Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit 908,64 EUR (darin 151,44 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 23. 12. 1951 geborene Kläger ist Arzt für Allgemeinmedizin; seit 1. 1. 1993 ist er Vertragsarzt der Beklagten für eine Ordination in P*****. Der Vertrag ist unbefristet.
Am 8. 1. 2009 beantragte der in N***** praktizierende Dr. W***** S***** die Gründung einer Nachfolgepraxis Modell 4 gemäß § 1 Abs 2 des Gruppenpraxisgesamtvertrags. Diese Vertragsarztstelle wurde sodann für das Besetzungsdatum 1. 10. 2009 ausgeschrieben. Daraufhin bewarben sich der Kläger und der Arzt Dr. R***** P*****. Dr. R***** P***** wurde als Erster für diese Vertragsarztstelle gereiht. Der Kläger wurde hingegen nicht gereiht, weil er zum Besetzungszeitpunkt bereits das 55. Lebensjahr vollendet hatte. Der bestgereihte Dr. R***** P***** hatte eine Punktezahl von 47,8552. Zuvor hatte sich der Kläger bereits auf eine Vertragsarztstelle in V***** beworben. Damals hatte seine Punktezahl zum Besetzungszeitpunkt 1. 1. 2008 51,3 betragen. Die Beklagte schloss nach der Einspruchsfrist - und mit dem Einverständnis des Dr. W***** S***** - den Vertrag über die Arztstelle in N***** mit Dr. R***** P***** ab.
Der Kläger beabsichtigt auch in Zukunft, sich auf ausgeschriebene Vertragsarztstellen im ländlichen Raum zu bewerben.
Punkt IV. 1. lit d der „Richtlinie für die Auswahl von Vertragsärzten/Vertragsärztinnen und Vertragsgruppenpraxen bzw. von Mitgliedern von Vertragsgruppenpraxen vom 1. 1. 2010 abgeschlossen zwischen der Ärztekammer für OÖ und der OÖ Gebietskrankenkasse“ lautet wie folgt:
„IV. Ausschlusskriterien
1. Wenn zum Besetzungszeitpunkt eines der nachstehend aufgelisteten Kriterien vorliegt, wird die Bewerbung nicht berücksichtigt:
…
d) Vollendung des 55. Lebensjahres des Bewerbers, sofern nicht im Einvernehmen zwischen der Ärztekammer für OÖ und der OÖ Gebietskrankenkasse eine Ausnahmeregelung getroffen wird (eine solche Ausnahmeregelung kann beispielsweise dann vereinbart werden, wenn dies für die Aufrechterhaltung der im öffentlichen Interesse stehenden vertragsärztlichen Versorgung erforderlich ist).“
Der Kläger begehrt, die Beklagte zu verpflichten, es zu unterlassen, das Ausschlusskriterium laut Punkt IV Z 1 lit d der genannten Richtlinie, wonach eine Bewerbung nicht zu berücksichtigen sei, wenn der Bewerber das 55. Lebensjahr vollendet habe, sofern nicht im Einvernehmen zwischen Kammer und Kasse eine Ausnahmeregelung getroffen werde, oder eines inhaltlich gleichen Ausschlusskriteriums in einer Nachfolgerichtlinie für den Fall der Bewerbung des Klägers um eine freiwerdende Vertragsarztstelle, anzuwenden. In eventu begehrt der Kläger 13.500 EUR samt 4 % Zinsen seit 14. 7. 2009. Dazu brachte er vor, nach dem gemäß § 2 des Gesamtvertrags anzuwendenden Punktesystem wäre der Kläger der Beste unter den Bewerbern für die Vertragsarztstelle in N***** gewesen. Die Beklagte habe sich jedoch auf Punkt IV Z 1 lit d der Richtlinie in der damaligen Fassung berufen und die Bewerbung des Klägers wegen seines Alters von über 55 Jahren nicht berücksichtigt. Die Beklagte habe daher den Kläger unzulässig wegen seines Alters diskriminiert und gegen § 17 Abs 1 GlBG verstoßen. In der nunmehrigen Fassung der Richtlinie vom 1. 1. 2010 halte die Beklagte das diskriminierende Ausschlusskriterium (Punkt IV Z 1 lit d) aufrecht. Der Kläger müsse bis zum Erwerb seines Pensionsanspruchs noch etwa 8 bis 9 Jahre beruflich aktiv sein. Die Nichtberücksichtigung über 55-jähriger Bewerber sei unsachlich und nicht durch legitimierte Erfordernisse des Gesundheitswesens gerechtfertigt. Er habe daher, weil bei seinen künftigen Bewerbungen eine Wiederholungsgefahr gegeben sei, einen Unterlassungsanspruch. Zum Eventualbegehren brachte der Kläger vor, er wäre für N***** der bestqualifizierte Bewerber gewesen, sodass der Vertrag mit ihm hätte abgeschlossen werden müssen. Anders als in P***** hätte er in N***** auch eine ärztliche Hausapotheke betreiben können. Durch die diskriminierende Vergabe der Vertragsarztstelle in N***** sei ihm ein Schaden (Einkommensverlust) von jedenfalls 13.500 EUR entstanden.