Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache zu Recht erkannt:
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil unter Einbeziehung des in Rechtskraft erwachsenen Teilurteils des Berufungsgerichts lautet:
„1. Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger 3.405,84 EUR samt 4 % Zinsen seit 22. 4. 2009 binnen 14 Tagen zu bezahlen.
2. Das Mehrbegehren auf Zuspruch weiterer 10.338,26 EUR samt 4 % Zinsen seit 22. 4. 2009 wird abgewiesen.
3. Der Kläger ist schuldig, der Beklagten 4.025,67 EUR (darin enthalten 495,04 EUR USt und 1.055,40 EUR Barauslagen) an Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Der Kläger ist ferner schuldig, der Beklagten 3.100,05 EUR (darin enthalten 228,84 EUR USt und 1.727 EUR Barauslagen) an Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger verlor am 20. 1. 2008 beim Stapeln schwerer Kisten das Gleichgewicht und stürzte auf einen aus einer Kiste herausragenden Gegenstand. Dadurch erlitt er einen Narbenbruch. Zu dieser Verletzung wäre es nicht gekommen, wenn dem Kläger nicht im Jahre 1997 nach einem Schiunfall die Milz hätte operativ entfernt werden müssen. Durch diese Operation war nämlich das Gewebe an der betreffenden Stelle im Bauchbereich über dem Nabel geschwächt. Da der Narbenbruch zunächst nicht erkannt wurde, war der Kläger erst ab 11. 2. 2008 verletzungsbedingt bis 31. 5. 2008 im Krankenstand. Am 13. 7. 2008 zog er sich bei einem Sturz eine Rissquetschwunde am linken Ellbogen zu und war anschließend bis einschließlich 28. 8. 2008 im Krankenstand. In diesen Zeitraum fiel ein Rehabilitationsaufenthalt, den der Kläger vom 5. 8. bis 26. 8. 2008 wegen des Narbenbruchs absolvierte.
Der Kläger ist und war auch schon im Jahr 2008 bei der Beklagten unfallversichert. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für den Unfallschutz (AUVB 1997 - im Folgenden AUVB) zugrunde. Diese enthalten folgende Bestimmungen:
„ Artikel 6
Begriff des Unfalles
1. Unfall ist ein vom Willen des Versicherten unabhängiges Ereignis, das plötzlich von außen mechanisch oder chemisch auf seinen Körper einwirkt und eine körperliche Schädigung nach sich zieht.
…
Artikel 19
Sachliche Begrenzung des Versicherungsschutzes
…
6. Für Bauch- und Unterleibsbrüche jeder Art wird eine Leistung nur erbracht, wenn sie durch eine von außen kommende mechanische Einwirkung direkt herbeigeführt worden sind und nicht anlagebedingt waren.“
Der Kläger begehrte von der Beklagten aus der Unfallversicherung zuletzt 13.744,10 EUR. Dieser Betrag setzt sich aus folgenden Forderungen zusammen: Für den Vorfall vom 20. 1. 2008: Kosten eines Kuraufenthalts 364,98 EUR, Arztkosten 200 EUR, 132 Tage Taggeld 9.773,28 EUR. Für den Unfall vom 13. 7. 2008: 46 Tage Taggeld 3.405,84 EUR.
Die Beklagte wendete ein, der Vorfall vom 20. 1. 2008 sei kein Unfall im Sinn der AUVB gewesen. Im Übrigen sei der anlagebedingte Narbenbruch gemäß Art 19 Z 6 der AUVB nicht versichert.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Die Ausschlussbestimmung des Art 19 Z 6 der AUVB sei, wie der Kläger zu Recht eingewendet habe, im Sinn des § 6 Abs 3 KSchG unklar und daher unwirksam. Jedenfalls aber sei die Bestimmung gemäß § 915 ABGB so zu interpretieren, dass unter anlagebedingten Bauch- und Unterleibsbrüchen nur angeborene oder genetisch bedingte Defekte zu verstehen seien. Der Anspruch auf Taggeld gebühre für beide Unfälle und daher für den Überschneidungszeitraum 5. 8. bis 26. 8. 2008 doppelt.
