OGH 15Os151/10k

OGH15Os151/10k29.6.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Juni 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Dr. Michel‑Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bütler als Schriftführerin in der Medienrechtssache der Antragsteller Romuald S***** und andere gegen die Antragsgegnerin A***** GmbH wegen § 6 Abs 1 MedienG, AZ 115 Hv 15/09g des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag der Antragsgegnerin auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

In der Medienrechtssache der Antragsteller Romuald S*****, Sieta v*****, Roberto C*****, Ernst H*****, Jean‑Louis N*****, Kjartan P***** und Martin Ha***** gegen die Antragsgegnerin A***** GmbH wegen § 6 MedienG wurden die Entschädigungsanträge der Antragsteller in Ansehung eines in der Bauernzeitung vom 30. April 2009 (Nr 18) unter der Überschrift „Der falsche Weg“ veröffentlichten Kommentars des Bauernbunddirektors Ing. Josef B***** mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 10. Dezember 2009, GZ 115 Hv 15/09g‑13, abgewiesen.

Der dagegen erhobenen Berufung der Antragsteller gab das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht mit Urteil vom 12. Mai 2010, AZ 17 Bs 62/10g (ON 21 der Hv‑Akten), Folge. Es hob das angefochtene Urteil auf und erkannte in der Sache selbst, dass durch die in einem Kommentar unter dem Titel „Der falsche Weg“ in der Ausgabe der Bauernzeitung vom 30. April 2009 (Nr 18) veröffentlichten Behauptungen, wonach der European M***** (E*****) sich brutalster Methoden in der Demonstration bediene und E*****‑Funktionäre für sich Seminare im Berliner Hotel A***** (490 Euro pro Doppelzimmer/Nacht) organisieren, während die von ihnen angeblich vertretenen Milchbauern den durch chaotische Vorgangsweise beim Aktionismus entstandenen Schaden selber tragen müssten, der objektive Tatbestand der üblen Nachrede nach § 111 StGB gegenüber den Antragstellern in einem Medium hergestellt worden ist.

Das Berufungsgericht verpflichtete die Antragsgegnerin nach § 6 Abs 1 MedienG, den Antragstellern Romuald S***** und Ernst H***** eine Entschädigung von je 500 Euro, den übrigen Antragstellern eine Entschädigung von je 300 Euro zu zahlen. Zudem verpflichtete es die Antragsgegnerin gemäß § 8a Abs 6 MedienG zur Urteilsveröffentlichung.

Gegen dieses Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht richtet sich, gestützt auf die Behauptung einer Verletzung in den Grundrechten auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 Abs 1 MRK sowie auf ein faires Verfahren nach Art 6 MRK, der Antrag der A***** GmbH auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG; er ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1./ Zur behaupteten Verletzung im Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung (Art 10 Abs 1 MRK):

Dem Vorbringen der Erneuerungswerberin zuwider waren die Antragsteller aktiv legitimiert.

Als Betroffener anspruchsberechtigt nach § 6 MedienG iVm § 111 StGB ist grundsätzlich der einzelne Mensch, also die natürliche Person. Juristische Personen und Kollektive sind demgegenüber nicht aktiv legitimiert. Unter Umständen können aber die Organe einer juristischen Person oder eines sonstigen Kollektivs persönlich betroffen und damit sehr wohl anspruchsberechtigt sein, nämlich dann, wenn sich der Angriff gerade auf ihr Handeln als Organwalter bezieht. Ob dies der Fall ist, ist auf der Tatsachenebene zu klären (vgl Berka in Berka/Höhne/Noll/Polley MedienG² Vor §§ 6 bis 8a Rz 29 ff; Brandstetter/Schmid MedienG² § 6 Rz 29).

Nach den aus dem Wortlaut und dem Kontext des inkriminierten Kommentars abgeleiteten Feststellungen des Berufungsgerichts richtete sich der mediale Vorwurf, für sich selbst Seminare im Berliner (Luxus‑)Hotel A***** organisiert zu haben, während die angeblich von E***** vertretenen Milchbauern den durch die chaotische Vorgangsweise beim Aktionismus entstandenen Schaden selbst tragen mussten, gegen die als solche ausdrücklich bezeichneten Funktionäre des genannten Vereins. Die Antragsteller sind daher als Präsident, Vizepräsident und dem Vorstand des Vereins angehörende Beiräte unmittelbar betroffen.

Der Einwand der Antragsgegnerin, beim E***** handle es sich nicht um eine kleine, überschaubare Gruppe, weil diesem Verein europaweit 80.000 bis 100.000 Mitglieder angehörten, greift daher zu kurz. Er ist insbesondere nicht geeignet, eine mangelhafte Begründung (§ 281 Abs 1 Z 5 StPO) der Tatsachenfeststellungen zur Betroffenheit der Antragsteller oder erhebliche Bedenken (§ 281 Abs 1 Z 5a StPO) gegen diese aufzuzeigen.

