Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichts wird im klagsstattgebenden Teil einschließlich der Entscheidung über die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens dahin abgeändert, dass insoweit das erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt wird.
Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, den beklagten Parteien die mit 3.522,44 EUR (darin 350,55 EUR USt und 1.419,10 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Gegenstand des Rechtsstreits ist - nach den knappen Feststellungen - eine „gebrauchte amerikanische Lebensversicherung“, bei der die Versicherungssumme bei Ableben des Versicherungsnehmers ausgezahlt wird. Versicherungsnehmer, die Geld benötigen, verkaufen die „Versicherung“. Üblicherweise kaufen mehrere Käufer zusammen Anteile an einer bestimmten Polizze. Diesen Handel betreibt die U***** S***** I***** (kurz: USI) mit Sitz in Toronto. Der Verkäufer der „Lebensversicherung“ muss sich einem ärztlichen Gutachten unterziehen, mit dem seine voraussichtliche Lebenserwartung ermittelt wird. Damit ergibt sich eine durchschnittliche Laufzeit. Die Käufer erhalten die Versicherungssumme, wenn der Versicherungsnehmer stirbt. Je früher er stirbt, desto höher ist die Rendite. Ein Rückversicherer zahlt die Versicherungssumme aus, wenn der Versicherungsnehmer zwei Jahre nach dem prognostizierten Sterbedatum immer noch lebt. Die Prämie dafür bezahlt die USI, die Vertragspartner dieser „Versicherung“ ist.
Die Kläger wandten sich an Angela J***** (damals persönlich haftende Gesellschafterin der Erstbeklagten), weil sie Geld sicher anlegen wollten, das sie in Zukunft für die Finanzierung eines Hausbaus einsetzen wollten. Diese stellte den Klägern das Finanzprodukt als sichere Anlageform vor und klärte sie lediglich über das Währungsrisiko auf, erwähnte aber niemals das Risiko eines Totalverlusts im Fall einer Insolvenz der USI. Wenn den Klägern dieses Risiko bekannt gewesen wäre, hätten sie den Vertrag nicht abgeschlossen.
Die Kläger erwarben eine Secondhand-Polizze der USI und überwiesen dafür am 27. 10. 2003 einen Betrag von 8.986,84 EUR.
Die USI ist insolvent. Es ist nicht feststellbar, ob und allenfalls wann und wie viel die Kläger von diesem Unternehmen erhalten werden. Es ist auch nicht feststellbar, ob der Versicherungsfall, für den die Rückversicherung eintrittspflichtig ist, eingetreten ist oder noch eintreten kann. „Die Rückversicherung“ ist ebenfalls insolvent.
Die Kläger begehrten von den beklagten Parteien (der Zweitbeklagte ist unbeschränkt haftender Gesellschafter der Erstbeklagten) die Zahlung von 8.986,84 EUR sA. Zusammengefasst brachten sie vor, die Veranlagung sei ihnen als eine sehr sichere Anlageform dargestellt worden, weil sowohl die Rückzahlung des Kapitals als auch der „Ablaufleistung“ durch einen unabhängigen Garanten garantiert sei. Auf das Risiko einer Insolvenz des Versicherers bzw des Rückversicherers (in Wahrheit eine „Briefkastenfirma“ in San Marino) sei nicht verwiesen worden, ebenso wenig auf die Möglichkeit medizinischer Gefälligkeitsgutachten. Die pflichtwidrig unterlassene Aufklärung habe einen Irrtum der Kläger über die Risikoträchtigkeit der gewählten Anlageform hervorgerufen. Bei entsprechender Beratung hätten sie diese Veranlagung nicht gewählt, sodass ihnen Naturalrestitution gebühre.
