OGH 10Ob42/11s

OGH10Ob42/11s31.5.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Kupferschmid Kuntner, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei R*****, vertreten durch Dr. Nicoletta Wabitsch, Rechtsanwältin in Graz, wegen Räumung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 17. Februar 2011, GZ 5 R 162/10y-40, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 30. September 2010, GZ 20 Cg 93/09z-34, in der Hauptsache bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Kläger ist schuldig, dem Beklagten die mit 1.187,28 EUR (darin enthalten 197,88 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Kläger ist zu 75/740 und 190/740-Anteilen Mit- und Wohnungseigentümer der Liegenschaft EZ ***** Grundbuch *****. Mit diesen Anteilen ist untrennbar das Wohnungseigentum an der Wohnung Top 3 (W 3) und der Wohnung Top 4 (W 4) im Haus K***** in G***** verbunden. Der Beklagte ist Hauptmieter der von ihm bewohnten Wohnung W 3 und Fruchtnießer des Objekts W 4.

Mit Übergabsvertrag vom 29. 11. 2005 wurde die gegenständliche Liegenschaft dem Bruder des Beklagten übergeben. Der Übergabsvertrag sieht vor, dass dem Beklagten auf dessen ausdrücklichen Wunsch nach dem Tod der Übergeberin das lebenslängliche und unentgeltliche Fruchtgenussrecht an den sich im zweiten Stock des Hauses K***** in G***** befindlichen Räumlichkeiten einzuräumen ist. Im Fall der Ausübung dieses Fruchtgenussrechts hat der Beklagte die Strom-, Heizungs- und Betriebskosten aus Eigenem zu tragen.

In der Folge räumte der Bruder des Beklagten diesem das Fruchtgenussrecht entsprechend dem erwähnten Übergabsvertrag ein. Später veräußerte der Bruder des Beklagten die gegenständliche Liegenschaft und es wurde an sämtlichen Objekten des Hauses K***** Wohnungseigentum begründet. Im Zuge dessen erwarb der Kläger unter anderem Wohnungseigentum an den Wohnungen W 3 und W 4, wobei im bezughabenden Kaufvertrag das lebenslängliche und unentgeltliche Fruchtgenussrecht des Beklagten an dem im Dachgeschoss gelegenen Objekt W 4 festgehalten wurde.

In einem Vorprozess vor dem Bezirksgericht Graz-West begehrte der Kläger vom Beklagten die Zahlung von Betriebskosten für das Objekt W 4 (Dachgeschoss) für den Zeitraum Oktober 2007 bis einschließlich April 2008. Der Beklagte wandte in diesem Verfahren ein, dass es sich bei dem Objekt W 4 um ein nicht ausgebautes Dachgeschoss handle, das nicht brauchbar sei, und er deshalb nicht für die Betriebskosten aufzukommen habe. Das Bezirksgericht Graz-West gab mit Urteil vom 23. 10. 2008, GZ 6 C 616/08f-19, dem Klagebegehren im Gesamtbetrag von 1.615,86 EUR samt Nebengebühren mit der Begründung statt, dass sich die Wortfolge „im Falle der Ausübung ...“ im Übergabsvertrag vom 29. 11. 2005 bei Auslegung nach § 914 ABGB nur auf den Fall der Äußerung des Wunsches auf Ausübung des Fruchtgenussrechts durch den Beklagten beziehen könne. Es komme für die Zahlungsverpflichtung des Beklagten daher nicht darauf an, ob er in der Folge in den Räumlichkeiten wohne oder diese finanziell nutzen könne. Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz gab der Berufung des Beklagten nicht Folge. Das Urteil des Berufungsgerichts wurde dem Vertreter des Beklagten am 30. 1. 2009 zugestellt.

Mit rechtskräftigem Versäumungsurteil des Bezirksgerichts Graz-West vom 4. 2. 2009, AZ 3 C 1197/08z, wurde der Beklagte auch zur Zahlung der Betriebskosten-Akonti in Höhe von 1.256,78 EUR für die Monate Juli 2008 bis einschließlich Jänner 2009 an den Kläger verpflichtet.

Nach Zustellung des Berufungsurteils am 30. 1. 2009 begann der Beklagte, der nach seinen Angaben im Vermögensbekenntnis nur über ein Pensionseinkommen von 729 EUR monatlich verfügte, Teilzahlungen an den Kläger zu leisten. Zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz im gegenständlichen Verfahren am 7. 6. 2010 hatte der Beklagte sämtliche ihm für das Objekt W 4 vorgeschriebenen Betriebskosten bezahlt.

Mit Schreiben vom 16. 2. 2009 erklärte der Kläger gegenüber dem Beklagten die Auflösung des Dauerrechtsverhältnisses des Fruchtgenussrechts.

