OGH 2Ob79/10x

OGH2Ob79/10x27.1.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Sol, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei ***** A***** S*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Ölz, Rechtsanwalt in Dornbirn, gegen die beklagten Parteien 1. Ö***** AG, *****, und 2. Ö***** Gesellschaft mbH, *****, beide vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17-19, 1011 Wien, wegen 5.000 EUR sA und Feststellung (Streitwert 2.000 EUR), über die Revision der beklagten Parteien (Revisionsinteresse 6.000 EUR) gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 14. Jänner 2010, GZ 2 R 387/09s-38, womit das Urteil des Bezirksgerichts Bregenz vom 25. September 2009, GZ 8 C 958/08h-34, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 614,86 EUR (darin 102,48 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Kläger erlitt als Fahrgast der Erstbeklagten - am Bahnsteig gehend - durch ein Warnsignal einer von der Zweitbeklagten gehaltenen vorbeifahrenden Lokomotive einen beidseitigen Tinnitus und begehrt von den Beklagten Schmerzengeld sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Nachteile und Schäden aus dem Vorfall.

Das Erstgericht wies die Klage ab, das Berufungsgericht sprach dem Kläger 4.000 EUR an Schmerzengeld zu und erachtete das Feststellungsbegehren als zu Recht bestehend. Der Zweitbeklagten sei ein Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflichten anzulasten und die Erstbeklagte treffe gemäß § 1313a ABGB für das Verschulden der Zweitbeklagten die Mithaftung. Die Revision sei zulässig, weil es keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage gäbe, ob einem Eisenbahnunternehmen eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten vorzuwerfen sei, wenn Fahrgäste durch den von Makrofonen erzeugten Schalldruck Gesundheitsschäden erleiden.

Rechtliche Beurteilung

Die von den Beklagten erhobene Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO unzulässig.

Die Beklagten machen geltend, dass die Lokomotive behördlich genehmigt und zum Verkehr zugelassen worden sei und dass deren technische Eignung im Rahmen einer behördlichen Probefahrt überprüft und für sicher befunden worden sei. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stelle - im Zusammenhang mit der Frage der Zumutbarkeit - eine Überspannung der Verkehrssicherungspflichten dar.

Dem ist zu erwidern:

Der konkrete Inhalt einer (vertraglichen oder deliktischen) Verkehrssicherungspflicht hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab. Entscheidend ist vor allem, welche Maßnahmen zur Vermeidung einer Gefahr möglich und zumutbar sind (RIS-Justiz RS0110202).

Im vorliegenden Fall war der Zweitbeklagten aufgrund von innerbetrieblichen Vorfällen (Arbeitsunfälle des Werkstättenpersonals) bekannt, dass von den an den Lokomotiven angebrachten Makrofonen eine Gefahr (Gehörschädigungen) für Menschen ausgeht, die sich in unmittelbarer Nähe (wie etwa auf Bahnhöfen) befinden. Das Berufungsgericht sah es daher als der Zweitbeklagten zumutbar an, diese Gefährdung - falls diese durch eine andere Anordnung des Makrofons nicht vermieden werden kann - etwa durch Anbringung einer alternativen Signaleinrichtung für den Bahnhofsbereich zu beseitigen. Diese Beurteilung ist vertretbar und begründet keine krasse Fehlbeurteilung, die vom Obersten Gerichtshof zu korrigieren wäre.

Auch der Umstand, dass die zuständige Verwaltungsbehörde erst bei Lokomotiven jüngerer Generation als der hier verwendeten eine andere Anbringung des Makrofons vorschreibt, ändert nichts an der Vertretbarkeit der Rechtsansicht des Berufungsgerichts, verpflichtet doch die Verkehrssicherungspflicht auch denjenigen, der erlaubterweise eine Gefahrenquelle schafft, dafür zu sorgen, dass daraus anderen kein Schaden entsteht (RIS-Justiz RS0102977).

Dass sich die Erstbeklagte das Verhalten der Zweitbeklagten als Erfüllungsgehilfin gemäß § 1313a ABGB zurechnen lassen muss, wird von den Beklagten selbst zugestanden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.

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