Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die klagende und gefährdete Partei ist schuldig, der beklagten Partei und Gegnerin der gefährdeten Partei die mit 2.495,80 EUR bestimmten Kosten des Revisionsrekurses (davon 1.234 EUR Barauslagen und 210,30 EUR Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
B e g r ü n d u n g :
Die beklagte Versicherungsmaklergesellschaft wurde 2002 gegründet. Ihr Stammkapital beträgt 35.000 EUR. Der Kläger ist seit Oktober 2004 Gesellschafter mit einem Anteil am Stammkapital von 40 %. Die Gesellschaft hat noch zwei weitere Gesellschafter.
Mag. M***** R***** ist seit 19. 12. 2002 selbstständig vertretungsbefugter Geschäftsführer. Der Kläger war vom 5. 10. 2004 bis 26. 5. 2010 selbstständig vertretungsbefugter Geschäftsführer.
Mit dem in der außerordentlichen Generalversammlung der Beklagten vom 26. 5. 2010 gegen die Stimmen des Klägers mit den Stimmen der beiden anderen Gesellschafter gefassten Gesellschafterbeschluss wurde beschlossen, den Kundenstock zu verkaufen, und der Geschäftsführer Mag. R***** zur Durchführung des Verkaufs ermächtigt. Der Kläger erhob dagegen Widerspruch.
Mit der am 25. 6. 2010 eingebrachten Klage begehrt der Kläger, den in der Generalversammlung vom 26. 5. 2010 gefassten Beschluss, womit der Kundenstock der Gesellschaft veräußert werden soll und der Geschäftsführer Mag. M***** R***** mit der „Handlungsführung und Abwicklung“ beauftragt worden sei, für nichtig zu erklären. Mit der Klage verband er den Sicherungsantrag, die Ausführung des Beschlusses der Generalversammlung bis zur Rechtskraft des über die Klage ergehenden Urteils aufzuschieben. In der Generalversammlung vom 26. 5. 2010 sei über Antrag des vorsitzenden Geschäftsführers Mag. R***** gegen die Stimme des Klägers von der Gesellschaftermehrheit der Beschluss gefasst worden, „den Kundenstock der Gesellschaft zu veräußern und ihn mit der Handlungsführung und Abwicklung zu beauftragen“. Die beklagte Gesellschaft sei in den Bereichen Versicherungsmaklerei und Vermögensberatung tätig. Satzungsmäßiger Unternehmensgegenstand sei insbesondere die Ausübung des Gewerbes des Versicherungsmaklers und des Vermögensberaters. Naturgemäß sei der Kundenstock der Gesellschaft der zentrale wirtschaftlich beständige Vermögenswert der Beklagten. Ohne diesen Kundenstock sei es ihr nicht möglich, den Unternehmensgegenstand zu betreiben. Sonstige wesentliche Vermögenswerte bestünden nicht. Mangels eines Konsenses der Gesellschafter wäre eine demzufolge vorzunehmende Änderung des Unternehmensgegenstands auch nicht möglich und würde zwangsläufig die Liquidation notwendig werden. Mit dem angefochtenen Gesellschafterbeschluss werde versucht, eine Änderung des Unternehmensgegenstandes herbeizuführen. Ein solcher Beschluss bedürfte der Einstimmigkeit, die nicht erreicht worden sei. Der Beschluss habe den Unternehmensgegenstand der Gesellschaft überschritten und verstoße deshalb gegen den Gesellschaftsvertrag. Dieser sehe die mögliche Veräußerung des zentralen wirtschaftlichen Vermögens der Beklagten nicht vor. Diese sei aufgefordert worden, vorerst von der Veräußerung des Kundenstocks abzusehen, um allenfalls eine gerichtliche Auseinandersetzung zu vermeiden. Die Beklagte sei dazu nicht bereit gewesen. Es sei daher zu befürchten, dass die Beklagte am Verkauf festhalte. Dadurch würde ein unwiederbringlicher Schaden entstehen.
Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ohne Feststellungen zu treffen sofort ab. Der Kläger führe nicht aus, welchen konkreten Kundenstock die Beklagte habe, welche Anzahl von Kunden in der Gesellschaft sowohl im Bereich des Versicherungswesens als auch im Bereich des Vermögensverwaltungswesens vorhanden sei und weshalb es der Beklagten nicht möglich wäre, in Ausübung ihres Gesellschaftszwecks weitere Kunden zu werben und dadurch einen neuen Kundenstock aufzubauen. Aus dem Vorbringen könne nicht abgeleitet werden, dass es durch die Veräußerung des bestehenden Kundenstocks der Beklagten nicht mehr möglich wäre, ihren Gesellschaftszweck fortzuführen und eine Liquidation erforderlich wäre. Inhalt des Gewerbes des Versicherungsmaklers und des Vermögensberaters sei es nicht, bloß den vorhandenen Kundenstock zu verwalten. Vielmehr sei es Ziel und Zweck einer solchen Gesellschaft, neue Kunden zu gewinnen und den Kundenstock daher auszuweiten. Aus dem Vorbringen sei nicht ersichtlich, weshalb es durch den Verkauf des Kundenstocks schon zu einer Liquidation der Beklagten kommen sollte, wäre es doch in weiterer Folge möglich, neue Kunden zu gewinnen und einen weiteren Kundenstock aufzubauen. Der Auftrag an den Geschäftsführer, den Kundenstock zu veräußern, impliziere, dass die Beklagte daraus ein Entgelt erwirtschafte. In der Veräußerung sei daher keine konkrete Schädigung zu sehen. Eine solche sei auch nicht behauptet worden. Dem Kläger sei es nicht gelungen, eine konkrete Gefährdung glaubhaft zu machen.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers Folge und erließ die beantragte einstweilige Verfügung. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen. Eine Änderung des im Gesellschaftsvertrag bezeichneten Gegenstands des Unternehmens bedürfe gemäß § 50 Abs 3 GmbHG eines einstimmigen Beschlusses, wenn im Gesellschaftsvertrag nichts anderes festgesetzt sei. Der Verkauf des Kundenstocks eines Maklerunternehmens sei von maßgeblichem Einfluss auf den Unternehmensgegenstand. Dass ein Unternehmen seinen Kundenstock verkaufe, um in der Folge dann weiterhin im selben Geschäftszweig tätig zu sein, erschiene wenig plausibel. Der Aufbau eines Kundenstocks sei in aller Regel das Ergebnis jahrelanger Arbeit. Der Verkauf des einmal erworbenen Kundenstocks an einen Konkurrenten, um dann erst selbst wieder mühsam einen Kundenstock aufzubauen, widerspräche jeder unternehmerischen Vernunft. Es liege daher der Schluss nahe, dass der angefochtene Beschluss der Generalversammlung darauf abziele, dass die Beklagte in Zukunft nicht mehr als Versicherungsmakler tätig sein soll. Der beschlossene Verkauf des Kundenstocks sei daher eine Abänderung des Unternehmensgegenstands iSd § 50 Abs 3 GmbHG. Die hierfür notwendige Einstimmigkeit aller Gesellschafter sei nicht gegeben. Der Anfechtungsanspruch sei daher bescheinigt.
Der Verkauf des Kundenstocks einer Maklergesellschaft müsse schon per se als mit der Gefahr eines drohenden unwiederbringlichen Nachteils iSd § 42 Abs 4 GmbHG verbunden angesehen werden, weil der Kundenstock in aller Regel einen essentiellen Unternehmensbestandteil darstelle, aus dem die laufenden Einkünfte erzielt werden. Daran ändere auch nichts, dass beim Verkauf des Kundenstocks als Gegenleistung ein entsprechendes Entgelt zu erwarten sei, weil dieses laufende Einkünfte aus den Kundenbeziehungen auf Dauer nicht ersetzen könne. Hinzu komme, dass in einem regelmäßig nur begrenzt vorhandenen Markt das Gewinnen zusätzlicher Kunden naturgemäß schwieriger werde, wenn schon ein entsprechender Kundenstock vorhanden sei, der veräußert werde. Die drohende Veräußerung des Kundenstocks stelle daher die Gefahr eines unwiederbringlichen Nachteils für die Beklagte dar.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage, ob die von der Generalversammlung einer Versicherungsmaklergesellschaft mbH beschlossene Veräußerung des Kundenstocks einer Abänderung des Unternehmensgegenstands iSd § 50 Abs 3 GmbHG gleichzusetzen sei.
Rechtliche Beurteilung
Gegen diesen Beschluss richtet sich der vom Kläger beantwortete Revisionsrekurs der Beklagten, der zulässig und auch berechtigt ist.