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und brachte vor, der Kläger habe keinen Rechtsanspruch auf Abschluss eines Einzelvertrags. Die Beklagte müsse die Richtlinie über die Auswahl von Vertragsärzten anwenden und könne diese auch nicht ändern, weil es sich dabei um einen mit der Ärztekammer für OÖ abgeschlossenen Vertrag handle. Die Altersgrenze von 55 Jahren sei ein sachliches Regulativ zum Senioritätsprinzip der Reihungskriterienverordnung. Denn so alte Bewerber müssten einen überdurchschnittlich hohen Umsatz erzielen, um ihre Investitionen im verbleibenden Berufsleben zu refinanzieren. Es sei daher zu befürchten, dass solche Ärzte das Ökonomiegebot des § 133 ASVG, Krankenbehandlungen nur im notwendigen Ausmaß durchzuführen, missachteten und bei gleichzeitig sinkender Qualität ihrer ärztlichen Behandlungen die Quantität ihrer Leistungen unnatürlich steigerten. Es bestünde auch die Gefahr, dass die älteren Ärzte nicht mehr so investitionsfreudig seien und Weiterbildungsveranstaltungen aus Zeitmangel nicht mehr besuchten. Die Beklagte und die Ärztekammer für OÖ seien auch bemüht, Vertragsarztstellen möglichst lange mit dem selben Arzt zu besetzen, um eine optimale Gesundheitsversorgung der Bevölkerung zu erreichen. Durch eine rechtzeitige Antragstellung könne der Arzt ohnehin vor der Altersgrenze über den Ort seiner letzten Schaffensperiode disponieren. Ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgesetz liege nicht vor, weil die Altersbeschränkung gemäß § 20 Abs 3 und 4 GlBG zulässig sei. Die Richtlinie sei gemäß § 22 GlBG ein Instrument der kollektiven Rechtsgestaltung zur Förderung der Gleichstellung im Berufsleben. Überdies wäre der Kläger ohnehin bei der ausgeschriebenen Vertragsarztstelle nicht zum Zug gekommen, weil ihn der Seniorpartner Dr. W***** S***** abgelehnt hätte.
Das Erstgericht wies das Haupt- und das Eventualbegehren ab. Rechtlich vertrat das Erstgericht die Ansicht, die Altersklausel sei ein Regulativ zum Senioritätsprinzip bei der Planstellenbesetzung. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass der zum Zug kommende ältere Vertragsarzt danach trachte, seine Investitionen bzw Ablösezahlung durch einen überdurchschnittlich hohen Umsatz zu refinanzieren, ohne das im § 133 ASVG normierte „Ökonomiegebot“ zu beachten. Ein älterer Arzt habe nämlich nur noch relativ kurz Gelegenheit, seine Aufwendungen hereinzubringen. Es bestünde auch die Gefahr, dass er Investitionen von vornherein unterlasse, womit wiederum das hohe Niveau der medizinischen Betreuung in Österreich nicht mehr gewährleistet wäre. Es habe auch das deutsche Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 20. 3. 2001, 1 BvR 491/96, den Ausschluss von Ärzten, die das 55. Lebensjahr vollendet haben, von der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung mit ähnlichen Argumenten als sachlich gerechtfertigt angesehen. Die Erwerbsfreiheit und Existenzsicherung des Klägers sei nicht beeinträchtigt, da er bereits Inhaber einer Vertragsarztstelle sei; er habe ohnedies die Möglichkeit, den Sitz seiner Arztstelle zu verlegen. Das Alterskriterium stelle sicher, dass der fachlich bestgeeignete Bewerber bei gleichzeitigem Aufrechterhalten der qualitativ besten medizinischen Versorgung der Bevölkerung zum Zug komme. Das angeführte Alterskriterium sei daher nicht gleichheitswidrig.
