OGH 8ObS5/11k

OGH8ObS5/11k24.10.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofräte Hon.-Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Helwig Aubauer und Robert Hauser als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M***** J*****, vertreten durch MMag. Maria Größ, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei IEF-Service GmbH, Geschäftsstelle Wien, 1150 Wien, Linke Wienzeile 246, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17-19, wegen 563,54 EUR (Insolvenz-Entgelt), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Jänner 2011, GZ 7 Rs 143/10s-10, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 17. Juni 2010, GZ 26 Cgs 122/10m-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 225,07 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 37,51 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war bei ihrer ehemaligen, nun in Insolvenz verfallenen Arbeitgeberin vom 9. 8. 2008 bis 30. 10. 2008 mit einem Stundenlohn von 8 EUR netto als Angestellte in einen unbefristeten Teilzeitarbeitsverhältnis beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin war der Kollektivvertrag für Handelsangestellte anzuwenden. Das Arbeitsverhältnis endete durch berechtigten vorzeitigen Austritt der Klägerin wegen Entgeltvorenthaltung. Die Klägerin leistete während des Arbeitsverhältnisses folgende Arbeitsstunden:

9. 8. 2008 bis 31. 8. 2008 29,5 Stunden

1. 9. 2008 bis 30. 9. 2008 37,5 Stunden

1. 10. 2008 bis 30. 10. 2008 11 Stunden

78 Stunden

Die Klägerin begehrt Insolvenz-Ausfallsgeld in der Höhe des Klagebetrags (Kündigungsentschädigung und Urlaubsersatzleistung für den Zeitraum 14. 11. 2008 bis 31. 12. 2008 sowie Zinsen und Kosten) mit dem wesentlichen Vorbringen, dass auf ihr Arbeitsverhältnis § 20 AngG anzuwenden sei, sodass Kündigungsfrist und -termin nach dieser Bestimmung zu berechnen seien.

Die Beklagte wandte dagegen ein, dass die Klägerin nicht die erforderliche Mindeststundenanzahl gemäß § 20 Abs 1 AngG erreicht habe, weshalb nur die Kündigungsfrist des § 1159b ABGB anwendbar sei. Bei einer gebotenen Durchschnittsbetrachtung der Arbeitszeiten habe die Klägerin die erforderlichen 91,13 Stunden nicht erreicht.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, weil die Klägerin die erforderliche Mindestarbeitszeit gemäß § 20 Abs 1 AngG nicht erreicht habe.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil über Berufung der Klägerin im klagestattgebenden Sinn ab. Die von § 20 Abs 1 AngG geforderte Mindestarbeitszeit betrage unter Berücksichtigung der vom hier anzuwendenden Kollektivvertrag für Handelsangestellte vorgesehenen wöchentlichen Normalarbeitszeit von 38,5 Stunden monatlich 33,3 Stunden. Da eine Vereinbarung einer Arbeitszeit der Klägerin im Verfahren weder vorgebracht noch festgestellt worden sei, sei im Sinn dieser Bestimmung auf die tatsächliche Arbeitszeit der Klägerin abzustellen. Mit der Wendung „bezogen auf den Monat“ ordne § 20 Abs 1 AngG eine verhältnismäßige Betrachtung des Mindeststundenausmaßes an. Für August 2008 bedeute dies, dass die Klägerin, die erst ab 9. 8. 2008 zu arbeiten begann, die nach § 20 Abs 1 AngG für diesen „Rumpfmonat“ erforderliche Schwelle von - je nach Berechnungsmethode - rund 24 bis 26 Arbeitsstunden jedenfalls überschritten habe. Ebenso habe die Klägerin im Monat September 2008 die erforderliche Mindestarbeitszeit überschritten. Lediglich im Oktober 2008 sei dies nicht der Fall gewesen: Auch dabei handle es sich allerdings um einen „Rumpfmonat“, weil die Klägerin ihren Austritt bereits mit Schreiben vom 15. 10. 2008 (unter Setzung einer Nachfrist) zum 30. 10. 2008 erklärt habe.

Zur Erreichung eines sachgerechten Ergebnisses sei auf das zeitliche Überwiegen im vorliegenden Arbeitsverhältnis abzustellen. Daraus ergebe sich hier jedoch, dass die Klägerin das im Gesetz vorgesehene Mindeststundenausmaß während der weit überwiegenden Zeit und auch während der überwiegenden Anzahl von Monaten ihres Arbeitsverhältnisses erreicht habe. Darüber hinaus sei der September 2008 der einzige volle von der Klägerin geleistete Arbeitsmonat gewesen, der als Referenz dienen könne. Dieser Monat sei hier deshalb heranzuziehen, weil er dem Monat vorangehe, in dem der Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses liege. Bezöge man die Beurteilung nach § 20 Abs 1 AngG auf den letzten Rumpfmonat eines Arbeitsverhältnisses, gelangte man zu nicht sachgerechten Lösungen. Schon ausgehend davon bestünden die - unstrittig gesicherten - Ansprüche der Klägerin zu Recht. Eine Erörterung der von der Klägerin aufgeworfenen verfassungs- und gemeinschaftsrechtlichen Bedenken gegen § 20 Abs 1 AngG könne unterbleiben.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Anwendbarkeit und Auslegung des § 20 Abs 1 AngG fehle.

