OGH 1Ob222/10v

OGH1Ob222/10v26.1.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger in der Verlassenschaftssache nach der am 31. Jänner 2010 verstorbenen Christina W*****, China, über den Revisionsrekurs des Witwers Lothar Hans W*****, China, vertreten durch Dr. Georg Prantl, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 9. September 2010, GZ 43 R 512/10b-35, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 11. Mai 2010, GZ 9 A 35/10t-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden ersatzlos aufgehoben.

Text

Begründung

Die Erblasserin setzte testamentarisch als „Alleinerben und befreiten Vorerben (Substitution auf den Überrest)“ den nunmehrigen Revisionsrekurswerber und als Nacherben zu gleichen Teilen ihre drei Kinder ein. Weiters verfügte sie, dass im Falle des Todes eines Nacherben vor dem Nacherbfall dessen Kind(er) Nacherben sein sollen.

Das Erstgericht bestellte einen Kurator für die noch nicht gezeugten Nachkommen der Nacherben, also der drei Kinder der Erblasserin. Zur Begründung führte es lediglich aus, es seien die Bestellungsvoraussetzungen erfüllt, „da noch nicht gezeugte Nachkommen als Nacherben berufen wurden, wobei dies auch für eine Nacherbschaft auf den Überrest zutrifft“.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig.

Es sei zwar richtig, dass bei einer Substitution auf den Überrest der Vorerbe über das Substitutionsgut unter Lebenden frei verfügen könne. Auch wenn der auf den Überrest eingesetzte Erbe während der Vorerbschaft kein dingliches oder sonstiges absolutes Recht habe, sei doch zu beachten, dass die Befreiung des Vorerben im Fall einer Substitution auf den Überrest ihre Grenze im Rechtsmissbrauch finde. Die vermögenswerte Anwartschaft des Erben werde in einem solchen Fall unter den qualifizierten Voraussetzungen des § 1295 Abs 2 ABGB schadenersatzrechtlich und durch Unterlassungsanspruch gegen rechtsmissbräuchliches Verhalten geschützt. Demnach verbleibe aber dem mit dem angefochtenen Beschluss eingesetzten Posteritätskurator eine Aufgabenstellung, nämlich die Wahrnehmung der Interessen der Ersatznacherben im vorstehenden Sinn vor Eintritt des Ersatzfalls. Zur Wahrung der Interessen der noch ungeborenen Nacherben könnte es auch erforderlich sein, insoweit den streitigen Rechtsweg zu beschreiten. Entgegen der Auffassung des Rekurswerbers sei daher ein Kurator nach § 156 AußStrG iVm § 269 ABGB zu bestellen gewesen.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene Revisionsrekurs des erbantrittserklärten Witwers ist zulässig und berechtigt.

Das Erstgericht begründete die Bestellung des Posteritätskurators zwar nicht näher, aus dem Umstand, dass es die Bestellung in seiner Funktion als Verlassenschaftsgericht vornahm, ist allerdings abzuleiten, dass es gemäß § 156 Abs 1 AußStrG vorgehen und für eine Vertretung der noch ungezeugten Ersatznacherben im anhängigen Verlassenschaftsverfahren sorgen wollte (s dazu die ErläutRV, abgedruckt etwa bei Fucik/Kloiber, AußStrG 465); für die Bestellung eines Kurators für andere Angelegenheiten als das Einschreiten im Verlassenschaftsverfahren wäre das Pflegschaftsgericht zuständig.

Auch das Rekursgericht ging ersichtlich von einer Kuratorbestellung für das Verlassenschaftsverfahren aus, nahm es doch in seiner Begründung auf § 156 AußStrG Bezug. Inhaltlich verwies es zwar darüber hinaus auf eine Situation (Rechtsmissbrauch des Vorerben bei späteren Verfügungen über das Substitutionsgut), in der allenfalls eine außerhalb des Verlassenschaftsverfahrens gelegene Wahrnehmung der Interessen der noch ungezeugten Ersatznacherben geboten sein könnte, doch kann diese Argumentation nichts daran ändern, dass das Erstgericht als Verlassenschaftsgericht lediglich zur Bestellung eines Posteritätskurators für das Verlassenschaftsverfahren selbst berufen war und ersichtlich auch keinen „allgemeinen“ Kurator bestellen wollte.

