OGH 15Os106/10t (15Os49/11m, 15Os50/11h)

OGH15Os106/10t (15Os49/11m, 15Os50/11h)29.6.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Juni 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bütler als Schriftführerin in der Medienrechtssache des Antragstellers Franz W***** gegen die Antragsgegnerin K***** GmbH & Co KG wegen §§ 6 ff MedienG, AZ 17 Hv 39/05v des Landesgerichts Klagenfurt, über die von der Generalprokuratur gegen die Urteile des Landesgerichts Klagenfurt vom 12. August 2009, GZ 17 Hv 39/05v-24, und des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 9. Februar 2010, AZ 10 Bs 1/10p, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes sowie über den Antrag der K***** GmbH & Co KG gemäß § 363a StPO nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wachberger, sowie des Vertreters des Antragstellers Dr. Rami und des Vertreters der Antragsgegnerin Dr. Murko zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Medienrechtsverfahren des Antragstellers Franz W***** gegen die Antragsgegnerin K***** GmbH & Co KG wegen §§ 6 ff MedienG, AZ 17 Hv 39/05v des Landesgerichts Klagenfurt, verletzen § 6 Abs 1 iVm Abs 2 Z 2 lit a MedienG iVm Art 10 Abs 1 MRK

1./ das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 12. August 2009 (ON 24) und

2./ das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 9. Februar 2010, AZ 10 Bs 1/10p (ON 36).

Diese Urteile werden aufgehoben und die Anträge des Franz W***** auf Zuspruch von Entschädigungen nach §§ 6 ff MedienG sowie auf Urteilsveröffentlichung nach § 8a Abs 6 MedienG in Ansehung der zu I./ des Urteils des Landesgerichts Klagenfurt vom 12. August 2009 angeführten Veröffentlichungen in der Tageszeitung „K*****“ vom 10., 11. und 12. Februar 2005 abgewiesen.

Gemäß §§ 390 Abs 1 StPO fallen dem Antragsteller die Kosten des Verfahrens zur Last.

Mit ihrem Erneuerungsantrag wird die Antragsgegnerin auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

In der Medienrechtssache des Antragstellers Franz W***** gegen die Antragsgegnerin K***** GmbH & Co KG wurde Letztere mit Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 12. August 2009, GZ 17 Hv 39/05v-24, zur Zahlung von Entschädigungen nach § 6 Abs 1 MedienG sowie zur Urteilsveröffentlichung verurteilt.

Nach dem Inhalt des Spruchs (I./) wurde durch die Veröffentlichung von Texten in der Tageszeitung „K*****“ in einem Medium in Bezug auf den Antragsteller jeweils der objektive Tatbestand der üblen Nachrede nach § 111 StGB erfüllt, und zwar

a./ in der Ausgabe vom 10. Februar 2005 auf den Seiten 16 und 17 unter der Überschrift „Streit um Klagenfurter Stadion wird zum Kriminalfall“. Schwere Vorwürfe gegen Mitarbeiter des Landes: Er soll Wochenzeitung streng vertrauliche Unterlagen gegeben haben. Die Ermittlungen laufen. Jetzt wird die Sache zum Kriminalfall.

Der Inhalt eines Aktenvermerks scheint dabei besonders brisant zu sein. In diesem steht, dass das Innenministerium wisse, wer einer Kärntner Wochenzeitung streng vertrauliche Unterlagen zugespielt habe. Die Veröffentlichung der Informationen hätte in der Vorwoche fast das Aus für das Stadion bedeutet. Im Zuge einer Ermittlung sei auch ein Telefongespräch von Franz W***** überwacht worden. Dabei habe dieser, er ist Leiter des Konzerthauses Klagenfurt und sitzt für das Land in der Vergabekommission, gesagt, dass er die Unterlagen auf Wunsch von Landeshauptmann Jörg H***** weitergegeben habe;

b./ in der Ausgabe vom 11. Februar 2005 auf den Seiten 20 und 21 unter der Überschrift „EM-Stadion Kommissar Zufall hatte die Lauscher offen“:

Sondergruppe des Innenministeriums erhebt gegen Kärntner Beamte wegen Verdachts auf Amtsmissbrauch. Dabei dürfte sie auch brisante Details zur Fußballarena entdeckt haben.