Das Berufungsgericht gab dem Hauptklagebegehren statt und führte in rechtlicher Hinsicht aus wie folgt:
Mit 1. 12. 2009 sei der Vertrag von Lissabon in Kraft getreten. Gemäß Art 6 EUV sei die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU Grundrechte-Charta) rechtsverbindlich. Sie sei nunmehr Bestandteil des Primärrechts (Art 6 Abs 1 EUV; vgl Wolffgang in Lenz/Borchardt [Hrsg], EU-Verträge Kommentar5 Art 6 EUV Rz 4). Grundrechtsträger seien grundsätzlich alle natürlichen Personen (Wolffgang aaO Anh zu Artikel 6 EUV Rz 13). Die Mitgliedstaaten seien bei der Durchführung von EU-Recht an die Grundrechte gebunden (Wolffgang aaO Rz 12; Art 51 Abs 1 EU Grundrechte-Charta). Zur Frage, ob den EU-Grundrechten auch eine Drittwirkung zukomme, sodass sie ihre Wirkungen auch unmittelbar oder mittelbar (etwa in Form einer grundrechtskonformen Auslegung nationalen Rechts) im Verhältnis zwischen Privaten untereinander entfalteten, habe der EuGH noch keine Stellung genommen (Wolffgang aaO Rz 16).
Art 21 Abs 1 EU Grundrechte-Charta verbiete insbesondere die Diskriminierung wegen des Alters.
Die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. 11. 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie) diene der Durchsetzung des Verbots der Diskriminierung im Erwerbsleben unter anderem aufgrund des Alters (Art 1 und 2 leg cit). Andererseits erlaube die Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie „gerechtfertigte Ungleichbehandlungen wegen des Alters“ unter den im Art 6 leg cit angeführten Umständen. Diesen Vorgaben entsprechend enthalte das Gleichbehandlungsgesetz im § 17 Abs 1 GlBG unter anderem ein allgemeines Verbot der Altersdiskriminierung im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis (vgl Hopf/Mayr/Eichinger, GlBG § 17 Rz 53). Bei der praktischen Anwendung dieses Diskriminierungsverbots sei primär der Gesetzestext des GlGB maßgeblich. Dessen Bestimmungen seien jedoch richtlinienkonform auszulegen (Hopf/Mayr/Eichinger aaO Rz 55). Beim Kriterium „Alter“ seien alle Arbeitnehmer unabhängig von einem Mindest- oder Höchstalter geschützt, es sei denn, spezifische Ausbildungsanforderungen erforderten die Festsetzung eines Höchstalters für die Einstellung (Hopf/Mayr/Eichinger aaO Rz 53; RV 307 BlgNr 22. GP 13 ff).
Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten sei die von ihr zugestandene Ungleichbehandlung älterer Bewerber nicht nach § 20 Abs 3 und 4 GlBG gerechtfertigt. Mit § 20 Abs 3 und 4 GlBG werde Art 6 Abs 1 Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie nahezu wörtlich umgesetzt. Gemäß § 20 Abs 3 GlBG liege eine Altersdiskriminierung nicht vor, wenn die Ungleichbehandlung (Z 1) objektiv und angemessen sei, (Z 2) durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt sei und (Z 3) die Mittel zur Erreichung dieses Zieles angemessen und erforderlich seien. Obwohl der Text dieser Norm drei Punkte aufzähle, sprächen der Wille des Gesetzgebers und eine richtlinienkonforme Interpretation (vgl dazu die Ausführungen in Hopf/Mayr/Eichinger aaO § 20 Rz 27) für eine zweistufige Rechtfertigungsprüfung. Gemäß § 20 Abs 3 Z 1 und Z 2 GlBG sei ein (objektiver) Rechtfertigungsgrund erforderlich. Sodann sei gemäß § 20 Abs 3 Z 3 GlBG die Verhältnismäßigkeit zu prüfen (Hopf/Mayr/Eichinger aaO Rz 27, 35).
Zunächst sei das Ziel (der Grund) der Ungleichbehandlung zu hinterfragen. Es müsse sich dabei um objektive Faktoren handeln. Es sei festzustellen, ob der jeweilige Sachverhalt einen solchen Grund aufweise; sodann sei zu prüfen, ob dieser „legitim“ sei. Die Frage der Legitimität sei am Gemeinschaftsrecht zu messen (aaO Rz 30). Die Beweislast für das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes obliege gemäß § 26 Abs 12 Satz 2 GlBG der Beklagten (vgl auch 9 ObA 177/07f sowie Windisch-Graetz in ZellKomm § 12 GlBG Rz 19).
Nach der Rechtsprechung des EuGH könnten nicht nur das Ziel der Aufrechterhaltung einer qualitativ hochwertigen ärztlichen Versorgung, sondern auch das Ziel der Vermeidung einer erheblichen Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit unter das Ziel des Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung fallen, wenn beide zur Erreichung eines hohen Niveaus des Gesundheitsschutzes beitrügen (EuGH 12. 1. 2010, C-341/08 Rn 45 mwN).
Dass die festgelegte Altersgrenze dem Ziel diene, das finanzielle Gleichgewicht des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung zu erhalten, sei nicht nachvollziehbar. Denn gemäß § 2 Abs 2, § 3 Abs 1 FSVG, § 130 Abs 1 GSVG erreichten Ärzte mit eigener Ordinationsstätte bzw Ärzte, die Gesellschafter von Gruppenpraxen seien (vgl Schneider, Ärztliche Ordinationen, 382), die gesetzliche Alterspension mit Vollendung des 65. Lebensjahres. Ein 55 Jahre alter Bewerber habe daher bis zu seinem Anspruch auf Alterspension noch eine 10-jährige Erwerbstätigkeit vor sich. § 342 Abs 1 Z 10 ASVG räume überdies die Möglichkeit ein, im Gesamtvertrag die Altersgrenze für die Beendigung der Einzelverträge mit dem 70. Lebensjahr des Vertragsarztes festzulegen. Die Beklagte habe ihre Argumente in erster Linie der Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom 20. 3. 2001, 1 BvR 491/96, entlehnt. In dieser Entscheidung habe das Bundesverfassungsgericht die Frage, ob approbierten Ärzten nach Vollendung des 55. Lebensjahres der Zugang zur vertragsärztlichen Tätigkeit, insbesondere um die Kosten im Gesundheitswesen zu dämpfen, verwehrt werden dürfe, bejaht. Wörtlich habe das Bundesverfassungsgericht ausgeführt:
„Durchschnittlich 12 Jahre dauert es, bis die für einen Praxiserwerb oder für eine Praxisgründung notwendigen Kredite insgesamt zurückgezahlt sind. Wenn Ärzten nur wenige Jahre der Gewinnerzielung aus selbständiger Tätigkeit zur Verfügung stehen, sie aber dennoch durchschnittliche Gewinne erwirtschaften wollen, müssen sie einen erhöhten Umsatz anstreben, was - aus Sicht der gesetzlichen Krankenversicherung unerwünschte - Mengenausweitungen zur Folge haben kann.“