Die Beklagten wendeten, soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung, zusammengefasst ein, eine haftungsbegründende Schlecht- oder Falschberatung sei nicht erfolgt. Die gewählte Veranlagungsform sei sehr sicher, eine 100%ige Garantie gebe es nicht. Für allfällige betrügerische Machenschaften im Bereich des Versicherers oder Rückversicherers hafte der Vermittler nicht. Der Rückversicherer kaufe nicht nach einem gewissen Zeitraum Versicherungspolizzen auf, sondern habe nur die Auszahlung der vereinbarten Versicherungssumme an USI garantieren sollen, wenn die versicherte Person das prognostizierte Todesdatum um 24 Monate überlebe.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Neben dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt stellte es noch fest, es sei nicht feststellbar, was hinsichtlich der Rückversicherung gesprochen wurde. Insbesondere sei nicht feststellbar, ob Angela J***** bei den Klägern den Eindruck erweckt habe, dass die Auszahlung der Vertragssumme jedenfalls und nicht nur im „oben dargestellten“ Versicherungsfall durch eine Versicherung gedeckt wäre. Rechtlich führte es aus, für die Kläger habe sich das mit jedem Rechtsgeschäft verbundene Risiko der Insolvenz des Vertragspartners - der USI - verwirklicht. Dieses Risiko habe den Klägern von vornherein klar sein müssen. Diesbezüglich habe daher keine Aufklärungspflicht der Beklagten bestanden. Der Vertrag zwischen den Klägern und der Erstbeklagten unterliege österreichischem Recht; die Beklagten hafteten mangels Verletzung von Aufklärungspflichten nicht.
Das Berufungsgericht gab über allein auf § 28 MaklerG gestützte Berufung der Kläger dem Klagebegehren statt und wies unbekämpft ein Zinsenmehrbegehren ab. Ein Eingehen auf die Beweisrüge der Kläger hielt es nicht für erforderlich und führte rechtlich aus, zur Lösung des Rechtsstreits der Parteien sei österreichisches Recht heranzuziehen. Der Wunsch der Kläger nach einer sicheren Anlage verlange eine umfassende Risikoaufklärung. Diese sei nur hinsichtlich des Währungsrisikos erfolgt. Die zu fordernde Risikoaufklärung umfasse auch die Darlegung „der Stellung des Rückversicherers“ und wofür dieser einzustehen habe. Es habe eine spezifische Aufklärungspflicht über die „konkrete Stellung des Rückversicherers in der konkreten Vertragsbeziehung“ bestanden, zumal nicht behauptet worden sei, dass auf die dem vermittelten Finanzprodukt zugrunde liegenden Verträge zwischen dem amerikanischen Versicherungsnehmer, „dem amerikanischen Versicherer“, der USI und dem Rückversicherer jeweils österreichisches Recht anzuwenden wäre. Die Beklagten hätten für das Handeln von Angela J***** einzustehen. Hätte der Anleger bei richtiger Beratung nicht gekauft, habe er im Rahmen der Naturalrestitution Anspruch auf Rückersatz des zum Erwerb der Anlage bezahlten Kaufpreises.
Das Berufungsgericht erklärte nachträglich - über Antrag der Beklagten gemäß § 508 Abs 1 ZPO - die ordentliche Revision für zulässig, weil der „USI-Skandal“ eine große Anzahl von Anlegern und Vermittlern betreffe, sodass der vorliegende Fall auch für eine größere Anzahl von Personen Bedeutung habe.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Beklagten ist berechtigt.
1. Voranzustellen ist, dass das Berufungsgericht die Haftung der Beklagten nicht mit der unterlassenen Aufklärung über die mögliche Insolvenz der USI begründete. Auf die vom Erstgericht verneinte Pflicht zur Aufklärung der Kläger über das mit jedem Rechtsgeschäft verbundene Risiko der Insolvenz des Vertragspartners - der USI - (vgl in diesem Zusammenhang 4 Ob 20/11m) gehen auch die Kläger in der Revisionsbeantwortung nicht ein.
Bei der „Vermittlung von Secondhand-Polizzen“ wird kein neues Versicherungsverhältnis begründet (eine entgeltliche, selbständige neue Risikoübernahme erfolgt nicht), sondern es werden lediglich Ansprüche aus einem bestehenden, aufrecht bleibenden Vertrag entgeltlich übertragen (7 Ob 226/09z). Soweit die Kläger - im erst- und zweitinstanzlichen Verfahren - mit der für Versicherungsmakler geltenden Bestimmung des § 28 Z 2 MaklerG argumentieren, ließe sich daraus keine Haftung der Beklagten ableiten. Nach dieser Norm trifft den Versicherungsmakler gegenüber dem Versicherungskunden - dem (potentiellen) Versicherungsnehmer (Fromherz, Kommentar zum MaklerG [1997] § 26 Rz 18; vgl Noss, Maklerrecht³ [2008] Rz 167), was die Kläger nicht sind - die Pflicht zur „Beurteilung der Solvenz des Versicherers im Rahmen der einem Makler zugänglichen fachlichen Informationen“. Dass im Zeitpunkt des „Kaufs“ der Secondhand-Polizze durch die Kläger bereits Informationen zugänglich gewesen wären oder hätten sein können, wonach der Versicherer, nach dem Vorbringen der Kläger (anders wohl die Beklagten) die USI (oder der Rückversicherer) von einer Insolvenz bedroht waren, wurde von den Klägern aber nicht behauptet. Mangels Vorbringens der dafür behauptungs- und beweispflichtigen Kläger wäre § 28 Z 2 MaklerG - selbst bei analoger Anwendung - keine haftungsbegründende Anspruchsgrundlage.