Im Zuge der Erhebungen hat es auch eine Telefonüberwachung gegeben. Dabei könnte dem BIA (Büro für Interne Angelegenheiten) ein anderer Fisch ins Netz gegangen sein. Einer der Überwachten soll nämlich mit Franz W***** telefoniert haben. W***** ist Leiter des Konzerthauses Klagenfurt und sitzt für das Land Kärnten in der Vergabekommission für das Stadion. In dem Gespräch habe W***** gesagt, dass er vertrauliche Bieterunterlagen im Auftrag von Landeshauptmann Jörg H***** an eine Kärntner Wochenzeitung gegeben habe. Die Veröffentlichung dieser Infos hat fast das Aus für das Stadion bedeutet.

Brisantes Detail: W*****s Partner bei dem abgehörten Telefonat soll ein Kärntner *****-Politiker gewesen sein. Die Ergebnisse dieses möglichen Zufallsfundes können sich sehen lassen: Eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft, Erhebungen wegen Verdachts auf Parteienfinanzierung und Verstöße gegen das Vergabegesetz; und

c./ in der Ausgabe vom 12. Februar 2005 unter der Überschrift „Spitzelaffäre um Klagenfurter EM-Stadion“:

Dabei hat es zumindest eine Telefonüberwachung gegeben.

Im Zuge der Erhebungen hat das BIA jenes Telefonat aufgenommen, in dem Konzerthausleiter und Jurymitglied Franz W***** die Weitergabe von streng vertraulichen Bieterunterlagen im Auftrag H*****s an eine Kärntner Wochenzeitung „gestanden“ haben soll. Gerüchten zufolge soll W*****s Gesprächspartner ausgerechnet Adolf S***** gewesen sein.

Das Ergebnis dieses Zufallsfundes liegt mittlerweile bei der Staatsanwaltschaft Wien.

Das Erstgericht stellte zusammengefasst folgenden Sachverhalt fest:

Zum Bedeutungsinhalt dieser Veröffentlichungen:

Dem Leser wird jeweils der Eindruck vermittelt, Franz W***** stehe aufgrund eines abgehörten Telefongesprächs, im Zuge dessen er zugegeben habe, er habe geheime Unterlagen aus dem Vergabeverfahren betreffend das Klagenfurter Stadion auf Wunsch von Landeshauptmann Dr. Jörg H***** einer Zeitung zugespielt, im dringenden Verdacht strafbarer Handlungen, etwa des Amtsmissbrauchs oder der Verletzung eines Amtsgeheimnisses; Ermittlungen dazu führe das Büro für Interne Angelegenheiten (BIA), welches der Staatsanwaltschaft Wien bereits eine umfangreiche Stellungnahme übermittelt habe.

Die Veröffentlichungen erwecken jedoch nicht den Eindruck, dass der Antragsteller endgültig überführt worden sei bzw sich mit Sicherheit einer strafbaren Handlung schuldig gemacht habe (US 6 bis 15).

Zur Vorgeschichte:

Aus Anlass der Austragung der Fußballeuropameisterschaft 2008 in Österreich und in der Schweiz sollte in Klagenfurt ein neues Fußballstadion errichtet werden. Die Republik Österreich beauftragte das Österreichische Institut für Schul- und Sportstättenbau (ÖISS) mit der Ermittlung des Bestbieters für den Neubau dieser Sportanlage. Dazu wurde eine elfköpfige Vergabekommission eingesetzt, die sich aus Vertretern der Bundesländer Kärnten, Salzburg und Tirol sowie des Bundeskanzleramtes und aus fachkundigen Personen unter dem Vorsitz des Leiters des ÖISS zusammensetzte. Zu prüfen waren die Anbote von sechs Unternehmen, darunter jene der P***** AG und der ST***** AG. Diesem Gremium wurde eine Vorprüfungskommission vorgeschaltet.

Der Antragsteller war Mitglied der Vergabekommission. Er war mit Beschluss der Kärntner Landesregierung als Vertreter des Landes Kärnten in die Vergabekommission entsandt worden.

Der streng vertrauliche Inhalt der Anbote war vorerst nur den Mitgliedern der Vergabekommission und Sektionschef Mag. Pe***** bekannt.

