' erforderlich sind (vgl 10 ObS 124/99d, SSV-NF 13/113), steht die Beurteilung des Berufungsgerichtes, die Klägerin sei im Hinblick auf die erwähnte Regelung der Ruhepausen und der in der Wirtschaft darüber hinaus allgemein tolerierten behinderungsbedingten zusätzlichen Kurzpausen nicht vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen, jedenfalls im Einklang mit der zitierten ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes.

Diese Erwägungen führen zur Zurückweisung der Revision mangels erheblicher Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO.“

5. Nichts anderes kann für den vorliegenden Fall gelten, dessen Sachverhalt mit jenem, der zu 10 ObS 119/05f zu beurteilen war, durchaus vergleichbar ist:

5.1. Die Blasenentleerungsstörung mit deutlicher Restharnvermehrung macht auch für den Kläger die Durchführung eines intermittierenden Selbstkatheterismus (ISK) vier- bis fünfmal täglich (zweimal davon während der normalen Arbeitszeit) erforderlich; wobei die dafür benötigten Pausen ebenfalls mit zehn Minuten „ohne Wegstrecke“ veranschlagt werden müssen, hier jedoch zusätzliche (normale) Toilettenpausen während der Arbeitszeit alle 90 Minuten für einen „Harnabschlagvorgang“ (also die Entleerung der Harnblase von frischem Harn) erforderlich sind.

5.2. Die außerordentliche Revision geht insoweit selbst davon aus, dass es sich bei den letztgenannten Pausen nur um „kurze normale, aber wiederholte Toilettenbesuche“ handelt, wobei Intervalle im Sinn einer Notwendigkeit des Aufsuchens der Toilette „alle 1,5; 3; 4,5; 6 und 7,5 Stunden“ der rechtlichen Würdigung zugrunde zu legen seien. Weshalb es dem Kläger nicht möglich sein sollte, bei zweien dieser „normalen“ Toilettenbesuche auch den Selbstkatheterismus durchzuführen, ist nicht einzusehen und wird im vorliegenden Rechtsmittel auch nicht aufgezeigt.

5.3. Demgemäß weicht das Berufungsgericht aber nicht von den dargelegten Grundsätzen der Rechtsprechung des erkennenden Senats ab, wenn es die - von den Parteien unbekämpften - Feststellungen rechtlich dahin beurteilte, dass sich daraus „logisch zwingend“ insgesamt zwei „ISK“ in der (Gesamt-)Dauer von 20 Minuten sowie drei Toilettenbesuche, die nicht wesentlich länger als bei anderen Arbeitnehmern dauern, ergeben. Davon ausgehend, dass einer von diesen in der Mittagspause erfolgen kann, verbleiben neben den beiden Toilettenbesuchen zur Durchführung des Selbstkatheterismus also tatsächlich nur noch zwei kurze Toilettenbesuche.

5.4. Die Beurteilung, dass der Kläger bei entsprechender, nach den Feststellungen zumutbarer Gestaltung der Toilettenpausen nicht vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen sei, ist somit jedenfalls vertretbar.

5.5. Mangels erheblicher, für die Entscheidung des Verfahrens relevanter Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision daher zurückzuweisen.

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