Zudem steht trotz der Insolvenz der USI nicht fest, dass sich das Risiko des Totalverlusts verwirklicht hat. Nach den unbekämpften Feststellungen ist nämlich nicht feststellbar, ob und allenfalls wann und wie viel die Kläger von der USI erhalten werden. Dass die Kläger infolge deren Insolvenz einen Schaden in Klagshöhe erlitten haben, steht daher nicht fest.
2.1. Allgemeines zu Secondhand-Polizzen:
Kündigt ein Versicherungsnehmer seine Lebensversicherung vorzeitig, ist dies meist mit finanziellen Nachteilen verbunden, weil bloß der Rückkaufswert ausbezahlt wird, der wesentlich niedriger ist als die kalkulatorische Weiterentwicklung (ökonomischer oder innerer Wert) der Versicherungspolizze. Als Alternative zur Kündigung bietet sich der Verkauf der Ansprüche aus einer Lebensversicherung vor Ablauf der Vertragslaufzeit an einen Investor an. Versicherungsverträge, deren Ansprüche an einen Dritten verkauft wurden, bezeichnet man als „gebrauchte Lebensversicherungsverträge“ bzw Secondhand-Polizzen. Der Versicherungsnehmer bezweckt damit, seine Ansprüche aus dem Vertrag zu einem Preis zu verkaufen, der höher ist als der von der Versicherung ermittelte Rückkaufswert. Dem Käufer geht es hingegen um eine Anlage. Er erwirbt die Ansprüche durch Zahlung eines Kaufpreises, der zwar über dem Rückkaufwert, in der Regel aber unter dem ökonomischen Wert der Polizze liegt. In der Folge zahlt der Anleger die Prämien bis Vertragsende weiter. Nach Ablauf der Laufzeit oder im Todesfall erhält er die Versicherungssumme einschließlich etwaiger Gewinnanteile. In Großbritannien und in den USA wird der „Handel mit gebrauchten Lebensversicherungen“ schon lange gepflogen. Einerseits wird der „Kauf“ von Einzelpolizzen (darunter wird der Erwerb von Bezugsrechten aus einem Lebensversicherungsvertrag durch einen Investor verstanden) durch inländische Anlageberater vermittelt. Andererseits werden auch „strukturierte Produkte oder Fondsprodukte“ angeboten, die mit zusätzlichen Kosten (etwa Ausgabeaufschlag oder Verwaltungskosten) verbunden sind. Im Vergleich zu Einzelpolizzen besteht der Vorteil dieser Konstruktionen in der besseren Risikoverteilung. In der Praxis wird das sogenannte Genussscheinmodell angeboten oder eine Kommanditkonstruktion gewählt (7 Ob 226/09z unter Verweis auf Fletzberger, Secondhand-Polizzen: eine rechtliche Bestandaufnahme, ÖZW 2006, 70, und Sieprath, Der Handel mit gebrauchten Lebensversicherungen aus versicherungsvertragsrechtlicher, aufsichtsrechtlicher und steuerrechtlicher Sicht 1 ff).
2.2. Erwerb der Secondhand-Polizze im Oktober 2003 - Anwendung der Wohlverhaltensregeln:
Aufgrund einer Gesamtanalogie zu den §§ 11 bis 18 WAG idF BGBl 1996/753, § 75 Abs 2 VAG und § 3 Abs 4 erster Satz sowie § 28 MaklerG sollen die zunächst von der Rechtsprechung entwickelten und in der Folge durch das WAG aF kodifizierten Wohlverhaltensregeln auch auf den Vertrieb von Versicherungen mit zumindest veranlagungsähnlichem Charakter (fonds- oder indexgebundene Lebensversicherungen, Einmalerläge) durch Versicherungsmakler und im selben Umfang auf die Beratung über derartige Versicherungsprodukte durch (Versicherungs-)Berater anwendbar sein (Knobl in Frölichsthal/Hausmaninger/Knobl/Oppitz/Zeipelt, Kommentar zum Wertpapieraufsichtsgesetz [1998] § 11 Rz 5; aA bezüglich der Beratung und Vermittlung von Secondhand-Einzelpolizzen Fletzberger aaO 75). Das Handeln der Erstbeklagten wäre demnach anhand dieser Wohlverhaltensregeln zu beurteilen. Solche Regeln gelten sowohl für den Anlageberater als auch für den Anlagevermittler (7 Ob 90/04t; 7 Ob 64/04v).