Schon bald kam es zwischen den Mitgliedern der Vergabekommission zu Unstimmigkeiten: Wechselseitig wurde der Vorwurf erhoben, man würde einzelnen Unternehmen aus unsachlichen Gründen den Vorzug geben. Der Antragsteller sah sich mit dem Vorwurf konfrontiert, der ST***** AG um jeden Preis den Zuschlag erteilen zu wollen. Er wiederum behauptete, die Vorprüfungskommission habe das Anbot der P***** AG aus sachlich nicht zu rechtfertigenden Gründen als das Beste dargestellt.

Demzufolge wurde in den Medien das Gerücht verbreitet, das Land Kärnten, insbesondere der damalige Landeshauptmann Dr. Jörg H*****, dem in dieser Sache keine Entscheidungskompetenz zukam, favorisiere eine Zuschlagserteilung an die ST***** AG, um sich für Spenden an seine Partei bzw an den Fußballklub Kärnten, dessen Präsident Dr. Jörg H***** gewesen sei, zu revanchieren.

Ende des Jahres 2004 fand eine Projektpräsentation für die Landeshauptstadt Klagenfurt statt, bei welcher dem Projekt der P***** AG mit der Begründung, es sei das einzig umsetzbare, der Vorzug gegeben wurde. Bei dieser Präsentation waren der damalige Klagenfurter Bürgermeister Sch*****, der Vizebürgermeister Pf*****, sämtliche Kommissionsmitglieder, der damalige Landeshauptmann Dr. Jörg H***** und der Rechtsvertreter des Landes Kärnten Dr. G***** anwesend. Dr. Jörg H***** forderte eine Überprüfung des Vergabeverfahrens, weil seiner Ansicht nach die Entscheidung, der P***** AG den Zuschlag zu erteilen, nach unsachlichen Auswahlkriterien erfolgt wäre. Daraufhin wurden drei verschiedene Stellen mit der Erstattung eines Gutachtens zur Frage der Rechtmäßigkeit des Verfahrens beauftragt. Nach dem Inhalt dieser Gutachten, die den bei der Projektpräsentation Anwesenden übersandt wurden, wies das Vergabeverfahren keine erheblichen Mängel auf.

Am 2. Februar 2005 wurde im periodischen Druckwerk „K*****“ unter der Überschrift: „EM-Stadion: Sechs Projekte im Vergleich“ ein Artikel veröffentlicht, welchem der Inhalt eines der von Bürgermeister Sch***** in Auftrag gegebenen Gutachtens und die aktuelle Preiskalkulation der Anbieter zu entnehmen war.

Diese geheimen Informationen waren nur den mit der Durchführung des Vergabeverfahrens betrauten Personen zugänglich. Es war daher davon auszugehen, dass eine dieser Personen diese Informationen an das Medium weitergeleitet hatte. Sogleich nach Erscheinen dieses Druckwerks verlangte der Antragsteller den Abbruch des Vergabeverfahrens, wodurch die Zuschlagserteilung an die P***** AG verhindert worden wäre. Tatsächlich wurde jedoch von einem Abbruch des Vergabeverfahrens Abstand genommen, weil eine Neuausschreibung den Baubeginn derart verzögert hätte, dass die Fertigstellung des Stadions bis zur Europameisterschaft 2008 nicht gewährleistet gewesen wäre.

Die Mitglieder der Vergabekommission hatten nicht zuletzt deshalb, weil sich der Antragsteller offensichtlich um eine Zuschlagserteilung an die ST***** AG bemüht hatte, den Eindruck, zwischen ihm, dem Antragsteller, und Dr. Jörg H***** bestehe ein Naheverhältnis. Dies führte dazu, dass beide verdächtigt wurden, in die Zuspielung der geheimen Unterlagen an die „K*****“ involviert gewesen zu sein (US 15 bis 18).

Im Zuge der vom Büro für Interne Angelegenheiten (BIA) daraufhin gepflogenen Ermittlungen, in deren Rahmen einige Mitglieder der Vergabekommission vernommen wurden, verdichtete sich der Verdacht der Ermittlungsbeamten gegen den Antragsteller und gegen Dr. Jörg H*****.

Am 3. Februar 2005 ging im BIA ein vertraulicher Hinweis ein, demzufolge der Antragsteller einem Journalisten eines anderen Druckwerks die geheimen Informationen angeboten, dieser sie jedoch abgelehnt hätte.