Die Bestellung eines Posteritätskurators für das Verlassenschaftsverfahren setzt allerdings voraus, dass dessen Bestellung gemäß § 156 Abs 1 erster Satz AußStrG „zur Durchführung der Abhandlung“ erforderlich wäre. Dies ist nach § 5 Abs 2 Z 2 lit a AußStrG (mit durch das SWRÄG unrichtig gewordenem Verweis auf § 274 ABGB) unter anderem dann der Fall, wenn eine Partei des anhängigen Verfahrens - hier also des Verlassenschaftsverfahrens - noch nicht geboren ist. Wer Partei eines außerstreitigen Verfahrens ist, bestimmt nun § 2 AußStrG, wobei dessen Z 3 - über den Antragsteller (Z 1) und den Antragsgegner (Z 2) hinaus - jede Person als Partei bezeichnet, soweit ihre rechtliche geschützte Stellung durch die begehrte oder vom Gericht in Aussicht genommene Entscheidung oder durch eine sonstige gerichtliche Tätigkeit unmittelbar beeinflusst würde. Die Gesetzesmaterialien (ErläutRV aaO 42 f) führen zu diesem materiellen Parteibegriff aus, die Parteilehre dürfe keineswegs dazu verleiten, einen allzu weiten Parteibegriff zuzulassen. Insgesamt sei die materielle Parteistellung möglichst eng und scharf zu fassen. Die verwendete Formulierung der „rechtlich geschützten Stellung“ sei gewählt worden, um auch den einzelnen Verfahrenszweck als wichtigen Gesichtspunkt einfließen zu lassen.

Im vorliegenden Verlassenschaftsverfahren geht es um die Rechtsnachfolge nach einer Erblasserin, die ihren Ehemann als (befreiten) Vorerben, ihre Kinder als Nacherben und die Enkelkinder als Ersatznacherben für den Fall des Vorversterbens des jeweiligen Nacherben vor Eintritt des Nacherbfalls eingesetzt hat. Für die Beantwortung der Frage, ob auch die rechtlich geschützte Stellung der Ersatznacherben durch die in einem solchen Verlassenschaftsverfahren auszuübende gerichtliche Tätigkeit unmittelbar beeinflusst würde, kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass bei einer Substitution auf den Überrest der Vorerbe grundsätzlich frei über das Substitutionsgut verfügen kann und dabei nur ganz ausnahmsweise, nämlich in den seltenen Fällen eines Rechtsmissbrauchs, beschränkt ist (vgl nur RIS-Justiz RS0012537). Gegen die abstrakte Gefahr eines solchen Rechtsmissbrauchs können aber im Verlassenschaftsverfahren grundsätzlich keine Maßnahmen getroffen werden, steht doch bei der befreiten Vorerbschaft auch das (bücherlich eingetragene) Substitutionsband einer Veräußerung oder Belastung des Substitutionsguts nicht entgegen (vgl nur Welser in Rummel I³ § 613 ABGB Rz 31). Nach älterer Judikatur (EvBl 1970/375) war zum Zwecke einer Verfügung auf Antrag des befreiten Vorerben bloß ein Amtszeugnis auszustellen, wonach gegen die Verfügungsberechtigung des Vorerben abhandlungsbehördlich kein Hindernis besteht; die auf den Überrest eingesetzten Nacherben wurden nicht als Parteien betrachtet und brauchten vor der Entscheidung über einen solchen Antrag nicht gehört zu werden. Nach neuerer Judikatur ist für die grundbücherliche Durchführung der Veräußerung kein Amtszeugnis des Verlassenschaftsgerichts mehr erforderlich (5 Ob 30/88 = SZ 61/82; 5 Ob 31/88 = EvBl 1989/14; Eccher in Schwimann 3 § 614 ABGB Rz 7; Apathy in KBB3 § 613 Rz 9; Kletecka/Holzinger in ABGB-ON 1.00 § 608 Rz 24). Die Beurteilung der Zulässigkeit einer Verfügung ist dem Abhandlungsgericht überhaupt entzogen (RIS-Justiz RS0012537; Welser aaO Rz 30; 5 Ob 30/88; 5 Ob 31/88; 5 Ob 32/88 = NZ 1988, 235 [krit Hofmeister]; ebenso Apathy aaO).

Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist nicht erkennbar, inwieweit die Bestellung eines Substitutionskurators für das Verlassenschaftsverfahren erforderlich sein könnte, um die Rechte noch ungezeugter Ersatznacherben zu wahren. Schließlich ist bisher weder der Nacherbfall eingetreten noch die Bedingung für das Wirksamwerden der Ersatznacherbschaft. Demnach ist derzeit die Parteistellung der bloß potentiellen Ersatznacherben zu verneinen. Ob allenfalls außerhalb des Verlassenschaftsverfahrens eine Situation eintreten könnte, in der es erforderlich erschiene, (auch) ihre Interessen wahrzunehmen, ist vom Verlassenschaftsgericht nicht zu prüfen. Da das Verlassenschaftsverfahren nicht dazu dient, die ungezeugten Ersatznacherben vor allfälligen zukünftigen rechtsmissbräuchlichen Verfügungen des befreiten Vorerben zu schützen, sind sie nicht als Parteien iSd § 2 Abs 1 Z 3 AußStrG zu betrachten. Ist aber die Parteistellung der noch ungezeugten Ersatznacherben zu verneinen, ist ihnen für das Verlassenschaftsverfahren auch kein Kurator gemäß § 156 Abs 1 AußStrG iVm § 5 Abs 2 Z 2 lit a AußStrG zu bestellen.

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