Der Verfahrensrüge der Rechtsmittelwerberin, ihr sei keine Möglichkeit zur Äußerung zum Sicherungsantrag gegeben worden, ist zu erwidern, dass eine einstweilige Verfügung - wie sich aus § 397 Abs 1 EO und schon aus § 402 Abs 2 EO iVm § 3 Abs 2 EO ergibt - ohne Anhörung des Gegners erlassen werden kann, dem dann das Recht auf Widerspruch (§ 397 EO) und zwar auch dann zusteht, wenn die einstweilige Verfügung vom Gericht zweiter Instanz bewilligt wurde, nachdem das Erstgericht den Sicherungsantrag ohne Anhörung des Gegners abgewiesen hatte (RIS-Justiz RS0005557; RS0005881; E. Kodek in Angst, EO² § 397 Rz 1-3 mwN).
Die von der Revisionsrekurswerberin behaupteten neuen Tatsachen und ihr Einwand, die Klagsführung sei sittenwidrig, sind nicht zu berücksichtigen, gilt doch das Neuerungsverbot auch im Sicherungsverfahren (stRsp RIS-Justiz RS0002445). Neues Vorbringen im Rechtsmittel ist auch dann ausgeschlossen, wenn der Rechtsmittelwerber in erster Instanz nicht gehört wurde (4 Ob 91/89).
Die Rechtsmittelwerberin macht geltend, die Frage, ob ein Kundenstock verkauft werde oder nicht, sei keine Frage der Änderung des Gesellschaftszwecks und des Unternehmensgegenstands, sondern vielmehr eine Frage der Verwendung von Gesellschaftsmitteln und damit in der Entscheidung des Geschäftsführers gelegen. Aufgrund der Bedeutung eines Verkaufs für die Beklagte sei nach Auffassung des Geschäftsführers die Zustimmung der Gesellschafter in der Generalversammlung erforderlich gewesen. Diese sei mit der ausreichenden einfachen Mehrheit erfolgt. Unzutreffend sei die Auffassung des Rekursgerichts, die Veräußerung eines Kundenstocks sei jedenfalls ein unwiederbringlicher Nachteil.
Der im Anlassfall angefochtene Gesellschafterbeschluss, der ein Vermögensaktivum betrifft, von dem das Rekursgericht annahm, dass es die wesentliche Grundlage des Unternehmens der Beklagten bildet, wurde nicht mit qualifizierter Mehrheit gefasst. Ob er Einstimmigkeit oder eine qualifizierte Mehrheit erforderte, muss nicht weiter geprüft werden, ist doch der Sicherungsantrag - wie die Rechtsmittelwerberin zutreffend geltend macht - schon deshalb abzuweisen, weil der Kläger ausgehend vom festgestellten Sachverhalt nicht bescheinigt hat, dass bei Ausführung des angefochtenen Beschlusses der Gesellschaft unwiederbringliche Nachteile drohen (§ 42 Abs 4 GmbHG). Er hat nicht behauptet, dass der Kundenstock zu einem nicht seinem Wert entsprechenden Preis veräußert werden würde, sodass von einer Entwertung seiner Anteilsrechte nicht die Rede sein kann. Konkret hat der Kläger nur behauptet, dass bei einer Veräußerung des Kundenstocks „zwangsläufig eine Liquidation der Gesellschaft notwendig“ werde. Das hat das Erstgericht verneint und das Rekursgericht nicht festgestellt (vgl 1 Ob 705/54 SZ 27/276 zu einer drohenden Liquidation als möglichem Aufschiebungsgrund). Der drohende unwiederbringliche Nachteil muss konkret behauptet und bescheinigt werden (vgl 6 Ob 215/10a mwN). Bloße Allgemeinkundigkeit iSd § 269 ZPO kann nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs für diesen Tatsachenbereich nicht genügen (6 Ob 215/10a; 7 Ob 92/04m mwN). Dem vom Rekursgericht angenommenen unwiederbringlichen Nachteil liegen Behauptungen des Klägers nicht zugrunde. Dass ein für den Kundenstock gezahlter Kaufpreis auf Dauer laufende Einkünfte aus den Kundenbeziehungen nicht ersetzen könne, ist keinesfalls selbstverständlich, kann doch eine Veranlagung oder Reinvestition des Kaufpreises gleiche Erträge erzielen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 41, 52 Abs 1 ZPO (1 Ob 237/99f).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)