Diese Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts bezögen sich allerdings nur auf angehende (neu zuzulassende) Vertragsärzte, also auf die mit diesem Alter festgelegte Erstzulassungsgrenze. Der Kläger sei dieser Personengruppe nicht zuzurechnen. Vielmehr nehme er schon seit Jahren (seit 1. 1. 1993) an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Der Kläger verfüge bereits über eine Praxis. Die Behauptungen der Beklagten, der Praxisübernahme stünden ökonomische Gründe entgegen, seien daher nicht nachvollziehbar. Denn der Kläger könnte entweder seine bisherige Praxiseinrichtung veräußern, um die neue Praxis zu übernehmen oder zu gründen; er könnte jedoch auch - was nicht widerlegt sei - seine ärztlichen Geräte und die Einrichtung im neuen Praxisbetrieb verwenden. Ihr Argument, eine optimale Gesundheitsversorgung der Bevölkerung erfordere, dass Vertragsarztstellen möglichst lange vom selben Arzt besetzt seien, unterlaufe die Beklagte selbst; sie räume nämlich ein, der Kläger hätte durch eine rechtzeitige Antragstellung vor der Altersgrenze über den Ort seiner letzten Schaffensperiode disponieren können. Da gerade Ärzte nach dem Studium sehr viel durch praktische Arbeit an Menschen gesammelte Berufserfahrung benötigten (vgl Hopf/Mayr/Eichinger, GlBG, § 20 Rz 42), widerspreche die Altersausschlussklausel, soweit sie sich auf bereits 55 Jahre alte Ärzte beziehe, die schon an der vertragsärztlichen Versorgung teilnähmen, dem Ziel der Aufrechterhaltung einer qualitativ hochwertigen ärztlichen Versorgung. Die Altersausschlussklausel sei daher nicht gerechtfertigt.
Nach § 22 GlBG sei entscheidend, dass mit der (positiven) Maßnahme die Gleichstellung im Berufsleben gefördert werde, indem Benachteiligungen wegen eines Diskriminierungsgrundes nach § 17 GlBG verhindert oder ausgeglichen würden (Hopf/Mayr/Eichinger aaO § 22 GlBG Rz 4). Ob die Richtlinie für die Auswahl von Vertragsärzten einer der in § 22 GlBG angeführten Normen subsumierbar sei, könne jedoch auf sich beruhen, weil die Beklagte nicht darlege, wie und auf welche Weise durch die angeführte Richtlinie eine Gleichstellung im Berufsleben gefördert werde. Die Beklagte kann sich daher auch nicht auf § 22 GlBG berufen.
Die Beklagte habe bloß unsubstanziiert ein Veto des Seniorpartners behauptet, sie habe jedoch nicht konkretisiert, welche gerechtfertigten schwerwiegenden Einwände der Seniorpartner gegen die Person des Klägers erhoben habe. Dieser Einwand eines Vetos des Seniorpartners könne schon deshalb auf sich beruhen, weil die Beklagte die Bewerbung des Klägers aus diskriminierenden Gründen nicht berücksichtigt habe. Dies würde bereits für einen Anspruch nach § 26 Abs 1 Z 2 GlBG genügen.
Die für einen Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr liege vor.
Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil die vom Berufungsgericht entschiedene Rechtsfrage für alle älteren Vertragsärzte in Oberösterreich, die sich um eine Vertragsarztstelle bewerben, von rechtlicher Bedeutung sei.
Die Revision der beklagten Partei ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Die Zulässigkeit des Rechtswegs ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig.
Die Revisionswerberin argumentiert im Wesentlichen aus den schon in erster Instanz und in der Berufungsbeantwortung angegebenen Gründen, die Altersgrenze von 55 Jahren sei im vorliegenden Zusammenhang nicht diskriminierend und verstoße nicht gegen § 17 Abs 1 iVm § 20 Abs 3 und 4 GlBG in richtlinienkonformer Auslegung entsprechend der Richtlinie 2000/78/EG .