Am darauffolgenden Tag machten sich zwei Beamte des BIA auf den Weg, um der zuständigen Staatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft Wien eine „Sachverhaltsdarstellung“ wegen des Verdachts nach §§ 168b, 302, 307, 310 ff StGB, von Verstößen gegen das Vergabegesetz und der Parteienfinanzierung zu überbringen. Aus dieser „Anzeige gegen unbekannte Täter“ ging hervor, dass der Antragsteller im Verdacht stehe, geheime Unterlagen, die ihm in seiner Funktion als Mitglied der Vergabekommission zugänglich waren, sowohl mündlich als auch schriftlich nach außen getragen zu haben. Zur Abklärung dieses Tatverdachts regte das BIA eine Überwachung des Telefonanschlusses des Antragstellers an.

Unterwegs traf einer der Beamten des BIA einen Kollegen des Landesgendarmeriekommandos für Niederösterreich. Dieser informierte ihn darüber, dass das Landesgendarmeriekommando für Niederösterreich mit Ermittlungen gegen Kärntner Beamte betraut sei. Diese umfassten auch eine Telefonüberwachung, die möglicherweise Interessantes für die gegenständlichen Ermittlungen des BIA liefern könnte. Konkret sei es möglich, dass im Zuge der Telefonüberwachung ein Gespräch mit dem Antragsteller abgehört worden sei, in welchem dieser die Weitergabe der geheimen Unterlagen zugegeben habe. Das BIA solle sich die Ergebnisse der Telefonüberwachung offiziell kommen lassen.

Bei der Übergabe der „Sachverhaltsdarstellung“ (bzw „Anzeige gegen unbekannte Täter“) berichtete der Beamte des BIA der Staatsanwältin vom Inhalt dieses Gesprächs. Die Staatsanwältin notierte diese Information handschriftlich, wobei sie darauf hinwies, dass es sich dabei um eine noch nicht verifizierte Vermutung handle. Danach soll der Antragsteller in einem vom Landesgendarmeriekommando für Niederösterreich abgehörten Telefongespräch zugestanden haben, der Zeitung „K*****“ die vertraulichen Bieterunterlagen aus dem Vergabeverfahren zugespielt zu haben. Die Staatsanwältin hielt weiters fest, das BIA um genauere Erhebungen zu diesem Telefonat und um einen Bericht darüber ersucht zu haben (US 18 bis 20).

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Wien vom 14. März 2005 wurden zu 241 Ur 31/05k des Landesgerichts für Strafsachen Wien gegen den Antragsteller Vorerhebungen wegen des Verdachts der Verletzung des Amtsgeheimnisses nach § 310 StGB geführt; schließlich wurde die Anzeige am 18. April 2006 aber gemäß § 90 Abs 1 StPO aF zurückgelegt.

Tatsächlich ist zu keinem Zeitpunkt ein Telefongespräch abgehört bzw aufgezeichnet worden, im Zuge dessen der Antragsteller zugegeben hätte, vertrauliche Unterlagen aus dem Vergabeverfahren an ein Medium weitergegeben zu haben. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Antragsteller ein solches Telefongespräch tatsächlich geführt oder eigenmächtig oder im Auftrag von Dr. Jörg H***** den Medien geheime Unterlagen aus dem Vergabeverfahren zugespielt hat. Zum Zeitpunkt der gegenständlichen Veröffentlichungen hat auch kein dringender Verdacht in diese Richtung bestanden (US 20 f).

Der spätere Verfasser der inkriminierten Artikel entnahm einem am 9. Februar 2005 in den „O*****“ veröffentlichten Bericht, dass in einem in einer an die Staatsanwaltschaft Wien vom Innenministerium erstatteten Anzeige enthaltenen Aktenvermerk zu lesen sei, der Antragsteller habe in einem abgehörten Telefonat gesagt, er hätte vertrauliche Ausschreibungsunterlagen der Wochenzeitung „K*****“ auf Verlangen von Landeshauptmann Dr. Jörg H***** preisgegeben. Über telefonische Anfrage teilte der Redakteur der „O*****“ seinem Berufskollegen von der „K*****“ mit, vom Inhalt des Bezug habenden Aktenvermerks durch einen Informanten, dessen Namen er nicht preisgeben wolle, Kenntnis erlangt zu haben. Aufgrund dessen kontaktierte der spätere Verfasser der gegenständlichen Artikel am selben Tag auch den Leiter des BIA, der keine weiteren Details schilderte, sondern lediglich die Tatsache der Übermittlung der Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft Wien bestätigte. Von diesem Mitarbeiter der Antragsgegnerin mit der Angelegenheit konfrontiert, wiesen der Antragsteller und der Pressesprecher von Dr. Jörg H***** die Anschuldigungen vehement zurück; sie betonten ausdrücklich, nichts mit der Sache zu tun zu haben (US 21 f).