Das von der Beklagten angerufene Berufungsgericht änderte die erstinstanzliche Entscheidung teilweise dahin ab, dass es dem Kläger mit Teilurteil 3.405,84 EUR samt Zinsen zusprach und ein Mehrbegehren von 1.628,88 EUR samt Zinsen abwies. Im Übrigen (hinsichtlich des Zuspruchs von 8.709,38 EUR) hob das Berufungsgericht das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache in diesem Umfang zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Das Berufungsgericht führte im Wesentlichen aus:
Entgegen der Ansicht der Beklagten sei auch der Vorfall vom 20. 1. 2008 nach der Definition der AUVB ein Unfall gewesen. Die Bestimmung des Art 19 Z 6 der AUVB sei im Lichte der §§ 864a, 879 Abs 3 ABGB und 6 Abs 3 KSchG nicht unwirksam. Art 19 Z 6 AUVB schließe meist auf Bindegewebeschwächen beruhende Gesundheitsschäden aus. Der Zusatz in Art 19 Z 6 AUVB „und nicht anlagebedingt“, sei entgegen der Ansicht der Parteienvertreter, dass „und“ kumulativ zu verstehen sei, im Zweifel nach § 915 ABGB versichertenfreundlich bloß erklärend im Sinne von „nicht ausschließlich anlagebedingt“ aufzufassen. Im vorliegenden Fall komme es daher nicht zu einem vollständigen Leistungsausschluss. Vielmehr führe die Kombination von anlagebedingten und dramatischen Ursachen zu einem Risiko-Wiedereinschluss, die Leistung sei jedoch zu mindern. Hinsichtlich des Ausmaßes der Mitwirkung der Vorschädigung des Klägers an den Folgen des Unfalls vom 20. 1. 2008 fehlten jedoch Feststellungen. Berechtigt sei der Einwand der Beklagten, dem Kläger stehe für den Überschneidungszeitraum, für den er doppeltes Taggeld verlange, nur das einfache Taggeld zu. Nur der Taggeldanspruch für den Unfall vom 13. 7. 2008 sei daher zur Gänze berechtigt. Hingegen gebühre das für den Überschneidungszeitraum von 22 Tagen begehrte (doppelte) Taggeld von 1.628,88 EUR nicht.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass sowohl die Revision gegen das Teilurteil als auch der Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss zulässig seien, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Bemessung des Taggeldanspruchs bei sich überschneidenden Krankenständen aus zwei Unfällen ebenso fehle wie zur Auslegung des Ausschlusstatbestands des Art 19 Z 6 AUVB bei Bauch- und Unterleibsbrüchen.
Während das Teilurteil unbekämpft blieb und daher in Rechtskraft erwuchs, wird der Aufhebungsbeschluss von der Beklagten mit Rekurs bekämpft. Die Rekurswerberin macht unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und beantragt, das Klagebegehren im noch strittigen Umfang von 8.709,38 EUR abzuweisen.
Der Kläger beantragt in der Rekursbeantwortung, dem Rechtsmittel seiner Prozessgegnerin keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist zulässig und berechtigt.
Soweit die Rekurswerberin weiterhin in Zweifel zieht, dass der Vorfall am 20. 1. 2008 als Unfall im Sinn des Art 6 der AUVB anzusehen ist, weil der Kläger mangels einer äußeren Verletzung nicht bewiesen habe, dass der Narbenbruch auf das betreffende Ereignis zurückzuführen war, entfernt er sich von den vom Berufungsgericht gebilligten erstgerichtlichen Feststellungen; insofern ist seine Rechtsrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt. Es steht fest, dass der Sturz des Klägers auf einen aus einer Kiste herausragenden Gegenstand den Narbenbruch bewirkt hat. Entgegen der Ansicht der Rekurswerberin haben die Vorinstanzen den Vorfall vom 20. 1. 2008 zutreffend als Unfall im Sinn der AUVB angesehen.