Zunächst ist der Revision entgegenzuhalten, dass sie über weite Strecken gegen das Neuerungsverbot verstößt: Dies betrifft die vermissten Feststellungen zur Beurteilung der zeitlichen Anwendbarkeit der EU-Grundrechte-Charta, das durchschnittliche Pensionsalter von Ärzten in Oberösterreich, die im Vorhinein fixierte, von der Ärztekammer vorgegebene Zahlung für den Gesellschaftsanteil, die vorliegend rund 100.000 EUR betragen hätte, die Umstände betreffend die Zahlung einer Ablöse für den Kundenstock bzw die Geräte und Einrichtungen. Irrelevant sind die begehrten Feststellungen zu den bisherigen Bewerbungen des Klägers.
Im Übrigen erachtet der Oberste Gerichtshof die Begründung des Urteils des Berufungsgerichts für zutreffend, die Revisionsausführungen hingegen für nicht stichhaltig, sodass es ausreicht, die Revisionswerberin auf die Richtigkeit der berufungsgerichtlichen Ausführungen zu verweisen (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO).
Ergänzend wird ausgeführt: Die in Rede stehende Klausel der zwischen der Ärztekammer für OÖ und der Beklagten abgeschlossenen Richtlinie ist zu der von der Beklagten ins Treffen geführten Zielerreichung nicht geeignet. Sie geht von der unzulässigen Annahme aus, dass Ärzte ab dem 55. Lebensjahr einem größeren wirtschaftlichen Druck ausgesetzt seien, welcher sich typischerweise in einer qualitativ schlechteren Behandlung auswirke. Dieser Zusammenhang ist durch kein Tatsachensubstrat belegt.
Die schon von den Vorinstanzen zitierte Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom 20. 3. 2001, 1 BvR 491/96, bezieht sich auf die Situation von erstzugelassenen Ärzten und ist daher - wie schon das Berufungsgericht erkannt hat - nicht einschlägig. Bei jüngeren Ärzten (Berufsanfängern) mag der wirtschaftliche Druck noch stärker ausgeprägt sein. Ärzte, die das 55. Lebensjahr bereits vollendet haben, sind typischerweise schon seit vielen Jahren erwerbstätig. Bei ihnen ist in der Regel anzunehmen, dass sie bereits über eine Ordinationsausstattung (Geräte etc) verfügen, die sie entweder mitnehmen oder verwerten können. Ältere Ärzte haben üblicherweise auch Ersparnisse gebildet.
Soweit die Revisionswerberin argumentiert, bei Zulassung älterer Ärzte sei im Hinblick auf die (geringe) verbleibende Zeit bis zum Pensionseintritt die kontinuierliche medizinische Versorgung gefährdet, ist zu entgegnen: Auch bei jüngeren Ärzten ist eine dauerhafte, kontinuierliche Besetzung der angestrebten Positionen nicht garantiert, weil auch diese sich wegbewerben oder in Karenz gehen können.
Das bloße Abstellen auf das Alter stellt somit ein untaugliches Mittel zur obgenannten Zielerreichung dar. Diese Ziele wären etwa durch das Festlegen eines bestimmten Mindestleistungsniveaus oder einer bestimmten Ordinationsausstattung eher zu erreichen. Für einen Schutz vor unrentablen Investitionen sind keine öffentlichen Interessen erkennbar (vgl VfGH G 37/97, G 224-232/97 ua).
Der Anregung, ein Vorabentscheidungsersuchen beim Europäischen Gerichtshof zu stellen, wird nicht beigetreten. Inwieweit eine Höchstaltersgrenze für die Zulassung zu einer Vertragsstelle eines gesetzlichen Sozialversicherungsträgers iSd Art 6 der Richtlinie 2000/78/EG geeignet sein soll, zum Funktionieren des Sozialversicherungssystems beizutragen, vermag die Revision nicht näher zu begründen. Die Verhältnismäßigkeit der von der Beklagten in Anspruch genommenen Maßnahme zur Erreichung des ins Treffen geführten Schutzziels wird in der Revision überhaupt nicht angesprochen. Eine mögliche Rechtfertigung der Höchstaltersgrenze wird von der Beklagten damit nicht schlüssig dargelegt. Derartiges ist bei objektiver Betrachtungsweise aus unionsrechtlichen Grundsätzen auch nicht erkennbar. Die Beklagte kann daher zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts keine begründeten Zweifel aufzeigen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO.
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