OGH 13Os9/11i

OGH13Os9/11i7.4.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. April 2011 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Vetter als Schriftführerin im Verfahren zur Unterbringung des Bruno L***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 21. Oktober 2010, GZ 35 Hv 208/09x-43, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde gemäß § 21 Abs 1 StGB die Unterbringung des Bruno L***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.

Danach hat er vom Jänner 2009 bis zum November 2009 in T***** unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad, nämlich einer Störung durch Alkohol in der Form eines Entzugssyndroms mit Krampfanfällen F 10.31 und einem dementiellen Syndrom F 10.73, beruht, Mireille V*****, Barbara S***** und Marlene L***** durch die wiederholte sinngemäße Äußerung, er werde sie erschießen, wobei er anlässlich eines Vorfalls eine Schreckschusspistole mitführte, gefährlich mit dem Tod bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen,

und dadurch (richtig:) mehrere Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB begangen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 5, 5a, 9 lit a und 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen geht fehl.

Indem der Beschwerdeführer seine Zurechnungsunfähigkeit im Tatzeitpunkt in Frage stellt, führt er die Nichtigkeitsbeschwerde unzulässig zu seinem Nachteil aus (vgl Ratz in WK² Vorbem zu §§ 21 bis 25 Rz 15).

Der nominell aus Z 5 erster Fall, Z 5 zweiter Fall und Z 5a, der Sache nach aus Z 11 zweiter Fall (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 715) vorgetragene Einwand, die Gefährlichkeitsprognose orientiere sich nicht an den Kriterien des § 21 StGB, trifft nicht zu. Das Erstgericht beleuchtet sowohl die Person (US 3, 4) und den Zustand (US 5) des Beschwerdeführers als auch die Art der Taten (US 5) und schließt aus diesen Erkenntnisquellen - solcherart gesetzeskonform - auf die qualifizierte Gefährlichkeit im Sinn des § 21 Abs 1 StGB (US 5 f).

Die Aussage des Beschwerdeführers, er habe die anlässlich einer Drohung mitgeführte Schreckschusspistole gekauft, „um zu Silvester Leuchtschüsse zu schießen“ (ON 42 S 4), bezieht sich nicht auf entscheidende Tatsachen und ist demnach auch nicht erörterungsbedürftig im Sinn der Z 5 zweiter Fall.

Soweit die Rüge die Auseinandersetzung mit bestimmten Aussagepassagen vermisst, erschöpft sie sich darin, aus einzelnen Aussagedetails anhand eigener Beweiswerterwägungen nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung die Beweiswürdigung der Tatrichter anzugreifen. Zudem unterlässt sie die Angabe der Fundstelle der angeblich übergangenen Verfahrensergebnisse (RIS-Justiz RS0124172).

Das Erstgericht stützt die Annahmen zur Zurechnungsunfähigkeit im Tatzeitraum - aktenkonform (ON 42 S 8 f iVm ON 17) - auf das Gutachten der Sachverständigen Dr. T***** (US 5). Danach waren die Diskretions- und die Dispositionsfähigkeit des Beschwerdeführers aufgrund eines Psychosyndroms, das sowohl durch Alkoholmissbrauch als auch dementiell bedingt war, ausgeschaltet (ON 42 S 8 iVm ON 17 S 11, 12). Darüber hinaus führte der psychische Defektzustand nach dem Gutachten auch zur qualifizierten Gefährlichkeitsprognose im Sinn des § 21 Abs 1 StGB (ON 42 S 8 iVm ON 17 S 12 und ON 21), worauf sich die Tatrichter ebenfalls berufen (US 6). Der Umstand, dass nach den Ausführungen der Sachverständigen in der Hauptverhandlung die dementielle Beeinträchtigung zwischen Tat- und Urteilszeitpunkt rückläufig war, änderte an der Gefährlichkeitsprognose aber aus deren (psychiatrischer) Sicht gerade nichts (ON 42 S 8, 9), aus welchem Grund der Beschwerdeeinwand, das Erstgericht habe bei der Prognoseentscheidung den Demenzgrad unrichtig bewertet, fehlgeht.

Aktenwidrig (Z 5 fünfter Fall) ist ein Urteil, wenn es den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt (RIS-Justiz RS0099431; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 467), was die Beschwerde - unter solcherart lediglich nomineller Heranziehung dieses Nichtigkeitsgrundes - nicht behauptet.

Die prozessordnungskonforme Darstellung der Tatsachenrüge (Z 5a) verlangt, aus dem in der Hauptverhandlung vorgekommenen Beweismaterial (§ 258 Abs 1 StPO) unter konkreter Bezugnahme auf solches anhand einer Gesamtbetrachtung der tatrichterlichen Beweiswürdigung erhebliche Bedenken gegen die Urteilsfeststellungen zu entscheidenden Tatsachen abzuleiten (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 481, 487). Diesen Kriterien wird die Beschwerde nicht gerecht, indem sie sich darauf beschränkt, den Überlegungen des Erstgerichts eigene Beweiswerterwägungen entgegenzusetzen.

Die Prämisse der Rechtsrüge (Z 9 lit a), der Beschwerdeführer habe die Drohungen nicht ernst gemeint, entfernt sich von den - gegenteiligen - Feststellungen der Tatrichter (US 4) und verfehlt solcherart den gerade darin gelegenen Bezugspunkt materieller Nichtigkeit.

Weshalb aus dem Blickwinkel des Nichtigkeitsgrundes der Z 9 lit b Feststellungen dahin erforderlich sein sollen, dass der Beschwerdeführer die in einem Fall mitgeführte Schreckschusspistole „nicht als Waffe qualifizierte“, wird nicht klar.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

Darüber hinaus sieht sich der Oberste Gerichtshof zu folgenden Klarstellungen veranlasst:

Die Staatsanwaltschaft lastete dem Betroffenen im Antrag auf Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher (ON 24) an, (neben den vom Erkenntnis umfassten) zwei weitere Personen gefährlich mit dem Tod bedroht zu haben. Das Erstgericht unterstellte diesbezüglich, dass die Drohungen nicht qualifiziert im Sinn des § 107 Abs 2 StGB waren, und erachtete - solcherart zutreffend - die Unterbringungsvoraussetzung der Begehung einer mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohten Tat (§ 21 Abs 1 StGB) als nicht gegeben (US 5). Da die Tatrichter somit davon ausgingen, dass von mehreren - real konkurrierenden - vom Unterbringungsantrag umfassten strafbaren Handlungen einige die Unterbringung nicht tragen, hätten sie insoweit den Antrag abweisen müssen (SSt 60/40, RIS-Justiz RS0090390).

Hinzu kommt, dass die Rechtsansicht, der Bedeutungsinhalt einer Drohung sei danach zu beurteilen, wie der Bedrohte konkret diese verstanden habe (US 5), nicht zutrifft. Diesbezüglich ist vielmehr unter Bedachtnahme auf Sprachgebrauch, Gewohnheiten und Bildungsgrad aller Beteiligten, Gemütsverfassung, Milieu, Alkoholbeeinträchtigung und andere Begleitumstände aus objektiver Sicht eine - die Tatsachenebene betreffende - Gesamtbetrachtung anzustellen (Jerabek in WK² § 74 Rz 34, RIS-Justiz RS0092588).

Die Entscheidung über die - angemeldete (ON 45), aber nicht ausgeführte (ON 47) - Berufung kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

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