Spruch:
Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 15. Juni 2011, GZ 2 P 146/09t-233, gemäß § 111 Abs 1 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Linz wird nicht genehmigt.
Text
Begründung
Für die Betroffene wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts Urfahr-Umgebung vom 7. 9. 2006, GZ 8 P 178/06h-9, eine Sachwalterin bestellt. Der Wirkungskreis der Sachwalterin umfasst alle Angelegenheiten.
Seit Frühjahr 2006 wurde die Betroffene in einer im Sprengel des Bezirksgerichts Klagenfurt liegenden psychotherapeutischen Einrichtung betreut und besuchte ein in Klagenfurt gelegenes Gymnasium, weshalb das Bezirksgericht Klagenfurt mit Beschluss vom 4. 6. 2009, GZ 2 P 146/09t-136, die Zuständigkeit zur Besorgung der Sachwalterschaftssache übernahm. Im Juni 2010 legte sie die Reifeprüfung ab. Danach verließ sie die pschotherapeutische Einrichtung (Therapiewohnung) und hielt sich ohne Zustimmung ihrer Sachwalterin und des Gerichts wiederum bei ihrer - ebenfalls besachwalteten - Mutter in Linz auf. Im Herbst 2010 nahm sie an der Universität Graz das Studium der Rechtswissenschaften auf, wo sie gemeinsam mit einer Freundin eine Wohnung bewohnt. Sie absolvierte bisher einige Prüfungen. Seit 17. 9. 2010 liegt eine Meldung in der Wohnung ihrer Mutter in Linz als Hauptwohnsitz vor (ON 204); in Graz hat sie einen Nebenwohnsitz.
Am 7. 10. 2010 stellte die Betroffene den Antrag auf Beendigung der Sachwalterschaft, über den bisher keine Entscheidung ergangen ist.
Die Betroffene reagierte persönlich zuletzt weder auf telefonische Anfragen noch schriftliche Ladungen und Verständigungen der zuständigen Richterin des Bezirksgerichts Klagenfurt; Kontaktaufnahmen waren nur über ihre Mutter oder eine von ihr bzw ihrer Mutter beauftragte Rechtsanwältin möglich (ON 233 AS 32). Gemäß einem an das Bezirksgerichts Klagenfurt gerichteten Schreiben der Sachwalterin vom 22. 7. 2011 (ON 240) sei es auch ihr seit dem „Verschwinden“ der Betroffenen aus der Therapieeinrichtung nicht möglich, mit dieser in Kontakt zu treten. Es sei bereits ein gravierender Schaden eingetreten; die unheilbar kranke Mutter habe wieder „die völlige Kontrolle“ über das Leben der Betroffenen übernommen. Die Betroffene sollte ihren Hauptwohnsitz in Graz haben, wo sie ja auch studiere.
Mit Beschluss vom 15. 6. 2011 (ON 233) übertrug das Bezirksgericht Klagenfurt die Sachwalterschaftssache gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Linz. Als Begründung wird zusammengefasst ausgeführt, dass die Betroffene ihren Hauptwohnsitz im Sprengel des Bezirksgerichts Linz und ihren Nebenwohnsitz in Graz habe und eine persönliche Kontaktaufnahme dem Bezirksgerichts Klagenfurt nicht mehr möglich sei. Dass sie jemals wieder in die im Sprengel des Bezirksgerichts Klagenfurt gelegene Therapiewohnung zurückkehre, sei nicht zu erwarten.
Das Bezirksgericht Linz lehnte mit Beschluss vom 27. 6. 2011 die Übernahme der Sachwalterschaftssache ab, weil von keinem stabilen und ständigen Aufenthalt im Sprengel des Bezirksgerichts Linz auszugehen sei. Allein die melderechtliche Situation sage nichts über den tatsächlichen Aufenthalt aus. Dass die Betroffene an der Universität Graz Prüfungen abgelegt habe, deute darauf hin, dass sie auch dort in nicht unbeträchtlichem Ausmaß aufhältig sei. Weiters sei zu berücksichtigen, dass die Betroffene am 7. 10. 2010 einen Antrag auf Beendigung der Sachwalterschaft gestellt habe. Über diesen Antrag sei noch keine Entscheidung erfolgt; die bisher zuständige Richterin kenne den Akt und die Betroffene zweifellos besser, als ein anderer Richter. Die Übertragung erweise sich auch deshalb unzweckmäßig, weil mit Beschluss des Landesgerichts Linz vom 18. 6. 2008 den Befangenheitsanzeigen sämtlicher Richter des Bezirksgerichts Linz Folge gegeben worden sei. Da sich die den Befangenheitsanzeigen zu Grunde liegende Sachlage nicht geändert habe (der Vater der Betroffenen sei weiterhin Visitator für die Regelrevision beim Bezirksgericht Linz), könne nicht von einer raschen Bearbeitung der Sache ausgegangen werden.