Mit der vorliegenden Klage begehrte der Kläger, den Beklagten schuldig zu erkennen, das im zweiten Stock des Hauses K***** in G***** liegende Dachgeschoss zu räumen und geräumt zu übergeben.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach seinen Rechtsausführungen könne eine Auflösung eines Dauerschuldverhältnisses, wie des gegenständlichen Fruchtgenussrechts, wegen der stärkeren dinglichen Bindung nur „äußerstes Notventil“ sein und es müssten die für die Auflösung in Betracht kommenden Gründe ein noch größeres Gewicht haben als jene, die für die Auflösung sonstiger Dauerrechtsverhältnisse genügten. Ein zum Zeitpunkt des Zugangs der Auflösungserklärung bestehender, langfristiger Rückstand mit der Bezahlung von Betriebskosten könne zwar zur Aufhebung des Fruchtgenussrechts berechtigen. Bei Zugang der Auflösungserklärung des Klägers am 16. 2. 2009 habe auch tatsächlich ein sich über einen Zeitraum von 17 Monaten entstandener Rückstand des Beklagten an Betriebskosten ergeben. In analoger Anwendung der Bestimmung des § 33 Abs 2 und 3 MRG sei aber beim Beklagten von keinem groben Verschulden an diesem Zahlungsrückstand auszugehen, da ihm gegenüber erst mit der Zustellung der Entscheidung des Berufungsgerichts klargestellt worden sei, dass die von ihm vertretene Rechtsansicht, er habe keine Betriebskosten zu bezahlen, weil er das Fruchtgenussobjekt nicht nutze, nicht zutreffend gewesen sei. Das Fehlen groben Verschuldens und die Bezahlung der geschuldeten Beträge bewirke die nachträgliche Unwirksamkeit der Auflösungserklärung.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge. Nach seinen Rechtsausführungen seien die Betriebskostenrückstände und die Zahlungsverzögerungen nach den gesamten Umständen des Falls keinesfalls von derart gravierendem Gewicht, dass sie dem Kläger die Fortsetzung des Dauerschuldverhältnisses als unzumutbar erscheinen ließen und somit seine Auflösung rechtfertigen könnten. Entscheidend sei, dass sich der Verfahrenshilfe genießende und nur über ein geringes Vermögen verfügende Beklagte nach Zustellung der Entscheidung des Berufungsgerichts bemüht habe, den Rückstand abzudecken und ihn auch während des Verfahrens abgedeckt habe. Dass der Beklagte die Prozesskosten und Nebengebühren aus dem Vorprozess nicht bezahlt habe, schade nicht, müssten doch bei Auflösung eines dinglichen Wohnrechts (eines Fruchtgenussrechts) die für die Auflösung in Betracht kommenden Gründe noch ein größeres Gewicht haben als allgemein für die Auflösung von Dauerschuldverhältnissen. Der Vorwurf eines groben Verschuldens, dass der Beklagte nämlich die Interessen seines Vertragspartners aus Rechthaberei, Willkür, Leichtsinn oder Streitsucht verletzt hätte, treffe nicht zu, da der Beklagte in den Vorverfahren seine Zahlungspflicht in rechtlich durchaus vertretbarer Weise bestritten und auch sein in weiterer Folge vertretener Prozessstandpunkt, dass keine ordnungsgemäße bzw richtige Abrechnung der Betriebskosten durch den Kläger erfolgt sei, nicht von vornherein als nicht stichhältig zu bewerten sei. Der Beklagte habe auch ein ausreichendes Prozessvorbringen für das Fehlen eines groben Verschuldens erstattet.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei. Über Antrag des Klägers änderte es seinen Ausspruch dahin ab, dass es die ordentliche Revision doch für zulässig erklärte. Der Kläger könne in seiner Zulassungsbeschwerde zwar keine gravierende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts aufzeigen, es liege aber zur Frage der analogen Anwendung des § 33 Abs 2 MRG im Fall der Auflösung eines Fruchtgenussrechts infolge Zahlungsrückstands keine gefestigte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vor.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen bzw ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nach § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruchs des Berufungsgerichts nicht zulässig.

1. Wie schon die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt haben, können Dauerschuldverhältnisse grundsätzlich aus wichtigen Gründen vorzeitig aufgelöst werden. Als wichtige Gründe kommen insbesondere Vertragsverletzungen, der Verlust des Vertrauens in die Person des Schuldners oder schwerwiegende Änderungen der Verhältnisse in Betracht, welche die Fortsetzung der vertraglichen Bindung nicht zumutbar erscheinen lassen. Diese Grundsätze gelten nach herrschender Lehre und ständiger Rechtsprechung auch für sonstige Dauerrechtsverhältnisse wie Dienstbarkeiten und ähnliche Gebrauchsrechte. Ihre Auflösung kann aber wegen der stärkeren dinglichen Bindung nur „äußerstes Notventil“ sein; die für die Auflösung in Betracht kommenden Gründe müssen ein noch größeres Gewicht haben als jene, die für die Auflösung von Dauerschuldverhältnissen genügen (Hofmann in Rummel, ABGB3 § 524 Rz 2; Memmer in Kletecka/Schauer, ABGB-ON § 520 Rz 9 und § 524 Rz 6; Koch in KBB3 § 524 Rz 4 jeweils mwN; RIS-Justiz RS0018813, RS0011*****, RS0011875 ua). So können etwa auch wiederholte Zahlungsrückstände des Fruchtgenussberechtigten einer Eigentumswohnung einen besonders wichtigen Grund bilden, der den Eigentümer berechtigt, selbst das Dauerrechtsverhältnis des Fruchtgenusses vorzeitig aufzulösen (vgl 9 Ob 16/08f, 9 Ob 233/01g mwN). Ob die für die Auflösung in Betracht kommenden Gründe ein so großes Gewicht haben, dass nur mehr die Auflösung als „äußerstes Notventil“ bleibt, hängt stets von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab, die in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO begründen. Es hat dabei eine Abwägung zwischen den Interessen des Wohnberechtigten und des Eigentümers stattzufinden, die aber wegen ihrer Abhängigkeit von den Umständen des konkreten Einzelfalls einer Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof in der Regel nicht zugänglich ist, es sei denn, es läge ein Fall einer unvertretbaren Beurteilung durch das Berufungsgericht vor (vgl 9 Ob 233/01g).

