OGH 15Os162/10b

OGH15Os162/10b25.5.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. Mai 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bütler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Zubair G***** und Tahir H***** M***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Zubair G***** sowie die Berufung des Tahir H***** M***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Geschworenengericht vom 10. Juni 2010, GZ 11 Hv 56/10m-243, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten G***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil, das auch einen Schuldspruch des Tahir H***** M***** enthält, wurde Zubair G***** des Verbrechens des Mordes als Bestimmungstäter nach §§ 12 zweiter Fall, 75 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt Anfang März 2009 in Wien Tahir H***** M***** dazu bestimmt, am 19. März 2009 in E***** Josefa G***** vorsätzlich zu töten, wobei dieser ihr mit der Rückseite einer Axt zwei wuchtige Schläge gegen den Kopf und in der Folge, nachdem sie zu Boden gestürzt war, mit der Axtklinge zwei wuchtige Hiebe gegen die Halsvorderseite versetzte, indem er ihn aufforderte, Josefa G***** zu töten.

Die Geschworenen hatten die anklagekonform nach dem Verbrechen des Mordes als Bestimmungstäter gestellte Hauptfrage bejaht.

Der Angeklagte G***** bekämpft diesen Schuldspruch mit einer auf Z 5 und 10a des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Diese verfehlt ihr Ziel.

Rechtliche Beurteilung

Der Verfahrensrüge (Z 5) zuwider durfte der Schwurgerichtshof den in der Hauptverhandlung am 7. Juni 2010 gestellten und am 9. Juni 2010 wiederholten Antrag auf Vernehmung der Zeugin Riffat G***** zum Beweis dafür, „dass sie den Zeitangeklagten zur gegenständlichen Tat bestimmt hat und nicht der Erstangeklagte“ (S 6 f in ON 239, S 96 in ON 241) ohne Verletzung von Verteidigungsrechten abweisen (S 97 in ON 241).

Das Begehren bezog sich zwar erkennbar auf das in der Hauptverhandlung verlesene (S 11 in ON 242) Schreiben des Kriminalbeamten Anton K***** an den zuständigen Staatsanwalt, in dem dieser den wesentlichen Inhalt zweier mit der in Pakistan aufhältigen Riffat G***** geführten Telefonate festhielt, im Zuge derer sie vorerst ohne jegliche Begründung deponierte, dass Zubair G*****, ihr Ex-Gatte, unschuldig sei und die wahren Täter H***** und sie selbst seien, und in der Folge behauptete, ihr Ex-Gatte wäre unschuldig, sie hätte noch während ihres Aufenthalts in Österreich öfters mit H***** über die Ermordung der Frau G***** gesprochen ... Der Grund, warum sie mit dem Gedanken, G***** zu ermorden, gespielt habe, sei der gewesen, dass sie alle landwirtschaftlichen Arbeiten ausführen hätte müssen. Ihr Ex-Gatte hätte öfters gesagt, wenn sie dies nicht mache, würde er sich eine andere Frau suchen (ON 232).

Auch unter Berücksichtigung dieser offensichtlichen Bezugnahme legte der Antrag jedoch nicht dar, weshalb die begehrte Beweisaufnahme trotz der in der Hauptverhandlung gewählten Verantwortung des Zweitangeklagten Tahir H***** M*****, Riffat G***** habe ihn durch verschiedenste Erzählungen gegen das spätere Mordopfer aufgebracht und insoweit beeinflusst, ihn jedoch nicht zur Begehung der Bluttat aufgefordert (vgl insbesondere S 24 ff in ON 239, S 92 ff in ON 241), das Ergebnis erwarten lasse, Zubair G***** selbst habe - ungeachtet einer allfälligen Involvierung auch der Riffat G***** - nicht in strafrechtlich relevanter Weise bestimmend auf seinen Bruder Einfluss genommen, die Zeugin mit ihrer Aussage also nicht nur sich selbst belasten, sondern gleichzeitig auch den Erstangeklagten entlasten könne. Denn die aus dem Schreiben des Zeugen K***** (ON 232) ableitbaren bisherigen Angaben der Zeugin erfolgten lediglich zu solchen Umständen, die ihre angeblichen eigenen Gespräche mit dem Zweitangeklagten und ihre hiefür maßgeblichen Beweggründe betreffen, nicht aber allfällige tatsächliche Wahrnehmungen der Zeugin über den Inhalt von Gesprächen des Erstangeklagten mit dem Zweitangeklagten.