In rechtlicher Hinsicht sah der Erstrichter den objektiven Tatbestand des § 111 StGB - unter Verweis auf Oberlandesgericht Wien MR 1998, 232 (richtig: 323) - als erfüllt an, weil es sich bei den inkriminierten Zeitungsartikeln nicht um eine wertfreie und distanzierte Veröffentlichung bzw Wiedergabe einer tatsächlich bestehenden Verdachtslage handle. Vielmehr seien Belastungsmomente hinzugefügt und Entlastungsmomente vertuscht worden. Solcherart sei ein sehr vager, noch nicht überprüfter Verdacht als schwerwiegend dargestellt worden.

Das Vorliegen der Ausschlussgründe nach § 6 Abs 2 Z 2 lit a und b MedienG verneinte das Erstgericht (US 26 bis 32).

Den gegen dieses Urteil erhobenen Berufungen des Antragstellers und der Antragsgegnerin gab das Oberlandesgericht Graz mit Urteil vom 9. Februar 2010, AZ 10 Bs 1/10p (ON 36), nicht Folge.

Wie die Generalprokuratur in ihrer aus Anlass eines Antrags der Antragsgegnerin auf Erneuerung des Strafverfahrens zulässiger Weise erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, stehen die Urteile des Landesgerichts Klagenfurt und des Oberlandesgerichts Graz mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Rechtliche Beurteilung

Vorauszuschicken ist, dass eine vom Antragsteller in seiner Stellungnahme gemäß § 24 StPO behauptete Befangenheit des Generalprokurators weder vom Obersten Gerichtshof zu beurteilen ist (Lässig, WK-StPO § 47 Rz 9), noch dessen Sachentscheidung in der Sache tangieren würde. Im Übrigen legt der Antragsteller nicht dar, warum eine in einem anderen - wenngleich inhaltlich mit dem gegenständlichen verknüpften - Verfahren erfolgte Zeugenvernehmung über dienstliche Wahrnehmungen per se geeignet sei, die Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit des Betroffenen in Zweifel zu ziehen (vgl Lässig, WK-StPO § 43 Rz 8, 12), und vernachlässigt mit dem Rekurs auf Art 6 Abs 1 MRK, dass die Generalprokuratur kein Gericht im Sinne dieser Norm ist (vgl Grabenwarter, EMRK4 § 24 Rz 28 f).

Wird in einem Medium der objektive Tatbestand der üblen Nachrede, der Beschimpfung, der Verspottung oder der Verleumdung hergestellt, so hat der Betroffene nach § 6 Abs 1 MedienG gegen den Medieninhaber Anspruch auf eine Entschädigung für die erlittene Kränkung.

Den Tatbestand der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 StGB verwirklicht, wer einen anderen in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise einer verächtlichen Eigenschaft oder Gesinnung zeiht oder eines unehrenhaften Verhaltens oder eines gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens beschuldigt, das geeignet ist, ihn in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen.

Nach § 6 Abs 2 Z 2 MedienG besteht der Anspruch nach Abs 1 leg cit im Fall einer üblen Nachrede nicht, wenn die Veröffentlichung wahr ist (lit a) oder ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung bestanden hat und auch bei Aufwendung der gebotenen journalistischen Sorgfalt hinreichende Gründe vorgelegen sind, die Behauptung für wahr zu halten (lit b).

Unehrenhaft im Sinn des § 111 Abs 1 StGB ist ein Verhalten, durch das nach durchschnittlicher Auffassung eines sozial integrierten wertbewussten Menschen die soziale Wertschätzung empfindlich beeinträchtigt wird. Als Prototyp eines in diesem Sinn unehrenhaften Verhaltens gilt die Begehung einer mit gerichtlicher Strafe bedrohten Vorsatztat (Kienapfel/Schroll BT I5 § 111 Rz 20).

Tatbestandsmäßig ist aber nicht nur der Vorwurf der Begehung einer eine gerichtlich strafbare Handlung verwirklichenden Tat, sondern schon die Äußerung eines dementsprechenden Tatverdachts, mithin die Behauptung, es gäbe Anhaltspunkte dafür, dass der Betreffende eine solche Tat begangen habe.