1.1 Im vorliegenden Fall lag zwar zum maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der Auflösungserklärung des Klägers vom 16. 2. 2009 (vgl 9 Ob 16/08f mwN) ein erheblicher Zahlungsrückstand des Beklagten vor, da er zu diesem Zeitpunkt die Betriebskosten für den Zeitraum von Oktober 2007 bis einschließlich Jänner 2009 (16 Monate) noch nicht bezahlt hatte. Es hat aber bereits das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass erst mit der Zustellung des Berufungsurteils am 30. 1. 2009 für den Beklagten die Gewissheit bestand, dass er entgegen seines - durchaus vertretbaren - Prozessstandpunkts zur Zahlung der Betriebskosten verpflichtet ist. Der Verfahrenshilfe genießende und nur über ein geringes Pensionseinkommen verfügende Beklagte bemühte sich nach den Feststellungen der Vorinstanzen nach Zustellung des Berufungsurteils, den Rückstand abzudecken, was ihm auch nach ca fünf Monaten noch während des in erster Instanz anhängigen Verfahrens gelang. Wenn das Berufungsgericht bei dieser Sachlage zu dem Ergebnis gelangte, der Umstand, dass der Beklagte innerhalb der 14-tägigen Leistungsfrist den Betriebskostenrückstand sowie die Prozesskosten und Nebengebühren aus dem Vorprozess nicht zur Gänze begleichen konnte, sei keinesfalls von derart gravierendem Gewicht, dass dem Kläger die Fortsetzung des Dauerrechtsverhältnisses unzumutbar wäre, kann darin jedenfalls keine vom Obersten Gerichtshof im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung erblickt werden. Entscheidend ist, dass sich der Beklagte sofort nach Vorliegen der rechtskräftigen Entscheidung des Berufungsgerichts bemühte, den Rückstand abzudecken und ihn auch während des Verfahrens berichtigte (vgl 5 Ob 220/09b).

2. Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Sondernorm des § 33 Abs 2 MRG nur für Bestandobjekte gilt, die dem MRG unterliegen (7 Ob 2424/96p, MietSlg 42.360, MietSlg 35.582/7). Er hat aber auch in mehreren Entscheidungen (vgl 4 Ob 532/91 = Wobl 1992/41, 52 [Würth/Call]; 9 Ob 16/08f; 5 Ob 220/09b) zur Beurteilung der Frage, ob wichtige Gründe für die Auflösung eines dinglichen Rechts (Wohnrecht, Fruchtgenussrecht) vorliegen, im Wege der Rechtsanalogie auch Rechtsgrundsätze, die dem § 33 Abs 2 und 3 MRG zugrundeliegen, herangezogen. In diesen zitierten Entscheidungen wurde aber immer betont, dass die für die Auflösung eines dinglichen Rechts in Betracht kommenden Gründe ein noch größeres Gewicht haben müssen, als allgemein für die Auflösung von Dauerschuldverhältnissen gefordert wird.

2.1 Auch aus dieser Rechtsprechung lässt sich für den Prozessstandpunkt des Klägers im vorliegenden Fall im Ergebnis nichts gewinnen, weil der Beklagte die rückständigen Betriebskosten während des Verfahrens gezahlt hat und ihn nach der vertretbaren Beurteilung durch das Berufungsgericht am Zahlungsrückstand kein grobes Verschulden trifft. Die Frage, ob den Beklagten am Zahlungsrückstand ein grobes Verschulden trifft, ist ebenso wie die Frage, ob dazu von ihm ein ausreichendes Prozessvorbringen erstattet wurde, jeweils von den Umständen des Einzelfalls abhängig, sodass sich auch insoweit eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht stellt (RIS-Justiz RS0042773; 10 Ob 47/04s ua).

3. Da im vorliegenden Rechtsfall somit insgesamt keine Rechtsfrage zu beantworten war, der über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukäme, ist die Revision des Klägers ungeachtet des nachträglichen Zulassungsausspruchs des Berufungsgerichts als unzulässig zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels seines Prozessgegners hingewiesen, der ihm daher die Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen hat.

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