Bei der danach von der Zeugin in diesem Zusammenhang getätigten Äußerung, ihr Gatte sei „unschuldig“, handelt es sich hingegen nicht um einen Bericht über sinnliche Wahrnehmungen von Tatsachen, die der Vergangenheit angehören, sondern um eine bloße Wertung, die ebenso wie subjektive Meinungen, Ansichten, Schlussfolgerungen, rechtliche Beurteilungen und ähnliche intellektuelle Vorgänge - im Gegensatz zu den ihnen zugrunde liegenden tatsächlichen Prämissen - grundsätzlich nicht Gegenstand eines Zeugenbeweises sein können (RIS-Justiz RS0097540).

Der Schwurgerichtshof hat die Beweisaufnahme daher mit der zutreffenden Begründung abgelehnt, dass selbst allfällige Bestimmungshandlungen der Riffat G***** solche des Erstangeklagten nicht ausschließen würden (S 97 in ON 241).

Die im Rechtmittel zur Fundierung des Antrags nachgetragenen, großteils spekulativen Erwägungen sind prozessual verspätet und somit unbeachtlich, weil die Berechtigung eines Antrags stets auf den Antragszeitpunkt bezogen zu prüfen ist (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 325).

Der abschließende Hinweis auf ein im September 2010 verfasstes E-Mail Riffat G*****s, wonach sie beabsichtige nach Österreich zu kommen, sodass ihre Vernehmung möglich sein werde, ist angesichts des im Nichtigkeitsverfahren geltenden Neuerungsverbots unbeachtlich.

Die Tatsachenrüge (Z 10a) greift ihrem Wesen nach dann, wenn aktenkundige Beweisergebnisse vorliegen, die nach allgemeiner menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen - wie sie die Berufung wegen Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt - wird dadurch nicht eröffnet (vgl RIS-Justiz RS0119583).

Zwar grundsätzlich zulässig (vgl hiezu Ratz, RZ 2005, 106) bringt die Tatsachenrüge (Z 10a) vor, die Angaben des Zeugen K***** zu den ihm von einem Informanten in Pakistan, dessen Identität er nicht bekanntgab und den er nicht einmal persönlich kannte, zugänglich gemachten, den Erstangeklagten belastenden Hinweisen seien zu Unrecht verwertet worden und mangels sonstigen Beweises für dessen Bestimmungstäterschaft von ausschlaggebender Bedeutung für die Schuld gewesen. Sie vernachlässigt jedoch die weiteren wider den Beschwerdeführer sprechenden Beweisergebnisse, insbesondere die Resultate der Rufdatenrückerfassung am Tatort (vgl S 11 in ON 197, S 19 f in ON 241), seine prekäre finanzielle Situation vor allem unter Berücksichtigung der auch von unbeteiligten Zeugen bekundeten Intention der Josefa G*****, den zu seinen Gunsten errichteten Übergabsvertrag betreffend die Liegenschaften in L***** rückgängig zu machen (vgl etwa die Zeugen Adele und Werner L***** sowie Herta S*****, S 77 bis 86 in ON 241), die vielfachen Ungereimtheiten in seiner Verantwortung und die von ihm gesetzten Bemühungen, seinem Bruder für den Tatzeitpunkt ein Alibi zu verschaffen (siehe ua die Angaben des Zeugen Dr. Patrick T*****, S 81, 83 in ON 143; S 60 ff in ON 241).

