OGH 4Ob148/11k

OGH4Ob148/11k19.10.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Pflegschaftssache der E***** E***** H*****, geboren am 25. Juli 2010, *****, vertreten durch das Land Salzburg als Jugendwohlfahrtsträger, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Wahleltern B***** und A***** H*****, beide *****, beide vertreten durch Dr. Berthold Garstenauer, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 4. August 2011, GZ 21 R 238/11p-19, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Zell am See vom 24. Mai 2011, GZ 40 P 33/11x-11, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung

E***** E***** H***** wurde am 25. Juli 2010 in der „Babyklappe“ des Landeskrankenhauses Salzburg aufgefunden. Mit der Obsorge ist kraft Gesetzes der Jugendwohlfahrtsträger betraut (§ 211 ABGB). Seit dem 24. September 2010 lebt E***** im Haushalt von B***** und A***** H*****, die sie unentgeltlich betreuen und adoptieren wollen. Zu diesem Zweck schlossen sie am 4. Februar 2011 mit dem Jugendwohlfahrtsträger als Vertreter des Kindes einen Vertrag über die Annahme an Kindes statt.

Am 1. März 2011 beantragte der Jugendwohlfahrtsträger beim Erstgericht die Bewilligung der Adoption. Am 16. März 2011 langte dort jedoch eine Eingabe von E***** P***** ein, in der sie die Mutterschaft anerkannte und ausdrücklich erklärte, einer Adoption nicht zuzustimmen. Aufgrund eines gerichtsmedizinischen Gutachtens steht fest, dass sie tatsächlich die Mutter von E***** ist.

Auf dieser Grundlage wies das Erstgericht den Antrag auf Bewilligung der Annahme an Kindes statt ab. Der Kreis der Zustimmungsberechtigten iSd § 181 ABGB bestimme sich nach dem Zeitpunkt der Adoptionsbewilligung. Aus dem Gesetz lasse sich nicht ableiten, dass die Mutter ihr Zustimmungsrecht verliere, wenn sie sich nicht innerhalb von sechs Monaten nach Auffinden des Kindes in der Babyklappe melde. Da ihr Aufenthalt nun bekannt sei, scheitere die Adoption am Fehlen ihrer Zustimmung.

Das von den Wahleltern und vom Jugendwohlfahrtsträger als Vertreter des Kindes angerufene Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Die Annahme an Kindes statt komme nach § 179a ABGB durch schriftlichen Vertrag zwischen dem Annehmenden und dem Wahlkind und durch gerichtliche Bewilligung auf Antrag eines Vertragsteils zustande. Das nicht eigenberechtigte Wahlkind schließe den Vertrag durch seinen gesetzlichen Vertreter. Seine Eltern seien in den Vertrag nicht eingebunden, wohl aber nach § 181 Abs 1 Z 1 ABGB insoweit Beteiligte des Verfahrens, als die Adoption nur mit ihrer Zustimmung bewilligt werden könne. Das Zustimmungsrecht der Eltern sei ein höchstpersönliches Recht; es stehe nicht zur Disposition des einfachen Gesetzgebers, sondern unter dem Schutz des Art 8 MRK. Die Zustimmung der Eltern sei eine materiell-rechtliche Voraussetzung der Adoptionsbewilligung, sofern die Zustimmung nicht entfalle (§ 181 Abs 2 ABGB) oder ersetzt werde (§ 181 Abs 3 ABGB). Die fehlende Zustimmung führe zur Versagung der Adoptionsbewilligung.

Der Kreis der Zustimmungsberechtigten bestimme sich nicht nach dem Zeitpunkt des Abschlusses des Adoptionsvertrags, sondern nach jenem der Bewilligung. Das Zustimmungsrecht der Eltern entfalle zwar dann, wenn ihr Aufenthalt seit mindestens sechs Monaten unbekannt sei (§ 181 Abs 2 ABGB). Der Entfall der Zustimmung bedürfe aber - im Hinblick auf die weitreichenden Folgen einer Adoption - einer strengen Prüfung der Voraussetzungen; der Tatbestand sei erst bei qualifizierter unbekannter Abwesenheit verwirklicht. Aus § 181 Abs 2 ABGB lasse sich nicht ableiten, dass nach Ablauf der Sechs-Monats-Frist kein Zustimmungsrecht der leiblichen Mutter mehr bestehe, dass also ein unbekannter Aufenthalt von mehr als sechs Monaten zwingend zu einem Rechtsverlust führe.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revisionsrekurs der Wahleltern zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSv § 62 Abs 1 AußStrG auf.

1. Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung liegt dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn das Gesetz selbst eine eindeutige Regelung trifft (RIS-Justiz RS0042656) oder ein Streitfall trotz neuer Sachverhaltselemente bereits mit Hilfe vorhandener Leitlinien höchstgerichtlicher Rechtsprechung gelöst werden kann (Zechner in Fasching/Konecny 2 § 502 ZPO Rz 70 mwN).