Zu klären ist allein noch, ob und inwieweit Art 19 Z 6 AUVB im Hinblick darauf, dass es ohne die Gewebevorschädigung nicht zum Narbenbruch gekommen wäre, die Deckungspflicht der Beklagten ausschließt.
Der Kläger vertritt in der Rekursbeantwortung die Ansicht, dass diese Bestimmung unklar und undeutlich sei und gemäß § 915 ABGB im Zweifel zu Gunsten des Versicherungsnehmers ausgelegt werden müsse. Dass die Bestimmung nach den §§ 864a und 879 Abs 3 ABGB oder § 6 Abs 3 KSchG unwirksam sei, wird von ihm nicht mehr behauptet. Es genügt daher, dazu auf die Ausführungen des Berufungsgerichts zu verweisen, das zutreffend dargelegt hat, dass die Klausel der Geltungs- und der Inhaltskontrolle nach den genannten gesetzlichen Bestimmungen standhält.
Die Rekurswerberin wendet sich gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, die in der betreffenden Klausel enthaltene Wortfolge „und nicht anlagebedingt waren“ sei einschränkend im Sinn von „nicht ausschließlich anlagebedingt waren“ zu verstehen. Die gegen diese Auslegung vorgebrachten Einwände sind berechtigt:
Nach ständiger Rechtsprechung sind Allgemeine Versicherungsbedingungen nach Vertragsauslegungsgrundsätzen (§§ 914 f ABGB) auszulegen. Die Auslegung hat sich am Maßstab eines durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers zu orientieren (RIS-Justiz RS0050063). Die einzelnen Klauseln sind, wenn sie - wie hier - nicht auch Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf ihren Wortlaut auszulegen (RIS-Justiz RS0008901). Stets ist der einem objektiven Beobachter erkennbare Zweck einer Bestimmung der Versicherungsbedingungen zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0112256). Nach objektiven Gesichtspunkten als unklar aufzufassende Klauseln müssen daher so ausgelegt werden, wie sie ein durchschnittlich versierter Versicherungsnehmer verstehen musste, wobei Unklarheiten im Sinn des § 915 ABGB zu Lasten des Verwenders der Bedingungen, regelmäßig also des Versicherers, gehen (RIS-Justiz RS0050063 [T3]).
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist also vor allem der - einem objektiven Beobachter erkennbare - Zweck der Klausel und deren (bloßer) Wortlaut beachtlich. Sinn und Zweck des Art 19 Z 6 der AUVB liegen auf der Hand: Da Bauch- und Unterleibsbrüche, wie allgemein bekannt ist, meist auf Bindegewebsschwächen zurückzuführen sind (vgl Knappmann in Prölss/Martin VVG28, AUB 2008 Nr 5 Rn 71) und vielfach ohne ein von außen kommendes, traumatisches Ereignis eintreten, soll klargestellt werden, dass der Versicherungsschutz für diese Verletzungen eine direkt herbeigeführte Einwirkung von außen voraussetzt (hier der gewaltsame Kontakt mit einem aus einer Kiste herausragenden Gegenstand). Die weitere Wortfolge („und nicht anlagebedingt waren“) stellt, wie das Berufungsgericht ohnehin grundsätzlich richtig erkannt hat, einen Risikoausschluss dar. Ist die erste Voraussetzung der Versicherungsdeckung von Bauch- und Unterleibsbrüchen - eine mechanische Einwirkung von außen - erfüllt, so wird dennoch kein Versicherungsschutz gewährt, falls die Schädigung anlagebedingt erfolgte. Die nach Ansicht des Berufungsgerichts gebotene einschränkende Auslegung, der völlige Risikoausschluss setze voraus, dass die vorhandene Anlage die einzige (ausschließliche) Schadensursache sei, findet im Wortlaut der Bestimmung keine Deckung. Nach dem Klauselwortlaut setzt Versicherungsdeckung für Bauch- und Unterleibsbrüche neben der Entstehung der Verletzung durch Einwirkung von außen kumulativ einen zusätzlichen Umstand, nämlich, dass die Schädigung nicht anlagebedingt erfolgte, voraus. Diese kumulative Verknüpfung zweier Deckungsvoraussetzungen hat der Kläger bzw sein Vertreter in der Verhandlung am 25. 3. 2009 zunächst ohnehin ausdrücklich eingeräumt. Sein Einwand ging und geht vielmehr in eine andere Richtung. Er meint, „anlagebedingt“ bedeute, dass entweder ein genetisch bedingter Defekt oder ein Geburtsfehler vorliegen müsse. Diese einschränkende Interpretation, dass eine Gewebeschwäche, die etwa - wie hier - auf Grund eines Vorunfalls oder krankheitsbedingt entstanden ist, keinen Risikoausschluss bewirke, findet aber weder im Wortlaut noch im Telos der Bestimmung eine Stütze. Es ist eine Erfahrungstatsache, dass Gewebeschwächen, die zu Unterleibsbrüchen führen, sehr häufig nicht bereits bei der Geburt vorhanden sind, sondern erst im Laufe des Lebens auftreten. Es besteht kein Anlass anzunehmen, dass dies ein durchschnittlich versierter Versicherungsnehmer nicht bedenkt und den Risikoausschluss daher in dem vom Kläger vertretenen, eingeschränkten Sinn verstehen muss.
