OGH 1Ob86/11w

OGH1Ob86/11w24.5.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Peter M*****, vertreten durch Dr. Josef Pfurtscheller, Dr. Markus Orgler und Mag. Norbert Huber, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 5.047,24 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 2. Februar 2011, GZ 4 R 279/10a‑11, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 5. Oktober 2010, GZ 66 Cg 53/10m‑7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2011:0010OB00086.11W.0524.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 373,32 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Gegen den Kläger führte ein in Polen wohnhafter betreibender Gläubiger vor einem österreichischen Bezirksgericht Exekutionsverfahren aufgrund zweier von einem deutschen Landgericht stammenden Kostentitel. Der Kläger erhob beim Exekutionsgericht zwei Oppositionsklagen, in denen er sich auf das Erlöschen der betriebenen Forderungen aufgrund einer von ihm erklärten Aufrechnung mit Ansprüchen aus einem Gesellschaftsverhältnis berief. Nachdem der betreibende Gläubiger unter anderem die internationale Zuständigkeit des österreichischen Bezirksgerichts zur Entscheidung über die Oppositionsklagen bestritten hatte, führte der ‑ durch einen Rechtsanwalt vertretene ‑ Kläger sowohl in Schriftsätzen als auch in der in der Folge abgehaltenen Tagsatzung aus, aus welchen (weiteren) Gründen er das Gericht für zuständig halte. Das Bezirksgericht wies nach Verkündung des Schlusses der Verhandlung in dieser Tagsatzung die Oppositionsklagebegehren mit Urteil ab, wobei sich seine Begründung im Wesentlichen auf Art 22 Abs 5 EuGVVO bezog, wonach in Österreich eine Vollstreckungsabwehrklage unter Berufung auf eine Aufrechnung dann nicht vorgenommen werden könne, wenn österreichische Gerichte für die selbständige Geltendmachung der der Aufrechnung des Klägers zugrunde liegenden Forderung nicht zuständig seien. Da die aufrechnungsweise geltend gemachte Forderung in Österreich aber nicht selbständig eingeklagt werden könne, sei das Klagebegehren abzuweisen. In seiner dagegen erhobenen Berufung vertrat der Kläger weiterhin ausdrücklich den Standpunkt, das angerufene Bezirksgericht sei international zuständig gewesen; bei Verneinung der internationalen Zuständigkeit hätten die Klagen konsequenterweise aber mit Beschluss zurückgewiesen und nicht mit Urteil abgewiesen werden müssen. Er beantragte, die Entscheidung dahin abzuändern, dass die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts festgestellt und in der Sache selbst dem Klagebegehren stattgegeben werde. Das Berufungsgericht im Anlassverfahren hob das Urteil und das diesem vorangegangene Verfahren als nichtig auf und wies die Oppositionsklagen mangels österreichischer internationaler Zuständigkeit zurück.

Der Kläger begehrt nun den Ersatz des ihm entstandenen Kostenschadens von 5.047,24 EUR samt Zinsen aus dem Titel der Amtshaftung. Die Auffassung des Berufungsgerichts im Anlassverfahren, es mangle an der internationalen Zuständigkeit des angerufenen Bezirksgerichts sei richtig. Dieses hätte gemäß § 26 Abs 1 EuGVVO seine Unzuständigkeit erklären und die Klage mangels internationaler Zuständigkeit a limine zurückweisen müssen. Wäre das Bezirksgericht in diesem Sinne gesetzmäßig vorgegangen, wären keine weiteren Verfahrenskosten entstanden. Dieser Schaden beruhe daher auf einer unvertretbaren Rechtsansicht des Bezirksgerichts, das nicht nur in der Sache verhandelt, sondern darüber hinaus auch eine Sachentscheidung gefällt habe, weshalb die Anrufung des Rechtsmittelgerichts notwendig gewesen sei.