Weder der Beschluss, mit dem das Bezirksgericht Klagenfurt gemäß § 111 Abs 1 JN die Zuständigkeit der Besorgung der Sachwalterschaftssache dem Bezirksgericht Linz übertrug, noch der Beschluss, mit der die Übernahme der Zuständigkeit gemäß § 111 Abs 2 Satz 1 JN verweigert wurde, wurde zugestellt.
Rechtliche Beurteilung
Der Senat hat dazu erwogen:
1. Bei Kompetenzkonflikten im Sinne des § 47 JN vertritt der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass er erst dann zur Entscheidung berufen sein kann, wenn beide konkurrierenden Gerichte rechtskräftig über die Zuständigkeit abgesprochen haben, weil - so lange nicht beide die Zuständigkeit der Gerichte verneinenden Entscheidungen rechtskräftig sind - die Frage der Zuständigkeit noch im Rechtsmittelweg erledigt werden könne. Die Rechtslage nach § 111 Abs 2 JN ist jedoch eine andere. Der Übertragungsbeschluss ist jedenfalls in dem Fall, dass eine Übertragung von Amts wegen oder auf einseitigen Antrag beschlossen wurde, den Parteien zuzustellen und kann von ihnen angefochten werden. Die Parteien können sich nur nicht mehr beschwert erachten, wenn das Gericht, an das die Pflegschaftssache übertragen werden soll, bereits die Übernahme der Geschäfte ablehnte, weil dann ohnehin das beiden Gerichten gemeinsame Oberlandesgericht oder der Oberste Gerichtshof zu entscheiden hat (10 Nd 510/02 mwN). Es besteht somit für den Obersten Gerichtshof zumindest dann, wenn die Voraussetzungen für die Genehmigung der Übertragung der Zuständigkeit nicht gegeben sind, kein Hindernis, eine Entscheidung schon vor Zustellung und Rechtskraft des Übertragungsbeschlusses zu treffen, weil es ein das Verfahren nur verzögernder Formalismus wäre, den Parteien durch Zustellung dieses Beschlusses die Gelegenheit zu geben, dessen Beseitigung im Rechtsmittelweg zu erreichen. Ein solcher Fall liegt hier vor:
2. Nach § 111 Abs 1 JN kann das zur Besorgung der Sachwalterschaftssache zuständige Gericht seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Betroffenen gelegen erscheint, insbesondere, wenn dadurch die wirksame Handhabung des dem Betroffenen zugedachten Schutzes voraussichtlich befördert wird (RIS-Justiz RS0049144). Diese Voraussetzungen sind in der Regel gegeben, wenn die Sachwalterschaftssache dem Gericht übertragen wird, in dessen Sprengel der Mittelpunkt der Lebensführung des Betroffenen liegt (RIS-Justiz RS0046971 [T3]; 9 Nd 513/00).
Im vorliegenden Fall liegt zwar kein örtliches Naheverhältnis zwischen der Betroffenen und dem Bezirksgericht Klagenfurt mehr vor. Von einem Mittelpunkt der Lebensführung der Betroffenen in Linz kann aber schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil fest steht, dass sie an der Universität Graz ein Studium betreibt und in Graz einen Wohnsitz begründet hat. Die - nach Ansicht der Sachwalterin der Betroffenen abträglichen - Aufenthalte im Haushalt der Mutter in Linz können deshalb eine Zuständigkeitsübertragung an das Bezirksgericht Linz nicht rechtfertigen. Nur wenn die Betroffene ihren Lebensschwerpunkt eindeutig im Sprengel eines Bezirksgerichts hätte, wäre dieses am besten geeignet, im Interesse der Betroffenen Maßnahmen zu setzen. Der Beschluss des Bezirksgerichts Klagenfurt auf Übertragung der Zuständigkeit ist aus diesem Grund nicht zu genehmigen.
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