Fehl schlägt auch die Kritik der Erneuerungswerberin, aus den Feststellungen zum Bedeutungsinhalt des gegenständlichen Kommentars ergäbe sich nicht der Vorwurf eines unehrenhaften oder eines gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens, das geeignet ist, die Betroffenen in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen (§ 111 Abs 1 StGB).

Nach den Annahmen des Berufungsgerichts wurde dem Leser durch den inkriminierten Artikel ein verschwenderischer Umgang der Funktionäre des E***** mit Vereinsgeldern vermittelt. Diese würden nämlich durch ihre Aktionen nicht den Interessen der von ihnen angeblich vertretenen Bauern dienen, sondern es sich auf Kosten der Vereinsmitglieder gut gehen lassen und unter dem Deckmantel der Vereinstätigkeit den Luxus von Nächtigungen in derart teuren Hotels wie dem Hotel A***** in Berlin für sich in Anspruch nehmen (US 8).

Unehrenhaft iSd § 111 Abs 1 StGB ist ein Verhalten, durch das nach durchschnittlicher Auffassung eines sozial integrierten wertbewussten Menschen die soziale Wertschätzung empfindlich beeinträchtigt wird (RIS‑Justiz RS0093181 [T1]; Foregger in WK2 § 111 Rz 11).

Der wertende Vorwurf, die Vertretung der Interessen von Milchbauern, die auf europäischer Ebene um einen fairen, dh ihr wirtschaftliches Überleben sichernden Milchpreis kämpfen, auf Aktionen zu beschränken, die diesen nur schaden, aber gleichzeitig ausschließlich aus eigennützigen Motiven auf Kosten der Vertretenen luxuriöse Tage zu verbringen (US 10), beschreibt ‑ gerade im Hinblick auf die große öffentliche Sensibilität die zweckwidrige Verwendung gemeinschaftlicher Gelder betreffend - ein solches unehrenhaftes Verhalten.

Richtig ist, dass im Rahmen politischer Auseinandersetzung die Grenzen strafloser Kritik weit gesteckt sind. Gerade bei Diskussionen über Angelegenheiten des öffentlichen Interesses gibt es nur wenig Spielraum für Einschränkungen der Meinungsfreiheit (vgl RIS‑Justiz RS0123666 [T4], RS0075696). Vorliegend ist daher zu beachten, dass die (europäische) Milchmarktpolitik ein gemeinschaftswichtiges Thema ist, die durch den Artikel angegriffenen Funktionäre des E***** freiwillig die Arena der öffentlichen Debatte betreten haben und die Anschuldigungen in einem ‑ Übertreibungen und Provokation gestattenden ‑ „Kommentar“ von einem in einem Konkurrenzverhältnis stehenden Politiker erhoben wurden. Dennoch sind ‑ auch nach der Judikatur des EGMR ‑ die Grenzen strafloser Kritik dann überschritten, wenn ein abfälliges Werturteil ohne hinreichendes Tatsachensubstrat geäußert wird (vgl RIS‑Justiz RS0067173).

Dies ist hier der Fall. Denn nach den Konstatierungen des Berufungsgerichts ist der Antragsgegnerin in Ansehung des Vorwurfs der Einmietung im Hotel A***** zum Zweck der Abhaltung von Seminaren der Wahrheitsbeweis nicht gelungen (US 9, 13: „Niemals haben E*****-Funktionäre im Hotel A*****, in anderen Hotels der K*****-Gruppe oder ähnlich teuren Unterkünften auf Kosten des E***** gewohnt, es kann auch nicht festgestellt werden, dass der E***** jemals ein Seminar oder auch nur eine Pressekonferenz in einem Hotel der K*****-Gruppe abgehalten hätte.“). Der Umstand, dass allenfalls der Bundesverband deutscher Milchviehhalter BDM e.V. zweimal zu einer Pressekonferenz im Hotel K***** in Berlin eingeladen hat, ist nämlich ‑ unbeschadet des Umstands, dass auch das Hotel A***** zur K*****‑Gruppe gehört ‑ zum transportierten Vorwurf nicht kongruent. Im Übrigen vermag die Abhaltung einer Pressekonferenz, die den dort Rede und Antwort Stehenden per se keine in der Nutzung der luxuriösen Örtlichkeit gelegenen persönlichen Vorteile verschafft, den gegenständlichen Vorwurf nicht zu stützen.

Schon dieses somit auf keinen Tatsachen beruhende ehrenrührige Werturteil ist daher geeignet, das Tatbild des § 111 Abs 1 StGB zu erfüllen und damit die Grundlage für einen Entschädigungsanspruch der Antragsteller nach § 6 Abs 1 MedienG zu bilden.