Die Beklagte wandte dagegen im Wesentlichen ein, der Kläger habe durch Einbringung der Klage selbst den Akt des Rechtsträgers herbeigeführt. Er habe sowohl gegen die Rettungspflicht nach § 2 Abs 2 AHG verstoßen als auch in eigener Sache sorglos gehandelt, weil er die Klage bei dem auch für ihn erkennbar international unzuständigen Gericht eingebracht und das Verfahren unter Aufrechterhaltung der Behauptung der Zuständigkeit des Erstgerichts ‑ trotz einer entsprechenden Einwendung des dort Beklagten ‑ fortgesetzt habe. Dass das Bezirksgericht zu Unrecht in der Sache entschieden habe, sei irrelevant, hätte doch der Kläger auch gegen einen Zurückweisungsbeschluss ein Rechtsmittel eingelegt, weil er doch weiterhin die Auffassung vertreten habe, die Zuständigkeit sei gegeben. Im Übrigen sei das Vorgehen des Bezirksgerichts auch nicht als unvertretbar zu qualifizieren.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Auch wenn das Bezirksgericht im Anlassverfahren von Amts wegen seine Zuständigkeit zu prüfen und sich gegebenenfalls unabhängig von der Einlassung des Beklagten für unzuständig zu erklären und die Klage (auch a limine) zurückzuweisen gehabt hätte, könne eine solche zwingende Verpflichtung zur sofortigen Zurückweisung den Bestimmungen der EuGVVO nicht entnommen werden. Ein Verbot der Durchführung einer mündlichen Verhandlung, mit welcher dem Kläger rechtliches Gehör verschafft werde, vor Entscheidung über die Zuständigkeit, sei nicht normiert. Tatsächlich habe im vorliegenden Fall die durchgeführte Tagsatzung auch der Erörterung der Zuständigkeitsfrage gedient und der Kläger habe in dieser Tagsatzung weiter zur Zuständigkeit des angerufenen Gerichts vorgebracht. Der anwaltlich vertretene Kläger hätte aber auch schon vor Einbringung der Klage erkennen können, dass das Gericht unzuständig ist. Er hätte es jederzeit in der Hand gehabt, einen weiteren Schaden durch Klagerücknahme unter Anspruchsverzicht abzuwenden, zumal der dort Beklagte die mangelnde Zuständigkeit eingewendet habe. Dass das Bezirksgericht die Klage ab‑ und nicht seiner Begründung entsprechend zurückgewiesen habe, begründe ebenfalls keinen Schadenersatzanspruch, da es sich lediglich um eine Falschbezeichnung gehandelt habe und einer neuerlichen Klageführung im Ausland nichts entgegengestanden wäre.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision letztlich für zulässig. Amtshaftungsansprüche seien insofern subsidiär, als ein potentiell Geschädigter zunächst verpflichtet sei, die ihm von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellten oder eine Abwendung oder Milderung des Schadens noch ermöglichenden Rechtsbehelfe auszunützen. Amtshaftung habe nur dann einzutreten, wenn das von den Gesetzen primär zur Verfügung gestellte Sicherheitsnetz an Rechtsbehelfen nicht ausreiche, den Schaden zu verhindern. Bei sorgfältiger Prüfung der Gesetzeslage hätte der Rechtsvertreter des Klägers in Bezug auf die beabsichtigte Klagsführung die internationale Unzuständigkeit des angerufenen Bezirksgerichts erkennen und ihn beraten müssen, von der Klagsführung im Inland Abstand zu nehmen. Diese Gesetzesunkenntnis eines Rechtsvertreters habe sich der Kläger im Außenverhältnis anrechnen zu lassen. Da an den Entscheidungsträger des Bezirksgerichts in Bezug auf die amtwegige Prüfung der internationalen Zuständigkeit kein höheres Anforderungsprofil als an den anwaltlich vertretenen Kläger angelegt werden könne, scheide ein Amtshaftungsanspruch von vornherein aus. Wie das Erstgericht schon zutreffend ausgeführt habe, hätte es der Kläger auch in der Hand gehabt, der Einrede der internationalen Unzuständigkeit Rechnung zu tragen und die Klage zurückzunehmen, um weiteren Schaden hintanzuhalten. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zu vergleichbaren Fällen fehle.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Entgegen der Auffassung des Revisionswerbers sieht das Verfahrensrecht keineswegs eine a limine‑Zurückweisung bei Fehlen der internationalen Zuständigkeit vor (vgl nu Schoibl in F asching/Konecny ² V/1 Art 26 EuGVVO Rz 2‑4). Wenn Art 26 Abs 1 EuGVVO anordnet, das Gericht habe sich von Amts wegen für unzuständig zu erklären, wenn seine Zuständigkeit nicht nach dieser Verordnung begründet ist und sich der Beklagte auf das Verfahren nicht einlässt, so wird darin gerade nicht von einer unverzüglichen Klagezurückweisung ausgegangen, hätte doch in diesem Fall der Beklagte nie die Möglichkeit, sich auf das Verfahren einzulassen. Auch die Regelung des Abs 2 über die Verfahrensaussetzung geht notwendigerweise davon aus, dass das Gericht in einem ersten Schritt dem Beklagten das verfahrenseinleitende Schriftstück zustellt und erst danach über eine allfällige Zurückweisung der Klage zu entscheiden hat.