Gegen dieses Urteil richtet sich die von der Klägerin beantwortete Revision der Beklagten.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.

1. § 20 Abs 1 AngG lautet in der geltenden Fassung des Arbeitsrechtlichen Begleitgesetzes (ArbBG) BGBl 1992/833:

Ist das Dienstverhältnis ohne Zeitbestimmung eingegangen oder fortgesetzt worden und beträgt die vereinbarte oder tatsächlich geleistete Arbeitszeit bezogen auf den Monat mindestens ein Fünftel des 4,3-fachen der durch Gesetz oder Kollektivvertrag vorgesehenen wöchentlichen Normalarbeitszeit, so kann es durch Kündigung nach folgenden Bestimmungen gelöst werden.

2. Die Beibehaltung dieser Mindestbeschäftigungszeit in § 20 Abs 1 AngG durch das ArbBG wurde und wird in der Lehre vor dem Hintergrund einer möglichen Diskriminierung Teilzeitbeschäftigter als europarechtlich bedenklich erachtet (Reissner in Zellkomm § 20 AngG Rz 3; Jabornegg/Resch/Strasser, Arbeitsrecht³ Rz 629; Marhold/Friedrich, Arbeitsrecht [2006], 264; Resch, Rechtsfragen der Teilzeitbeschäftigung unter besonderer Berücksichtigung des ArbBG und des EWR, DRdA 1993, 97 [104]; Mosler, Arbeitsrechtliche Probleme der Teilzeitbeschäftigung, DRdA 1999, 338 [352 f]). Auf diese durchaus gewichtigen Bedenken, auf die auch die Klägerin in ihrer Revisionsbeantwortung verweist, ist jedoch im konkreten Fall aus folgenden Gründen nicht näher einzugehen:

3. Gemäß § 19d Abs 2 AZG sind Ausmaß und Lage der Arbeitszeit und ihre Änderung - soweit sie nicht (was hier nicht behauptet und auch nicht der Fall ist) durch Normen der kollektiven Rechtsgestaltung festgesetzt sind - zu vereinbaren. Dass hier eine Vereinbarung über das Ausmaß der Arbeitszeit der Klägerin getroffen worden sei, wurde - worauf schon das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat - weder vorgebracht noch festgestellt. Mangels einer solchen Vereinbarung ist auf § 6 AngG und § 1153 ABGB zu verweisen, nach denen in einem solchen Fall die nach „Art und Umfang“ den Umständen angemessenen Dienste zu leisten sind (8 ObA 277/01w). Das den Umständen angemessene Ausmaß der Arbeitszeit wird - wie ebenfalls bereits judiziert wurde - im Allgemeinen dem normalen Arbeitsbedarf im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses entsprechen, sodass diesem Zeitpunkt besondere Bedeutung zukommt; in weiterer Folge wird auch der Durchschnitt des geleisteten Arbeitsausmaßes einen Anhaltspunkt bieten (auch dazu näher 8 ObA 277/01w).

4. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts steht mit dieser Rechtsprechung im Einklang. In den ersten beiden Monaten des Arbeitsverhältnisses, die naturgemäß am besten Aufschluss über die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses geben, hat das Arbeitsausmaß der Klägerin (für den ersten Rumpfmonat hochgerechnet) die Grenze des § 20 AngG überschritten. Schon das spricht für den Standpunkt des Berufungsgerichts. Aber auch bei einer Betrachtung des gesamten (ja nur sehr kurzen) Arbeitsverhältnisses kann - wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat - nicht unbeachtet bleiben, dass die Klägerin im letzten Monat ihrer Tätigkeit (in dem sie die Grenze des § 20 AngG nicht überschritten hat) bereits mit Schreiben vom 15. 10. 2008 (unter Nachfristsetzung) ihren Austritt erklärt hat. Das Berufungsgericht ist daher zu Recht davon ausgegangen, dass dieser Monat für das restliche Arbeitsverhältnis untypisch ist, sodass daraus weder auf eine dauernde Änderung des Arbeitsbedarfs und schon gar nicht auf die Absicht der Arbeitsvertragsparteien, eine dauernde Änderung der bisherigen Arbeitszeit zu vereinbaren, geschlossen werden kann.

5. Der Revision der Beklagten war daher nicht Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 77 Abs 1 Z 2 lit a iVm 66 Abs 1 IESG. Ein Zuschlag gemäß Anmerkung 5 zu TP 3 RATG war der Klägerin nicht zu gewähren, weil die in der Revisionsbeantwortung enthaltenen gemeinschaftsrechtlichen Ausführungen für die Entscheidung in der Sache nicht notwendig waren (10 ObS 410/02w; Obermaier, Kostenhandbuch² Rz 426 mwH).

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