Unter Ausblendung sämtlicher durch die Zeugenaussage K*****s in das Verfahren eingebrachter Mitteilungen des anonymen Informanten hat der - im Rahmen der Tatsachenrüge nicht erstgerichtliches Handeln (zB anhand der Niederschrift) überprüfende, sondern einen eigenständigen Ausspruch anhand des bereits dem Erstgericht vorliegenden Aktenmaterials treffende (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 11, 16) - Oberste Gerichtshof angesichts dieser gegen den Nichtigkeitswerber sprechenden Verfahrensergebnisse keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen.

Überdies wird mit der bloß abstrakten Behauptung, der anonyme Informant habe den Beschwerdeführer „im Hinblick auf eine mögliche Bestimmungstäterschaft schwer belastet“, nicht dargelegt, welche konkreten Aussageinhalte in dieser Weise gewirkt hätten (vgl RIS-Justiz RS0124172 [T3] und [T4]).

Soweit im Rahmen dieses Vorbringens der Sache nach auch Nichtigkeit nach § 345 Abs 1 Z 4 iVm § 252 Abs 4 StPO releviert wird (vgl 13 Os 153/03), scheitert die Rüge daran, dass der wesentliche Inhalt der belastenden Angaben des anonymen Zeugen vom Hörensagen auch durch die einvernehmliche Verlesung gemäß § 252 Abs 1 Z 4 StPO (S 10 in ON 242) seiner im polizeilichen Abschlussbericht vom 18. Jänner 2010 (ON 197) enthaltenen Angaben, somit in zulässiger Weise in die Hauptverhandlung eingebracht wurde. Daraus ist unzweifelhaft erkennbar, dass die der Sache nach behauptete - durch die Aussage des Zeugen K***** über Mitteilungen des anonymen Informanten erfolgte - Formverletzung auf die Entscheidung keinen dem Angeklagten nachteiligen Einfluss üben konnte (vgl RIS-Justiz RS0107022, RS0118778 [T3]).

Im Übrigen enthält die gemäß § 331 Abs 3 StPO aufgenommene Niederschrift der Geschworenen keinen Hinweis auf eine Berücksichtigung der vom Zeugen K***** in der Hauptverhandlung dargelegten, durch den anonymen Informanten erlangten Erkenntnisse.

Soweit die Tatsachenrüge im Wege eigenständiger Beweiswerterwägungen in der freien Verfügungsmöglichkeit des Erstangeklagten über eine mit Pfandrechten belastete Liegenschaft keinen Hinweis auf ein mögliches Tatmotiv erblickt, kritisiert sie im Ergebnis die Beweiswürdigung der Laienrichter nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung. Erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen vermag sie damit jedenfalls nicht zu begründen.

Mit Blick auf die unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des EGMR (16. November 2010 [Große Kammer], Taxquet gegen Belgien, Nr 926/05) ohne schlüssige Argumentation und ohne Nennung betroffener Gesetzesbestimmungen behauptete Verfassungwidrigkeit der in der Strafprozessordnung nicht normierten Begründungspflicht für Geschworenenurteile sieht sich der Oberste Gerichtshof nicht veranlasst, einen Antrag gemäß Art 89 Abs 2 zweiter Satz B-VG beim Verfassungsgerichtshof zu stellen, zumal ein - und auch der gegenständliche - Wahrspruch alle jene wesentlichen Sachverhaltselemente, die zur Subsumtion erforderlich sind, enthält und das Urteil demnach in diesem Sinn durchaus als begründet anzusehen ist. Eine Anfechtungsmöglichkeit bietet - wenn auch in eingeschränktem Umfang - § 345 Abs 1 Z 10a StPO. Die genannte Entscheidung des EGMR bemängelt demgegenüber das gänzliche Fehlen einer Begründung des sachverhaltsmäßig nicht hinreichend konkretisierten belgischen Urteils sowie dessen weitgehende Unanfechtbarkeit und bietet demgemäß keine Vergleichsgrundlage (vgl bereits 15 Os 181/09w zur Zuweisungsentscheidung des EGMR vom 13. Jänner 2009).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung der Verteidigung bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Graz zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§§ 344, 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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