Die Äußerung eines (bloßen) Tatverdachts, die in aller Regel die Annahme impliziert, die Tatbegehung sei dem Betreffenden jedenfalls zuzutrauen, ist nämlich die abgeschwächte Form des Tatvorwurfs selbst. Auch ein solcherart abgeschwächter Tatvorwurf ist aber geeignet, die allgemeine Wertschätzung, die ein Mensch erfährt, erheblich herabzusetzen.

Bedeutsam wird der Unterschied zwischen dem unbedingten Vorwurf der Begehung einer Straftat und der Äußerung eines bloßen Tatverdachts beim Gegenstand des Wahrheitsbeweises, der zu der aufgestellten Behauptung kongruent sein muss. Demnach ist der Wahrheitsbeweis für die Äußerung, jemand habe eine Straftat begangen, dann als erbracht anzusehen, wenn die Tatbegehung als solche unter Beweis gestellt wurde. Wurde jedoch geäußert, jemand sei der Begehung einer Straftat (nur) verdächtig, so sind für das Gelingen des Wahrheitsbeweises Umstände nachzuweisen, die eine derartige Schlussfolgerung zulassen (vgl zum Ganzen Zöchbauer, Zum Bericht über eine real bestehende Verdachtslage, MR 2010, 65 ff; ders, Verdachtsberichterstattung, MR 2011, 116 ff; Reischauer in Rummel ABGB3 § 1330 Rz 7 f; Foregger in WK2 Vorbem zu §§ 111-117, Rz 36; siehe auch 15 Os 130/10x; im Ergebnis ebenso MR 1998, 323; MR 2005, 172; aM 14 Os 61/97, 13 Os 155/07d).

Der Wahrheitsbeweis gilt dann als erbracht, wenn sich die Behauptung in ihrem wesentlichen Inhalt, also im Kern als richtig erweist (RIS-Justiz RS0079693, RS0115694). Dem Wahrheitsbeweis zugänglich sind nur Tatsachenbehauptungen, nicht aber Werturteile (RIS-Justiz RS0075706; Berka in Berka/Höhne/Noll/Polley MedienG² § 6 Rz 28 mwN, 29).

Die Beurteilung eines Tatverdachts ist das Ergebnis der Bewertung von Beweisergebnissen bzw Anhaltspunkten für das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Be- bzw Entlastungsbeweisen und erfolgt solcherart durch Werturteil. In Ansehung der Äußerung eines Tatverdachts sind demnach (nur) die Tatsachenbehauptungen, auf welchen dieser Verdacht fußt, dem Wahrheitsbeweis zugänglich. Dabei ist auf die Beweislage zum Zeitpunkt der Verdachtsäußerung abzustellen.

Nach Art 10 Abs 1 MRK hat jedermann Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen ein. Unter dem Aspekt dieses Grundrechts, das unmittelbar auf die Auslegung des § 111 StGB ausstrahlt (vgl SSt 61/138), ist nach der Judikatur des EGMR die Grenze, bis zu der auch ehrenrührige Äußerungen und Behauptungen als zulässig anzusehen sind, erst beim Wertungsexzess, beim abfälligen Werturteil ohne hinreichendes Tatsachensubstrat und bei der formalen Ehrenbeleidigung überschritten. Dabei unterscheidet der EGMR strikt zwischen der dem Wahrheitsprinzip verpflichteten Informationsfreiheit auf der einen und der weitreichenden Meinungs- und Kritikfreiheit auf der anderen Seite (Kienapfel/Schroll BT I5 Vorbem § 111 Rz 19).

Grundsätzlich gilt, dass Politiker erhöhter Kritik unterworfen sind; soweit sie in öffentlicher Funktion handeln, sind die Grenzen zulässiger Kritik wesentlich weiter gesteckt als bei Privatpersonen (RIS-Justiz RS0115541). Demzufolge genügt im Rahmen politischer Auseinandersetzung bereits ein „dünnes Tatsachensubstrat“ für die Zulässigkeit einer Wertung (Berka in Berka/Höhne/Noll/Polley MedienG² Vor §§ 28 bis 42 Rz 22).