2. Im vorliegenden Fall ergibt sich die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung zwingend aus der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach die Voraussetzungen für die Bewilligung der Adoption nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlussfassung erster Instanz zu beurteilen sind (6 Ob 297/05b; RIS-Justiz RS0048768 [T4, T6]) und sich (daher) auch der Kreis der Zustimmungsberechtigten nach diesem Zeitpunkt bestimmt (8 Ob 662/88; RIS-Justiz RS0048856). Ein Grund, die Voraussetzungen für den Entfall des Zustimmungserfordernisses nach § 181 Abs 2 ABGB für einen anderen Zeitpunkt zu beurteilen, ist nicht erkennbar.

3. Für dieses Ergebnis spricht auch der schon vom Rekursgericht zitierte § 87 Abs 1 AußStrG. Danach kann eine Zustimmung zur Adoption bis zur Entscheidung erster Instanz widerrufen werden. Auch diese Bestimmung setzt voraus, dass für die Beurteilung der Adoptionsvoraussetzungen der Entscheidungszeitpunkt maßgebend ist. Zudem wäre es ein untragbarer Wertungswiderspruch, wenn die Mutter zwar eine förmlich erteilte Zustimmung mit der Wirkung widerrufen könnte, dass die Adoption (vorbehaltlich des § 181 Abs 3 ABGB) nicht bewilligt werden dürfte, ihr unbekannter Aufenthalt von sechs Monaten aber für alle Zukunft zum Wegfall des Zustimmungserfordernisses führte. Anders gewendet: Eine Mutter, die ihr Kind - regelmäßig in einer psychischen Ausnahmesituation - anonym in einer Babyklappe deponiert und damit faktisch zur Adoption freigibt, kann nicht schlechter stehen als eine Mutter, die ihr Kind nach reiflicher Überlegung einer Pflegefamilie überlässt und dabei in öffentlicher oder öffentlich beglaubigter Urkunde (§ 86 Abs 1 AußStrG) der Adoption zustimmt.

4. Die Entscheidung 9 Ob 68/06z steht dieser Auffassung nicht entgegen. Dort hat der Oberste Gerichtshof zwar ausgeführt, dass sich Eltern, insbesondere die Mutter, nach einer anonymen Geburt binnen sechs Monaten melden müssten, wenn sie doch den Wunsch hätten, selbst für das Kind zu sorgen. Die Frage, was bei einer Meldung nach Ablauf von sechs Monaten, aber vor Bewilligung der Adoption gelte, war dort aber nicht zu klären. Denn als sich die Mutter in diesem Verfahren gemeldet hatte, war die Adoption bereits bewilligt gewesen. Die hier zu beurteilende Situation hat der damals erkennende Senat offenkundig nicht in seine Erwägungen einbezogen.

5. Die Wahleltern zeigen keine zwingenden Gründe auf, die Rechtslage anders zu beurteilen. Vor Bewilligung der Adoption besteht kein rechtlich geschütztes Vertrauen auf deren Zustandekommen. Das mag im Einzelfall für präsumtive Wahleltern, die schon eine innige Beziehung mit dem Kind aufgebaut haben, nur schwer verständlich sein, folgt aber zwingend aus der gesetzlichen Regelung, die neben dem Adoptionsvertrag eben auch eine gerichtliche Bewilligung vorsieht (RIS-Justiz RS0048726). Eine „jahrelange“ Rechtsunsicherheit ist damit nicht verbunden. Wurde die Adoption bewilligt, so könnte ein übergangener Elternteil insofern nur mehr mit Rekurs geltend machen, dass die Voraussetzungen des § 181 Abs 2 ABGB nicht vorlagen. War sein Aufenthalt tatsächlich sechs Monate - qualifiziert (4 Ob 133/00p = SZ 73/84) - unbekannt, wird er damit scheitern. Der mit dem Bewilligungserfordernis notwendigerweise verbundene Schwebezustand muss wegen der grundrechtlich geschützten Rechtsstellung der leiblichen Eltern (EGMR 11223/04 = EF-Z 2009/5) jedenfalls hingenommen werden.

6. Das rechtliche Gehör der Wahleltern war durch die Teilnahme an der Verhandlung vor dem Erstgericht gewahrt. Auf die im Revisionsrekurs angeführten Tatsachenfragen (Dauer des unbekannten Aufenthalts der Mutter, Zeitpunkt der Übergabe des Kindes an die Wahleltern) kommt es aus den oben genannten Gründen nicht an. Das Unterbleiben einer diesbezüglichen Einvernahme der Wahleltern begründet daher keinen Verfahrensmangel. Auf die Frage, ob ein solcher Mangel aus Gründen des Kindeswohls auch in einem Verfahren zur Bewilligung der Annahme an Kindes statt noch in dritter Instanz wahrgenommen werden könnte (vgl RIS-Justiz RS0050037 [T4]), kommt es daher nicht an.

7. Eine erhebliche Rechtsfrage liegt aus diesen Gründen nicht vor. Der außerordentliche Revisionsrekurs der Wahleltern ist daher zurückzuweisen.

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