Die Bestimmung ist weder unklar noch undeutlich formuliert. Deshalb bleibt für die Anwendung des § 915 ABGB entgegen der Ansicht des Klägers kein Raum. Dessen Einwand, ein bestimmter Zeuge habe erklärt, er könne mit der Klausel nichts anfangen und der Geschäftsführer einer Versicherungsagentur habe angegeben, die Klausel sei ihm nicht geläufig, muss, da die Prüfung nach objektiven Kriterien zu erfolgen hat, ins Leere gehen.
Ohne die durch die operative Entfernung der Milz bewirkte Gewebeschwäche wäre es nicht zum Narbenbruch des Klägers gekommen; der Narbenbruch ist demnach anlagebedingt entstanden. Es liegt sohin ein Risikoausschlussgrund nach Art 19 Z 6 AUVB vor. Damit steht fest, dass für den Unfall vom 20. 1. 2008 keine Unfallversicherungsdeckung besteht. Die vom Berufungsgericht angeordnete Verfahrensergänzung ist daher nicht erforderlich.
Dem Rekurs ist stattzugeben und das noch streitumfangene Begehren von 8.709,38 EUR abzuweisen.
Die Entscheidungen über die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens sowie des Berufungs- und des Revisionsverfahrens gründen sich auf die §§ 41, 43 Abs 1, 50 ZPO. Das erstinstanzliche Verfahren ist kostenmäßig in zwei Abschnitte zu unterteilen. Im ersten, bis zur mit Schriftsatz vom 22. 4. 2009 erfolgten Klagsausdehnung um 3.405,84 EUR reichenden, Abschnitt war allein der Unfall vom 20. 1. 2008 Verfahrensgegenstand. In diesem ersten Abschnitt ist der Kläger zur Gänze unterlegen. Er hat daher der Beklagten die Kosten dieses Abschnitts auf der Streitwertbasis von 10.338,26 EUR zu ersetzen. Im zweiten Abschnitt und im Berufungsverfahren hat der Kläger mit etwa ¼ seines ausgedehnten Begehrens von 13.744,10 EUR obsiegt und ist zu ¾ unterlegen, weshalb er der Beklagten die Hälfte der Kosten dieser Prozessabschnitte zu ersetzen hat. Im Verfahren dritter Instanz hat sich die Beklagte erneut zur Gänze durchgesetzt und daher Anspruch auf Ersatz der auf Basis des Rekursinteresses verzeichneten Rekurskosten. Insgesamt hat der Kläger seiner Prozessgegnerin daher 4.025,67 EUR (darin enthalten 495,04 EUR USt und 1.055,40 EUR Barauslagen) an Verfahrenskosten erster Instanz und 1.123,78 EUR (darin enthalten 105,13 EUR USt und 493 EUR Barauslagen) an Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 1.976,27 EUR (darin enthalten 123,71 EUR USt und 1.234 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rekurses zu ersetzen.
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