Im Ergebnis gilt dies auch für Personen, die im öffentlichen Leben stehen (vgl Berka, „Public Figures“ and „Public Interest“ - Die ehrenschutzrechtliche Abwägungsentscheidung im Lichte der jüngeren Judikatur zu Art 10 EMRK, in Akyürek et al, Staat und Recht in europäischer Perspektive - FS Heinz Schäffer [2006] 91 (93 ff); Berka, Aktuelle Probleme des Persönlichkeitsschutzes im Medienbereich, JRP 1996, 232 [242]; Grabenwarter, EMRK4 § 23 Rz 27; EGMR 29. August 1997, Worm gegen Österreich, Nr 22714/93, NL 1997, 221).

Wird demnach in einem Medium über den gegen eine im öffentlichen Leben stehende Person bestehenden Verdacht einer strafbaren Handlung berichtet, die diese in Verbindung mit ihrer Funktion begangen haben soll, so sind an das der Bewertung des Tatverdachts zu Grunde liegende Tatsachensubstrat keine allzu hohen Anforderungen zu stellen.

Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass sich der in einem lokalen Massenmedium, nämlich der „K*****“, geäußerte Verdacht der Verletzung des Amtsgeheimnisses gegen eine Person richtete, die als Mitglied der für ein staatlich finanziertes Großprojekt eingesetzten Vergabekommission erhöhter Aufmerksamkeit und Kritik unterworfen war. Die Äußerung dieses Tatverdachts beruhte auf einer Information über eine bei der Staatsanwaltschaft Wien eingelangte „Sachverhaltsdarstellung“ einer besonderen Ermittlungsbehörde (BIA) im Zusammenhalt mit dem dieser Behörde von der zuständigen Staatsanwältin erteilten weiteren Ermittlungsauftrag betreffend ein in einem anderen Zusammenhang bereits behördlich abgehörtes Telefonat, im Zuge dessen sich der Antragsteller selbst belastet haben soll. Die den geäußerten Tatverdacht im Sinn eines Werturteils stützende Sachverhaltsgrundlage erwies sich demnach im Kern als wahr.

Dass das medial transportierte Bestehen des Tatverdachts auf jenem angeblichen Beweismittel beruhte, hinsichtlich dessen Existenz ein mit den Ermittlungen nicht unmittelbar befasster Polizeibeamter bloß eine letztlich nicht bestätigte Vermutung geäußert hat, schadet nicht. Denn angesichts des berechtigten großen öffentlichen Interesses an den Modalitäten der gegenständlichen Vergabe des aus öffentlichen Mitteln zu finanzierenden Großauftrags ist die inkriminierte Berichterstattung im Licht der Informationsfreiheit schon deshalb als zulässig zu beurteilen, weil die Staatsanwaltschaft einen Ermittlungsauftrag zu diesem Beweismittel erteilt (US 20), den Hinweis des Polizeibeamten also für überprüfungsbedürftig eingestuft hatte.

Die Berichterstattung über die damals tatsächlich gegebene Verdachtslage gegen den Antragsteller stellt demnach - dem Vorbringen des Antragstellers in seiner Stellungnahme gemäß § 24 StPO zuwider - weder einen Wertungsexzess noch ein Werturteil ohne hinreichendes Tatsachensubstrat dar. Der Ausschlussgrund des § 6 Abs 2 Z 2 lit a MedienG kommt daher zum Tragen.

Die erwähnten Urteile des Landesgerichts Klagenfurt und des Oberlandesgerichts Graz gereichen der Antragsgegnerin, der in diesem Verfahren nach dem Mediengesetz gemäß § 41 Abs 6 zweiter Satz MedienG die Rechte der Angeklagten zukommen, zum Nachteil. Der Oberste Gerichtshof sah sich daher veranlasst, diese Urteile aufzuheben und wie im Spruch ersichtlich in der Sache selbst zu erkennen, zumal einer solchen Vorgangsweise angesichts des - entgegen der Stellungnahme des Antragstellers - fristgerecht (Art 35 MRK; Grabenwarter, EMRK4 § 13 Rz 35) gestellten Erneuerungsantrags der Antragsgegnerin Art 1 des 1. ZPMRK nicht entgegensteht (RIS-Justiz RS0124740, RS0124838, RS0124798). Dass die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes erst außerhalb der Sechsmonatsfrist des Art 35 Abs 1 MRK erhoben wurde, ist in diesem Zusammenhang ohne Belang (RIS-Justiz RS0124838).

Mit ihrem Erneuerungsantrag war die Antragsgegnerin auf diese Entscheidung zu verweisen.

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