OGH 15Os41/11k

OGH15Os41/11k4.5.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. Mai 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Dr. Michel‑Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Tomecek als Schriftführerin in der Strafsache gegen Wolfgang S***** wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB, AZ 9 U 289/07b des Bezirksgerichts Wolfsberg, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts vom 15. April 2010, GZ 9 U 289/07b‑26, und weitere Vorgänge erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Knibbe, sowie des Verurteilten Wolfgang S***** zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Verfahren AZ 9 U 289/07b des Bezirksgerichts Wolfsberg verletzen

1./ der Vorgang, dass sich die Bezirksrichterin nach Bekanntwerden des sie betreffenden Ausschlussgrundes nach § 43 Abs 2 letzter Halbsatz StPO nicht der Verhandlung und Urteilsfällung am 15. April 2010 enthielt und sie die sofortige Anzeige des Ausschlussgrundes an den Vorsteher dieses Bezirksgerichts unterließ, § 44 Abs 1 und Abs 2 StPO iVm § 43 Abs 2 StPO;

2./ der in der Hauptverhandlung am 15. April 2010 vorgenommene Vortrag von Aktenstücken § 252 Abs 2a StPO iVm § 447 StPO;

3./ das Urteil des Bezirksgerichts Wolfsberg vom 15. April 2010, GZ 9 U 289/07b‑26,

a./ durch die Berücksichtigung von in der Hauptverhandlung nicht vorgekommenen Aussagen von Zeugen § 258 Abs 1 erster Satz StPO iVm § 447 StPO;

b./ infolge Unterbleibens von Feststellungen zur subjektiven Tatseite § 198 Abs 1 StGB iVm § 7 Abs 1 StGB sowie § 270 Abs 2 Z 5 StPO iVm § 447 StPO.

Das genannte Urteil wird aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Wolfsberg verwiesen.

Text

Gründe:

Wolfgang S***** wurde mit Abwesenheitsurteil des Bezirksgerichts Wolfsberg vom 3. Juni 2009, GZ 9 U 289/07b‑17, des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

Nachdem einem dagegen erhobenen Einspruch des Angeklagten (§ 478 Abs 1 StPO) mit Beschluss vom 16. Februar 2010 stattgegeben worden war (ON 23), wurde Wolfgang S***** mit (unbekämpft in Rechtskraft erwachsenem) Abwesenheitsurteil des Bezirksgerichts Wolfsberg vom 15. April 2010, GZ 9 U 289/07b‑26, neuerlich des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB schuldig erkannt und nach dieser Gesetzesstelle zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt. Dieses Urteil wurde von derselben Richterin gefällt, die bereits am vorangegangenen Urteil vom 3. Juni 2009 mitgewirkt hatte.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, stehen das Urteil vom 15. April 2010 sowie weitere Vorgänge in diesem Verfahren mit dem Gesetz nicht im Einklang:

1./ Nach § 43 Abs 2 StPO ist ein Richter (außerdem) vom Hauptverfahren ausgeschlossen, wenn er an einem Urteil mitgewirkt hat, das infolge eines Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs aufgehoben wurde, was (anders als nach § 68 Abs 2 StPO aF) mithin auch in Bezug auf Urteile zutrifft, die aufgrund eines gegen die Verurteilung in Abwesenheit erhobenen Einspruchs (hier: § 478 Abs 1 StPO) kassiert worden sind (Lässig, WK‑StPO § 43 Rz 25). Die Bezirksrichterin, der dieser sie betreffende Ausschließungsgrund mit Stattgebung des Einspruchs des Angeklagten gegen das Abwesenheitsurteil vom 3. Juni 2009 bekannt geworden ist, hätte zum einen diesen Ausschließungsgrund sogleich gemäß § 44 Abs 2 StPO dem Vorsteher des Bezirksgerichts Wolfsberg anzuzeigen und zum anderen sich weiterer Handlungen im Verfahren ‑ somit auch der Verhandlung und Urteilsfällung am 15. April 2010 ‑ zu enthalten gehabt (§ 44 Abs 1 StPO).

Darüber hinaus unterliefen ihr weitere Gesetzesverletzungen:

2./ In der Hauptverhandlung (am 15. April 2010) wurden Aktenstücke (Anzeige ON 2, Vernehmung des Angeklagten im Rechtshilfeweg S 61 sowie Strafregisterauskunft ON 24) „gemäß § 252 Abs 2a StPO einvernehmlich dargestellt und verlesen“ (S 137), obwohl die durch § 252 Abs 2a StPO ermöglichte Abstandnahme von der Vorlesung oder Vorführung von Aktenstücken nach § 252 Abs 1 und Abs 2 StPO zu Gunsten eines zusammenfassenden Vortrags ihres Inhalts durch den die Verhandlung leitenden Richter unter anderem an die Zustimmung des Angeklagten gebunden ist, die aus dessen Fernbleiben von der Hauptverhandlung nicht abgeleitet werden kann (vgl RIS‑Justiz RS0117012 [T2]; 13 Os 80/10d; Kirchbacher, WK‑StPO § 252 Rz 103, 134).

3.a./ Nach der ‑ auch im Verfahren vor dem Bezirksgericht geltenden (§ 447 StPO) ‑ Bestimmung des § 258 Abs 1 erster Satz StPO hat das Gericht bei der Urteilsfällung nur auf das Rücksicht zu nehmen, was in der ‑ hier neu angeordneten (§ 478 Abs 3 StPO; Ratz, WK-StPO § 478 Rz 4) ‑ Hauptverhandlung vorgekommen ist. Die Berücksichtigung der am 17. Dezember 2008, 26. März und 3. Juni 2009 abgelegten Aussagen der Zeugen Hermine W*****, Alfred T*****, Editha Ta***** sowie Mag. Georg F***** (ON 11, 14, 16) in den Entscheidungsgründen des Urteils vom 15. April 2010 (US 6) entsprach nicht dem Gesetz, weil diese in die Hauptverhandlung vom 15. April 2010 nicht Eingang gefunden haben.

3.b./ Konstatierungen zu einem auf die Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale des § 198 Abs 1 StGB gerichteten Vorsatz (§ 7 Abs 1 StGB) des Angeklagten sind den Entscheidungsgründen ‑ entgegen § 270 Abs 2 Z 5 StPO (iVm § 447 StPO) ‑ nicht zu entnehmen, sodass die Urteilsannahmen den Schuldspruch wegen des bezeichneten Vergehens nicht zu tragen vermögen (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 605).

Da ein aus den aufgezeigten Gesetzesverletzungen resultierender Nachteil für den Angeklagten nicht ausgeschlossen werden kann (§ 292 letzter Satz StPO), sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, das Urteil des Bezirksgerichts Wolfsberg vom 15. April 2010 aufzuheben und jenem Gericht die neue Verhandlung und Entscheidung aufzutragen.

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