Im Hinblick darauf, dass mehrere in einem Zeitungskommentar enthaltene, in materiellem Zusammenhang stehende auch im Einzelnen tatbestandsmäßige Äußerungen nur eine Tat, iSe einer tatbestandlichen Handlungseinheit bilden (RIS‑Justiz RS0120533 [T2]; vgl Ratz, WK² Vorbem zu §§ 28 bis 31 Rz 23 und 104), erübrigt sich ein Eingehen auf das Vorbringen der Erneuerungswerberin zu der vom Berufungsgericht vorgenommenen Interpretation der ebenfalls inkriminierten Wortfolge „… brutalste Methoden bei der Demonstration …“.

Auch der Einwand, es läge der Ausschlussgrund des § 6 Abs 2 Z 4 MedienG vor, führt nicht zum Erfolg. Nach dieser Bestimmung besteht der Anspruch auf Entschädigung nach § 6 Abs 1 MedienG nicht, wenn es sich um eine wahrheitsgetreue Wiedergabe der Äußerung eines Dritten handelt und ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Kenntnis der zitierten Äußerung bestanden hat. Der Ausschlussgrund verlangt somit die Weiterverbreitung einer Äußerung eines anderen in einem Medium, sohin ein Zitat einer bereits erfolgten Äußerung, wogegen die Deliktsbegehung selbst durch den Ausschlussgrund nicht gerechtfertigt wird (Brandstetter/Schmid MedienG2 § 6 Rz 18).

Das Urteil des Berufungsgerichts spricht jedoch nicht aus, dass es sich beim inkriminierten Artikel um die Wiedergabe einer bereits erfolgten Äußerung des Bauernbunddirektors Ing. Josef B***** handelt, sondern um dessen (originären) Kommentar als Autor, in dem er seine persönliche Meinung zum E***** kundtut (US 9 f). Daher kann der Ausschlussgrund mangels (bloßen) Zitats einer Äußerung gar nicht zur Anwendung gelangen.

Im Übrigen verlangt der Ausschlussgrund, dass die Äußerung zunächst von einem „Dritten“ ausgegangen sein muss, das heißt von einer anderen Person als dem Berichterstatter (vgl Berka in Berka/Höhne/Noll/Polley MedienG2 § 6 Rz 48).

Schließlich versagt auch die Behauptung der Erneuerungswerberin, die gegenständliche Veröffentlichung habe keine Auswirkungen für die Betroffenen gehabt.

Das im § 6 Abs 1 MedienG genannte Kriterium der Auswirkungen der Veröffentlichung ist kein Tatbestandsmerkmal; es wird damit (lediglich) ein für die Bestimmung der Höhe der Entschädigung maßgeblicher Umstand beschrieben. Solcherart determiniert dieses Kriterium bloß das diesbezügliche Ermessen des Gerichts.

Dass das Berufungsgericht im vorliegenden Fall seinen Ermessensspielraum (Entschädigung bis zu 20.000 Euro) zum Nachteil der Antragsgegnerin missbraucht hätte, behauptet die Erneuerungswerberin nicht. Ein solcher Missbrauch ist auch nicht ersichtlich, ging das Berufungsgericht doch ‑ abgestuft ‑ ohnehin von geringen Auswirkungen der Veröffentlichung aus und hat demgemäß ‑ dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechend ‑ auch nur geringe Entschädigungen zugesprochen.

Zusammenfassend war die Einschränkung des Rechts auf Freiheit der Meinungsäußerung zum Schutz des Rechts auf Achtung der Ehre im Sinn des Art 10 Abs 2 MRK gesetzlich, nämlich in § 6 Abs 1 MedienG iVm § 111 Abs 1 StGB vorgesehen und im konkreten Fall auch erforderlich.

2./ Zur behaupteten Verletzung im Grundrecht auf ein faires Verfahren (Art 6 MRK):

Soweit die Erneuerungswerberin bemängelt, das Oberlandesgericht habe ihre Berufung hinsichtlich der dritten inkriminierten Textstelle nicht spruchgemäß erledigt, ist neuerlich festzuhalten, dass mehrere inkriminierte, in einem Zeitungskommentar veröffentliche Äußerungen eine tatbestandliche Handlungseinheit bilden. Die mangelnde Tatbestandsmäßigkeit einer von mehreren Äußerungen führt demnach nicht zu einem (Teil‑)Freispruch bzw zu einem das Entschädigungsbegehren teilweise abweisenden Erkenntnis (RIS‑Justiz RS0120532).

Entgegen dem Vorbringen der Erneuerungswerberin entspricht demzufolge die uneingeschränkte Verpflichtung der Antragsgegnerin zum Ersatz der Kosten des Verfahrens gemäß §§ 389 Abs 1, 390a Abs 1 StPO iVm § 8a Abs 1 MedienG im vorliegenden Fall dem Gesetz.

Der Erneuerungsantrag der Antragsgegnerin war daher ‑ in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ gemäß § 363b Abs 2 Z 3 StPO als offenbar unbegründet zurückzuweisen.

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