Ebensowenig kann dem Erstgericht im Anlassverfahren der Vorwurf rechtswidrigen Vorgehens gemacht werden, wenn es im Anschluss an den Schriftsatz des dort Beklagten, mit dem er ua auf die Unzuständigkeit hingewiesen hatte, eine Tagsatzung anberaumte, in der der Kläger die Möglichkeit ‑ von der er auch Gebrauch machte ‑ hatte, zusätzliche Behauptungen zu der seiner Ansicht nach gegebenen Zuständigkeit vorzutragen. Ein solches Vorgehen des Gerichts erschien schon deshalb zweckmäßig und gut vertretbar, weil die Frage, inwieweit eine Oppositionsklage mit Berufung auf ein Erlöschen der betriebenen Forderung durch Aufrechnung unter die ausschließliche Zuständigkeit nach Art 22 Z 5 EuGVVO fällt, oder ob dem die fehlende internationale Zuständigkeit entgegensteht, durchaus kontrovers beantwortet wird (vgl dazu nur Simotta in Fasching/Konecny ² V/1 Art 22 EuGVVO Rz 162 mwN; vgl auch 3 Ob 12/10a).

Der Revisionswerber übersieht aber offenbar auch, dass nicht jedes dem Gesetz nicht entsprechende Verhalten eines Entscheidungsorgans zum Anspruch auf Ersatz des dadurch herbeigeführten (Vermögens‑)Schadens führen kann, sondern ein solcher Schadenersatz nur in Betracht kommt, wenn der Schaden auch vom Schutzzweck der verletzten Norm erfasst wird, sein Unterbleiben also von der betreffenden Norm zumindest mitbezweckt ist (vgl dazu nur Schragel , AHG³ Rz 130). Verfahrensrechtliche Zuständigkeitsnormen bezwecken nun in erster Linie ‑ aus im Einzelnen unterschiedlichen Gründen ‑ die Gewährleistung der Sachentscheidung durch ein Gericht, das zur Entscheidung eines bestimmten Rechtsfalls berufen ist, wobei häufig im besonderen Maße die Interessen des Beklagten beachtet werden. Dies gilt insbesondere für Regelungen, die eine amtswegige Prüfung der Zuständigkeit ‑ oder gar eine Zurückweisung a limine ‑ vorsehen, wird doch damit verhindert, dass der vor einem unzuständigen Gericht Belangte Kosten und Mühe auf sich nehmen muss, um die Zurückweisung der Klage durchzusetzen (zum Normzweck des Art 26 EuGVVO vgl nur die Ausführungen bei Schoibl aaO Art 26 EuGVVO Rz 2 f). Dass eine möglichst frühzeitige Zurückweisung gleichzeitig dazu führt, dass sich auch der Kläger ‑ sofern er sich damit abfindet ‑ weitere Verfahrenskosten für einen Zuständigkeitsstreit erspart, stellt eine bloße Reflexwirkung dar, ohne dass dieses Kosteninteresse des Klägers aber durch die einschlägigen Verfahrensvorschriften besonders geschützt wäre.

Soweit sich der Revisionswerber weiters darauf beruft, ihm wären deshalb zusätzliche Kosten entstanden, weil das Erstgericht die Klage zu Unrecht mit Urteil abgewiesen und nicht mit Beschluss zurückgewiesen hat, ist ihm entgegenzuhalten, dass bereits das Erstgericht zutreffend darauf hinwies, dass sich das Bezirksgericht im Anlassverfahren ‑ was sich aus seiner Entscheidungsbegründung eindeutig ergibt ‑ bloß in der Entscheidungsform vergriffen hat, hat es seine Entscheidung doch ausschließlich mit der fehlenden internationalen Zuständigkeit begründet. Dass der Kläger Nachteile gehabt hätte, hätte er diese Entscheidung in Rechtskraft erwachsen lassen, legt er in seiner Revision nicht dar. Darüber hinaus wären die zusätzlichen Kosten durch sein Rechtsmittel gegen die erstgerichtliche Entscheidung im Anlassverfahren auch nur dann vermieden worden, wenn er im Falle einer Zurückweisungsentscheidung in Beschlussform auf deren Bekämpfung verzichtet hätte. Einen derartigen hypothetischen Kausalverlauf behauptet er aber selbst nicht. Die Vorinstanzen haben auch zutreffend darauf hingewiesen, dass davon auch schon deshalb nicht ausgegangen werden könne, weil er ja noch in seinem Rechtsmittel an seiner Auffassung festhielt, das Bezirksgericht sei international zuständig; er beantragte sogar ausdrücklich dessen Entscheidung dahin abzuändern, dass „die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts festgestellt“ werde.

Im Ergebnis haben die Vorinstanzen daher die Klage zu Recht abgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50 Abs 1, 41 Abs 1 ZPO.

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