3. Das Berufungsgericht ging erkennbar von diesen Rechtsgrundsätzen aus. Es begründete die Haftung der Beklagten im Wesentlichen damit, dass die damalige persönlich haftende Gesellschafterin der Erstbeklagten die Kläger über die „konkrete Stellung des Rückversicherers in der konkreten Vertragsbeziehung“ aufklären hätte müssen. Was darunter zu verstehen ist, bleibt aber unklar. Die Kläger haben ihr Schadenersatzbegehren gegen die Beklagten nicht darauf gestützt, dass „auf die dem vermittelten Finanzprodukt zu Grunde liegenden Verträge zwischen dem amerikanischen Versicherungsnehmer, dem amerikanischen Versicherer, der USI und dem Rückversicherer jeweils österreichisches Recht anzuwenden“ sein sollte. Entgegen der Argumentation des Berufungsgerichts steht auch nicht fest, dass die Kläger den „Kauf“ der Secondhand-Polizze unterlassen hätten, wenn sie über die „Stellung des Rückversicherers und wofür dieser einzustehen“ habe, aufgeklärt worden wären (die entsprechende Feststellung bezieht sich nur auf die Insolvenz der USI).
Grundsätzlich hat der Geschädigte nicht nur den Eintritt des behaupteten Schadens und dessen Höhe, sondern auch den Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Schädigers und dem Schadenseintritt zu behaupten und zu beweisen gehabt. Auch die Beweislast, dass bei pflichtgemäßem Verhalten der Schaden nicht eingetreten wäre, trifft den Geschädigten (7 Ob 77/10i mwN). Das Erstgericht traf eine negative Feststellung darüber, was hinsichtlich der Rückversicherung gesprochen wurde. Aufgrund dieses non liquet wären die Kläger ihrer Behauptungs- und Beweislast für einen Beratungsfehler von Angela J***** über die „Stellung der Rückversicherung“ nicht nachgekommen. Die Kläger haben in der Berufung diese Feststellung bekämpft, jedoch hielt das Berufungsgericht das Eingehen auf diese Beweisrüge für nicht erforderlich. Wenn es aber in der rechtlichen Beurteilung der Erstbeklagten, der das Handeln von Angela J***** zuzurechnen ist, die unterlassene Aufklärung über die „Stellung des Rückversicherers“ zur Last legt, weicht es von der bekämpften Feststellung ab. Vom Urteil des Erstgerichts abweichende Feststellungen darf das Berufungsgericht aber nur nach einer Beweiswiederholung oder -ergänzung (§ 488 ZPO) treffen (E. Kodek in Rechberger³ § 498 Rz 1).
Eine Aufhebung des Berufungsurteils zur Behandlung der unerledigten Beweisrüge der Kläger ist dennoch nicht erforderlich, weil nach dem Ersturteil - von den Parteien insoweit unbekämpft - nicht feststellbar ist, ob der Versicherungsfall, für den die Rückversicherung eintrittspflichtig sei, eingetreten sei oder noch eintreten könne. Es steht somit nicht fest, dass sich ein Risiko verwirklicht hat, für welches die Aufklärung über „die konkrete Stellung des Rückversicherers in der konkreten Vertragsbeziehung“ maßgeblich wäre. Damit fehlt es aber am Kausalzusammenhang zwischen der Insolvenz des Rückversicherers und einem Schaden der Kläger aus dem (gemeinsamen) Erwerb der Secondhand-Polizze. Eine Haftung der erstbeklagten OG und daraus abgeleitet des Zweitbeklagten als ihrem unbeschränkt haftenden Gesellschafter wegen der im Revisionsverfahren allein strittigen unterlassenen Aufklärung über die „Stellung des Rückversicherers“ scheidet daher aus.
4. In Stattgebung der Revision der Beklagten gegen den abändernden Teil des Berufungsurteils ist daher das Ersturteil wiederherzustellen.
Die Entscheidung über die Prozesskosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf §§ 41 und 50 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)