OGH 7Ob147/11k

OGH7Ob147/11k31.8.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Unterbringungssache der Patientin S***** K*****, geboren am *****, per Adresse *****, vertreten durch den Verein gemäß § 13 UbG VertretungsNetz-Patientenanwaltschaft, 4020 Linz, Wagner-Jauregg-Weg 15, dieser vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in Wien; Sachwalterin: M***** T*****, über den Revisionsrekurs des Vereins gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 15. Juni 2011, GZ 35 R 38/11b-13, womit der Rekurs des Vereins gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 20. Mai 2011, GZ 29 Ub 271/11i-2, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Rekursgericht zur Entscheidung über den Rekurs des Vereins unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund zurückverwiesen.

Text

Begründung

Das Erstgericht erklärte mit dem in der Tagsatzung vom 20. 5. 2011 verkündeten Beschluss hinsichtlich der Patientin den vorläufigen Entzug der Privatkleidung für zulässig und begründete dies mit der bestehenden Lebensgefahr sowie der Sorge, die Patientin könne entfliehen und die Privatkleidung dazu benützen, leichter das Krankenhausgelände verlassen zu können. Die Ausführungen „der Ärztin“ seien gut nachvollziehbar. Es bestehe Lebensgefahr im Sinn des § 3 Z 1 UbG.

Den dagegen vom Verein am 31. 5. 2011 erhobenen Rekurs wies das Rekursgericht mit der angefochtenen Entscheidung zurück. Nach § 38 Abs 2 Satz 1 UbG sei die mündlich vom Gericht zu verkündende Entscheidung (bloß) zu beurkunden und nur über Verlangen des Kranken, seines Vertreters oder des Abteilungsleiters auszufertigen und an diese zuzustellen. Solle sich der Zweck der Ausfertigung nicht in einer bloßen „Kopierübung“ - also einer Übertragung einer bereits beurkundeten eingehenden Begründung aus der Niederschrift über die Tagsatzung in eine eigene Beschlussausfertigung - erschöpfen, so könne sich die Beurkundung des Beschlusses auf seinen Spruch und eine kursorische Begründung beschränken. Vor Ausfertigung des Beschlusses sei damit nicht einmal der der Entscheidung zu Grunde gelegte Sachverhalt mit ausreichender Sicherheit vollständig nachvollziehbar. § 38 Abs 2 zweiter Halbsatz iVm § 28 Abs 1 UbG müsse daher so verstanden werden, dass noch in der Tagsatzung die Ausfertigung des Beschlusses vom Rechtsmittelwerber zu verlangen sei, andernfalls sei ein Rekurs unzulässig.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil zum gebotenen Verständnis der §§ 38 iVm 28 f UbG oberstgerichtliche Judikatur fehle.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen vom Verein erhobene Revisionsrekurs ist zulässig, er ist auch im Sinn einer Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des Rekursgerichts berechtigt.

Gemäß § 38 Abs 2 UbG ist die Entscheidung des Gerichts in der Niederschrift über die Tagsatzung zu beurkunden und nur auf Verlangen des Kranken, seines Vertreters oder des Abteilungsleiters innerhalb von sieben Tagen auszufertigen und diesen Personen zuzustellen. § 28 UbG ist sinngemäß anzuwenden. Nach § 28 Abs 1 UbG können gegen den Beschluss, mit dem die Unterbringung für zulässig erklärt wird, der Kranke und sein Vertreter innerhalb von 14 Tagen ab Zustellung Rekurs erheben.

§ 28 Abs 1 UbG regelt, wann die Rechtsmittelfrist zu laufen beginnt, nämlich ab Zustellung einer Beschlussausfertigung. § 38 Abs 2 UbG regelt, dass der mündlich verkündete Beschluss nur auf Verlangen auszufertigen und zuzustellen ist. Die Frage, wann spätestens die Ausfertigung eines Beschlusses von einer Partei beantragt werden muss, damit die Rechtsmittelfrist (erst) ab Zustellung zu laufen beginnt, kann, weil sie hier nicht entscheidungsrelevant ist, dahingestellt bleiben. Es ist nämlich nach ständiger Rechtsprechung sowohl zu den Bestimmungen des AußStrG als auch zu den Bestimmungen der ZPO die Anbringung eines Rechtsmittels noch vor Zustellung der Entscheidungsausfertigung ab dem Zeitpunkt zulässig, in dem die Bindung des Gerichts an seine Entscheidung eingetreten ist (RIS-Justiz RS0041679, RS0041748, RS0006939). Das Gericht ist im außerstreitigen Verfahren an seine Beschlüsse mit deren mündlicher Verkündung gebunden (§ 40 AußStrG). Ab diesem Zeitpunkt kann daher ein Rechtsmittel wirksam erhoben werden (vgl Kopetzki, Grundriss des Unterbringungsrechts2 Rz 418).

Der Rekurs des Vereins, der innerhalb von 14 Tagen ab mündlicher Verkündung des Beschlusses beim Erstgericht eingelangt ist, erweist sich daher auf alle Fälle als rechtzeitig. Er ist auch ohne ein Verlangen nach der Zustellung einer Beschlussausfertigung zulässig, weil das Gericht an seine verkündete Entscheidung bereits gebunden ist. Es ist den Bestimmungen des UbG nicht zu entnehmen, dass die Rechtsmittelerhebung (insbesondere durch den geschützten Patient und dessen Vertreter) anders als in sonstigen zivilgerichtlichen Verfahren dadurch erschwert werden sollte, dass der Rechtsmittelwerber zur Sicherung der Zulässigkeit seines Rechtsmittels vor dessen Erhebung und sogar noch unmittelbar nach dessen Verkündung eine Beschlussausfertigung beantragen muss, wenn er auch ohne eine solche Ausfertigung den Inhalt der Entscheidung beurteilen kann. Auch der bloß mündlich verkündete Beschluss muss bei sonstiger Nichtigkeit derart beurkundet sein, dass sein Inhalt klar erkennbar ist. Dabei ist auf das Protokoll zurückzugreifen. Es ist im Instanzenzug zu prüfen, ob der beurkundete Beschluss Bestand haben kann.

Es ist daher der angefochtene Beschluss aufzuheben und dem Rekursgericht die Entscheidung über den Rekurs aufzutragen.

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